ver
374
1994
KUNSTHAUS ZÜRICH
ZÜRCHER KUNSTGESELLSCHAFT
JAHRESBERICHT 1994
KUNSTHAUS ZÜRICH
ZÜRCHER KUNSTGESELLSCHAFT
JAHRESBERICHT 1994.
at
4m
RR
‚m 6m la
„H
CE
[NHALTSVERZEICHNIS
Vorwort des Präsidenten
Sammlung
Ausstellungen
Graphische Sammlung und Bibliothek
Restaurierung
Veranstaltungen
Veröffentlichungen
Kunsthausbesuch
Kunstgesellschaft
Rechnung
Abbildungen
15
22
26
28
33
35
38
143
- 4
Hinweise auf einige Neuerwerbungen:
Bernardo Bellotto
Die Ruinen der Kreuzkirche in Dresden
Amor und Psyche — ein wiedergefundenes
Gemälde Füsslis
Cy Twombly im Kunsthaus Zürich
Walter De Maria The 2000 Sculpture
Graphische Sammlung und Bibliothek -
Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre
30
37
107
m
VORWORT DES PRÄSIDENTEN
Liebe Mitglieder der Zürcher Kunstgesellschaft
Sehr geehrte Damen und Herren
Die herausragenden Ereignisse des Jahres betreffen die
Sammlung. Mit der definitiven Sicherung für das Kunst-
haus der grossartigen «2000 Sculpture» von Walter De
Maria verfügt unser Haus nunmehr über eines der wohl
wichtigsten Werke aus dem Umfeld der Minimal Art. Da
diese Kunstrichtung - in Basel und Schaffhausen seit Jah-
ren mit Nachdruck gefördert - in unserem Haus aus
Gründen der diesbezüglichen geographischen Nähe und
in der Absicht, Doppelspurigkeiten zu vermeiden, bislang
nur sehr zurückhaltend gesammelt worden ist, kommt der
Tatsache grösste Bedeutung zu, dass diese monumentale
Skulptur nun dauernd für den Ort, dessen Dimensionen
ihre formale Gestaltung mitbestimmt haben, zur Verfü-
gung steht. Das strahlende und lichtreflektierende Weiss
der 2000 Einzelteile von Walter De Marias Bodenplastik
hat den grossen Ausstellungssaal des Kunsthauses im
wörtlichen wie übertragenen Sinn in eine zuvor nicht
gekannte, puristische Helligkeit getaucht.
Der Zufall will es, dass die zweite Werkgruppe, die dem
Berichtsjahr langfristige Bedeutung verleiht und die sich
mit dem Namen von Cy Twombly verbindet, ebenfalls
aus der Grundfarbe Weiss entwickelt ist. Jedoch anders als
im Falle von Walter De Maria, dessen Monumentalskulp-
tur gleichsam eine neue Stilrichtung in die Sammlungs-
bestände einbindet, setzen die neu hinzugekommenen
Bilder und Skulpturen von Cy Twombly zwei Traditionen
fort, die im Kunsthaus seit Jahrzehnten gepflegt worden
sind: die Bilder - der mehrteilige Bildzyklus «Goethe in
Italy», die gewichtigste Neuerwerbung seit dem damals
vieldiskutierten Ankauf von Baselitz’ «Nachtessen in
Dresden» - führen in durchaus heutiger Umsetzung jene
malerischen Erfahrungen in die Gegenwart weiter, die zu
Beginn des 20. Jahrhunderts in den Seerosenbildern von
Claude Monet einen der beglückendsten Höhepunkte
erreicht haben. Dass in der Kunsthaus-Sammlung nun-
mehr die malerische Stringenz der in künstlerischer Hin-
sicht wohl weltweit schönsten und am besten erhaltenen
Seerosenbilder von Monet mit der vergleichbaren zeit-
genössischen Interpretation von Cy Twombly in Bezie-
hung tritt, muss als ausgesprochener, die Wahrneh-
mungsfähigkeit unserer Besucher anregender Glücksfall
gewertet werden. Und die Skulpturen? Die neun Ori-
ginalplastiken von Twombly - eines der grosszügigsten
Geschenke, die das Kunsthaus je von einem Künstler hat
entgegennehmen dürfen - hat dieser nicht zufällig Zürich
anvertraut: ihn lockten, neben andern Beweggründen die
Nähe zu Alberto Giacomettis frühen surrealistischen Pla-
stiken, in deren unmittelbarer Nachbarschaft seine Schen-
kung zu studieren ist, die dadurch zusätzlich an Bedeu-
tung gewinnt, dass er nie Originale dem Handel hat
zukommen lassen.
Dass neben den Werken von Walter De Maria und Cy
Iwombly noch weiterer hochwillkommener Zuwachs
durch Schenkungen in der Sammlung zu verzeichnen ist,
erfüllt uns mit grosser Dankbarkeit. Es liegt uns daran, an
dieser Stelle allen, die im Berichtsjahr in besonders gross-
zügiger Weise mitgeholfen haben, unserer Sammlung
neue Dimensionen zu erschliessen, unseren verbindli-
chen Dank auszusprechen.
Die Ausstellungstätigkeit verlief in gewohntem Rah-
men auf hohem Niveau. Erstaunlich und entsprechend
erfreulich war insbesondere der Publikumserfolg der
Beuys-Ausstellung zu Jahresbeginn, aber auch die nach-
folgenden Veranstaltungen - die von Mario Botta organi-
sierte Darstellung des bildnerischen Schaffens von Fried-
rich Dürrenmatt sowie die Ausstellung Dada Global, die
sich weitestgehend auf unsere Sammlungsbestände
abstützen konnte - haben die budgetierten Erwartungen
übertroffen. Unser Hauptsponsor, die Schweizerische
Kreditanstalt, hat sowohl die Beuys-Retrospektive als
auch die kurz vor Jahresende eröffnete Ausstellung, die
erstmals die Portraits von Edgar Degas in monographi-
scher Zusammenstellung erfasst hat, mit namhaften Bei-
trägen unterstützt. Dafür und für die vermutlich nicht
minder wertvolle publizistische Förderung danken wir
herzlich und möchten gleichzeitig unserer Freude darüber
Ausdruck verleihen, dass der Zusammenarbeitsvertrag mit
der SKA für weitere zwei Jahre verlängert werden konnte.
Die Gesamtbesucherzahl ist gegenüber dem Vorjahr leicht
angestiegen; nicht zuletzt dank dieser günstigen Entwick-
lung kann die Betriebsrechnung mit einem kleinen
Gewinn in der Höhe von knapp Fr. 20 000.- abgeschlos-
sen werden.
Mit besonderer Genugtuung erfüllt mich zudem die
Tatsache, das die 1989 von mir angeregte Vortragsreihe der
Forumsveranstaltungen sich nach wie vor eines regen
Zuspruchs erfreut. Bemerkenswert ist, dass jeweils weniger
das angekündigte Thema als vielmehr der Bekanntheits-
grad des Referenten über Erfolg oder Misserfolg eines
Abends entscheidet. Dadurch, dass in den letzten Zyklen
vermehrt auch Künstler zu Wort gekommen sind, hat sich
die anfänglich eher philosophischen Fragestellungen
zuneigende Veranstaltungsreihe gewandelt.
Seit 1987, als mir das Präsidium der Kunstgesellschaft
übertragen worden ist, habe ich an dieser Stelle beinahe
jedes Jahr auf Hoffnungen und Enttäuschungen bezüg-
lich des baulichen Zustandes der Kunsthaus-Liegenschafit
hinweisen müssen. In diesem Jahr steht eher Hoffnung
an. Nachdem sich frühere Vorstellungen, die auf eine
Sanierung mit gleichzeitiger baulicher Verdichtung der
Baumasse hinzielten, in Anbetracht der prekären Lage des
öffentlichen Finanzhaushaltes sich als nicht realisierbar
erwiesen haben, konzentrieren sich nun sämtliche
Anstrengungen auf folgendes Konzept: Um den dringend
benötigten Platz für die so erfreulich wachsende Samm-
lung zu schaffen, soll die Verwaltung, die in Räumen
untergebracht ist, die ursprünglich als Sammlungssäle
konzipiert waren, ausgelagert werden. Die neuen Büro-
räumlichkeiten sollen in die oberen Stockwerke der in
unmittelbarer Nachbarschaft des Kunsthauses gelegenen
Villa Tobler (Winkelwiese 4) verlegt werden. Diese Lie-
genschaft ist im Eigentum der Stadt Zürich; einer Anfrage
des Vorstandes der Kunstgesellschaft entsprechend, hat
der Stadtrat in den ersten Tagen 1995 entschieden, diese
wohl bedeutendste Jugendstil-Villa Zürichs, über deren
weitere Zukunft bekanntlich seit längerer Zeit diskutiert
wird, dem Kunsthaus im Baurecht zur Verfügung zu stel-
len, sofern dieses in der Lage ist, die dringend notwendi-
gen Restaurationsarbeiten zu übernehmen. Vordringliche
Aufgabe ist es deshalb, in der ersten Jahreshälfte 1995 ein
Renovations- und Nutzungskonzept zu erstellen sowie
dessen Kostenrahmen zu evaluieren. Noch ist nichts ent-
schieden — es bleibt zur Zeit nach wie vor bei der Hoff-
nung, dass es gelingt, dieses sinnvolle Programm zu reali-
sieren. Vor allem aber bleibt unser fester Wille, der
Kunsthaus-Sammlung zu mehr Platz zu verhelfen und die
sinmaligen Jugendstilräume in der Villa Tobler für die
Bevölkerung zugänglich zu machen. Allen, die uns für
dieses Projekt ihre Hilfe zugesagt haben, sei herzlich
gedankt - danken möchte ich aber auch den Behörden,
den Gönnern, Freunden und Mitarbeitern des Kunsthau-
ses für die Unterstützung und tatkräftige Mitarbeit, die
unserem Institut im Berichtsjahr in reichem Masse zugute
gekommen sind.
