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Ein Teil der Wirklichkeit
Die konstruktive Kunst verherrlicht die moderne, materielle Welt, den
Fortschritt, die Maschine. Die neoplastische Kunst löst sich von der ma
teriellen Welt los. Nur wenige senkrechte und wagrechte Linien, zwei, drei
Farben und ein “Gleichgewicht” sind von ihr übrig geblieben. Einem
angelsächsischen Besucher, der Mondrian fragte, ob er immer Quadrate
male, entgegnete er: “Quadrate? Ich sehe keine Quadrate auf meinen Bil
dern.” Also selbst Quadrate und Rechtecke wurden in der Welt der schönen
Künste nicht mehr geduldet. Die ersten neoplastischen Bilder sind in den
Jahren 1917/18 gemalt worden. Abbildungen der Arbeiten Mondrians, Does-
burgs, Vantongerloos bekamen wir in Zürich ungefähr im Jahr 1920 zu sehen.
Schon unsere ersten konkreten Arbeiten kehrten sich endgültig von dem
Wandel, von dem Fluss aller Dinge, dem auch der Mensch unterworfen ist,
also von der Natur, von der sichtbaren Welt ab, die ja nur ein Teil der
Wirklichkeit ist.
Die Heilige Stille
Bald wird von der Stille wie von einem Märchen erzählt werden. Der
Mensch hat sich von der Stille abgewandt. Jeden Tag erfindet er Maschinen
und Apparate, die den Lärm vermehren, und den Menschen vom wesent
lichen Leben, von der Betrachtung, von der geistigen Versenkung, ablenken.
Auto, Flugzeug, Radio, Atombombe sind die letzten grossen Siege des Fort
schrittes. Der Mensch hat nichts mehr Wesentliches zu tun, aber dieses Nichts
will er schnell und mit übermenschlichem Lärm tun. Er will abgelenkt sein
und ahnt nicht, dass der Roboter, der nun kutschiert, ihn ins Sinnlose fährt.
Beim Tuten, Heulen, Schreien, Donnern, Krachen, Pfeifen, Knirschen, Tril
lern wird ihm zuversichtlich zu Mute. Seine Unruhe legt sich. Seine unmensch
liche Leere entfaltet sich ungeheuerlich wie ein graues Gewächs.
Träumer
Nur wenige Träumer opfern heute noch ihr Leben, um den klaren Weg
gehen zu können. Sie essen schlecht und schlafen hart. Sie leiden unter Hitze
und Kälte. Doch wenn die lichten Fittiche sie umrauschen, versinkt alle Pein