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Er hat allen Grund stramm national zu sein, denn auf der deutschen Rraft
ruht sein Geschäft, je stärker Deutschland, desto reicher wird er, aber nur da
durch, daß diese deutsche Rraft über die deutschen Grenzen geht: in irgend
einer braven deutschen Stadt lebt er fortwährend über allen Meeren, er
arbeitet deutsch, aber in Japan und Afrika, von seinem Lomptoir an der
Elbe aus. Ueberfeyen wir das aus dem Geschäftlichen ins politische, so haben
wir die neue geistige Form. Uebrigens haben wir sie ja längst: an jedem
deutschen Ratholiken, der auch ganz unbewußt und ohne jede Schwierigkeit
im deutschen Volk und doch über sein Volk hinauslebt, er gehört der deutschen
Nation und zugleich der katholischen Welt an. Ich kann mich dafür auf einen
klassischen Zeugen berufen: Bismarck. Richter hatte (in der Sitzung vom
2J. April J$$7) den Papst einen Ausländer genannt. Das mag er als Protestant
tun, antwortete Bismarck, aber „wenn ich Katholik wäre, glaube ich nicht,
daß ich die Institution des Papsttums als eine ausländische betrachten würde,
und von meinem paritätischen Standpunkt, den ich als Vertreter der Regierung
innehalten muß, gebe ich das zu, daß das Papsttum eine nicht bloß aus
ländische, eine nicht bloß weltallgemeine ist, sondern weil sic eine weltallgemeine
ist, auch eine deutsche Institution für die deutschen Ratholiken ist. Also auch
da fällt Herr Richter durch das theologische Examen." Und er kam zum Schlüsse
seiner Rede noch einmal darauf zurück und wiederholte: „wenn der Herr Vor
redner mir aufmerksam zugehört hätte, so würde er sehen, daß ich auch jetzt
noch als Protestant den Papst nicht als Inländer bezeichne, daß aber für den
Ratholiken die päpstliche Institution — der Papst kann ja im Auslande
geboren sein, ebenso wie der Rönig von Rumänien, der auch ein Rumäne ist,
obwohl er im Auslande geboren ist —, daß für den deutschen Ratholiken die
Institution eine deutsche ist." Diese Worte, damals kaum verstanden, sind des
halb so merkwürdig, weil sie fast unaussprechliche Tiefen und weiten des
Nationalen zu berühren wagen. Das Nationale ist viel zu geheimnisvoll, um
sich in irgend eine Vorschrift einengen zu lassen. Es entgeht jeder Definition
wie das Leben selbst und wie das Leben ist cs ewig im Flusse, zerstört sich
und erbaut sich wieder. Es schafft unablässig seine Formen um und unter
dem alten Rainen muß es sich stets erneuen. XXuv wenn eine neue Epoche
beginnt, bemerken wir das, aber im Stillen geschieht es jeden Augenblick. Jetzt
beginnt eine neue Epoche, das Nationale verlangt eine neue Form: J$70 ist es
reichsdeutsch geworden, jetzt wird es sich noch einmal ausstrecken müssen und
noch größer werden: weltdeutsch.
Hermann Bahr
Herausgeber und verantwortlich für die Redaktion
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