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s der ungeheure Weltkrieg in die Lande brauste, erfaßte
ein ungeheures Gären und Tosen die Menschen. Das
kam alles so schnell und unerwartet in jenen uns für
immer in die Erinnerung gemeißelten August-Erhebungs-
tagen des Jahres lS14, daß mit einem Ruck in uns das
Unterste zu oberst gekehrt wurde. Alles wahre leuchtete
riesengroß, alles Falsche aber ward geblendet von der
Fackel des Weltbrandes. Daß die Sozialisten mit einem
Schlage als Deutsche, als Hüter der geliebten Heimat emporwuchsen, das war
ebenso selbstverständlich, wie die Menschwerdung der jungen Künstler. Mit
seliger Luft empfanden sie alle die entflammende Heiligkeit dieser Zeit, in der
sich das wachsen und Reifwerden ihrer Lebensziele ihnen fast wie im Traum
wachen vollzog. Die wahre Seele, der wahre Humor deutscher Künstler, der
sich in Friedenszeiten häufig allzu sehr unter einer überharten Kruste von
ätzender Satire verhüllen mußte, dieser urdeutsche Herzenshumor sprießt seit
Kriegsbeginn in den Herzen unserer jungen deutschen Maler und Zeichner herrlich
empor, von denen viele an der Front stehen und ganz Männer und Kameraden
geworden sind. Aber nicht in der Entfaltung höchsten Mannesmutes allein liegt
das volle Erwachen der Künstlerseele in den meisten unserer jungdeutschen Maler
begründet. Vielmehr läßt das dauernd gährende Erleben draußen im Gewühl
der Schlacht bei den Allermeisten auch erst ihre ganze künstlerische Vollkraft
in die Erscheinung treten. Andere wiederum erleben die furchtbare Schönheit
und monumentale Größe des Begriffes Heldentum auch in der Heimat. Die
Zeugungskraft jeder wahrhaft gebärenden Künstlerphantasie erstrahlt in dieser
großen, eisernen Zeit in ihrer vollen Größe. Unter diesen phantasieschilderern
des Weltkrieges nimmt Willi Geiger, der vor etlichen Jahren aus München
nach Berlin übersiedelte Maler und Zeichner, eine Sonderstellung ein.
Je mehr wir uns in die Einzelheiten der zehn Blätter seiner Heldenmappe
aus dem Jahre lSl4 vertiefen, desto stärker werden wir von der Gedrungenheit
und der anschaulichen Innerlichkeit dieser Kunst übermannt. Dem Andenken
seines Bruders Wolfgang widmet Willi Geiger die Mappe. Mit völliger
Entrücktheit, visionär erlebt Geiger in seiner Seele eine Szene, als habe sein
Bruder am 20. August vorigen Jahres sein Leben wirklich in seinen Armen
ausgehaucht. In der Kühnheit und Sicherheit, mit der hier das Ineinander-
verfließen zweier kräftiger Männerkörper gegeben ist, in der tiefen Beschattung
des Auges, in dem schmerzverzerrt geöffneten Munde liegt tiefste zeichnerische
Andacht, wie sie sich namentlich auch in all' den Blättern offenbart, auf denen
sterbende Menschen oder auch trauernde Witwen, Waisen, Schwestern und
Bräute neben und übereinander gelagert sind. Hier spricht statuarische Ver
einfachung nnd tiefster Seelcnadel zu uns. Das sind nicht etwa bekleidete Akte,
die mit akademischer Glätte hingeworfen und auf die Kriegszeit hin „aktuell"
gemacht worden sind, wenn Geiger ein Blatt „Dolorosa" nennt, ein Blatt.