273 er Vorwurf, den man gegen unsere neueren Künstler ebenso oft wie gedankenlos erhebt, sie feien nicht „national", weil sie in pari» studierten, ist dumm! Aber nicht viel gescheiter ist es, wenn man diesen dummen Vorwurf pariert durch die Behauptung, die Künstler hätten ein Recht zum Studium der fremden Runst, denn die „Kunst sei international". In Wahrheit handelt es sich gar nicht um einen Gegensatz von „national" und „international", sondern um etwas ganz anderes. Der Künstler ist weder „national", noch „international", sondern egoistisch! Er kennt zu der Zeit, da ein Werk in ihm entsteht, nur das reine Interesse dieses Werkes, so wie eine Mutter in jeder Not nur an das Interesse des Kindes denkt. Ist die deutsche Mutter, die ein gefährdetes Rind nach Davos führt, „national" — und ist sie „international" oder „antinational", wenn -sie mit ihm nach Aegypten reist, weil die ägyptische Luft für seine — deutsche! — Lunge die Rettung ist? wenn man doch die Runst nicht immer und ewig so eng-materialistisch betrachtete! Dem Banausen ist die Runst ein „Inhalt", das Entstehen eines Kunstwerkes ist ihm das Aufnehmen eines Inhaltes. Geht also ein deutscher Künstler nach Paris, so wird er einen französischen Inhalt aufnehmen — wozu ginge er sonst nach Paris? — und sein Bild wird französisch werden. Ob es einmal möglich fein wird, soviel Blindheit sehend zu machen? In einem Künstler entsteht ein Werk, nehmen wir an, es sei ein Werk, das in seinem Wesen ganz typisch deutsch ist, nehmen wir sogar an, es sei typisch deutsch selbst im Sinne des Banausen. Das Wachstum dieses Werkes braucht Licht und Luft, und die Schaffenslust des Künstlers benötigt Wärme, eine beschwingte Atmosphäre, den Wechsel der umgebenden Menschen und das Glück der Befreiung vom Gewohnten, wenn der Künstler nach Paris fährt, so ist ihm dabei höchst gleichgültig, daß dieses Paris die Hauptstadt Frankreichs ist, für ihn ist es nur wichtig, daß, aus welchen klimatischen, geographischen und atmosphärischen Ursachen immer, dieser Punkt der schnell erreichbaren Erde die Luft besitzt, in der sein Werk am besten „werden" kann. (Dabei kann er der geborene Franzosenfreffer sein.) Gewöhnen wie uns doch endlich, diese Dinge mehr physiologisch zu betrachten. Das ist das einzig „Natürliche". Ein Beispiel sei angeführt: warum gingen die — gewiß sehr deutschen! — Spitzweg, Krüger, Wald müller, Rayski in der ersten Hälfte des IS. Jahrhunderts nach Paris? weil durch Delacroix dort schon ein Loch geschlagen war in die Mauern des starren Akademizismus, die zur gleichen Zeit in Deutschland noch immer dumpf und unerschüttert standen. Die freie Luft im Westen zog jene Revolutionäre aus Deutschland an. waren sie deshalb anti- oder auch nur international? Sollten sie in Deutschland bleiben auf die Gefahr hin, daß ihr — doch deutsches! — Schaffen hier verdorrte? Sie gingen aus egoistischen Gründen, um ihr Schaffen zu retten, nach Paris und haben damit der deutschen Runst besser gedient, als wenn sie in der Heimat geblieben wären. Adolf Behne