85 Philosophie und Gemeinschaft safere aus der Gemeinschaft ins Gesellschaftliche verfallene Menschheit lebt nicht nur wirtschaftlich» sondern auch geistig in einem anarchischen Gegeneinander, und so sind ihr nufere Einsichten bestenfalls immer nur „Ansichten", in welchem Wort Anerkennung und Verachtung des Sudividuums gleichzeitig Uegt» sehr charak teristisch für die Gesellschaft, dieses Zluteude der Sndividueu» die sich nur finden, am sich abzustoßen. Die Gesellschaft hat das Denken der Welt, das „Philo sophieren", zu einem Beruf gemacht, den sie, ihn „wisieuschaftlich" neuueud, aus zuzeichnen meint io ihrer Sdolatrie des Wisienfchaftlicheu» — einem Beruf, den jeder Einzelne nach Zähigkeit und Laune ausüben mag, wenu's ihn freut, — genau wie sie es in des Einzelnen Belieben stellt» ob er als Ehemiker oder Schuster sein Leben gewinnen und hinbringen will. Das Gemeinsame sieht sie nur im substantiellen Objekt: hier die Welt der Stiefel» dort die Welt der Er kenntnisse. Und wie die Schuhfabrikauteu zwar alle Schuhe machen und doch jeder von ihnen Wert darauf legt, ganz besondere Schuhe herzustellen» da sie ja alle gegeneinander und nicht miteinander produzieren, — genau so die Philosophen der Gesellschaft: sie denken nicht sokratisch mit-, sondern gegeneinander» und A lebt davon, daß er B „widerlegt". Das Philosophieren ist eine Disziplin ge worden ganz gegen ihr Wesen, das gar nicht „wisieuschaftlich" im gesellschaft lichen Sinne ist und gar nicht „historisch" im exakt-wissenschaftlichen Sinne» wie etwa ein Lehrbuch der Chemie von 1915 „wahrer" ist als eines aus dem Sahre 1860, weil das erste brauchbarer ist. Das Philosophieren ist Anschauen der Welt — um mit dem falsch gebrauchten Wort „Weltanschauung" nicht mißverstanden zu werden —, das sein einziges „Kriterium" in der Gemeinsamkeit des Miteiu- auderselns hat, in einem Drinnen also» nicht in einem eiuzeldenkerischeu Draußen» das ja seinerseits wieder ein solches Kriterium brauchte» und dieses wieder eines, und jo fort ad infinitum. Der Schulstreit um die „Richtigkeit" einer Philo sophie ist ein Gesellschaftsspiel mit wisienschaftlicher Altare» in dem der Philo soph sich selber einsetzt und selbstverständlich mindestens sich selber wieder ge winnen will. Daher der für das gesellschaftliche Philosophieren unbestreitbar richtige Satz, daß keine Philosophie mehr wert ist als der Philosoph, der sie hat. Sich nirgends zu widersprechen» hält A um so mehr für den wichtigsten Beweis feiner Wahrheit, als er mit nichts sonst beschäftigt ist wie dem B desieu Widersprüche auszuweisen und daraus desieu „Wahrheit" zur „Aicht-Wahrheit" zu machen. „Das Leben ist eine Ceudeuz zur Individuation", — diesen Satz