Ich hoffe, im nächsten Jahr an dieser Stelle von kon-
kKretisierten Hoffnungen schreiben zu können.
Dr. Thomas Bechtle:
SAMMLUNG
Ausstellung und Sammlung, Erneuern und Überliefern,
Ereignis und Stetigkeit, geistige Lockerungsübung und
kollektives Gedächtnis - kaum ein grösseres Museum ist
in gleicher Weise von dieser lebendigen Polarität geprägt
wie das Kunsthaus Zürich. 1994 entfaltete sich dieses
Wechselspiel besonders fruchtbar. Mit der Dada-Präsenta-
tion wurde wohl erstmals eine Hauptausstellung fast aus-
schliesslich mit Werken aus eigenem Besitz bestritten; der
dazu publizierte, langjährig erarbeitete Katalog bildet
zugleich den schwergewichtigsten Bestandeskatalog (vgl.
S. 15). Ebenso standen die Erdgeschossräume für einen
Termin der Sammlung zur Verfügung, um wenigstens
vorübergehend die Werke jüngerer Schweizer Künstler
sichtbar zu machen. Unter dem Titel «Einübung ins
Chaos» entfalteten sich die unterschiedlichsten Tenden-
zen, sinnvoll angeführt von den aus dem Treibholz Aus-
schau haltenden Augen der «Schwimmer» von Markus
Raetz inmitten einer Auswahl seiner Zeichnungen und der
anamorphotisch zweiansichtigen Skulptur «Beuys/Hase».
Gleich daneben hingen zwei stark von diesem geprägte
Arbeiten von Corsin Fontana; sein «Goldrichtig» leitete
zu den geometrischen Fügungen Helmut Federles weiter.
Im übrigen dominierte Figürliches: Franz Gertschs gros-
ser Holzschnitt, umgeben von ähnlich überformatigen,
photographischen Erkundigungen des Körpers von Bal-
thasar Burkhard und Hannah Villiger, die neuen Vertreter
einer konzeptuell überlagerten, schlicht «realistischen»
Malerei — Thomas Huber, Albrecht Schnider, Marc-An-
toine Fehr -, im grossen Raum die Vertreter des malerisch-
expressiven Aufbruchs der achtziger Jahre und schliesslich
Fischli/Weiss und die Folgen bis hin zu Urs Frei.
Umgekehrt werden die wichtigsten Neuzugänge der
Sammlung direkt oder mittelbar der Ausstellungestätigkeit
verdankt - abgesehen von dem Gemälde Bellottos, dessen
Erwerbungsumstände bereits vor einem Jahr geschildert
wurden. Dies gilt zunächst in extremer Weise für Walter
de Marias «The 2000 Sculpture», die ja eigens für unseren
grossen Ausstellungssaal geschaffen wurde; dank dem aus-
serordentlichen Einsatz unseres Präsidenten Thomas
Bechtler konnte sie nun in eine zu diesem Zwecke gegrün-
dete Stiftung übergeführt werden, an der sich die Kunst-
gesellschaft mit einer Rückstellung aus dem Überschuss
der Klimt-Ausstellung beteiligen und so das Werk auf
Dauer für periodische Präsentationen in Zürich sichern
konnte. Ebenfalls nur dank einer Ausstellung konnte
Füsslis Gemälde «Amor und Psyche» erworben werden,
denn dessen Auftauchen war das unmittelbare Resultat
der Recherchen für die gleichnamige Ausstellung, die
ihrerseits als sammlungsinterne «Dossier»-Ausstellung an
das entsprechende Werk von Angelika Kauffmann an-
schloss. Einmal mehr fanden sich die Liebhaber sowohl
der älteren wie der aktuellen Kunst in der Faszination vor
einer frappanten Bilderfindung des Meisters vereint, so
dass alsbald allseitig der Wunsch entstand, diese kühne
und beziehungsreiche Komposition auf Dauer mit der so
andersartigen Interpretation des gleichen Themas von
Angelika zu vereinen - was denn auch dank einer grossen
Spende der Schweizerischen Bankgesellschaft glücklich
gelang. Ein altes Erwerbungsprojekt, das in einer Ausstel-
lung auf seine Wünschbarkeit geprüft und im Berichtsjahr
endlich ausgeführt werden konnte, war Giovanni Segan-
tinis «Weisse Gans». Nachdem mit den monumentalen
«Alpweiden» seine Kunst zu einem Schwerpunkt unserer
Sammlung wurde, schien es wünschenswert, dass auch
seine frühe, noch vom tonalen Realismus geprägte Phase
mit einem charakteristischen Bild vertreten sei; dank der
Genossenschaft zum Baugarten gelang dies nun aufs
schönste: der Tour de force einer Malerei Weiss in Weiss
entfaltet die virtuosen Fähigkeiten des jungen Segantini
wie kaum ein anderes Werk.
Auch der gewichtigste Ankauf der Kunstgesellschaft,
unterstützt von der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde,
«Goethe in Italy», ein mehrteiliges Hauptwerk von Cy
Twombly, und vor allem dessen grossartige Schenkung
einer ganzen Gruppe von Skulpturen wären undenkbar
gewesen ohne die unvergessliche Ausstellung, die Harald
Szeemann anlässlich unseres Zweihundert-Jahr-Jubiläums
1987 mit ihm organisiert und eingerichtet hatte und in
deren Folge er die fragilen Originalkonstruktionen als
Dauerleihgaben hier deponierte. Wir schätzen uns glück-
lich, dass der amerikanische Künstler, der nun schon seit
Jahrzehnten überwiegend in Rom lebt, neben Houston
als europäische Heimstatt für seine unvergleichlichen
poetischen Objekte Zürich gewählt hat; nicht zuletzt reiz-
te ihn dabei die Nachbarschaft zu den Frühwerken Alber-
to Giacomettis, und wie diese werden nun seine Arbeiten
als etwas, was es nur hier zu sehen gibt, die Liebhaber im
Kunsthaus erfreuen. Diese so bedeutende Erweiterung
unserer Sammlung kann hier nicht mitgeteilt werden,
ohne des tragischen, viel zu frühen Todes von Thomas
Ammann zu gedenken, dem hochbegabten Zürcher
Kunsthändler, Sammler und Freund vieler Künstler. In
allen drei Eigenschaften stand er Cy Twombly besonders
nahe und vertiefte dessen Beziehungen zu Zürich wesent-
lich; so trug auch er entscheidend zum Gelingen dieses
neuen Schwerpunktes bei.
Ein anderer langjähriger Förderer des Kunsthauses,
dessen Tod wir im letzten Jahr betrauern mussten, war
Willy Rotzler, unvergesslich vor allem als Freund, Kritiker
und Geschichtsschreiber der Konkreten Kunst, aber auch
Alberto Giacomettis, dessen Stiftung er wortgewaltig ver-
teidigte und deren Entstehen er später dokumentierte.
Seine weiteren Verdienste um die Kunstgesellschaft wer-
den unten (S.38) gewürdigt; hier gilt es, seinem Sohn,
Herrn Stefan Rotzler, für die berührende Schenkung von
Josef Albers «Profundo» zu danken. Kein schöneres
Gedenken an seine Eltern als dieses bedeutendste Kunst-
werk aus ihrer Sammlung hätte gefunden werden können,
die vielleicht strengste und zugleich eine der eindrück-
lichsten Fassungen der «Hommage to the Square». In der
Beschränkung auf drei Schwarztöne kommt die spirituel-
le Dimension dieser letztlich der Suche nach dem Abso-
luten gewidmeten Kunst unabweislich zur Geltung, wie
der dem Requiem entnommene Bildtitel unterstreicht:
«Domine, Jesu Christe, Rex gloriae, / libera anımas om-
nium fidelium/ defunctorum de poenis inferni,/ et de
profundo lacu: libera eas/de ore leonis, ne absorbet eas/
tartarus, ne cadant in obscurum,/sed signifer sanctus
Michael / repraesentet eas in lucem sanctam.»
