Luminosität, das Leuchten der Farbe. Poussin versuchte dieses Geheimnis in seiner methodischen Weise aus der Komposition abzuleiten, zu abstrahieren. Gemäss seiner Methode zerlegte er die Fläche in grössere und kleinere Facetten und gewann den Raum- kristall. Damit hat er den Weg gewiesen, der ihn von den zeitge- nössischen klassizistischen Malern unterscheidet — auch noch vom späteren Ingres. Klassizisten anerkennen eben nur die klas- sische Zeichnung und Lokalfarbe als Ausdrucksmittel ihrer Kunst. Um Tizian den Triumph des Lichts, den Triumph des Lumen über das Volumen, die Lumitnosität, abzulernen, hätte es eines geistigen Kampfes bedurft, für welchen Poussin nicht gerü- stel war. Cezanne, indirekt in eigener Weise ein Schüler Poussins, ist darin weitergegangen, als er die Analyse des Bildaufbaus methodisch in Farbe umsetzte. Doch bei ihm, dem Kind der wissenschaftlichen Neuzeit, geriet seine zeitbedingte Methode auf Kosten der Dynamik der Farbe ins Abstrakte. Der Kubismus, dem das Licht als Bewegendes fehlt, trieb die Abstraktion weiter vor. Somit endete die Malerei wieder in der statischen Vision, beim Stilleben. Leider blieb das Tizianbild «Venus mit dem Orgelspieler» nur wenige Monate bei mir, denn der Krieg machte diesem verstoh- lenen Entzücken ein Ende. Aber dank diesem Versteckspiel mit dem Geheimnis der Ursache des Leuchtens des Raums haben sich meine Augen geöffnet wie ehedem in der Kindheit, als mir das Geheimnis des Lichts zum erstenmal einleuchtete, Das ist für mich Expressionismus.» Felix Baumann hatte am Markt ein Lamm eingekauft und wollte es mir in der Küche zeigen. Auf dem Tisch lag die Leiche, und weil es Karfreitag war, dachte ich an den Menschensohn, dem es nicht anders ergangen ist. Ich hatte plötzlich einen Ein- fall, Statt der Einladung zum Braten am Ostersonntag zu folgen, wollte ich den abgehäuteten Kadaver schnell malen, bevor er ungeniessbar wurde. Meinen Vorschlag nahm der Hausherr verständnisvoll auf, denn bei dem Andrang au] dem Markt in der Osterwoche war der Braten nicht billig gewesen und konnte so doppelt ausgenützt werden. Man konnte alles Beiwerk im Spielzimmer des Soh- nes finden: eine alte Schildkröte und in einem Aquarium ein Axolotl, einen rosaroten Lurch, der es schwer hat, ans Licht zu kommen, weil er in den unterir- dischen Grotten in Kärnten nicht sehen kann. Auch eine weisse Maus war noch da, die der Knabe so dressiert hatte, dass sie von einem Stückchen Käse, mit der Hand gereicht, knabberte, ohne wegzulaufen. Technik in der Malerei kann über vieles hinweghelfen, aber etwas musste ich noch finden, eine Kleinigkeit, etwas, was dem Ganzen, wie ich und mein Gastgeber es uns aufgebaut hatten, ein Licht aufsetzte. Selbst die Tomate als Farbfleck ganz vorne hätte es nicht getan, auch nicht der Schein von aussen her gegen die alte verräucherte Mauer und den ram- ponierten, antiken Ölkrug, der als Fund von einer italienischen Ferienreisı geschätzt und jetzt vernachlässigt war. Es war alles so grau, traurig, seelenlos, wie im Reich der Vergessenen, der Schatten im Hades, ja wie auf einem Friedhof Und eifrig herumsuchend, nach Blumen vielleicht, fanden wir im Zimmer des Dienstmädchens auf dem Fensterbrett eine weissleuchtende Hyazinthe im Top} in voller Blüte. Eine Blume, wie aus Wachs, wie künstlich gemacht. Sie leuchtete wie das Ewige Licht selber im Dunkeln. Das war das Beste, was ich mir erhoffen konnte, aber ihr Duft erinnerte mich an das Zimmer, wo ich früher ein totes Mädchen gezeichnet hatte. Die Hyazinthe duftete im fröstelnden Vorfrühling, wenn man alles noch für ausgestorben hält. Sie zeigt wie ein Finger gegen den Himmel und besänftigt die ewige Furcht, dass alles eitel ist. ‚0 Wingler, a.a.O., Buvreverzeichnis No. 20 il Wingler, a.a.O., Euvreverzeichnis No. 75 12 Wingler, a.a.O., Buvreverzeichnis No. 96 13 Kokoschka, Mein Leben 5.132, neu S. 135 :4 Zur Monographie des Bildes siehe Jaroslaw Leshko, Oskar Kokoschka’s «Still Life with Cat, Rabbit and Child», in: Arts Magazine, Jan. 1980 5.84 5 Wingler, a.a.O., Euvreverzeichnis No. 105 sowie Werner Hofmann, ım Katalog Ausstellung Oskar Kokoschka, Kunsthaus Zürich 1986, S. 12ff ‚6 Kokoschka, Mein Leben, S.132£ Hans Maria Wingler, Oskar Kokoschka, Das Werk des Malers, Salzburg 1956, Euvreverzeichnis No. 59, 60 ı Edith Hoffmann, Kokoschka, Life and Work, London 1947, S. 101f, sowie Wingler, a.a.O., S. 299, vertreten die ältere Auffassung, der Richard Calvocoressi im Katalog zur Ausstellung Kokoschka, Kunst- haus Zürich 1986, S. 305, widerspricht. Kokoschka hat sich offensichtlich mit Dürer auseinandergesetzt. Der Hase im zweiten hier vorgestellten Bild nimmt noch weit deutlicheren Bezug zur Dürerschen Vorlage als «Ritter, Tod und Engel». ‘ Richard Calvocoressi, a.a.O., 5.305 ; Wingler, a.a.O., 5.40 5 Ausstellung Kokoschka, Zürich 1986, No. 118 ’ Wingler, a.a.O., Muvreverzeichnis No. 3 3 Wingler, a.a.O., Euvreverzeichnis No. 21 ) Oskar Kokoschka, Mein Leben, München 1971, S. 89, (leicht gekürzt): Der Hausherr hatte mich zum kommenden Ostersonntagsbraten eingeladen; er