z% Jahresbericht 1940 der Zürcher Kunstgesellschaft F ihn von der Stille der byzantinischen Tradition hinweg und durch die ernste Monumen- salität der Kunst Giottos hindurch schrittweise zu mehr naturalistischer Ausdruckskraft und Freiheit geleitet habe. - Anders sieht der holländische Beurteiler der italienischen Malerei, Raimond van Marle. Er ist ergriffen von der römischen Größe des Cavallini und findet, wie Venturi, ihre Spur in den von diesem schon genannten namenlosen Tafeln, deren Zahl unter seiner behut- samen Hand bis 1921 auf acht, bis 1924 auf zwölf angewachsen ist. 1921 erscheint im Bollettino d’arte del Ministero della pubblica Istruzione die schön illustrierte Abhand- lung «La scuola di Pietro Cavallini a Rimini»; 1924 bringt der Band IV seines Standard: werkes «The development of the Italian schools of painting» über die «Maler von Rimini» ein Kapitel von 70 Seiten mit 45 Abbildungen. Die im Umfang bescheidenen. «Cavallinesken» Tafeln bedeuten naturgemäß in mancher Richtung eine Abschwächung gegenüber den mächtigen Fresken und Mosaiken des Meisters. Sie bestätigen ihn in seiner direkten Geistesverwandtschaft mit der Freiheit und Größe der spätantiken Fresken, Mosaiken und Buchmalerei darin, daß sie wirklich für einen «andern Geist» zeugen; von Grund auf verschieden von. dem in Venedig konser- vierten Byzanz und von Giotto und dessen Geistes Kindern. Van Marle geht nicht darauf aus, irgendwie belegte Künstlernamen auf dem schwankenden Boden mehr und weniger diskutierbarer Kombinationen von Namen, Daten und «Stilmerkmalen» mit einem mög- lichst runden «Werk» auszustatten. Er sagt an einer Stelle, daß die von ihm in der unmittel- baren Empfindung für cavallineske Form vorsichtig nebeneinander gestellten Tafeln nicht zwei aufweisen, die er der gleichen Hand zuteilen möchte. Die Betrachtung der Abbildungen nach Cavallini und nach den durch van Marle vereinigten Cavallinesken Tafeln, und seine Worte, lassen rasch erkennen und nachfühlen, was er meint. Es besteht zwischen diesen und den giottesken Bildern ein Unterschied des innersten Wesens. Was die Nachfolger Cavallinis von dem Meister übernommen haben, ist in erster Linie eine schwungvolle, eher aristokratisch-elegante: Haltung gegenüber dem mönchisch-volkstümlichen Giotto. Ihre Figuren sind hoch, oben schmal, mit kleinen Köpfen, gegenüber den breiten, oft lastend schweren Gestalten von Giotto; die Gewänder schwingen in bewegten, geschmeidigen Falten, bei Giotto fallen sie breitflächig, oft sack- artig. Die. blanken. oft vollmondartigen Gesichter von Giotto fehlen; sie sind hier höher, weniger ins volle Licht gehoben als von Hell und Dunkel umspielt, und zeitloser oder moderner, als bei dem hier befangener und altertümlicher wirkenden Giotto und seinen Schülern. Erst nach der künstlerischen Situierung der cavallinesken Gruppe befaßt sich van Marle mit ihrer Situierung im Raum von Italien. Mit dem Verfahren der Elimination gelangt er zur Ueberzeugung, daß sie nur neben den etwas jüngeren und: von Cavallini weiter ent- fernten Giovanni Baronzio sich stellen und in Rimini beheimaten lasse. Sie repräsentiert gewissermaßen die erste Schule von Rimini in nächster Abhängigkeit von Rom und un- mittelbar bestimmt durch die Kunst von Cavallini; während die jüngere Schule, auch noch näher. an Cavallini als an Giotto und den Byzantinern, aber doch stärker autochthon ent- wickelt, von Baronzio und seinen Zeitgenossen und nächsten Nachfolgern gebildet wird. Unter den Beiträgen zu der noch von Venturi vorbereiteten Gruppe der frühen aus- gesprochen cavallinesken Arbeiten hat van Marle die Hälfte eines unbenannten kleinen Diptychons in der Pinakothek von Urbino beigezogen. Sie zeigt im Giebelfeld die