Das Gemälde tritt in den Mittelpunkt von mehreren
Werken, die zur Erinnerung an Anne und Willy Rotzler
gestiftet wurden. Schon im letzten Jahresbericht konnten
wir ein Gemälde von Alan Davie abbilden; gleichfalls
noch auf die Initiative von Willy Rotzler geht ein
Geschenk der Josef Albers-Foundation zurück. Wir möch-
ven ihr und ihrem Direktor, Nicholas Fox Weber, sehr für
die Widmung einer der seltenen «Variants» danken, die-
sen den Quadrat-Bildern vorausgehenden zweipoligen
Werken, die als einzige in unserer Sammlung noch nicht
vertreten waren. Somit kann nun der wichtigste Vermitt-
ler der geometrischen Abstraktion zwischen Europa und
Amerika hier an sechs repräsentativen Werken studiert
werden. Sodann sind wir der Camille Graeser-Stiftung
und ihrer Präsidentin, Frau Prof. Dr. Beatrice Weber-Dür-
ıer, sehr zu Dank verpflichtet, dass wir aus ihrem reichen
Fundus ein Gemälde aussuchen durften; die Wahl ist mit
«Gelenkte Elemente» auf ein ungewöhnliches, beschwing-
tes frühes Werk gefallen, dessen komplexes und streng
durchgeführtes generatives System zu einem über-
raschenden, spielerisch-dynamischen Resultat führte.
Überdies konnnte als Dauerleihgabe das reizvolle «proto-
neogeometrische» Hochformat «Fliessender Rhythmus»
von 1945 übernommen werden.
An dieser Stelle möchten wir auch herzlich den ande-
ren Schenkgebern danken, die im vergangenen Jahr die
Sammlung des Kunsthauses bedacht haben: der Familie
Rudolph-Schwarzenbach, die uns eine ungewöhnliche,
für eine Zürcher Villa geschaffene Holzplastik von Carl
Burckhardt schenkte, Madame Andree Martinel, die uns
ein Gemälde ihres Vaters Franz Kupka vermachte,
schliesslich Frau Marian von Castelberg und Herrn Dr.
Franz Meyer, die uns eine charakteristische Landschaft
von Carl Montag überliessen. Dieser Künstler hatte be-
kanntlich an der Ausstellungstätigkeit des Kunsthauses
und damit an der Entstehung wichtiger Privatsammlun-
zen französischer Kunst in der Schweiz wesentlichen
Anteil; merkwürdigerweise war er bisher in unserer
Sammlung nicht vertreten.
Unter den Ankäufen von Werken lebender Schweizer
Künstler ragt als Rarität ein Gemälde des noch stets akti-
ven Serge Brignoni von1937 hervor; es handelt sich allem
Anschein nach um das einzige repräsentative der wenigen
unübermalt erhaltenen Werke aus der Zeit vor dem Zwei-
ten Weltkrieg, dem sein Pariser Atelier mit einem grossen
Teil seiner frühen Produktion zum Opfer fiel. Kurz nach
der Entstehung vom New Yorker Kunsthändler Pierre
Matisse erworben, entging «Germination» diesem Schick-
sal; als nach dessen Tod der Galeriefundus aufgelöst
wurde, kam es wieder zum Vorschein und konnte dank
Beiträgen des Künstlers und Herrn Jean-Pierre Scialom für
das Kunsthaus gesichert werden. Die mittlere Generation
ist mit Helmut Federle vertreten, dessen schon vorhande-
ne Werkgruppe um die neue «Black Series IX» ergänzt
wurde. Wie schon der Titel «In einen trüben Teich springt
plötzlich ein Frosch II» vermuten lässt, handelt es sich
hier um eine besonders geistreiche seiner Folgen kleiner
schwarzweisser Rechteckbilder, in deren Ablauf ein geo-
metrisches Thema dynamisch entfaltet wird; formale
Spannung und Präzision verbinden sich hier ungewöhn-
lich interessant mit konzeptuellen Überlegungen zur
Bildgestaltung im allgemeinen. Unter den jüngeren
Künstlern fand Marc-Antoine Fehr dank seiner Aarauer
Ausstellung grosse Beachtung; wir erwarben ein Fragment
aus seinem seit Jahren verfolgten gleichnishaften Projekt
über die grosse Mühle, den monumentalen «Müller», eine
sitzende Figur mit dem ganzen Anspruch altmeisterlicher
Menschendarstellung.
Obwohl der Sammlungskonservator angesichts der
Enge des Raumes kein besonderer Freund von Wechsel-
ausstellungen im Bereich der Sammlung ist, führte doch
gerade eine solche zu einer wirkungsvollen neuen Auf.
stellung der Sammlung. Da die der Räumung der Hodler-
Säle für die Präsentation der Werke von Richard Gerstl
zeitlich mit der Versendung mehrerer Gemälde von
Munch zu Ausstellungen in Oslo und in Deutschland
zusammenfiel, realisierte er eine schon seit der Erneue-
rung des grossen Saales im zweiten Obergeschoss gepfleg-
te Idee: hier in diesem nach Stil und Dimension der
monumentalen Kunst Hodlers so genau entsprechenden
Ambiente dessen grosse symbolistischen Kompositionen
und Landschaften zu zeigen. Und tatsächlich kamen sie
wie wohl schon lange nicht mehr zur Geltung. Da auch
das Publikum überraschend positiv reagierte, wurde die
französische Malerei des 19. Jahrhundert, die deutschen
«Impressionisten» und Edvard Munch im ersten Oberge-
schoss eingerichtet, während Ferdinand Hodler nun die
ihm zumal in Zürich zukommende Stellung als Bahnbre-
cher der Moderne im ersten Saal der oberen Etage ein-
nımmt.
Der fruchtbare Austausch von Ausstellen und Sam-
meln dehnt sich merkwürdigerweise sogar auf die an ande-
re Ausstellungen abgegebenen Leihgaben aus, indem die
dadurch entstehenden Lücken insofern unsere Platznot
etwas lindern, als zu Unrecht sonst nicht gezeigte Werk-
gruppen wenigstens vorübergehend sichtbar gemacht wer-
den können. So hing während der Beuys-Ausstellung in
Zürich, Madrid und Paris in dem Raum der «Olivestone»
die vor allem von Rene Wehrli mit grosser Sicherheit
gesammelte Gruppe von europäischen Werken der Nach-
kriegszeit, u.a. von Wols, Riopelle, de Sta&l, Poliakoff,
Täpies und Dubuffet. Die drei Leihgaben für die grosse
Mondrian-Retrospektive in Den Haag, Washington und
New York schufen Raum für eine Accrochage des schwei-
zerischen Surrealismus. An die Stelle der beiden frühen
Gemälde von Monet, die zu «Les Origines de l’Impres-
sionisme» in Paris und New York reisten, traten als Leih-
gaben eines Privatsammlers zwei späte «Rosenalleen»,
extreme Gemälde, die zu einem erhellenden Vergleich mit
den anderen Spätwerken von Monet anregen. Als unmit-
telbarer Ersatz für Gemälde von Degas in der Ausstellung
des Kunsthauses stellten wir u. a. der Stiftung Bührle Bil-
der von Monet, Petrini und Segantini zur Verfügung; des-
sen «Weisse Gans» trat dort in einen ebenbürtigen Dialog
mit Manets gleichartigem «Le grand duc».
Damit sind zugleich schon etliche Leihgaben genannt,
die - man sieht es - sich im Berichtsjahr vor allem durch
ihre Gewichtigkeit auszeichneten. Vor allem aus unseren
doch recht schmalen Beständen des Impressionismus und
der klassischen Moderne werden dauernd gerade die
bedeutendsten Stücke angefordert. Mit 119 Gemälden
respektive Skulpturen und 121 Arbeiten auf Papier ging
die Anzahl der ausgeliehenen Objekte gegenüber dem
von den Dada-Präsentationen gekennzeichneten Vorjahr
merklich zurück; doch wurden mit diesen nicht weniger
als 91 verschiedene Ausstellungen bedient.
