DIE KOMPOSITION 1/1925 VON PIET MONDRIAN Es gibt von Piet Mondrian rund zwanzig Bilder, deren quadratische Grundfläche auf die Spitze gestellt ist; das erste aus dem Jahr 1918, die meisten aus den Jahren 1925/26 und sein letztes, unvollendet gebliebenes Bild «Victory Boogie- Woogie» von 1943/44. Das Gesamtwerk von Piet Mondrian besteht nach heu- tiger Schätzung aus fast 200 Bildern, deren Grundprinzip die horizontal-vertikale rhythmische Teilung ist, mit dunklen, später meist schwarzen Linien auf meist weißer Fläche. Unter diesen Bildern haben jene mit auf die Spitze gestellten Qua- dratflächen jedoch eine viel größere Bedeutung, als sie ihnen rein numerisch zukommen würde. Dies liegt daran, daß in dieser Gruppe von Bildern eine große Zahl bedeutender Werke sich befindet, die ihres Ausmaßes und ihrer Durch- führung wegen besondere Beachtung erheischen, aber wohl auch daran, daß diese Bilder im Werk von Mondrian von allem Anfang an wie besonders akzentuierte Ausbrüche wirken; denn in ihnen wird die streng horizontal-vertikale Ordnung durchbrochen: allerdings nicht der Rhythmus und das Lineament, sondern die äußere Begrenzung. Es ist mir nicht bekannt, daß Mondrian über das Prinzip des auf die Spitze gestellten Quadrates sich je schriftlich geäußert hätte. Er selbst bezeichnete die Form dieser Bilder als «lozenge» oder «rhombisch». Doch ist dies beides ein Irrtum, denn ein Quadrat wird niemals dadurch rhombisch, daß man es auf die Spitze stellt. Besser wäre es gewesen, Mondrian hätte diese Bilder als «spitze» Bilder bezeichnet, denn gerade durch die ausgeprägte Wirkung der Spitzen des über Eck gestellten Quadrates unterscheiden sie sich wesentlich von den andern. Wir sind daran gewöhnt, Bilder als Rechteckfläche, parallel zu den Wandbegrenzungen normaler Räume, zu sehen: Mondrian hat dieses Rechtecksehen und -empfinden