gültig blickt der Stehende, Zigarette in der Hand, auf ihn herab. Keine
Spur von Anteilnahme oder auch nur Neugierde. Segal erzählt keine Ge-
schichten, ihn interessieren vor allem menschliche Verhaltensweisen, hier
im Speziellen die Beziehungslosigkeit der Großstadtmenschen zueinander.
Im Gegensatz etwa zu Kienholz, mit dem er als Gestalter von Environ-
ments oft zusammen genannt wird, abstrahiert er gewissentlich von allen
Präzisierungen diskursiv erzählerischer Art, um aus dem Einzelfall das
Typische, das Allgemeingültige um so sprechender zu erarbeiten.
Dieser Tendenz kommt Segals Technik des Gipsabgusses in besonderem
Maße entgegen. Seine Figuren bewahren in Stellung und Haltung eine
vollkommene Lebensnähe, nehmen jedoch das Individuelle der Gesichter
zugunsten eines allgemein verbindlicheren Ausdrucks zurück; auch die
einheitlich weiße Farbe der Figuren weist in dieselbe Richtung. Segal ist
ein Reduktionskünstler; durch Weglassen alles Zufälligen verdichtet er
die unmittelbar betroffen machende Wirkung seiner Figurengruppen, in-
dem er ihnen Spontaneität trotz Zurücknahme des Zeitgebundenen zu
erhalten versteht. Konfrontation des Betrachters mit seinen Werken be-
deutet für Segal nicht «kennerhaften Kunstgenuß» im traditionellen
Sinne, sondern eine Begegnung auf gleicher Ebene — wörtlich wie über-
ragen! —, eine Begegnung in der die Anklage gegen die durch die Groß-
stadt geforderte Abkapselung des Einzelnen und Gleichgültigkeit dem
Mitmenschen gegenüber zum Hauptthema wird.
«Bowery» wurde vom Kunsthaus mit Beiträgen von privaten Spendern,
denen auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei, anläßlich der Segal-
Ausstellung im Oktober 1971 erworben. Da diese Ausstellung anschlie-
Bend an Zürich in Darmstadt, Rotterdam, Leverkusen, Paris und Tübin-
gen gezeigt wird, ist damit zu rechnen, daß diese Neuerwerbung erst
gegen Ende 1972 ihren dauernden Platz in der Sammlung wird einnehmen
können.
Felix Andreas Baumann