ANKÄUFE
Gemälde und Skulpturen
Serge Brignoni: Germinations, 1937
Öl auf Leinwand, H 115 cm, B 92 cm, bezeichnet unten links:
S. Brienoni / 37, Inv. Nr. 1994/15
Helmut Federle: Black Series IX, 1992
(In einen trüben Teich springt plötzlich ein Frosch [11])
10 Teile, Öl auf Leinenkarton
Teil 1-8: H 24 cm, B 18 cm
Teil 9, 10: H 14,7 cm, B 11 cm
»ezeichnet auf der Rückseite: Helmut Federle
Inv. Nr. 1994/1 a-k
Marc-Antoine Fehr:
Le meunier (Fragment, unvollendet), 1993/94
Öl auf Leinwand H 290 cm, B 200 cm, bezeichnet auf der Rückseite der
Leinwand: Marc-Antoine Fehr 1993/94 / meunier., Inv. Nr. 1994/2
Cy Twombly: Goethe in Italy (Scene I), 1978
2 Teile
I: Öl auf Papier, H 119 cm, B 62 cm
II: Öl auf Leinwand, H 194,5 cm, B 161 cm
Vereinigung Zürcher Kunstfreunde
[nv. Nr. 1994/27 a+b
: Goethe in Italy (Scene IT), 1978
4 Teile
III: Öl auf Papier, H 119 cm, B 88 cm
[V: Öl auf Leinwand, H 194,5 cm, B 160,5 cm
V: Kunstharz, Öl und Kreide auf Leinwand
H 195,5 cm, B 313,5 cm
VI: Kohle und Ölkreide auf Papier
H 71 cm, B 100,5 cm
Inv. Nr. 1994/7 a-d
Zeichnungen und Druckgraphik
Vito Acconci: Two Wings for Wall and Person, 1981
Photogravüre mit Aquatinta auf Papier, 12 Teile, je H 65,2 cm, B 102,2 cm,
Gesamtgrösse H 130,4 cm, B 669 cm, einschliesslich Zwischenraum von
56 cm zwischen den beiden Flügeln. bezeichnet auf dem letzten Blatt
unten rechts mit Bleistift: 2 WINGS FOR WALL AND PERSON VA
1981 9/10. Prägestempel: Crown Point Press Nancy Anello. Druck: Nancy
Anello. Herausgeber: Crown Point Press, Oakland, CA.
Gr. Inv. 1994/26a-m
Enzo Cuccht: Prognosen, 1993
Zwei Radierungen zur Sonderauflage des Buches: Ernst Jünger, Prognosen.
München 1993. Blatt: H 35 cm, B 26 cm, Platte: H 26,3 cm, B 19 cm und
H 26,5 cm, B 18,5 cm, bezeichnet jeweils mit Bleistift: E. Cucchi, 16/60,
Prägestempel: Vigna Antoniniana. Druck: Valter Rossi. Edition: Bernd
Klüser. München. Gr. Inv. 1994/24 und 25
Felix Droese: Am Meer, 1993
Holzdruck schwarz (Handdruck des Künstlers), Blatt: H 50 cm, B 65 cm,
bezeichnet unten links mit Bleistift: 28/45 Felixdroese 1993. Edition
Staeck, Heidelberg. Gr. Inv. 1994/4
- Alles in der Schwebe, 1993
Holzdruck schwarz (Handdruck des Künstlers), Blatt: H 50 cm, B 65 cm,
bezeichnet unten rechts mit Bleistift: Felixdroese 1993 17/35. Edition
Staeck, Heidelberg. Gr. Inv. 1994/5
Marc-Antoine Fehr: Esquisse pour le moulin, 1993
Kohle und Gouache auf Papier, H 29,5 cm, B 41,5 cm, nicht bezeichnet
Z. Inv. 1994/15
- Esquisse pour le moulin, 1993
Gouache und Kohle auf altem von Hand paginierten Papierbogen, in de!
Mitte gefalzt, Heftlöcher und Risse, H 39 cm, B 48 cm, bezeichnet unten
rechts mit Feder: mf 1993, oben rechts mit Feder [von anderer Hand]: 73
Z. Inv. 1994/16
Dan Flavin: Ohne Titel (To K. Malevich) 1 +2, 1988
Aquatinta (rot und schwarz) auf Hahnemühlepapier, 2 Blätter, je H 57 cm.
B 79 cm, bezeichnet auf dem ersten Blatt unten rechts mit Bleistift: (to K.
Malevich) 1 another of 18/10 Dan Flavin 1988; auf der Rückseite unten
links mit Bleistift: 229-004; auf dem zweiten Blatt unten rechts mit Blei-
stift: (to K. Malevich) 2 another of 18/10 Dan Flavin 1988; auf der Rück-
seite unten links mit Bleistift: 229.005. Drucker und Herausgeber: Aldo
"rommelvnck. Paris. Gr. Inv. 1994/62+h
Wilhelm Lehmbruck: Liegender Mann, stehende Frau,
Skizze, 1914
aus der Mappe «Die Schaffenden», II. Jahrgang, 3.Mappe
Kaltnadelradierung auf Kupferdruckpapier mit Blindstempel «Die Schaf
fenden», Blatt: H 41,8 cm, B 30,8 cm, Bild: H 31,5 cm, B 25,8 cm, bezeich
net unten rechts mit Bleistift: Lehmbruck [von Anita Lehmbruck].
Sr Inv. 1994/23
Sol Le Witt: Irregular wavy horizontal color bands, 1992
ouache auf Papier, H 56 cm, B 76 cm, bezeichnet unten rechts mit Blei-
tift: S. LeWitt 1992. Z. Inv. 1994/7
Color and Black, 1991
Aquatinta, Radierung und Pinselätzung auf Papier, Blatt: H 104 cm,
3 101,6 cm, Platte: H 60,5 cm, B 60,5 cm, bezeichnet unten links mit
3leistift: S. LeWitt 3/15. Druck: Lawrence Hamlin. Herausgeber: Crown
?oint Press, Oakland, CA. Gr. Inv. 1994/7
Richard Long: «River Avon Circle», 1990
«A Handful Of Tidal Mud Taken From Near The River Mouth
Carried By Bicycle And Cast Into The River Near Its Source/1987»
Sranolithographie auf Bütten, H 75,3 cm, B 51,5 cm, bezeichnet unten
rechts mit Bleistift: Richard Long, verso mit Bleistift: 190/240. Edition:
Sönnerverein Halle für neue Kunst, Schaffhausen. Druck: Lichtdruck AG,
Dielsdorf. Gr. Inv. 1994/15
Bruce Nauman: Hanging Head, 1989
Bleistift und Aquarell auf Papier, H 66 cm,
3 26,5/27,5 cm, bezeichnet oben Mitte mit Bleistift:
Hanging head - (colored wax), unten Mitte mit Bleistift:
Shaved head no ears?, unten rechts mit Bleistift:
B.N.89 / unten rechts Prägestempel: WATER FORD SERIES.
Z. Inv. 1994/2
Sigmar Polke: Kölner Bettler I, 1972
Offset schwarz, nach einem eigenen Foto, aufgenommen 1972 in Köln,
Blatt: H 43 cm, B 60,7 cm, Bild: 31,8 cm, B 43,9 cm, bezeichnet unten
;echts mit Bleistift: Sigmar Polke. Edition Staeck, Heidelberg. Druck:
steidl, Göttingen. Gr. Inv. 1994/1
- Kölner Bettler II, 1972
Iffset schwarz, nach einem eigenen Foto, aufgenommen 1972 in Köln,
3latt: H 43 cm, B 60,7 cm, Bild: H 33,1 cm, B 44 cm, bezeichnet unten
‚echts mit Bleistift: Sigmar Polke. Edition Staeck, Heidelberg. Druck:
steidl, Göttingen. Gr. Inv. 1994/2
Gerhard Richter/Sigmar Polke: Umwandlung, 1968
Offsetdruck in Schwarz, auf weissem Halbkarton, Blatt: H 46,4 cm,
3 67,2 cm, bezeichnet unten rechts mit Bleistift: Polke/Richter 68, unten
inks mit Bleistift: 52/100. Edition: Galerie Block, Berlin. Drucker: Hinz.
Berlin. Gr. Inv. 1994/14
Gerhard Richter: Schweizer Alpen I, 1969 (Motiv A2)
Siebdruck in Schwarz und zwei Blaugrautönen auf weissem Halbkarton,
Blatt: H 69,4 cm, B 69,4 cm, bezeichnet oben rechts mit Bleistift: Richter,
verso: Stempel, Motiv A2 mit Bleistift umkreist. Druck: Hans H. Hotze,
Essen. Edition: Griffelkunst-Vereinigung Hamburg-Langenhorn e.V.
Gr. Inv. 1994/18
Ilona Rüegg: Doppelzeichnung, 1993
Vier Seiten liniertes Notenpapier, gefaltet. Vorderseite: Kugelschreiber. 2.
und 3. Seite: von der Vorderseite durchgepauste Zeichnung in Rot und
Schwarz, in Kartonschachtel. H 23,7 cm, B 63,7 cm, bezeichnet auf der
Vorderseite unten rechts mit Bleistift: 2/11, 21. Nov. 93 I. R.
