217 Albert N)eisgerber m den zehnten Mai fiel er mit siebenunddreißig Jahren auf der Erde des Landes, dem er sich als Künstler am meisten zu Dank verpflichtet fühlte, wer ihn im Feld gesehen hat, bekräftigt, daß er ein vollkommener Soldat gewesen sei. Die Briefe seiner Kameraden über die letzten Augenblicke seines Lebens zeigen ihn, den Leutnant weisgerbee mit dem eisernen Kreuz, als den furchtbar beispielgebenden Führer, der seiner Kompagnie mit ge schwungener Waffe — der Axt, die ihm Zufall, Not, Wut und Verwirrung einer unsäglichen Sekunde in die Hand spielten — voranstürmt. Ein Brustschuß verletzt ihn schwer. Er sucht Deckung. Ein Kopfschuß tätet ihn. So sah ein Mitkämpfender dies Ende. Ein anderer sah es anders. Aber alle sahen ihn vorn vor den übrigen. Alles ist für den, der ihn kannte, von eindringender Glaubhaftigkeit — alles Tapfere, wie immer es gewesen sei, und alles Furchtbare. wer ihn auch bloß hier zu Lande in der rauhen Uniform des Infanteristen sah, war von der Erscheinung überzeugt. wir wissen nichts von Verhängnis. Es ist wohl Redensart, zu sagen, jedem geschehe, was ihm gemäß ist. In metaphysisch erregten Augenblicken retten wir uns in solche Zielgläubigkeit, die das Schicksal von den Knieen der Götter nimmt — weil wir sonst, aus Mangel an jeder Religion, verzweifeln müßten. Aber solche demütige und hochmütige Zuversicht trägt uns nicht immer. Und dennoch: man bleibt versucht, zu glauben, dc;ß weisgerber als Soldat auf ein ursprüngliches Element seines Wesens zurückgeführt war — seines Wesens, das sich von bäuerlicher und bürgerlicher Kraft herleitete. So über zeugend sah er aus, als er Soldat war. So überzeugend hat er nach den Briefen der Kameraden geendet. Man kann sich denken, daß ihm von jener nicht mehr benennbaren Höhe, zu der ihn die kühne Wollust des Kampfs und des Soldatentods emporwarf, selbst die heiße Begeisterung des Künstlers, deren er in der Einsamkeit des Arbeitens fähig war wie nicht viele, lächerlich bedeutungslos erschien. Er schrieb einmal, er wolle es als das größte Glück seines Lebens betrachten, wenn er noch einmal malen dürfe. Als man ihm in die Ruhestellung ein Kästchen mit Wasserfarben schickte, fragte er ärgerlich, was man wohl glaube. Er gehörte nicht zu den einer leichten Anpassung fähigen Künstlersoldaten, die draußen zeichnen und malen können. So bedingungslos war er Soldat geworden. Man muß wohl fortfahren: so bedingungslos war er Künstler geblieben. Eins schloß das Andere aus. war er Soldat, so konnte er nicht Maler sein — weil er im höchsten Sinn Maler war. Dies ist die Erklärung: das Illustrative fehlte ihm. So viel er illustriert hat, so wesensfremd war ihm im Grund das Flüssige der Talente, die jeder Gelegenheit, auch der düstersten, eine mitlaufende Form zu entnehmen vermögen.