Geschmacks ein harmonisches Ganzes dar, das für die Geschlossenheit des ästhe- tischen Urteils spricht und jene Atmosphäre persönlicher Eigenart und Wärme verbreitet, durch die sich eine Privatsammlung von einem Museum unterscheidet. Das 19. Jahrhundert ist für Italien in seiner ersten Hälfte das Jahrhundert des Risorgimento, jener politischen und sozialen Bewegung, welche die Einheit und Unabhängigkeit Italiens auf der Basis demokratisch-republikanischer Freiheit verwirklichen will. Alle moralischen, geistigen und körperlichen Kräfte sind — Mazzinis Parole «Gedanke und Tat» gehorchend — durch diese Kraftanstrengung gebunden, den heroischen Leiden der Zeit hingegeben. Ein Schweizer Historiker hat über diese Epoche geschrieben: «... die größte Zeit. der italienischen Ge- schichte nach der Renaissance, das Risorgimento, welches durch Geistesreichtum, Heroismus und Leiden ein einzigartiges Gepräge erhält... Italien hat in diesen Jahrzehnten eine Fülle von großen Geistern hervorgebracht, die noch enger mit dem staatlichen Werden verknüpft sind als etwa die Dichter, Künstler und Gelehrten Deutschlands» (Hünerwadel). In jener Zeit hat der heilige und heroische Genius der Moral die Vorherrschaft über den Genius der Kunst. Poesie und Literatur, die philosophischen und. politischen Ideen erleben eine gleichzeitige, fortschreitende Entwicklung: Alfieri und Gioberti, Foscolo und Leopardi, selbst Manzoni, Pellico und Guerrazzi, Mameli und Giusti, sie alle leben in den schwierigen und schmerzlichen Kulturkämpfen denselben Idealen. , Die bildenden Künste aber standen nicht damit im Einklang. Wohl haben sie in den ersten 20 Jahren des Jahrhunderts Canova aufzuweisen, jenen erhabenen, neoklassischen Bildhauer, der einer fremden, nordischen Ästhetik zum Opfer fiel. Aber keiner der zeitgenössischen Maler erreichte diese Größe, Die. italienische Malerei brachte keine Gestalten vom Range eines Alfieri oder Foscolo hervor. Wie der neoklassischen Periode ein David, ein Gros, ein Ingres fehlten, so auch der romantischen Persönlichkeiten wie Delacroix oder Gericault. Als einziger tritt F. Hayez hervor, der, gleich wie es ihm beschieden war, in seinem langen Leben (1791—1882) den Bucentaur des letzten Dogen noch zu erblicken und die Eroberung Roms mitzuerleben, an drei verschiedenartigen Entwicklungsphasen der italienischen Kunst teilnahm. Er kann aber mit seinen großen italienischen Zeit- genossen — eingeschlossen Rossini und Bellini — nicht wetteifern. Mazzini, von einem heiligen Irrtum der Kunstphilosophie ausgehend, der die rein ästhetischen und lyrischen Werte nicht von der praktischen, utilitaristischen und moralischen Betätigung des Geistes trennt, hat diesen Stand der Dinge, fast ohne es selbst zu wollen, erklärt, indem er von den ethischen, politischen und sozialen Funktionen der Künste spricht, Man pflegt die Jahre 1860/61 als den Beginn der Geschichte des geeinten Italien zu bezeichnen. Tatsächlich begann aber mit der Proklamation des «Königreiches» eine Periode politischer Mittelmäßigkeit, die man nicht als die Erbin des heroi- schen Risorgimento bezeichnen darf. Die Bestrebungen des Risorgimento wurden vereitelt. Und doch hat der Geist Italiens zu jener Zeit Carducci, De Landis, Verdi, die Plejaden der mazzinischen Politiker hervorgebracht, und in der Malerei bereitete sich die schönste Blütezeit des Jahrhunderts vor.