Z. Inv. 1994/14
Christoph Rütimann: Ohne Titel, 1990
Tusche auf Zerkallpapier, H 110,5 cm, B 125 cm, bezeichnet unten rechts
nit Bleistift: Ch. Rütimann 90. Z. Inv. 1994/1
Albrecht Schnider: Ohne Titel, 1986
Schwarze Kreide und farbige Ölkreide auf Papier, H 31,8 cm, B 24 cm,
jezeichnet unten rechts mit Bleistift: A. S. Z. Inv. 1994/5
- Ohne Titel, 1991
Filzstift auf Papier, H 21 cm, B 14,8 cm, bezeichnet unten rechts mit Blei-
stift: A. S. 91. Z. Inv. 1994/3
- Ohne Titel, 1993
Bleistift auf Papier, H 21,4 cm, B 14,8 cm, bezeichnet unten rechts mit
Bleistift: A. S. 93, Rückseite: Zeichnung. Z. Inv. 1994/4
Jahresgaben der Schweizerischen Graphischen Gesellschaft
Jonathan Borofsky: Portrait of My Father, 1993
Zehnfarbiger Siebdruck, Bild: H 30,5 cm, B 21,2 cm, Papier: H 37,9 cm,
B 28,5 cm, bezeichnet unten rechts mit Bleistift: Jonathan Borofsky, unten
links mit Bleistift: 2/125. Druck: Gemini G. E. L., Los Angeles. Edition:
Schweizerische Graphische Gesellschaft. Gr. Inv. 1994/17
Barbara Hee: Ohne Titel, 1993
Radierung, Kaltnadel, Aquatinta, Aussprengverfahren, Vernis mou, Pin-
selätzung und Schabtechnik. Zweiseitiger Druck von zwei hartverchrom-
;en Kupferplatten in Schwarz auf Kozo nature. Platte: H 70 cm, B 100 cm,
Papier: H 61 cm, B 98 cm, bezeichnet unten rechts: Barbara Hee, unten
inks: 2/125. Herausgeber: Schweizerische Graphische Gesellschaft.
Gr. Inv. 1994/12
Pat Steir: Daybreak (Aube, Sonnenaufgang), 1993
Aquatinta, Kaltnadel, Polierstahl farbig (3 Platten), Blatt: H 109 cm, B 64,7
:m, Bild: H 79,5 cm, B 40,3 cm, bezeichnet unten rechts mit Bleistift: Pat
Steir, unten links mit Bleistift: 2/125, Druck: Brian Shure, Crown Point
Press, San Francisco. Edition: Schweizerische Graphische Gesellschaft.
Sr. Inv. 1994/22
Photographien
Kaspar Thomas Linder: Spuren vom «Wilden Mann», 1979
2 s/w-Photographien, je H 28,3 cm, B 28 cm, 3 s/w-Photographien, je
H 28,1 cm, B 28 cm, 3 s/w-Photographien, je H 22 cm, B 21 cm, Ph. Inv.
1994/2 a-h
- Wunderfitz, 1979/84
s/w-Photographie, H 195 cm, B 1922, Plexiglasscheibe, bemalt mit roter
Farbe, H 170 cm, B 118 cm; 4 Rahmenstangen aus Holz, H 195 cm; 2
Tücher; Ph. Inv. 1994/3
- mit K. + T., 1-3, 1982/83
3 s/w-Photographien, mit Abdeckrot übermalt, je H 94,6 cm, B 72,6 cm,
signiert unten rechts mit schwarzem Filzstift: K. Th. L. 82/83, Ph. Inv.
1994/4 a-c
- Nr. 2326 — 1-3, 1982/84 3
s/w-Photographien, mit Abdeckrot übermalt, je H 142 cm, B 105 cm, sig-
niert unten rechts mit schwarzem Filzstift: K. Th. Linder 84, Ph. Inv.
1994/5 a-c
- Happiness I-IIT, 1982/86 3
s/w-Photographien, mit Abdeckrot bemalt, je H 28 cm, B 40 cm, signiert
unten rechts mit schwarzem Filzstift: K. Th. L. 82/86, Ph. Inv. 1994/6 a-c
- Archeology, white, 1983
(first quarter, second quarter, third quarter, fourth quarter), 4 s/w-Photo-
graphien, weiss übermalt, je H 56 cm, B 42 cm, signiert unten rechts mit
schwarzem Filzstift: K.Th. Linder, Ph. Inv. 1994/7 a-d
- Accademica R.T., I + IT, 1986
Photographie und Gips, bemalt, Nägel, 2 Holzkästen mit Plexiglas, je H
76 cm. B 115 em. T 6 em. Ph. Inv. 1994/8 a+b
- Triptych M.H., 1986
Dreiteilige Photoarbeit. Papier, Photographie, Plexi, Paint, Wire Netting,
links: H 190 cm, B 200 cm, Mitte: H 250 cm, B 250 cm, rechts: H 330 cm.
B 135 cm. Ph. Inv. 1994/9 ac
Videotapes
Hanspeter Ammann: Couch, 1994
VT 94/27
Sadie Benning: A place called lovely / It was not love /
Girlpower, 1992
VT 94/21
Klaus vom Bruch: Das Propellerband, 1979
VT 94/39
John Cage: Mushrooms et varlations, 1985
VT 94/38
Cherif et Sylvie Defraoui: Mirador, 1983
VT 94/14
Friedrich Dürrenmatt: Zwischen Passion und Profession.
Friedrich Dürrenmatt, Maler, 1993.
VT 94/22
Friedrich Dürrenmatt: Porträt eines Planeten, 1984
VT 94/23
Enrique Fontanilles: Absence, 1994
VT 94/24
Ingo Günther: Eleven Waiters, 1982
VT 94/40
Annebarbe Kau: «m», 1990
VT 94/2
Bernd Kracke: Arttransition: Kunst jenseits der Kunst, 1994
VT 94/41
Francesco Marıiotti: karte + arte, 1990
VT 94/36
Bruce Nauman: Violin tuned D.E.A.D., 1968
VT 94/42
Bruce Naumann: Stamping in the studio, 1968
VT 94/43
Bruce Nauman: Lip sync, 1969
VT 94/44
Marcel Odenbach: Stehen ist Nichtumfallen, 1989
VT 94/26
Atsushi Ogata and Monika Grueter: Timeless scent, 1992
VT 94/25
Pipilotti Rist: Pickelporno, 1992
VT 94/28
VERKÄUFE
keine
- Untitled (Roma), 1978
Holz, Nägel und Öl-Wandmattfarbe
H 23 cm, B 52 cm, T 33 cm
Inv. Nr. 1994/19
- Untitled (Roma), 1979
Gips und Sand
H 49 cm, B 42 cm, T 22 cm
Inv. Nr. 1994/ 20
- Untitled (Roma), 1983
Holz, Gips, Nägel, Plastilin und
H 198 cm, B 158 cm, T 36 cm
Inv. Nr. 1994/21
Öl-Wandmattfarbe
GESCHENKE
In memoriam Anne und Willy Rotzler
- von Frau Eva und Herrn Stefan Rotzler
Josef Albers: Homage to the Square ‘Profundo’, 1965
Acryl auf Hartfaserplatte
H 101,5 cm, B 101,5 cm
sezeichnet auf der Rückseite: Albers’ 1965
Inv. Nr. 1994/5
- von der Josef Albers Foundation
Josef Albers: Study for a Variant, 1947
Öl auf festem Löschpapier
H 42 cm, B 56 cm
bezeichnet unten rechts mit Monogramm und datiert «47»
Inv. Nr. 1994/17
- von der Camille Graeser-Stiftung
Camille Graeser: Gelenkte Elemente, 1953
Öl auf Leinwand,
H 55 cm, B 105 cm , .
