Reihenfolge der Eingänge wurden die Kunstwerke angeordnet. Schon das allein hat ein spontanes Nebeneinander der verschiedensten Stilarten und Techniken zur Folge. Der Pluralismus der heutigen Kunst kommt hier in Miniaturausgabe voll zur Gel- Überblickbar ist das gesamte Museum eigentlich erst tung. 500 Künstler schufen Kleinstwerke für die in Buchform. Die Publikation, in der die Werke des Fächer, Ed Kienholz machte den Sockel für den Schubladenmuseums in alphabetischer Reihenfolge Kasten. Die Auswahl konnte nicht anders als sub- ihrer Autoren abgebildet sind, ist die zwingende Er jektiv sein. Distel lud jene Künstler ein, die ihm die gänzung zum Original. Dieses Projekt ist ein Gesamt: heutige Kunstszene repräsentativ zu vertreten schie- kunstwerk, und es macht - das ist das besonders nen. (Der Akzent liegt auf den sechziger und sieb- Amüsante daran - aus einer Institution, die dazu ziger Jahren.) Da pflegen Arbeiten berühmter Auto: geschaffen ist, Kunst zu bewahren und zu zeigen, ren Nachbarschaft mit wenig bekannten, sogar un- symbolhaft selbst ein Kunstwerk. Distel selbst hat bekannten Künstlern. Plastiker, Maler verschieden- denn auch von einem <«objet-mus&e)> gesprochen. ster Richtungen, Objektmacher, Konzeptkünstler (Ma creation personnelle est d’ordre conceptuel, sind in diesem zeitgenössischen «Musge imaginaire) elle reside sans lid&e de «comprimer> un ensemble vereinigt, das als kleinstes Museum der Welt die d’ceuvres dans !’Objet-Mus&e», sagte er in einem breiteste Information über die aktuelle Kunstszene Interview. Distels Schubladenmuseum ist nicht das übermittelt. Möglich ist alles - die Beschränkung erste Museum, das ein Künstler kreiert hat. An der auf das kleine Format hat durchaus keine Grenzen Documenta V 1972 - wo die Sammlung des des Gestaltens bedeutet: da präsentiert sich Wolf Schubladenmuseums im Anfangsstadium bereits Vostell mit einbetoniertem eigenem Blut, Joseph gezeigt wurde —- stand Ben Vautiers «Schrank;, Beuys stellt seinen Zehennagel als «Mond) aus. Marcell Broodthaers «Musge des Aigles» und Claes Arman schuf eine winzige Akkumulation aus Zahn- Oldenburgs «Mouse-Museum. Sie alle haben ihren rädern, und Hilla und Bernd Becher verkleinerten Ausgangspunkt in Duchamps «Valise». Neu aber ist eine Photo ihrer «Wassertürme>». Es gibt Aquarelle, die Idee, ein «Muse imaginaire» der zeitgenössi- Ölbilder, Collagen. Chuck Close vermochte auch in schen Kunst zu schaffen, an dem andere Künstler Kleinstformat seine Technik anzuwenden, die er für mitarbeiten und das Konzept des Erfinders dadurch seine Grossformate benutzt: er spritzte ein Porträt überhaupt erst realisierbar machen. Die Idee zu auf Papier. John Chamberlain arbeitete mit Kunst- Sammlungen in Miniaturformat hat die Kunst- stoff, Eduardo Chillida mit Holz, Lynn Chadwyck mit geschichte schon immer beschäftigt. Peter Killer ha: Bronze, Rafael Benazzi mit Elfenbein. Die Gefahr, in seiner Einleitung zum Katalog des Schubladen- dass durch die Reduzierung auf Spielkastenformat museums auf mehrere Vorläufer hingewiesen. Die die Werke verniedlicht werden, ist durch die spezifische Form des Schubladensystems freilich Qualität, die von den Künstlern eingehalten wurde, blieb der Distelschen Erfindung vorbehalten. Mit ausgeschaltet. Viele der Künstler kreierten direkt auf Ironie und tieferer Bedeutung betrachtet, personi- den Schubladenraum hin. Dann kann man wirklich fiziert sich in ihm ein Hilfsmittel der Kunst- von Kleinkunstwerken sprechen. Andere wiederum geschichte, zugegebenermassen verdammt und reduzierten grosse Arbeiten. Jeder der Künstler heimlich immer wieder benutzt: es schubladisiert. aber ist mit einer persönlichen ünd für ihn typischen Das Schubladenmuseum wird zur originellsten und Arbeit präsent. Bezeichnenderweise gibt es keinen geistreichsten Metapher des Schubladengedankens einzigen Künstler der Hard-Edge- und Colourfield- in der Kunstgeschichte! Painting im Schubladenmuseum. Diese Künstler sahen - und wohl zu Recht - keine Möglichkeit, ihre Malerei, die auf die grosse Fläche konzipiert ist in ein Miniformat umzusetzen. Erika Billeter 30