Hinweis
auf einige Neuerwerbungen
DADA-SAMMLUNG
Jada ist kein Stil, sondern eine geistige Haltung.
Jeshalb ist Dada nicht nur ein Phänomen, das die
bildende Kunst betrifft; Literatur, Dichtung, Theater
und Cabaret, Philosophie und Lebenskunst sind
ebenso Teile einer umfassenden Neuformulierung,
Dei der es darum gegangen ist, die traditionellen
Werte zu überdenken, wenn nötig aufzuheben, zuvor
gültige Systeme und Regeln abzuschaffen, um der
menschlichen Kreativität einen neuen Weg ins alltäg-
liche Leben zu öffnen. «Unsere Ideen predigten wir
nicht, wir lebten sie, und zwar irgendwie in der Art
von Heraklit, dessen Dialektik bedeutete, dass er sich
selbst bei der Erläuterung seines Weltverständnisses
als Subjekt und als Objekt einschloss ... Wir ver-
warfen alle Unterscheidungen zwischen Leben und
Dichtung. Unsere Poesie war eine Lebensart), schrieb
Tristan Tzara in «An introduction to Dada». Und im
Katalog zur Ausstellung «Das neue Leben», die 1919
im Kunsthaus Werke von Arp, Giacometti, Janco,
Picabia, Sophie Taeuber und anderen zeigte, führte
Marcel Janco aus: «Kunst muss und wird wieder
zum Leben zurückkehren... Wir sind nicht nur Künst-
ler, wir sind Menschen und verpflichtet, wieder eine
wirksame Kraft im Leben zu werden.) Dadaistische
Manifestationen haben in diesem Sinne immer wieder
versucht, die einzelnen traditionellerweise von
ainander getrennten Gattungen zu einer neuen Einheit
zu verschmelzen, und es fällt auf, dass gerade die
schöpferisch herausragenden Dada-Künstler, wie
etwa Hans Arp, Marcel Duchamp, Raoul Hausmann,
Hans Richter, Kurt Schwitters, Tristan Tzara, sich in
mehreren Gebieten nebeneinander, das heisst als
Maler, Plastiker, Dichter, ausgedrückt haben. Diese
Verbindung der verschiedenen Ausdrucksmöglich-
keiten, die letztlich auf die Idee des Gesamtkunst-
werks hinzielt, bringt es mit sich, dass dadaistische
Manifestationen sich oft in einer einmaligen Kund-
gebung erfüllt haben, deren Geist einzufangen für die
Nachwelt schwierig ist. Eine Dada-Sammlung ist
somit nur in der Lage, «Sedimente einer Bewegung)»
‘wie sich Eberhard Roters im Katalog zur Berliner
Ausstellung (Tendenzen der zwanziger Jahre) äusge-
drückt hat) zu überliefern. Aus diesem Grunde ist es
aine absolute Notwendigkeit, dass eine Dada-
Sammlung möglichst vielgestaltige Formen von
Äusserungen umfasst, das heisst in sich vollendete
Kunstwerke, die nicht für den einmaligen Anlass
geschaffen wurden, aber auch möglichst alle Doku-
mente, die aus der Tagesaktualität hervorgegangen
sind, wie Flugblätter, Plakate, Einladungskarten,
Traktate usw., die nicht im Sinne eines autonomen
<unstwerks entstanden sind, die jedoch häufig,
gerade weil neue Formen der Mitteilung erprobt
wurden - man denke nur an die weit in die Zukunft
weisende Typographie, die Verwendung von Photo-
mnontagen usw. -, die Entwicklung der bildenden
Kunst nachhaltig beeinflusst haben. Damit ist ein
Problem angesprochen, das bei der Beschäftigung
mit Dada stets von neuem zur Kenntnis genommen
werden muss: dass bei aller Negation der tradi-
onellen Werte und dass trotz aller Bestrebungen,
eine Antikunst zu schaffen, letztlich immer wieder
Nerke entstanden, die ganz eindeutig den Bereichen
der bildenden Kunst, der Literatur und Poesie sowie
deren Mischformen zuzurechnen sind.
Die historische Auslegung solcher Radikalität liegt
in der europäischen Katastrophe des Ersten Welt-
krieges begründet, der eine kleine intellektuelle Elite
in die innere und äussere Emigration trieb. Hat nicht
gerade dieser Krieg die alten Ordnungen in Europa
zertrümmert, den Glauben an den Rationalismus des
19. Jahrhunderts erschüttert und die alten Gesell-