7
alleinseligmachenden Regeln der Metrik mit der größten Gewissen
haftigkeit. Aber auch sonst wurde die Kluft, die Kassäk von den
übrigen, nach und nach auf einen neuen Konservatismus lossteu
ernden Dichtern vom „Nyugat“ trennte, immer unüberbrückbarer
und unmittelbar vor dem Kriege war der Bruch bereits erfolgt.
Inzwischen hatte sich eine Handvoll jüngster Künstler um Kassäk
geschart, die in ihm ihren Führer erblickten, und mit ihnen gründete
er die erste wirklich radikale Zeitschrift des ungarischen Sprach
gebietes unter dem Titel „Tett“, der später, als die Zeitschrift wegen
antimilitaristischer Propaganda verboten wurde, in „Ma“ (Heute)
abgeändert werden mußte. Die „Maisten“ waren die ersten, die
eine wirkliche Annäherung des ungarischen Schrifttums an die
neuen ausländischen Bestrebungen durchsetzten und das ungarische
Publikum auf die Richtungen neuesten Datums aufmerksam machten.
So mußte sich auch Kassäk, der Dichter, mit dem Futurismus aus
einandersetzen. Wurden doch seine Prosagedichte sowie die ganze
Bewegung des „Ma“ in gutbürgerlichen Kreisen als futuristisch
beschimpft, und zweifellos waren es außer Walt Whitman in erster
Linie die Nachbeter Marinettis, deren Form die meiste Ähnlichkeit
mit der Kassäks aufwies und die ihn später, als er diese Form für
sich bereits geprägt hatte, auf das stärkste beeinflußten. Aber ein
Futurist war er wohl nie gewesen. Daran hinderte ihn seine ent
schieden soziale Weltanschauung, die sich bereits im Roman des
slowakischen Bauern bewährte. Blieben seine Gedichte an Dynamik,
Schwung und Kraft hinter den besten Schöpfungen der futuristi- /
sehen Schule auch nicht zurück, so hielt er doch sein Auge für das
soziale Problem offen, und beim Ausbruch des Krieges, als die
Futuristen den Krieg als die endlich entfesselte Bewegung, die
längstersehnte Aktionsfreiheit anjubelten, verwies er mit nüchterner
Erwägung darauf, daß der Krieg diesen verschrobenen Erwar
tungen nicht im geringsten entsprechen werde, daß er vielmehr
eiserne Disziplin, militärischen Drill, Einschränkung jeder freien
Bewegung bedeute.
So fand er sich selbst auch während des Krieges, dessen Aus
bruch mit dem Anfang seiner zweiten Schaffensperiode zusammen
fällt. Als Führer der schon erwähnten Ma-Gruppe — es ist be
zeichnend für Kassäk, den Menschen, daß er sich den Jüngsten
gerade zu einer Zeit zuwandte, da er bereits anfing, berühmt zu
werden und die Früchte seiner schriftstellerischen Arbeit einzu
heimsen — entfaltete er eine rege Propaganda gegen Krieg und
Militarismus. Überhaupt ist der Grundzug dieser zweiten Periode
ein enger organischer Zusammenhang von Kunst und Politik. Sein
politisches Glaubensbekenntnis war, wie nicht anders zu erwarten,
ein schlechthin radikales: der Kompromißsozialismus war ihm nicht
minder verhaßt als der hirnverbrannte Nationalismus, der bekannt
lich auch gerade damals die Zügel schießen ließ. Er bereitete sich
auf die Revolution vor. Und darin unterscheidet er sich von den
antimilitaristischen Aposteln anderer Länder, auch von Leuten wie