DIE LIST DES BANALEN —
POLKES «NEID UND HABGIER»
Die Nachkriegszeit war geprägt von der Ernsthaftigkeit
des Existentialismus und — zumal in Europa — von einer
Neubelebung humanistischer Werte. Barnett Newman
will in seinen Bildern eine Dimension des Geistigen
sinnlich erfahrbar machen als eigene Realität des Be-
wusstseins, die für den Menschen nicht minder wirklich
und wesentlich ist als das Materielle. Der hohe idealisti-
sche Anspruch, der hier der Kunst zukommt, geriet mit
dem gewaltigen Aufblühen einer auf rasche, hedonistische
Sinnesbefriedigung gerichteten Konsum- und Wegwerf-
kultur zunehmend in Widerspruch zu einer oberflächlich
glänzend verführerischen Warenästhetik. Die Pop Art hat
diese teils verherrlicht, teils ironisiert, teils kritisch ent-
larvt. Die Spannung zwischen ihrer banalen Alltäglichkeit
und dem transzendenten Anspruch der Kunst steht im
Zentrum der Arbeit Sigmar Polkes; «Neid und Habgier»
kann als Musterbeispiel dafür dienen.
Die Dualität des Bildes beginnt bereits bei seinem
kuriosen Träger, der aus zwei verschiedenen Dekorations-
stoffen zusammengenäht ist. Ihre billige Qualität steht
in kreischendem Widerspruch zu dem penetrant edel
kostbaren Rotpurpur der oberen, «himmlischen» Bahn;
orange-goldene Pigmentwölklein und Sternchen verstär-
ken die Erinnerung an liturgische Gewänder. Auch das
rätselhafte Gewebe senkrechter Spitzen lässt Erhabenes
wie den Mailänder Dom anklingen. Doch alle diese sub-
sakralen Assoziationen bleiben im Unbestimmten; es
sind Leerformeln oder Zeichen, denen ım geistigen Haus-
halt nur noch ein unbesetzter Ort statt verbindlicher
Bedeutungen entsprechen. Diese kippen denn auch un-
versehens in andere Bezugsfelder: den Glamour der
Schickeria der Fifth Avenue, den Reflexen des Abendrotes
auf den Finanzkathedralen Manhattans einer Zigaretten-
reklame. Der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen
wird hier vorprogrammiert und uneindeutig: das Reli-
giöse ist zur leeren Hülse verkommen, die glitzernden
Kapitalakkumulationen entbehren von vorneherein des
geistigen Tiefganges, entsprechen aber tatsächlicher
Macht. Dass diese Situation nicht ungefährlich ist, er-
hellt ein dritter Assoziationsbereich: die Farben wirken
giftig, die schwarzen Zacken wie zerfressene Stalaktiten
eine von Umweltzerstörung leuchtende Endzeitland
schaft.
Dieser obere Bereich tritt nun in ein Spannungsver
hältnis zum Vordergrund auf der unteren Stoffbahn;
ihr irdisches Würmchen-Muster ist durch eine kalkige
Schicht weitgehend zugemalt. Darauf balgen sich die
zwei Hunde um den Knochen; ihr Aufbau aus Raster
punkten nimmt ihnen ihre Präsenz. Solche durch starke
Vergrösserung verdünnte Derivate von schlechten Repro
duktionen rücken das ungeheure Überhandnehmen des
bloss Vermittelten gegenüber dem tatsächlich selbst Er
lebten in der herrschenden Mediengesellschaft ins Bild
eine Entwicklung, die gerade für die Kunst mit ihrem
Ursprünglichkeits- und Unmittelbarkeitspathos beden
kenswert sein sollte. So sind auch die Hunde von un
mittelbarer Erfahrung entleerte Zeichen ohne Plastizität
und Tiefe, abgegriffen wie ein Sprichwort, und ihre Wirk
lichkeit nur der banale Rasterdruck, der sich zu einem
Eigenwert verselbständigt und unkontrollierbare Neben
produkte, wie die Vögelein, generiert. Ihre gleichnishafte
Aussage über das menschliche Verhalten gibt sich, wie
der Titel verdeutlicht, moralisch tadelnd; da dieses abeı
zugleich als natürlich tierisch hingestellt wird, wirkt es
eher resignativ, wie viele Redensarten: zwar verwerflich,
aber als naturgegeben nicht zu ändern. Wie zwei Folien
liegen nun diese alltägliche Oberfläche und jene erhabene
Schicht aufeinander und kommentieren sich gegenseitig
kritisch: trotz des Sakralen herrscht Neid und Habgier.
sie bestimmen Dallas und Denver und fördern die Um
weltzerstörung.
Die Idee zu den sich um den Knochen zankenden
Hunden fand Polke in Pieter Brueghels Sprichwörter
Bild in Berlin, eine Darstellung der verkehrten Welt, in
der merkwürdig distanziert und sarkastisch kühl die
Dummheiten und Bosheiten der Menschen aufgezählt
werden. Die Auflösung weltanschaulicher Bindungen.
die bis in die chaotische Zersetzung der Raumstrukturen
fühlbar werden, kennzeichnet den geistigen Hintergrund
auch jenes nachreformatorischen Bildes, das volkstüm-
liche Motive aus niedrigen Gattungen aufgreift und mit
raffiniert denaturierten künstlerischen Mitteln kritisch
verfremdet. Kommt man von der bunten Pracht und de!