36 Jahresbericht 1942 der Zürcher Kunstgesellschaft Do ‚Sammlung I‘ — was jetzt ausgestellt ist, was während dieses Sommers ausgestellt werden konnte — ist ein Ergebnis der Sammeltätigkeit der Kunstgesellschaft seit 1910, die für diesen bestimmten Teil der Sammlung nach dem durch sie aufgenommenen schwei- zerisch-nationalen Prinzip der alten Künstlergesellschaft, ihrer Vorgängerin, gesammelt hat und weiter sammelt. Mit dem Prinzip der Sammeltätigkeit von einem andern Standpunkt aus haben sich die an der Generalversammlung 1941 gefallenen Anregungen beschäftigt. Von der einen Seite wurde verlangt, es möchte für das Kunsthaus demokratischer — das Wort ist so gebraucht worden —, auf breiterer Basis, gesammelt werden. Von anderer Seite wurde, mit der Forderung nach Konzentrierung auf nur künstlerisch Höchstwertiges, als Vorbild die Sammlung Oskar Reinhart genannt, die in ihren Voraussetzungen wie in ihrer Erschei- nung eine durchaus aristokratische Sammlung ist. ‚Demokratisch‘ würde — ganz summarisch, ganz grob gesagt — mit leichter Beugung des Spruches über unserer Universität etwa heißen: nach dem Willen des Volkes; ‚aristo- kratisch‘: der Herr bin ich, und ich habe niemandem nachzufragen. Im Zürcher Kunsthaus entscheidet weder ein vielköpfiges Parlament noch eine autori- täre Einzelperson oder Personengruppe. Wie die Kunstgesellschaft zwischen der Gesamtheit des Volkes und dessen durch ein- zelne Individuen repräsentierten Spitzen steht, so amtet für sie, mit dem Bewußtsein der Verantwortlichkeit gegenüber der Gesamtheit — also nicht nach privater Lust und Laune — und in höherem Sinn demokratisch, ein Kollegium von Sammlern und Künstlern, die für sich ihre durchaus eigene, aristokratische Stellung zur Kunst haben und aus dieser heraus sich dem Dienst der Allgemeinheit widmen; wobei zu hoffen ist, daß, wo sie sich treffen und gemeinsam entscheiden, sie immer nur um künstlerisch Bestes sich summieren. Daß sie nicht die einzigen ‚Aristokraten‘, d. h. Kunstfreunde mit angeborener oder doch selbst- erworbener und selbständiger Empfänglichkeit und Einstellung zur Kunst sind, ist selbst- verständlich. Und daß andere Mitglieder der Zürcher Kunstgesellschaft, die diese Eigen- schaften in sich spüren, zur Abklärung von Kunsthausfragen, die unter wechselndem Aspekt stets existent, stets ‚brennend‘ sind, mithelfen wollen, ist dankenswert. Mit der Gesamtausstellung der für unsere gegenwärtige Empfänglichkeit künstlerisch gehaltvollsten schweizerischen Sammlungsbestände der letzten zwei Generationen und der unsern, in ‚Sammlung I‘, und den künftigen Abteilungen — auf die im Jahresbericht hin- gewiesen ist — Sammlung II und Sammlung III — wollen die Organe der Kunstgesellschaft eine positive und ergiebige Aussprache möglich machen, vorerst für den Bereich von ‚Sammlung I‘, neuere und zeitgenössische schweizerische Kunst, welche bisher als Kern und erste Aufgabe der Kunsthaussammlung betrachtet worden ist. Für die Aussprache und für jedes Mitglied der Kunstgesellschaft sind damit gegeben die objektiven Grundlagen. Die persönliche Ausgangsstellung der Teilnehmer wird entscheidend sein für ihr Niveau». W. Wartmann