CY TWOMBLY IM KUNSTHAUS ZÜRICH Seit der grossen Ausstellung und dem Ankauf des monu- mentalen Gemäldes Vengeance of Achilles, das sich die Kunstgesellschaft 1987 zu ihrem Jubiläum genehmigte, reifte während sieben Jahren das Bestreben, Cy Twombly eine ähnliche Heimstätte zu schaffen, wie es für Füssli, Hodler, Munch, Kokoschka oder Giacometti früher glückte. Indem nun der Künstler in grossartiger Unei- gennützigkeit neun seiner seltenen Originalskulpturen schenkte und das Museum mit Hilfe der Vereinigung Zür- cher Kunstfreunde und des Lotteriefonds das mehrteilige Werk Goethe in Italy erwarb, wird hier die faszinierende Ausstrahlung dieser poetischen Kunst dauernd erlebbar oleiben. Ein weiter Raum, in dem der grosse Atem abend- ländischen Geistes sichtbare Gestalt gefunden hat, öffnet sich so im Kunsthaus - hoffen wir, dass er mit der Zeit zu zinem repräsentativen Überblick über die Kunst Cy Twomblys wachsen wird; doch schon heute können wir die herausragenden Eckpunkte in der Malerei und die Fülle der Skulpturen betrachten. Die Gemälde Goethe in Italy ist ein grosses, mehrteiliges Werk von 1978, das in der Mitte zwischen den beiden, sich am markante- sten unterscheidenden Werkphasen Cy Twomblys steht!. Die frühere ist durch die Dominanz des skriptural Zei- chenhaften bestimmt, in der späteren erhält das Maleri- sche das Hauptgewicht: an beiden hat unsere Serie Anteil, so dass sich die Charakteristika beider Phasen hier studie- ren lassen. Will man dieser werkgeschichtlichen Entwick- ‚ung folgen, muss man allerdings die Panneaux von Goethe 'n Italy in umgekehrter Reihenfolge betrachten. Das letz- te und kleinste, eine Art kurzer Abgesang auf Papier, erin- nert als reines Hin und Her von Strichen an die frühesten Bilder Twomblys, in denen er mit Strichbündeln urtüm- lich nordafrikanische Ornamente evozierte, Von deren Sperrigkeit und Eigengewicht ist hier freilich nichts mehr zu spüren; vielmehr haben wir ein Kalligramm, eine freie Bewegung der Gelenke auf dem im übrigen leeren weissen Papierrechteck vor uns und damit quasi ein beispielhaftes Muster für die Keimzelle von Twomblys Kunst. Cy Twombly gehörte wie Jasper Johns und Robert Rauschenberg, mit dem er sich früh befreundete, zu den um 1950 jungen Künstlern, die bereits auf der Errungen- schaft der Gründergeneration der New York School auf- 5auen konnten: der existentiellen, unmittelbaren, psy- chophysischen Konfrontation des Malers und seiner Farbmaterie mit dem virtuellen Bildraum der Leinwand. Gegenüber den heroischen Gesten der «abstrakten Expres- sionisten» Pollock und Kline findet Twombly im Gekrit- zel, in beiläufigen Kringeln, in flüchtigen Zeichen am Rande der Lesbarkeit die Möglichkeit der Spurensiche- rung seiner Emotionen. Was extrem subjektiv erscheint und in seiner unnachahmlich spannungsvollen Sensibi- lität und Erfindungsfülle auch ist, nähert sich zugleich wieder dem Ursprung des Zeichnens in kindlichen Versu- chen und dem anonym Allgemeinen von Graffiti. Diese sich vom willensmässig Forcierten, vom verstandesmässig Beherrschten lösenden Grenzzonen wurden von Barthes u.a. weitläufig analysiert?; Twombly notierte 1957 dazu: «Heute ist jede Linie die gegenwärtige Erfahrung ihrer eigenen ihr innewohnenden Geschichte. Sie erklärt nichts, sie ist das Ereignis ihrer eigenen Verkörperung?.» Und wie die Linie so zu ihrer Autonomie findet und doch in ihrer Verkörperung notwendig die Geschichte ihrer Entstehung vergegenwärtigt, so entwickelt Twombly auch für das andere elementare Kunstmittel, die Fläche, die zugleich als Bildfeld Deutungshorizont für alles auf ihr Vorhandene, für die Emotionen virtuelle Räumlich- keit und objekthafte Farbmaterie sein soll, eine ähnlich kunstvolle wie urtümlich kunstlose Weise zwischen Gestalt und Auflösung. Die zweitletzte und grösste Tafel, die den namengebenden Schriftzug «Goethe in Italy» trägt, zeigt die vielschichtige, an alte, vielfach übertünch- te und wieder abbröckelnde, ausgebleichte Mauern erin-