GRAPHISCHE SAMMLUNG UND BIBLIOTHEK RÜCKBLICK AUF DIE LETZTEN 20 JAHRE «Erst da, wo den Zeichnungen grundsätzlich die gleiche Achtung entgegengebracht wird wie Gemälden, darf man wirkliches Verständnis für Kunst voraussetzen.» (H. Th. Musper) Als mir 1975 die Leitung der Graphischen Sammlung und der Bibliothek anvertraut wurde, bestand meine Aufgabe zunächst einmal darin, diese von Grund auf zu reorgani- sieren. Der Umzug in den lang erwarteten Neubau bot die willkommene Gelegenheit, das neue Konzept zu verwirk- lichen. Graphische Sammlung Die Graphische Sammlung, die heute rund 80 000 Werke umfasst, bildete den eigentlichen Kern des Museums, aus dem das heutige Kunsthaus hervorgegangen ist, des soge- nannten «Künstlergüetli», bestand dieses doch hauptsäch- lich aus einer Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulp- turen und den «Graphischen Kabinetten» von Gessner, Hess und Usteri, die bis zu den ersten Gemäldeschenkun- gen 1847 das Gesicht der Sammlung prägten. Es soll hier nicht auf die alten Bestände der Sammlung und ihre Ent- stehung seit 1787 eingegangen werden, ist dies doch an anderer Stelle geschehen, unter anderem in unserem Überblickskatalog «Meisterwerke aus der Graphischen Sammlung - Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Collagen aus fünf Jahrhunderten» von 1984. Der erste Direktor des Kunsthauses, Wilhelm Wartmann, hatte sich mit grossem Engagement für die Graphische Sammlung eingesetzt. Er hatte zum Beispiel Zeichnungen und Druckgraphik von Munch, Daumier und den deutschen Expressionisten erworben. Er hatte die bedeutende Gruppe der Cezanne- Aquarelle gekauft, womit das Kunsthaus die drittgrösste öffentliche Sammlung von Cezanne-Aquarellen besitzt, und er hatte die wichtige Rückkaufaktion von Füssli- Zeichnungen betrieben. Zahlreiche Ausstellungen mit Zeichnungen und Graphik fanden unter seiner Ägide statt, und (Euvre-Kataloge der Graphik von Dürer, Gess- ner und Welti stammen von seiner Hand. Nach 1945 kümmerte man sich immer weniger um Zeichnungen und Graphiken. In dem grösser werdenden Kunsthausbetrieb gab es niemanden, der sich dieser Sammlung annahm, Man kaufte wenig und meist zufällig, so dass ganze Ge- 5iete, wie der Abstrakte Expressionismus, der Tachismus und die Pop-Art fehlen. Nachdem die Graphische Samm- lung jahrzehntelang ein Schattendasein gefristet hatte, wurde ab 1976 ein Ankaufsetat geschaffen, mit dem es möglich wurde, eine gezielte Anschaffungspolitik zu betreiben und den Anschluss an das aktuelle Kunstge- schehen wiederzufinden. Regelmässige Ausstellungen im neu geschaffenen Graphischen Kabinett weckten die Sammlung zudem aus ihrem Dornröschenschlaf und brachten sie der Öffentlichkeit wieder ins Bewusstsein. Auf dem Gebiet der Zeichnung und der Graphik kann man es sich leisten, risikofreudiger zu sammeln als bei den Bildern. Die Erweiterung der Graphischen Sammlung geschah zum grossen Teil parallel, zu einem Teil auch in Ergänzung zur Gemälde- und Skulpturensammlung, ist doch die Zeichnung ein besonders geeignetes Medium, um einen Eindruck von Künstlern zu vermitteln, die ihre Arbeiten in grossen Rauminstallationen verwirklichen und deshalb nur in beschränktem Masse ım Museum Platz finden können. Die Vorstellung der Konzeptkünst- er, dass ein Kunstwerk bereits in der skizzierten Idee segründet sei und nicht mehr unbedingt ausgeführt zu werden brauche, erweiterte zudem die Funktion der Zeichnung. Auch haben sich durch die heutige Tendenz der Künstler, sich in verschiedenen Medien zu äussern, die traditionellen Grenzen zwischen Bild und Zeichnung stark verwischt. Sammlungsschwerpunkte Von Anfang an war klar, dass es mit dem vorhandenen Ankaufsbudget nicht möglich wäre, die in der Vergangen- heit entstandenen Lücken zu schliessen. Es war sinnvol- ler, sich auf die Kunst der Gegenwart zu konzentrieren und zukunftsorientiert zu sammeln. Wir setzten uns zum Ziel, einerseits in sich zusammenhängende und sich