41 Lettres Intimes ^3oit Stendhal. Wirklich intime Briefe, unmaskierte, in denen er, der selbst noch ganz junge, sich der jüngeren Schwester vertraut. Alan liest sie» wie jetzt jo leicht alles „Zeindliche", auf das Lgpische, auf das Zranzösifche hin. Lins geht durch sie durch. Zwischen leidenschaftlichem Genießen und leiden schaftlichem Schmerze, zwischen der Leidenschaft des Erkeunens und der Weltver achtung bleibt immer das eine Ziel: sich eine Position zu sichern, sich und seiner Schwester. Und da für eine Zrau nur eine Möglichkeit ist, will er ihr eine Heirat verschaffen, eine reiche Heirat. Gr liebt sie sehr, weint über ihren Briefen, verzweifelt, wenn sie nicht schreibt. Und setzt ihr immer wieder zu: Rur sich nicht verlieben, nur sich nicht wegwerfen, nur das Ziel im Auge behalten, sich zusammen nehmen, heucheln, Komödie spielen, bis man festen Grund unter den Züßen hat. Und dann dem — notwendig ungeliebten — Gatten gegenüber dasselbe Spiel: man muß seine Schwäche studieren, Bewunderung vortäuschen, herrschen durch scheinbares Nachgeben, um so — endlich» endlich — Herrin seiner selbst zu werden. Herrin auch in der Gesellschaft. Der so rät, ist nicht nur jung und sehr leiden schaftlich, er nennt auch die Sahre seine glücklichsten, in denen er in Paris kein Geld hatte, seine Schuhe zu besohlen, und er verachtet die Menschen. Aber diesem selben ist ein Lag der schönste seines Lebens, weil er in Gesellschaft dreieinhalb Stunden lang glänzte — une conduite au dessus do l’humain —, so glänzte, daß Zraueu, die er beleidigt hatte, ihn, den Häßlichen, schön neunen mußten. Sie kommen anders auf die Welt als wir. Sehender, klüger, wissender. Sie kommen älter auf die Welt als wir. Als ob sie Abgründe und Gefahren des Lebens vorher sähen, Menschen vorher durchschauten. Und da sie, die Klugen und Zeinen, nun doch nicht leben können ohne Menschen, ohne die Gesellschaft, da ihr Ehrgeiz die Bewunderung braucht, das Sichzeigen, das Einflußausüben, so erwächst aus ihnen der französische, der Stendhalsche oder der Balzacsche Held, der das Leben zum Kampfe stellt, wer der Stärkere ist: „ä nous deux maintenant"; oder es wächst daraus die Zlaubertsche Entsagung, die nur noch beobachtet und prüft, und dann im Nachbilden und im Spott den Ekel über diese jämmerliche Welt überwindet. Aber immer (auch bei den Kleineren) ist das Erkennen da und sein bitterer Nach geschmack. Wie sehr jung sind wir durchgängig noch dagegen. Wie leicht getäuscht und unbewußt der Gefahr. Wie ein Kind, das sich vom Lisch wirft, weil es noch nie gefallen ist, und das Laufen versucht, weil's sich noch nicht gestoßen hat. Wir werden uns oft noch stoßen, was schadet es, wenn wir nur laufen lernen» und daran uns halten, daß alle steilsten Wege schlafwandelnd überwunden werden. Setzen wir also ruhig die Bitte des alten Raabe in unser Vaterunser: „Unsere tägliche Selbsttäuschung gib uns heute!" Eins freilich gibt es, was noch darüber geht: Erkennen und lieben» das Bittre austrinken und doch im Mitleid überwinden. Aber das ist der Weg der Heiligen. Zriedrich Mark