bezeichnet auf der Rückseite der Leinwand oben links:
graeser
Inv. Nr. 1994/4
Vom Künstler
Cy Twombly: Untitled (Roma), 1959
Karton, Holz und Gewebe mit Kunstharz bemalt
H 67 cm, B 34 cm, T 27 cm
Inv. Nr. 1994/18
- Untitled (Roma), 1983
Karton, Holz, Gips und Eisendraht, bemalt
H 144,5 cm, B 32 cm, T 24 cm
Inv. Nr. 1994/22
— Untitled (Roma), 1983
Karton, Holz, Kunststoffblumen und Gips, bemalt
H 83 cm, B 57 cm, T 53 cm
Inv. Nr. 1994/23
- Winter’s Passage LUXOR (Porto Ercole), 1985
Holz, Nägel, bemalt; Farbstift auf Papier
H 53,5 cm, B 105 cm, T 51 cm
Inv. Nr. 1994/24
- Rotalla (Roma), 1986
Holz und Eisenblech, Eisen, Stoffband, bemalt
H 72 cm, B 71 cm, T 52 cm
bezeichnet auf der Rückseite: Rotalla / C.T. / (Gaeta) / Feb 1986
Inv. Nr. 1994/25
- By the Ionian Sea, 1987
Holz und Nägel, Gips und Kunstharz, bemalt
H 33 cm, B 62 cm, T 51,5 cm
bezeichnet vorne mit blauem Stift: By the Ionian Sea
Inv. Nr. 1994/26
Von der Schweizerischen Bankgesellschaft
Johann Heinrich Füssli: Amor und Psyche, um 1810
Öl auf Leinwand
H 125 cm, B 100 cm
Inv. Nr. 1994/12
Von der Genossenschaft zum Baugarten
Giovanni Segantint: Die weisse Gans, 1886
Öl auf Leinwand
H 114 cm, B 81,5 cm
»ezeichnet unten rechts: G. Segantini
Inv.Nr. 1994/3
Legat Madame Andree Martinel
Frank Kupka: Gäteaux, 1933
Öl auf Leinwand
H 65 cm, B 92,5 cm
Inv. Nr. 1994/11
Von der Familie Rudolph-Schwarzenbach
Carl Burckhardt: Kniende, 1917
Palisanderholz
H 67 cm, B 19 cm, T 16,5 cm
bezeichnet auf der Rückseite des Sockels:
15.28.B (mit Bleistift), B. ./. 30
nv. Nr. 1994/13
Von Frau Marian von Castelberg und Herrn Dr. Franz Meyer
Carl Montag: Paysage au bord d’un canal, Villeneuve, 1915
Öl auf Leinwand
H 65 cm, B 81 cm
sezeichnet unten links: C. Montag 1915
Inv. Nr. 1994/14
Aus dem Nachlass des Künstlers
GESCHENKE AN DIE GRAPHISCHE SAMMLUNG
Von Brooke Alexander, New York
Bruce Nauman: Ohne Titel, 1969 (Plakat)
Offset-Lithographie in zwei Farben auf Kromekote-Papier, H 61,6 cm,
B 50,8 cm, bezeichnet unten rechts mit Filzstift: Bruce Nauman. Druck:
ınbekannt. Herausgeber: Leo Castelli Gallery, New York. Gedruckt in
Zusammenhang mit der Ausstellung “Bruce Nauman: Holograms, Video-
:apes, and Other Works” in der Leo Castelli Gallery, New York 1969.
Gr. Inv. 1994/10
Geschenk vom Künstler
Pierre Haubensak: Ohne Titel, 1992
Aquatinta auf Zerkall-Bütten, Platte: H 49,5 cm, B 69,5 cm, Blatt: H 64
m, B 82 cm, bezeichnet unten rechts mit Bleistift: Haubensak 93, unten
inks mit Bleistift: 4/10. Druck: Atelier Peter Kneubühler, Zürich.
Gr. Inv. 1994/3
Von Frau Martita Jöhr, Zürich
Kunstmappe «Künstler gegen die Folter», 1993
Mit einem Vorwort von Väclav Havel
Portfolio mit 19 Blättern: Georg Baselitz, Max Bill, Eduardo Chillida,
Rupprecht Geiger, Raimund Girke, Gotthard Graubner, Jasper Johns,
Donald Judd, Jannis Kounellis, Sol LeWitt, Richard Long, Robert
Mangold, Nicola de Maria, Giulio Paolini, David Rabinowitch, Emil
Schumacher, Antoni Täpies, Günther Uecker, Not Vital. Herausgeber:
Verein Kunstmappe «Künstler gegen die Folter», St. Gallen 1993.
Sr. Inv. 1994/8a-t
Von Frau Ursula Perucchi-Petri
Barbara Hee: Tätowierung, 1983
Friedhold Morf: Bildnis des Kunstmalers Heinrich Müller,
1922
Öl auf Leinwand auf Karton
H 54,5 cm, B 46,5 cm
Inv. Nr. 1994/6
Aus: Gesänge an den toten Tiger
Öl auf Papier, zweiteilig, H 74 cm, B 111 cm, bezeichnet unten links mit
Bleistift: «Tätowierung 1983» Gesänge an den toten Tiger. Z. Inv. 1994/20
Von Frau Eva Thomkins
Andre Thomkins: «Max der Ballone stiehlt», 1950er Jahre
Linolschnitt, H 35 cm, B 25 cm, nicht bezeichnet, verso: Nachlassstempel.
Gr. Inv. 1994/13
Von Herrn Alfred Wedekind, Zürich
Richard Paul Lohse: Variation eines Themas aus
«10 gleiche Themen, 1946/47», 1954
Lithographie, auf Karton aufgezogen, Blatt: H 49,7 cm, B 34,2 cm, Bild:
H 31 cm, B 20 cm, bezeichnet unten rechts mit Kugelschreiber: Lohse.
Gr. Inv. 1994/28
Zeichnungen und graphische Arbeiten verschiedener Donatoren
und Künstler gingen ein von:
Franz Bucher, Karl Duschek, Hans Graesli, Marco Pinkus, Hannes Port:
mann, Dieter Roth, Anton Stankowski. Heinrich Zobrist
VEREINIGUNG ZÜRCHER KUNSTFREUNDE
Von Frau Elsie Wyss, Zürich
Ödön Koch: Ohne Titel, um 1956
Linolschnitt auf Japanpapier, H 51 cm, B 37 cm, bezeichnet unten rechts
mit Bleistift: OÖ. KOCH, unten links mit Bleistift: 7/10. Gr. Inv. 1994/11
- Ohne Titel, 1966
Feder in Tusche auf Papier, H 38 cm, B 49,9 cm, bezeichnet unten rechts
mit Tusche: OÖ. K. 66. Z. Inv. 1994/13
- Ohne Titel, 1967
Feder in Tusche auf Papier, H 36,8 cm, B 26,8 cm, bezeichnet unten rechts
mit Tusche: OÖ. K. 67. Z. Inv. 1994/8
- Ohne Titel
Ölkreide auf gelblichem Sirius-Papier, Wz: Sirius, H 42,3 cm, B 29,7'cm,
bezeichnet unten rechts mit Ölkreide: Koch. Z. Inv. 1994/9
- Ohne Titel, 1967
Feder in Tusche auf Papier, H 38 cm, B 50 cm, bezeichnet unten rechts mit
Tusche: Ö. K. 67. Z. Inv. 1994/10
- Ohne Titel, 1967
Feder in Tusche auf Papier, H 26,9 cm, B 36,9 cm, bezeichnet unten rechts
mit Tusche: Ö. K. 67. Z. Inv. 1994/11
- Ohne Titel, 1968
Feder in Tusche auf Papier, H 50 cm, B 69,7 cm, bezeichnet unten rechts
mit Tusche: Ö. K. 68. Z. Inv. 1994/ 1?
Von Annemarie und Gianfranco Verna
Jarge Luis Borges, Ficciones, 1994
mit Siebdrucken von Sol LeWitt
AB 94/16
Ankauf
Die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde erwarb den Teil II der auf S. 8
beschriebenen Werkeruppe von Cy Twombly.
Ankäufe der Gruppe Junge Kunst
Peter Fischli/David Weiss: Son et Lumiere, 1991
3 Teile, Auflage 30
Installation mit Plastikbecher, Ordonnanztaschenlampe,
Elektromotor
Installation: ca. H 90 cm, B 46 cm, T 46 cm
Inv. Nr. 1994/8 ac
- Ohne Titel, 1994
Edition für «Parkett» Nr. 40/41, Exemplar 12/32
Acryl und Dispersion auf Polyurethan geschnitzt
H 8,5 cm, © 20,5 cm
bezeichnet auf Standfläche: 12/32 / Fischli / D. Weiss
Inv. Nr. 1994/9
STIFTUNG BETTY UND DAVID M. KOETSER
Ankauf aus dem Legat von Frau Betty Koetser
Bernardo Bellotto:
Die Ruinen der Kreuzkirche in Dresden, 1765
Öl auf Leinwand
H 84,5 cm, B 107,3 cm
bezeichnet unten links: Vue de la Tour de Ste: Croix, /qui s’ecroula le
22 Juin 1765, dans / le tems qu’on commencoit a relever l’E/glise, laquelle
avoit peri par le Bombardement/ de la Ville de Dresden, en 1760 1. la Place
du Vieux/ Marche. 2. Ecole de Ste: Croix. 3. Palais du C. Rutowski.
