95 Sie ist, was das Können angeht, wohl sicher die schlechteste unter den bisher bekannt gewordenen S Novellen Ld- schmids. Nirgends durchschaut man die vielbewunderte Technik so leicht wie hier. Der mordende Perser in der Pariser Spelunke» das kenternde Boot im Starnberger See, der beulige Kops im Dirnenhaus des genuesischen Hafenviertels (0, der erhängte Konfir mand im Park, der Brasilianer im D-uud Schueesturm hinter Kowuo. Durch solch eine Aufzählung vieler kleiner Bilder wird einem schnell und ange nehm das Bewußtsein des „rasenden Lebens'* vermittelt. Auf die Dauer aber (es kommt in jeder Geschichte!) wirkt es doch etwas komisch. Alan merkt die Technik: Der boxende Ehi- nese in Westfalen, der am Tripper leidende westfälische Geistliche im Blv- menboot unterm Zudji. Seltene Si tuationen in einfacher Gegend, ein fache Situationen in seltener Gegend. Nachfolger Gdschmids werden diesen Zweig der Literatur mit Hilfe von Baedeker und Konversationslexikonzu ungeahnter Blüte bringen. Dieses und mehreres durchschaut mau lächelnd und freut sich im übrigen, daß alle Schwächen gerade in dieser besten Geschichte am sichtbarsten werden. Sie werden nämlich deshalb sichtbar, weil hier endlich das Können nicht mehr ausreicht, weil es sich hier um Dinge handelt, bei denen „Können" und Tech nik nichts mehr helfen. Um Erkennt nis, Bange-fein, Liebe, Demut. Auch Per verbirgt sich die Erschütterung hinter der groß-pathetischen Geste. Aber mau durchschaut sie leicht und sieht den Nleuscheu, der sie macht, (wie hinter einem schlechten Akteur), den armen» leidenden» rührenden Nleuscheu. Was tut es, daß dieser Offizier vo» seiner Todesangst, die nichts anderes ist als Lebensfreude, die bange ge worden ist und nicht zu jubeln wagt, was tut es, daß er in gequälte» und nicht eben einfachen Worten vo« ihr spricht? Die Hauptsache ist» daß hier erlebt wird und daß das Er lebte lebendig wird. Ein unendlich wehes und süßes Gefühl von tiefster Subruust erlebt und von der gleiche« Subrnust wieder gerufen. Schmerz lich und beseligend. Erschütternd — ihn und uns. Was tut es, daß das alles nicht „gekonnt" ist» daß es krampfhaft erzählt wird und krampf haft endigt, was tut das? Da alles fo schön ist, so mehr als schön, so menschlich. H. S. Gustav Alegrink, Der Go lem. Kurt Wolf Verlag. Schon lauge wußte mau von diesem Nomau. Hier und da waren Bruch stücke zu lesen und es wurde mehr über ihn geredet als über manches fertige Buch. Seht ist er da, ein fertiges Buch. Aber mau mag nicht glauben» daß es „fertig" ist und erledigt wie andere Bücher» wenn sie gedruckt sind. Alan würde sich vielmehr gar nicht wundern, wenn es beim zweite« und dritten Lesen recht anders wäre» als beim ersten, recht verwandelt. Alan erwartet alles mögliche, nein, im Ge genteil, alles unmögliche für diese« außerordentliche Buch. Wie soll ich es nun kritisieren? Sch möchte ja gar nicht, daß es au irgend einer Stelle anders wäre, als es ist. 3ch möchte nicht einmal, daß der (von keiner Schiller-Zigur au märchenhaf tem Edelmut übertroffeue) jüdische Studiker Eharousek wahrscheinlicher oder überhaupt nur anders wäre.