Schatten abrupt abgeschnitten und dem Gebäude hinter der Kirche zugeordnet. Wie sich zwischen beiden ein tie- fer Einschnitt auf die jenseits des Altmarktes aufleuchten- de Fassade und den noch ferneren Helm eines Turmes'® öffnet, ist einerseits von zwingender Gestalthaftigkeit und oszilliert andererseits gerade deswegen merkwürdig zwischen exakter Beobachtung und Bilddramaturgie. Ähnliches gilt vom Schattenstreifen im Vordergrund und dem scharf beschnittenen Palais des sächsischen Ober- kommandanten Grafen Rutowski, die als Binnenrahmen das Bildfeld unten und rechts definieren und zugleich dem Blick eine Gegenspannung zur aufragenden Turm- fassade bieten. Strahlen die Ansichten Canalettos etwas heiter Gelas- senes aus, eignet denjenigen Bellottos in ihrem stets fühl- baren Anspruch von künstlerischer Konstruiertheit und totaler Wirklichkeitserfassung etwas Manisches. Schon die Sicht, die in der Breite ihres Feldes und der vollstän- digen Ausschaltung der Randverzerrungen zugunsten eines möglichst frontalen, aufrisshaften und exakten Wahrnehmens paradoxerweise die Eigenheiten von Weit- winkel und Teleobjektiv!! verbindet, konfrontiert den Betrachter mit unmittelbarer Nähe und distanziert das Gezeigte zugleich zu einem jenseits eines Glases präsen- tierten Modells. Diese Wirkung kommt gerade bei unse- rem Bild mit der bis über die Unterkante ragenden reich- haltig detaillierten Vordergrundstaffierung und dem exakt axialen Turmkörper, dessen Inneres wie ein anatomisches Präparat freigelegt erscheint, besonders zur Geltung, unterstützt durch die leichte Aufsicht - aus dem Studier- zimmer des Superintendanten Dr. am Ende, wie Bellotto auf seinem Stich nach dem Gemälde wissenschaftlich präzisiert. Sodann verleiht die in den meisten Bildern vorherr- schende düstere Stimmung, die von der durchdringend klaren Atmosphäre und dem scharfen Sonnenlicht merk- würdig absticht, dieser so perfekt durchgezeichneten Welt eine irritierende, kühle Faszination. Kunsthistorisch dürfte sie auf den Eindruck der lombardischen Malerei, der Bellotto 1744 begegnete!?, zurückzuführen sein; hier finden sich schon vor und parallel zu Caravaggio jenes scharfe Helldunkel und das Schwanken zwischen ex- tremem Realismus und Phantastik, das gerade der dort vor Bellotto tonangebende Landschaftsmaler Magnasco auf die Spitze trieb. Hier, fern von der silbrig glänzenden Lagune mit ihren alle Schatten auflösenden Reflexen, stösst er auch auf eine härtere, widerständigere Realität: die mit dunkeln Wäldern überwucherten Hügel der Vor- alpen, die düstren Städte hinter ihren übermächtigen Befestigungswerken. Gegenüber der hervorragend regier- ten Republik der Serenissima lastete hier noch das Erbe jahrhundertelanger spanischer Fremdherrschaft und Miss- wirtschaft; die feudalen Strukturen liessen die sozialen Gegensätze ungleich schärfer hervortreten. Bellotto muss dafür ein ausgeprägtes Sensorium gehabt haben, wie schon das ihm von seinem Vater attestierte, stadtbekannte «Cervello bestiale» vermuten lässt®, Er weiss sich in Pose zu setzen - gleichzeitig mit den Ruinen der Kreuzkirche prä- sentiert er sich im Vordergrund eines Capriccio mit pompöser Palastarchitektur als venezianischer Prokurator -, entsprechend gut weiss er sich zu verkaufen: sein Gehalt als Hofmaler in Dresden übertrifft trotz der «untergeordneten» Gattung das seines Vorgängers ebenso wie die Bezüge seiner Kollegen!*. Schon durch die Wahl der Bildgrösse - normalerweise etwa 1,35 auf 2,40 Meter - hebt er sich von den venezianischen Souvenir-Malern ab; diese Hauptexemplare entstehen im Auftrage von Königen, ersten Staatministern, grossen Landesfürsten; niedrigere Stände werden mit kleineren Wiederholungen bis hinab zu den immer noch recht stattlichen Radierun- gen bedient und so gleichzeitig der grosse Aufwand für die Bildentwicklung amortisiert. In der Exaktheit der Kom- position, der Fülle der Details, der Präzision der Aus- führung hingegen erlaubt er sich nicht die geringste Abweichung vom höchsten Standard. Die Erfahrung des Siebenjährigen Krieges haben Bel- lottos Wahrnehmung für diese Phänomene weiter geschärft; verlor doch auch er seine wichtigsten Auftrag- geber, die wohl gesicherte Stellung und schliesslich noch seine Wohnstätte in der Pirnaer Vorstadt, deren Ruinen er im Gegenstück zu dem Bild mit der Kreuzkirche fest- hielt”. Nicht nur die Kontraste von Licht und Schatten werden in den Wiener und Warschauer Ansichten noch härter, die malerische Ausführung spröder; auch die Gegensätze in der Gesellschaft und ihre Vielfalt traten ihm in diesen erneuten, unfreiwilligen Wanderjahren