Inv. Nr. KS-70
STIFTUNG «THE 2000 SCULPTURE»
Walter De Maria: The 2000 Sculpture, 1992
Gips und Hydrocal
800 fünfseitig-polygonale Elemente, @ 12 cm, Länge 50 cm
800 siebenseitig-polygonale Elemente, o 11,9 cm, Länge 50 cm
4100 neunseitig-polygonale Elemente, o 11,8 cm, Länge 50 cm
Inv. Nr. 1994/16
LEIHGABEN
Von der Camille Graeser-Stiftung
Camille Graeser: Fliessender Rhythmus, 1945
Öl auf Leinwand
H 68 cm, B 32 cm
bezeichnet auf der Rückseite der Leinwand oben Mitte: graeser
Inv. Nr. 1994/10
Zurückgezogene Werke
Willi Baumeister: Bild auf Rosa, 1946
Öl auf Karton (auf Holzplatte montiert)
H 35 cm, B 46,5 cm
bezeichnet oben rechts: Baumeister 46
Inv. Nr. 1987/27
Alfred Jensen: Numbers are the Children of the Sun, 1974
Öl auf Leinwand
H 229 cm, B 1172 cm, T 3,5 cm
Inv. Nr. 1979/12 a-m
Einblick in die Ausstellung Friedrich Dürrenmatt,
Architektur von Mario Botta
AUSSTELLUNGEN
Friedrich Dürrenmatt
Friedrich Dürrenmatt wollte sich als Zeichner, Maler und
Grafiker erst nach seinem Tod (1990) der Öffentlichkeit
stellen. So ist sein bildnerischer Nachlass grösstenteils in
eine Stiftung übergegangen und nun in einer Auswahl
einem überraschten, irritierten und erstaunten Publikum
zugänglich gemacht worden. Die Ausstellung bekam ihre
besondere Präsenz und Prägnanz durch die Einrichtung
des Architekten Mario Botta, der die Metapher des Tun-
nels als Bildwand für die kleinformatigen Tuschzeichnun-
gen wählte, während sich die plakativen Gouachen zu den
Fenstern auf den Heimplatz und zum Schauspielhaus
wandten. Vor diesen standen, im grosszügigen Raumam-
biente schon dem Eintretenden sichtbar, von Botta eigens
entworfene Korbsessel und luden zum Lesen und Disku-
tieren ein, was häufig benutzt wurde und so der Ausstel-
lung von Anfang an die Sakralität und Musealität gängi-
ger Kunstverehrung nahm. Im vorderen Ausstellungsteil
führte das in vier Teile gegliederte vierstündige Filmpor-
trät von Charlotte Kerr in die Sprache, Fülle und Gedan-
kenwelt des Dichters ein, während sein immenser
Schreibtisch und die Dokumente seiner Künstlerfreund-
schaften, von Walter Jonas zu Varlin, zusammen mit
Fotos im Treppenaufgang und im Entree sein Haus in
Neuchätel und seine Biographie vergegenwärtigten. Dür-
renmatts Bildwelt fand ihren eindringlichen Ausdruck
wohl in den ganz frühen wie ganz späten Federzeichnun-
gen, die gleichermassen unabhängig von Zeit und Stil die
Weltzerstörung, Apokalypse, Krieg und Grausamkeit the-
matisieren und häufig vor seinem literarischen Schaffen
als Bildvision entstanden. «Nicht meine Gedanken
erzwingen meine Bilder, meine Bilder erzwingen meine
Gedanken.» (F. Dürrenmatt, 1990). Durch Friedrich Dür-
renmatt-Iage in der Universität und in Theatern sowie
Veranstaltungen in der Ausstellung wurden viele Brücken
zu einem literarischen Werk geschlagen, zu dessen Deu-
tung die Bilder wesentliche Verständnishilfen sind, wie
dies auch die gleichzeitige Ausstellung des Schweizeri-
schen Literaturarchivs in Bern und der gemeinsam pro-
duzierte Katalog aufzeigten. GM
Dada Global
«Dada war da, bevor Dada da war»: Am Anfang des Aus-
stellungsprojekts stand die Bearbeitung und Veröffentli-
chung der internationalen Dada-Bestände der Sammlung
ım Anschluss an den 1985 publizierten, jetzt neu aufge-
legten Band «Dada in Zürich». Wie das Dada so eigen ist,
entwickelte sich nicht nur das bescheiden genannte
«Sammlungsheft 18» auf stattliche 472 Seiten entspre-
chend dem steten Anwachsen der Sammlung seit 1980,
auch die Ausstellung entfaltete sich zusehends mit Video-
bändern, Requisiten, Tondokumenten, Transparenten mit
Dada-Sprüchen und Zutaten aller Art, und eine Bühne im
ersten Ausstellungsteil war schliesslich Schauplatz von
rund 25 theatralischen, literarischen, musikalischen Ver-
anstaltungen. Eine nicht enden wollende Finissage verle-
bendigte zum Schluss den Geist des dadaistischen
Gesamtkunstwerks als Aktion und Spektakel, Kulinarıi-
sches inbegriffen, und so gebar der Dada-Virus jenes «offe-
ne Museum», von dem die Zürcher Jugend 1968 und 1981
träumte und die Stadt so infizierte und beflügelte, dass
selbst die «NZZ» vom Zürcher Kulturereignis des Jahres
sprach. Die Kunsthaus-Darbietung selber war in drei Teile
gegliedert: ın eine Einführung in die Geburtsstätte von
Dada, in das Cabaret, in die Pariser und Berliner Saisons,
mit den Dokumenten von Hugo Ball und Emmy Hen-
nings aus der «Voltaire»-Zeit, der Zürcher «Galerie Dada»,
den Tänzerinnen der Laban-Schule und den Marionetten
von Sophie Taeuber wie einer permanenten Dada-Per-
formance mit auf die Bühnenrückwand projizierten
Selbstdarstellungen der dadaistischen Akteure und Pro-
vokateure. Hans Bolliger erläuterte per Video seine
Sammlertätigkeit, und Walter Mehring schilderte vom
Cafe Odeon 1966 aus, warum der Einzelkämpfer Werner
Müller mit seinem Cafe Dadaon vor dem Kunsthaus kein
«Spinner» ist. Andere Neo-Dadaisten von Tinguely bis
zum Mail-Artisten Hans-Ruedi Fricker versammelte eine
zufällig-beiläufige Accrochage im hintern Ausstellungs-
segment - Spuren und Zeugnisse, dass Dada selbst in sei-
ner zwinglianischen Geburtsstadt immer wieder Jünger
fand und eine lebendige Bewegung bleibt.
Im seriösen mittleren Teil war die Kunsthaus-Samm-
jung nach Städten und Ländern in einer spielerisch heite-
ren, wissenschaftlich aber durchaus fundierten Art aus-
gelegt. In der Mittelachse vereinigte ein Boulevard von
Vitrinen rund 300 Zeitschriften und Dokumente, worun-
ter neu und rar eine Abteilung «Dada Ost». Von diesem
Zentrum aus ergaben sich literarische Quer- und visuelle
Übereck-Verbindungen zu Collagen, Montagen, Filmaus-
schnitten, Objekten und selbst Bildern, was alles den
immerfrischen, überbordenden Assoziations- und Erfin-
dungsreichtum von «Dada» offenbarte. Angereichert mit
Leihgaben aus Zürcher Privatbesitz, darunter das ausser-
ordentliche «Huth-Bild» von Kurt Schwitters, mit einem
Futurismus-Kabinett aus eigenen Beständen und Doku-
menten aus der Berlinischen Galerie zu «Dadaco» und
«Dadaglobe», dem nie erschienenen Weltatlas, bestätigte
«Dada Global» die vor dem Kunsthaus-Eingang im Wind
Yatternde Maxime von Walter Mehring, wonach «die
Welt nur eine Filiale des Dadaismus» sei. Der blaue
Ballon am Eingang der Ausstellung, der für Fr. 28.- bis zur
Finissage durchhielt, und die 491 Ballone der Vernissage
trugen diesen Traum bis nach Sibirien zu dem Städtchen
namens Dada an den Ufern des Amur. GM
Degas — die Portraits
Der Anreiz, die Portraits von Edgar Degas zu einer Aus-
stellung zu vereinigen, ist in der Tatsache begründet, dass
dieser Schaffenszweig des Künstlers noch nie in einem
Überblick dargestellt worden ist. Dies hängt mit der
Rezeptionsgeschichte zusammen: bereits zu Lebzeiten
hatte Degas grössten Erfolg mit seinen Ballett-Szenen und
den Bildern von Rennplätzen, die die Vorstellung von die-
sem Künstler bei einem grossen Publikum bis heute prä-
gen. Dabei mass der Künstler selbst seinem Portrait-
Schaffen grösste Bedeutung zu; in seiner früheren Schaf-
“ensphase dominieren nicht nur zahlenmässig die Por-
raits, seine künstlerische Entwicklung lässt sich anhand
dieser Bilder besonders gut verfolgen. Aber auch in den
späteren Jahren hat er immer wieder portraitiert. Da er
indessen keine Auftragswerke geschaffen hat, besass das
Portrait-Schaffen ausgesprochen privaten Charakter. Als
nach Degas’ Tod in seinem Atelier eine grosse Zahl von
Bildnissen der Öffentlichkeit zugänglich wurde, war sein
Ruf als Maler der Tutus längst gefestigt - die Portraits blie-
ven immer im Schatten der andern Bildthemen.
