lichen Bilderkreises — vergegenwärtigt die Figuren der Kreuzigung, unter dem Aspekt des Schmerzes, des Opfers und der Trauer, zu atmender Präsenz. In diese große ikonogra- phische und künstlerische Ueberlieferung hinein gehört die vorliegende Gruppe, deren zentrale Figur, Christus am Kreuz, nicht mehr erhalten ist. Die beiden Figuren verfügen über statuarische Mächtig- keit. Einerseits eignet ihnen fast lebensgroßer Maßstab; ander- seits ruft die künstlerische Formbehandlung diesen Eindruck hervor. Sie bedient sich vor allem des flutend bewegten Spiels der Gewandfalten als hauptsächlicher Ausdrucksträger: die Falten verselbständigen sich zu eigenem ornamentalen Leben, jedoch nicht so, daß die plastische Gestalthaftigkeit der Figu- ren in Frage gestellt würde; ihre körperliche, kernhafte Substanz bleibt gewahrt. Diese verhaltene Formorchestrierung befindet sich in Einklang mit der geistigen Gestimmtheit der Figuren. Lauter Schmerz hat keinen Platz: Maria ist zwar als Dolorosa begriffen; sie ringt die gefalteten Hände empor; ihr Haupt neigt sich in der Gegenrichtung. Das Kopftuch rahmt das Gesicht, es verschattend, in schönem Flusse ein. — Rechts ist die Figur des Johannes in rhythmischer Entspre- chung auf die Madonna bezogen; die kaum merkliche Be- wegung des vorgebeugten Oberkörpers, die weisende, die Brustpartie überkreuzende Gebärde des rechten Armes mit der feinnervigen Hand, das edel gebildete, großflächige Ant- litz voll männlicher Würde, das fallende Locken umspielen — das sind hier die wesentlichen Ausdruckselemente. Diese Klage um Christus, deren ikonographische und formale Gestaltgebung sich letztlich von dem durch Nikolaus Gerhaert eingeführten, im süd- und mitteldeutschen Raum verbreiteten niederländischen Typus? herleitet, geht vor sich in herber und stiller Gefaßtheit. Vgl. Adolf Feulner und Theodor Müller, Geschichte der deutschen Plastik, München 1953, S. 295 (zur Kreuzigungsgruppe des Hochaltars der Nördlinger Georgskirche 1478).