sich selbst begründeten Sinnstiftenden über die Beleh- rung und den Genuss, das «docere et delectare» der älte- ren Theorie hinaus, und zugleich deren prinzipielle Auto- nomie gegenüber dem herkömmlichen Auftrags- und Funktionszusammenhang mit Kirche und Staat. Und hier, in diesem gestalthaften Bereich, konkretisieren sich die geistigen Phänomene im Anschaulichen von Pseudo- morphosen. Die Kunstgeschichte, selbst ein Säkularisie- rungsprodukt der Theologie, liebt diese Verschiebungen und wittert, unter dem Leistungsdruck der Sinnstiftung stehend, Zusammenhänge, wo sie allenfalls auf einer ganz niederen Ebene der Ökonomie formaler Traditionen exi- stieren. Es ist die Motivgeschichte, die sich solchen Fra- gestellungen widmet und bezeichnenderweise gerade für die Malerei des 19. Jahrhunderts mit ihrer diffusen Aus- breitung und Verbeliebigung der Inhalte wichtig wird. Jan Bialostocki, der bedeutende polnische Kunstwissenschaf- ter, hat vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes von Katholizismus und Kommunismus seine Theorie der «Rahmenthemen» entwickelt, in der die Unterschiede der präzisen Inhalte auf umfassende anthropologische Grundkonstanten, wie «Mutterschaft» und dergleichen reduziert und so harmonisiert oder «kompatibilisiert» werden‘. Anderen Kunsthistorikern aber genügt solches nicht, und sie postulieren spezifische, bewusste Bedeu- tungsübertragungen, wo es sich zunächst nur um formale Ähnlichkeiten handelt“. Da liegt also etwa im Gemälde von Benjamin West der sterbende General Woolf ähnlich wie der tote Christus auf van Dycks Beweinung in Ant- werpen, und schon wird angenommen, der Militär werde als neuer Heiland dargestellt®. Solche mythische Übertra- gungen, assoziative Allegoresen, metaphorische Verschie- bungen entsprechen ganz der Homiletik: der Prediger geht von einem Bibeltext aus und setzt ihn durch solches Denken in Analogien mit der aktuellen Situation in Beziehung. Inwiefern aber der Maler solches beabsichtigte und das Publikum dies gar realisierte, ob nur eine allge- meine sakrale Aura oder eine bestimmte, etwa politische Aussage transportiert werden sollte, dies lässt sich selten entscheiden. Explizit ausgenützt wird die Möglichkeit in Karikaturen, aber auch Reynolds, der wichtigste Maler in London zur Zeit von Füsslis Anfängen und sein Mentor, spielte mit solchen Zitaten, wobei der Bezug zu einem berühmten Vorbild gewissen Portraits gezielt eine höhere Sinnschicht und damit eine Annäherung an die Histori- enmalerei verleihen sollte, während andere Übernahmen aus entlegenen Quellen nur der «Originalität» des Malers dienten und entsprechend in einem satirischen Gemälde als Plagiate denunziert wurden“. Während also die meisten derartigen Motivübernah- men ausser dem Ausdrucksgehalt, der jeder Körperstel- lung oder Figurengruppierung an sich eignet, kaum Inhaltliches transportieren, scheint der Fall von Füsslis «Amor und Psyche» schon deshalb ungewöhnlich, als sich die Interpretation der Szene radikal von allen anderen Darstellungen des gleichen Momentes unterscheidet. Um diese Besonderheit richtig zu verstehen, muss kurz das von Apuleius in seinem «Goldenen Esel» erzählte Mär- chen rekapituliert werden. Psyche erregt durch ihre über- grosse Schönheit den Neid der Venus, und diese schickt ihren locker Liebespfeile versendenden Sohn Amor aus, sıe zu rächen. Doch nun verliebt sich der Gott der Liebe selbst und entführt Psyche in seinen Palast, in dem er sie im Dunkel der Nacht besucht, bis sie sein Verbot, ihn zu sehen, übertritt. Jetzt ist sie der Rache der Venus ausgelie- fert, die Unmögliches von ihr verlangt; nachdem sie die letzte und schwerste Prüfung, das Einholen der Schön- heitssalbe von der Unterweltsgöttin Persephone, durch wunderbare Hilfe bereits glücklich hinter sich gebracht hat, fällt sie wiederum ihrer unbezwingbaren Neugier zum Opfer und öffnet entgegen dem Verbot das Gefäss. Ein tödlicher Dampf entsteigt ihm und umfängt Psyche - «Unbeweglich lag sie da, ein schlafender Leichnam, nichts weiter’.» Amor eilt herbei, weckt sie mit dem Stichlein einer seiner Pfeile und schickt sie mit der Salbe zu seiner Mutter, während er selbst die Genehmigung zur Hochzeit vom Göttervater einholt, die alsobald gebührlich im Olymp gefeiert wird. Wie man sieht, hat das oberflächlich so leichtfüssig daherkommende Märchen viel mit Tod und Jenseits zu tun. Das beginnt schon damit, dass Psyche gemäss eines finsteren Orakel geopfert werden muss, indem sie von einem Fels gestürzt wird. Auf wunderbare Weise von Zephir aufgefangen, gerät sie so in das Jenseits von Amors Traumpalast, der nach ihrem ersten Vergehen schlagartig verschwindet und sie verzweifelt umherirren lässt. Da sie