34$ ie waren schon zwei Tage in Brügge und noch immer donnerte der graue Riesenzug frischformiertcr Truppen unter unseren Fenstern am Sankt Annen-Ufer vorüber. Die Erscheinung der ersten Bataillone war noch wie cin leichter grauer Nebel, der die Konturen der Häuser dun kelte, unsere Gesichtsnerven reizte. Nach zwanzig, dreißig Minuten aber hatten wir die Empfindung: Hügel drückten, rückten mit der Wucht schroffer Felsblöcke um unsere Winzigkeit zusammen. Zogen den massiven Ring enger und enger und schnitten den Atem weg. wölkten Unsichtbarkeiten in die Augen und lähmten den Springpuls des Blutes. Es war, als würden unsere Körper gehoben, aus den Fenstern drohend in einen unsichtbaren Wirbel hineingezogen. Es verschlug nichts, daß ein Marschlied aus den Tausenden von Kehlen klang. Melodiennetze weit ausspannte, drin sich der wind, das Rieseln der Regenröhren, die dumpfen Glockcnintervalle von der Liebfrauen-, Salvator- und Jakobskirche hemmungslos verfingen, was tat's, daß die Nacht mit den feuchten schwarzen Bahrtüchern den Himmelsbogen über den Häusern auslöschte. Die Straße schien zu wan dern, wanderte wie das endlose Band eines Paternosterwerkes. Aber es war noch etwas. Es war ein Geruch da, den wir vorher nie empfunden hatten. Vielleicht nie im Leben geschmeckt hatten. Nie in den großen Fellspeichcrn Antwerpens, in den Gerbereien an der Schelde, in den riesenhaften Sälen der Schuhfabriken Maastrichts. Und doch war es der Geruch des Leders, der Stiefel, die mit heißer Kraft die kantigen Steine wie Nägel in das Bett der Straße schlugen. Und was kann einem nicht alles der Mond sein, wenn er über die zackigen Giebel reitet, die Vielfältigkeit der Architekturen vereinfacht, das spülende Geräusch eines langsamen uralten Wassers durch das Hinaushorchende der offenen Fenster schlägt: Hier aber hing er kalt und unfeierlich in einem gelben Gehügel von Wolken und runden Schornsteinen. Das rhythmische Geschmetter der Marschtritte tönte hinauf bis zu seiner unkriegerischen Welt und zwang ihn aus dem verwunschenen Dasein in seine harre Helle: Stern. Und als der Morgen aufging, war es keiner, der das Gold aus den Fenstern in funkelnden Blöcken hämmerte; keiner, der lange Schnüre von Opalen, Korallen durch den Blau-Grund der Kanäle zog; keiner, der geschäftlich durch die Milchwagen schellte; keiner, der der Amsel mir hellem Geschmetter durch die Kehle spritzte. Es war eine Kette von Frauenhaar vor den Fenstern gespannt, ein Rudel von Köpfen, die, kaum in die wieder sichtbar gewordene Erscheinung der Truppen gerückt, von bleuem überwältigt wurde. Ein Gedanke zerpflückte alle Gehirne: wessen Art ist der Meister, der dieses Gebilde erschaffen hatte, es wie ein Instrument meistert 7 wo noch auf