30 Jahresbericht 1939 der Zürcher Kunstgesellschaft D des Vatikan erinnert mit leicht nach rechts geneigtem Haupt, kräftigerem Bartwuchs, energischer gespitzter Kapuze, wenig nach rechts herausgedrehter Hüfte und organischerem Faltenwurf noch an Leben und Natur. Die Figuren von Zürich und Siena sind in gleichem Maß zur Formel erstarrt. Im Vatikan und in Siena fehlt der Nimbus. An beiden Orten steht die Figur knapper im Raum, der Scheitel und die Füße berühren den Bildrand, der Abstand der Arme von den seitlichen Rändern ist kaum halb so breit wie in Zürich; doch kann das Fehlende auch nur vom Rahmen oder von späterer Hand weggeschnitten sein. Für den Typus als Ganzes ist kaum so sehr die unmittelbare Erscheinung des Bruders Franz verantwortlich als die in Ost-Rom für die Ewigkeit aufgestellte und durch Jahr- hunderte beibehaltene Form der Heiligendarstellung überhaupt. Die Proportionen der Ele- mente des Gesichts unseres Franziskus — Stirn, Augen, Nase, Mund — gleich wie Finger and Hand, die Feierlichkeit von Gebärde und Gestalt, gelten für byzantinische Mosaiken, Fresken und Ikone, lang vor Franziskus geboren wurde, und weit über seinen Tod und die ihm folgende mächtige Entfaltung der italienischen Malerei hinaus. Tafel II Meister der Darmstädter Passion, Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte. Oel auf Holz, 70X100 cm. Die Heilige Anna steht in scharf grünem Mantel und weißem Kopftuch im dunkeln Torbogen, Joachim tritt zu ihr in violettem Rock und mild rotem Ueberwurf; die Bau- werke sind im Licht hell gelblichweiß bis grau im Schatten, die Dächer über dem Paar licht blau, auf der kleinen Burg hell rosa, Weg und Felsen hell gelblich und grau, Pflanzen und Rasen licht grün, der Himmel Gold mit eingepreßten Wolkenornamenten, statt Damast. Ueber einem alten Holzriß ist zwischen dem Treppengiebel und der kleinen Burg der Goldgrund auf Handbreite in einem senkrechten Streifen ohne Prägung erneuert. Das Hessische Landesmuseum in Darmstadt besitzt seit dem Jahre 1843 zwei unbezeich- nete Altarflügel von 1,14 m Breite und 1,60 m Höhe, die auf den Innenseiten je eine figurenreiche Kreuzschleppung und eine Kreuzigung aufweisen, außen noch Reste einer Verkündigung und eines Weihnachtsbildes; das Berliner Kaiser-Friedrich Museum aus Be- ständen, die auf das Jahr 1821 zurück gehen, zwei noch größere Tafeln, 1,08 X 2,02 m, mit je einer prunkvollen Anbetung des Christkindes und einer Verehrung des Kreuzes innen, and einer tronenden Madonna mit Kind und der Darstellung der heiligen Dreieinigkeit auf den Außenseiten. Seit dem Jahr 1900 sind die vier Tafeln als Werke des gleichen Meisters erkannt und ist dieser als «Meister der Darmstädter Passion» in die Kunst- zeschichte aufgenommen. Erst 1924 hat ihm ein weiteres, noch umfangreicheres Bild, eine Kreuzigung mit 2.44 m Breite und 2,02 m Höhe, in der Kirche des Ortes Bad Orb in Hessen zugewiesen werden können, und seither ist sein Werk noch einmal um fünf kleinere Bilder, zwei auseinander geschnittene Flügel und ein Einzelblatt, bereichert worden, ohne daß für seine Person und auch nur für seinen Namen sich irgendwelche Anhaltspunkte hätten Finden lassen. Von den fünf kleinen Bildern besitzt das Zürcher Kunsthaus mit seiner jüngsten Er- werbung von 1939 heute drei. Diese werden in einer von der Vereinigung Zürcher Kunst- freunde im Anschluß an ihren Kauf der Tafel mit den Heiligen Sebastian und Fabian vorbereiteten Veröffentlichung im Zusammenhang besprochen und reproduziert werden.