ZWEI AQUARELLE VON PAUL KLEE Bis vor kurzer Zeit haben die sich im Kunsthaus sefindenden Werke von Paul Klee fast ausschliesslich die Tendenzen, Arbeitsvorgänge und technischen Verfahren seiner frühen und letzten Schaffensjahre dokumentiert. Als Vertreter seiner Bauhaus-Zeit gab as nur das « pointillistische» « Porträt Mr. A. L.» (1921), einer der frühesten Versuche Klees zu trans- parenter Farbgestaltung. Die Voraussetzungen für eine gehaltvolle Vertretung des Werkes von Klee sind durch zwei Aquarelle aus dem Vermächtnis von Frau Mabel Zuppinger kon- kreter geworden: durch ein repräsentatives Beispiel seiner systematischen Untersuchungen von farbigen und tonalen Veränderungen, die er während der Bauhaus-Jahre unternahm, und durch ein sehr selte- nes Dokument aus dem für Klee schwierigen Jahr 1936. 1919 an das Weimarer Bauhaus berufen, begann Klee in den Jahren 1920—1925 «exakte versuche im bereich der kunst». In theoretischen Überlegungen und künstlerisch-praktischen Versuchen beschäf- tigte er sich mit der Farbenlehre. Im April 1921 schrieb er an seine Frau, er arbeite an einer Reihe neuartig konzipierter Aquarelle mit streng gebauten tonalen Stufungen aus nur zwei Farben, die er nicht mehr gefühlsmässig in die Komposition einsetze. 1922 zeichnete er mit schalkhaftem Humor die einfachen Umrisse des « Schrecks eines Mädchens» (Gug- genheim Museum, New York), ein reizvolles, fabulier- freudiges und groteskes Spiel. Ein alarmiertes Nicht-mehr-Kind in komisch langem Kleid, mit einer Korallenkette um den Hals und einer Erwachsenen- frisur wird von einem roten, aus der rechten Bildecke herausfahrenden Pfeil bedroht und breitet im pubertären Schreck seine Arme aus. Der grosse Kopf erinnert an das alte erotische Symbol bauchiger Flaschen. Darin, aufs Einfachste reduziert, im Profil und en face zugleich projiziert, das Gesicht und die ungleichen Augen, die zwei unterschiedliche Schreckgefühle suggerieren. 1923, in seinem «Jahr des Theaters», konstruierte Klee die «Marionette 7a», welche die Grundforme: des vorangehenden « Schrecks» beibehält. Neu ist der Spitzhut, das Mäntelchen und das preziös ge kräuselte Kunsthaar, neu sind vor allem die bild- nerischen Mittel und der Gesamtinhalt. Es ist diesme ein Kind mit grossem Kopf und grossen Augen — 30 wie Kinder Kinder malen —, das Klee in ein mecha nisches, hüftlahmes Puppenwesen mit ausgebreitet aufgehängten Armen verwandelt, eine der Marione* ten, die sein «Maestrone» in der «Jahrmarkt- musik» (1924) an der Schnur lenkt. Es ist den skur rilen, bizarren Kreaturen, Automaten, Apparaturen, «chemischen Männlein» verwandt, die Klee in seiner bildnerischen Wundergarten heranzüchtete, fasziniert durch die nächtlichen Phantasien von E.T. A. Hoffmann. Die ganze Fläche dieses Aquarells ist in ein feines Liniennetz verspannt und mit mehreren transparenter Farbschichten in einem komplizierten technischen Verfahren bedeckt, das Klee « Lasieren» nannte. Vo: der flachen, düsteren Raumfolie aus Blau, Grau, Braun und Schwarz steht die asymmetrische, abe! harmonisch ausgewogene, glasbildhafte Puppe: delikate Nuancierungen von Grau und Rot, die wir zwei selbständige musikalische Stimmen in Skalen und Doppelklang geführt werden. Was als ein ge‘ metrisches Spiel Klees zeichnerischer Phantasie begonnen hatte, gelangte in einem bestimmten Moment zu einem spezifischen Ausdruck. Die mathematisch proportionierten Farbbewegungen, de Bewegungsfluss der Farben, ihre Lockerung und Verdichtung, ihre Aufhellung und Verdunklung, ihre «Erhitzung» und «Abkühlung », ihr Nebeneinander und ihr Zwischenspiel gipfeln in drei brennenden Signalen der Angst, des Schrecks — im transparenter Rot des Gesichts und im zähen Rot des Hutes sa: