als bloßes Ausdrucksmittel, damit Einer sich dem Anderen mitteilen kann. Aber sowie das Gefühl ausgedrückt ist, ist es auch starr geworden und etwas anderes, als es war. Vielleicht verschwindet es für einige Zeit, vielleicht bricht ein neuer Strom aus den Seelen über das Erstarrte. Dieses Erstarrte aber bleibt jeden falls und heißt neue Religion, wird unter Umständen leer, unter Umständen Gefäß für etwas Religionsfremdes oder Religionsfeindliches; und auf jeden Fall halten die Leute hartnäckig an ihm fest, ohne zu ahnen, daß es an sich bedeutungslos ist und Religion nur wird, wenn in ihm Religion erlebt wird. Etwa ein mittelalterlicher Deutscher und ein alter persischer Mystiker erleben ganz dasselbe: der eine erlebt es als Christ und innerhalb der Formen der scholastischen Theologie, der andere als Muhammedaner und innerhalb der Formen der philosophierenden Schiah. Das wesentliche ist nicht die Philosophie, nicht Christentum und Muhammedanismus, sondern das religiöse Erlebnis, das Gefühl, welches diese Kleider anzog. Man kann sich den Vorgang so anschau lich machen. Durch die Arbeit vieler Generationen von Dichtern, Philosophen, bildenden Künstlern und Gelehrten war die Seele der antiken Menschheit höher gestiegen, und was früher Religion gewesen war, das erschien ihr nur noch als barba rische Furcht vor dem Unbekannten. Ein neues Gefühl war in den Menschen: sie fühlten, daß sie Rinder Gottes werden konnten. Vtun suchten sie in den vorhandenen Formen: sie suchten unter den Göttern, Kulten, Mythen; sie kamen etwa darauf, durch den Mithraskult dieses neue Gefühl zu formen; oder durch gnostische Weltschöpfungsmythen. Da war, so könnte man annehmen, in einer der vielen mystischen Kultgemeinschaften ein Mysterium von der Kreuzigung des Sohnes Gottes vorhanden, das zunächst nur als Dichtung geschaffen war, durch welche die sehnsüchtige Spannung der Gemüter sich lösen konnte, wenn es vor den Gläubigen aufgeführt wurde. Dieses Mysterium wurde nun er griffen, als historische Tatsache gefaßt, daß in Palästina Gottes Sohn als Mensch gekreuzigt sei, und nun gruppierte sich schnell aus altem und ältestem Material und aus neuen Schlußfolgerungen um diesen Kern alles von Gedanken und Geschichten, was das neue Gefühl brauchte, um sich in mittelbarer Form dar zustellen. Alle diese Geschichten und Gedanken sind also nicht irgendwie real im Sinne der gewöhnlichen Wirklichkeit; sie sind auch nicht eigentlich symbolisch; sie sind Ausdruck für ein Gefühl und sind an sich ähnlich zu verstehen wie ein Traum der Ausdruck für ein Gefühl ist; etwa, um einen trivialen Vergleich zu gebrauchen: wenn man träumt, daß man eine Marmortreppe hinaufsteigt, welcher eine Stufe fehlt, so drückt der Traum aus, daß der Träumende eine Zahnlücke hat; ganz gut hätte der Betreffende auch träumen können, daß er