MAX ERNST: «FIAT MODES —PEREAT ARS» Das Kunsthaus Zürich besitzt mit vier Gemälden, dar- unter zwei Spitzenwerken (das Wandbild aus der Zürcher «Mascotte»- oder «Corso»-Bar von 1934 und «Ville en- tiere» oder «Die ganze Stadt» von 1935/36) sowie neun Arbeiten aus der Dada-Periode des Künstlers, eine gute Vertretung von Max Ernst. Unter den neun Werken der Dada-Periode sind: ein bedeutender Klischeedruck mit dem leicht schockierenden Titel «Ca me fait pisser» aus der Sammlung Tristan Tzara, drei Collagen, das Plakat «Dada siegt», die Zeitschriften «Bulletin D» und «Die Schammade», alle 1919 in Köln entstanden, sowie zwei seltene, in Zusammenarbeit mit dem Dichter Paul Eluard 1922 in Paris geschaffene, mit Collagen illustrierte Büchlein «Repetitions» und «Les malheurs des immor- tels». Im Rückblick haben wir Anlass, über diese Werk- gruppe glücklich zu sein. Sie wäre bei den heutigen irrationalen Preisexplosionen nicht mehr realisierbar! Es ist klar, dass der Wunsch besteht, wie bei zahlreichen anderen Künstlern, die bestehende Werkgruppe auszu- bauen. Was in unserer Max-Ernst-Sammlung entschei- dend fehlte, war eine graphische Arbeit, die sowohl eine bedeutende Bereicherung des Max-Ernst-Bestandes als Kunstwerk, als auch durch ihren künstlerischen und dokumentarischen Stellenwert im Dadaismus eine Be- reicherung der Dada-Sammlung des Kunsthauses bedeu- ten würde. Das Kunsthaus hat nun die einmalige Chance genutzt, das bedeutendste graphische Werk des Künstlers in einem ausgezeichneten Exemplar mit hervorragender Provenienz und zu einem günstigen Preis zu kaufen. Das hier vorliegende Album «Fiat Modes — Pereat Ars» ist das graphische Hauptwerk, ja ein Schlüsselwerk des Künstlers aus dem Jahr 1919, dem nach Werner Spies, dem besten Kenner von Max Ernst, entscheidenden Jahr im Schaffen des Künstlers. In der Zeit um 1919/20 reali- sierte er nacheinander oder nebeneinander seine ersten Klischeedrucke, die ersten Collagen, die ersten Litho- graphien im Album «Fiat Modes...». Es ist das Jahr, in dem er mit Johannes Theodor Baargeld das berühmte «Bulletin D» publiziert, die Skandalausstellung im Brau- haus Winter, die zeitweise polizeilich geschlossen wurde, organisiert, das Jahr schliesslich, in dem er sein erstes aus Holz und Drähten konstruiertes, bemaltes Relief schafft und zum führenden Geist der Kölner Dada-Szene wird. Bei «Fiat Modes — Pereat Ars», zu deutsch etwa «Es lebe der Putz — Nieder mit der Kunst», handelt es sich um eine Mappe im Format 45,5 x 33 cm mit acht losen, im Stein signierten Originallithographien auf festem, gelbem Maschinenpapier und einem Titelblatt auf weissem Velin. Alle neun Blätter sind in einen rötlich-braunen Um: schlag gelegt mit aufgezogenem Titelschild auf bläu- lichem Glanzpapier mit dem Titel «FIAT MODES - PEREAT ARS», einem Frauenkorsett als Titelornament, darunter die gedruckte Inhaltsangabe in Kleinschrift «8 lithografien von max ernst» und als Abschluss am unteren Blattrand ein in jedem Exemplar variierendes collagiertes kleines Tapetenfragment. Auf dem weissen Titelblatt befindet sich unter dem Titel einer seiner er sten Klischeedrucke: eine aus klischierten geometrischen und mechanistischen Elementen zu einem Aussichts turm stilisierte Komposition mit Apparaturen für die Betreibung eines zugehörigen Liftes und einem über dimensionierten Wimpel mit Halbmond und Stern. Im Block für die Numerierung der Mappe findet sich die eigenhändige Widmung des Künstlers «special pour Ilıa Zdanevitch avec l’amitie speciale de Max Ernst». Am unteren Blattrand firmiert als fiktiver Herausgebeı «Schlömilch Verlag — Köln Rhein». In seinem autobiographischen Text «Biographische Notizen (Wahrheitsgewebe und Lügengewebe)» im Kata log der Max-Ernst-Ausstellung im Wallraf-Richartz- Museum Köln und im Kunsthaus Zürich (1962/1963). schreibt Max Ernst über das Jahr 1919 und über «Fiat Modes ...»: «Besucht Klee in München. Erfährt, dass Arp in Zürich ist. Sieht Reproduktionen von Chiricos Zeichnungen in ‘Valori plastici’. Als eine Huldigung für Chirico schafft er ein Album von 8 Lithographien ‘Fiat Modes — Pereat Ars’ auf Kosten der Stadt Köln veröffent licht (Arbeitslosenunterstützung). Illustriert Johannes Th. Kuhlemanns Gedichtband ‘Consolamini’. Macht seine ersten Collagen.» In einer Anzeige in der in Köln 1919 erschienenen Zeitschrift «Der Strom» heisst es über die im Album nicht genannte Auflagenhöhe: «Max Ernst, eine Mappe von 8 Lithographien, aquarelliert und in de!