36 Aber sie kann es nicht. Sie kann es nur behaupten. Sie kann von einem Bilde sagen: es ist schön. Aber sie kann nicht sagen, weshalb es schön ist. Ls läßt sich nicht einmal beweisen, daß ein Kunstwerk keines ist. Noch viel weniger, daß ein Kunstwerk — und weshalb es — auf uns wirkt. Wir wißen nicht, was uns ergreift. Wir wissen nicht, weshalb wir ein Bild schön finden. Etwa weil es gut gemalt ist? Bagrische Votivtafeln ergreifen uns eher, als die brillant gemalten Porträts der Sezessionen. Was haben Technik, Stil und Können mit dem Eindruck zu tun, den wir vom Kunstwerk empfangen? Mit ihnen läßt sich nichts erklären. Sie stnd (wie Leinwand und Zarbenfirma) undiskutable Vorbe dingung, Privatsache des Künstlers. Bon dem Stoff, von der Anekdote des Kunstwerks sind unsere Empfindungen nicht so unabhängig. Stoffliche Eindrücke mischen sich mit denen, die wir rein aus der Kunst empfangen, und wir haben keinen Grund, ste zu absorbieren. Aber mit Kunst und dem Wert des Kunstwerks haben sie nichts zu tun. Wenn wir die Anekdote eines Kunstwerkes nicht verstehen, so können wir trotzdem das Kunstwerk sehr wohl verstehen. Also nicht der Stoff des Werkes und nicht das Können des Künstlers ist es, was uns ergreift, und was uns sagen läßt: Wie schön! Was ist es denn? — Wir wissen es nicht. Die Seele des Kunstwerks. Gewiß: die Seele. Aber wo ist sie? Wie ist ste? Was ist sie? Was beseelt die Bilder Picastos und macht ste zum Kunstwerk vor Malereien und Vorsatzpapieren des Zufalls? Der künstlerische Wille. — Gewiß. Aber wie äußert sich der? L'est le Rhythme qui fait 9a, sagte mal Sawlenski. Gewiß. C’est le Rhythme. Aber was ist das: Rgthmus? Ein schönes Wort und ein sehr schöner Begriff. Aber worin äußert er sich? Z. B. bei Picasto? Es hilft nichts: wir wißen nicht, was das ist „le Rhythme"; wir wißen nicht, was das ist „Die Seele des Bildes"; wir wißen nicht, weshalb ein Kunstwerk „schön" ist. Der Künstler selber weiß es nicht. Er weiß oft nicht, weshalb er den Strich dahin, weshalb er den Zleck dahin fetzt. Er hat es im Gefühl: das gehört dahin, es muß so sein. Wir haben nachher dasselbe Gefühl. Wir sind befriedigt und glücklich, weil es so ge worden ist. Weshalb es so werden mußte, weshalb es uns glücklich macht, daß es so wurde, das wißen wir nicht. Das weiß kein Mensch. Auch kein Kritiker.