222 as Mittelalter lebte rational und logisch, ging von einem Bestimmten aus und kam zu einem Be stimmten: von Gott zu Gott. Es gab ein Ge meinsames, Vereinigendes: den Glauben und die Doktrin. Die Menschen waren Ln einer Gemein schaft verbunden. Unsere Zeit lebt besten Falles poetisterend und allogisch, geht von Nichts aus, um zu Nichts zu kommen: von Meinung zu Meinung. Denn es gibt kein Gemeinsames, sondern nur Trennendes: Meinungen und Vorurteile. Die heutigen Menschen sind in einer Gesellschaft ge trennt. Heutige Meinungen sind taub gegeneinander und schweigen sich tot: das nennt man Würde. Oder sie sind taub gegeneinander und schreien sich an: das nennt man Polemik. Das einzige Wichtige für eine Meinung ist eine gegnerische Meinung; ihre Existenzen bedingen einander; jede wünscht der andern längstes -Leben um ihres eigenen Lebens willen. Diesen um seiner selbst willen geführten Streit der Meinungen nennt man wissenschaftlich Evolution. Man hat sich zwar auf kein Gegenwärtiges nicht nur nicht geeinigt, sondern erklärt, daß es ein Gegenwärtiges überhaupt nicht gebe, ist aber trotzdem überzeugt, daß sich daraus was für die Zukunft ergeben würde. Angst vor der Vergangenheit, die wie das böse Gewissen quält, Schauder vor der Gegenwart: die beiden hetzen in die Hoffnung auf die Zukunft, in die zu evoluieren man als einzigen Sinn gegen wärtigen Lebens anspricht. In den Begriff der Evolution schließt sich der naturwissenschaftliche und falsche Begriff der Anpassung, dem alle, die vom Bösen dieser Zeit existieren, mit Eifer anhangen. Der natürlichen Entwicklung gelang es, sagen unsere Evolutionisten, die Blindschleiche durch Anpassung zu entwickeln; der sozialen Evo lution wird es gelingen, daß sich der Minengraber an die Nacht der Rohlen „anpaßt" wie sich der Plutokrat an die Börse angepaßt hat, wie sich der Perlenfischer an die Tiefste angepaßt hat und zum Tiefseetier werden wird. Der moderne „Triumph des Geistes über die Materie" besteht darin, daß der Mensch die ihn an die Materie anpassendsten Fähigkeiten entwickelt hat und weiter entwickeln soll; mit dem Geist unterjocht der heutige Mensch seinen Geist; denn