174 as feuchtwarme Wetter dieses Herbstes und Winteranfangs suchte die Vegetation um ihre winterruhe zu betrügen, um das winter- leid des Frostes, das wohl bis ins Mark schmerzt, aber auch alles Schädliche tötet, das den ungestüm quellenden Saft, den unge duldigen Trieb zurückhält, aber dadurch auch bewirkt, daß sich die aufgespeicherte Lebenskraft doppelt sieghaft endlich entfaltet. Schon um die Jahreswende trieb und knospte es in allen Büschen; an geschützten Stellen wagten sich am Rosenstrauch, am Flieder- und Weidenbusch die neuen Spitzen weit hervor, an den Kastanien begannen die runden Knospen zu schwellen und in Hüllen zarter Kelchblätter sah man grüne Blütchen sich an kündigen. Mit Rührung nahm man dieses zage und doch hastige, dieses un natürlich frühe Erwachen gerade in dieser Zeit der Leiden wahr; aber auch mit Sorge. Denn der Winter liegt noch vor uns; man wußte stets, daß eine einzige Frostnacht die ganze Herrlichkeit eines zu frühen Lenzes vernichten kann. So wäre es jetzt auch gekommen, wenn die neuen Knospen nur um ein weniges weiter entwickelt gewesen wären. Der strenge Frost, der plötzlich eingesetzt hat, ist wie ein rötlicher Schreck über das allzufrühe Lenzesahnen gekommen. Viele Triebe hat er unerbittlich getötet und Wunden gemacht, die man im Sommer noch wahrnehmen wird; im allgemeinen aber kam er noch zeitig genug. Die meisten Knospen sind noch nicht so weit geöffnet, daß sie sich zu geduldiger Ueberwinterung nicht noch fest wieder zusammenschließen könnten. Der vor schnelle Trieb, der da glaubte, er könne dem letzten Sommer — einem der schönsten seit vielen Jahren — und dem golden reichen Herbst gleich einen neuen Frühling anreihen, schlüpft erschreckt nun wieder hinab in den schützen den Schoß der dunkeln Erde. Die Natur weiß nichts von Menschenschicksalen. Aber der Mensch betrachtet sich mit all seinem Tun und Lassen doch immer in ihr wie in einem Spiegel. Er ist hungrig nach Gleichnissen und lebt in Symbolen. Jeder Vorgang der Natur scheint ihm eine Maxime zu bergen, aus allem, was er sieht, zieht er unwillkürlich Lehren. Am meisten in einer Zeit wie dieser, wo die elementaren geschichtlichen Vorgänge den Blick wie von selbst zum Elementaren der Natur hinlenken. Darum konnte man in diesen Wochen nicht durch Gärten und Wälder gehen, ohne ein wenig zu allegorisieren. Denn auch die Völker gehen in stetem Wechsel durch die Jahreszeiten dahin in ihrem Iahrtausendleben. Unsere Nation erlebt jetzt einen ihrer strengen Winter. Doch auch sie steht erst im Anfang der winterleiden, und auch sie glaubt zu großen Teilen, es nahe schon wieder der Frühling. Auch in ihr will es ungeduldig wieder knospen, wo doch die letzte Ernte kaum herein ist, wo die Nester gieriger Raupenbrut