Dadurch, dass es möglich war, rund 180 Portraits aus
allen Schaffenszeiten und in allen Techniken, in denen
sich der Künstler ausgedrückt hat, zu vereinen, wurde die
Ausstellung zu einer Demonstration, die selbst die Degas-
Spezialisten, allen voran Jean Sutherland Boggs, die vor
[ahren ein Buch über die Portraits geschrieben und den
Hauptbeitrag in unserem Katalog verfasst hat, überrasch-
:e, Aber auch bei einem breiten Publikum fand die Aus-
stellung grossen Anklang, wobei es als besonders positiv
empfunden wurde, dass vorbereitende Zeichnungen in
unmittelbarer Nähe zu den dazugehörenden Gemälden
studiert werden konnten. Dies war möglich dank eines
Wechsels von dunkelblau gestrichenen, lichtabsorbieren-
den Nischen für die Werke auf Papier und hellen Wänden
für die weniger lichtempfindlichen Gemälde. FB
AUSSTELLUNGEN IM GRAPHISCHEN KABINETT
Die Welt als Labyrinth
Tragische und komische Motive der Weltliteratur in Zeichnung
und Druckeraphik des 18.-20. Jahrhunderts
«Jeder Mensch ist ein eigenes Drama...» (F. Dürrenmatt).
Der Schauplatz der Weltgeschichte hat sich nach innen,
in die triebgesteuerte Innerlichkeit der Individuen verla-
gert. Ausgelöst wurde dieser Prozess durch die Auf-
klärung, die an die Vorherrschaft der Vernunft glaubte
and die Menschen, nach einem Jahrhundert treuer Pflicht-
arfüllung, guten Gewissens in die Freizeit entliess.
Was lag näher, als die im grossen Ausstellungssaal
gezeigten Psychogramme des berühmten Schriftstellers
mit einigen graphischen Meisterwerken aus der Graphi-
schen Sammlung zu konfrontieren: Durchbrechen der
Trennwand zwischen Innen und Aussen (Hogarth, Füssli,
Goya, Daumier). Die Mechanismen des Verdrängens und
Sublimierens zeichnen das Ungeheure der Arbeiten von
Klinger, Picasso, Thomkins aus. Hinterhältig in seiner
naturalistischen Verkleidung kann es uns jederzeit über-
fallen. BvW
Barbara Hee: Von dem Nichts die Fülle.
Zeichnungen und Plastiken
Um aufzuzeigen, welch enger Zusammenhang in Barbara
Hees Werk zwischen Zeichnung und Skulptur besteht,
stellten wir in unserer Ausstellung ihre nach Tonmodellen
ın Bronze gegossenen «Wälzkörper», «Meridiane» und
«Rollkörper» der neunziger Jahre den Zeichnungen aus
dem «Metablock» von 1988-90 und den farbigen Blättern
der «Plasmatischen Körper» von 1992 gegenüber. Der
Betrachter konnte dabei mühelos erkennen, dass sich die
neuen Plastiken aus dem Formenvokabular der vorausge-
gangenen Zeichnungen entwickelt haben. Mit den ersten
Zeichnungen für den Zyklus «Metablock» erfolgte 1988
sine Neuorientierung von Barbara Hees Arbeit. Die ein-
“achen, geschlossenen Gebilde der 1983 entstandenen
Zeichnungen der Serie «Gesänge an den toten Tiger»
machten komplizierten, aufgebrochenen Formen Platz,
die an informelle Bilder eines Wols oder Cy Twombly
anzuknüpfen schienen. Durch die Bearbeitung der Blät-
ter auf der Rückseite scheinen deren Strukturen als inte-
zraler Bestandteil der Komposition nach vorne durch.
Diese durchsichtige und doppelschichtige Gestaltung, die
Sichtbares und Unsichtbares aneinanderbindet, lässt so
etwas wie Landschaften entstehen, in denen Figuratives
aufscheint und die Zeichen als Ausdrucksträger für See-
ienzustände begriffen werden können. UP
Amerikanische Zeichnungen und Graphik
Von Sol LeWitt bis Bruce Nauman
Aus den Beständen der Graphischen Sammlung
In unserer Ausstellung stellten wir Zeichnungen und
Druckgraphik wichtiger amerikanischer Künstler der sieb-
ziger und achtziger Jahre vor, die seit 1976 neben anderen
Schwerpunkten für die Sammlung erworben werden
konnten. Die im Titel aufgeführten Namen stehen dabei
für die unterschiedlichen Künstlerpositionen, die in den
sechziger Jahren fast gleichzeitig an die Öffentlichkeit
getreten sind: zum einen die Künstler der sogenannten
«Minimal Art», wie Flavin, Judd oder LeWitt, die aus dem
als verbraucht und unglaubhaft empfundenen Medium
der Malerei ausbrachen und sich durch dreidimensionale
Objekte vollkommen neue künstlerische Möglichkeiten
erschlossen. Unter Verwendung elementarer, klar geglie-
derter, geometrischer und stereometrischer Formen arbei-
ten sie häufig mit symmetrischen, repetitiven und seriel-
len Strukturen. Eine fruchtbare Spannung entwickelte
sich in der Gegenüberstellung mit der Generation der
Künstler, die zuweilen unter dem Begriff «Postminimal
Art» zusammengefasst werden, wie Acconci, Nauman
oder Tuttle. Im Gegensatz zur «Minimal Art» geht es
ihnen nicht um die Perfektion geometrischer Formen.
Ihnen ist der Herstellungsprozess wichtiger als das end-
gültige Produkt, was sich auch in der scheinbaren Unfer-
tigkeit und Skizzenhaftigkeit vieler Werke äussert. Nau-
man und Acconci bringen dabei Erfahrungen ein, die sie
mit sich selbst und ihrem Körper gemacht haben, um ent-
sprechende Situationen und Modelle zu schaffen, in
denen der Betrachter an diesen Erfahrungen teilhaben
kann. Die Zeichnung ist ein besonders geeignetes Medi-
um, um von den Objekten und räumlichen Installatio-
nen, die im Museum nur in beschränktem Masse Platz
finden können, einen Eindruck zu vermitteln. UP
AUSSTELLUNGEN IM ERDGESCHOSS
GSMBA. Louis Conne, Maria Török, Balz Kloeti
Über die Generationen hinweg zeigte die Sektionsausstel-
lung der GSMBA Zürich unter der Formel «3 Räume - 3
Künstler» das Werk von Louis Conne (1905), Maria Török
(1907) und Balz Kloeti (1954). Während Conne als Stu-
dienkollege von Alberto Giacometti an der Grande Chau-
miere ein wichtiger, wenn auch zu wenig ausgestellter Pla-
stiker und Radierer der Schweizer Moderne ist, kam Maria
Török, eine Autodidaktin, von der Musik zur Zeichnung,
die sie fern vom Kunstbetrieb in einer Art häuslicher
Obsession betrieb. Ob Figur wie bei Conne oder Figurine
wie bei Török, das Thema des gefährdeten und verletzli-
chen Menschen im unbestimmten Raum und dessen
«Rettung» in die Poesie und Mythologie ist sowohl in der
intimen atelierhaften Inszenierung Connes wie der wand-
füllenden Präsentation bei Török als sinnliche Metapher
spürbar geworden. In diesen Kreis fügten sich die Kör-
perfragmente des jungen Balz Kloeti, auch wenn seine
Objekte aus «billigem» Material sind, mit jener Selbstver-
ständlichkeit, welche die Grenzen zwischen alt und jung
gleichsam im Kontinuum der Kunst überwindet
GM
Endstation Sehnsucht
Janine Antoni, Sadie Benning, Sophie Calle, Sylvie Fleury, Julio
Galan, Gabriel Orozco, Raymond Pettibon, Ugo Rondinone
Die Besucher betraten die Ausstellung über eine kleine
Treppe, die sie direkt auf einen Laufsteg führte, um so das
Thema des Ausgestelltwerdens auf überraschende Weise
am eigenen Körper zu erfahren. Es war Sylvie Fleury, die
diesen ersten, im übrigen mit beschwörenden Parfum-
Namen bunt bemalten Raum gestaltete.
In «Endstation Sehnsucht», in der sich acht Künstler
der jüngeren Generation zusammenfanden, standen
Wunschvorstellungen der «überpersönlichen» Art im
Zentrum der Ausstellung. Dass dies auch als das Museum
entgrenzende Forscherarbeit aufgefasst werden kann,
bewies die aus den Bahamas stammende Künstlerin
Janine Antoni, die in den ersten 10 Tagen der Ausstellung
im Museum schlief - in ihrem aus einem Bett, einer
REM-Maschine und einem Webstuhl bestehenden Werk
«Slumber» - und während des Tages ihre in REM-Werten
erfassten Träume webte.
Zur Ausstellung erschien ein 80seitiger Katalog mit
Gedichten von Thomas Kling.
BC
Ferdinand Gehr
Das Ereignis waren vielleicht gar nicht so sehr die religiö-
sen Temperabilder und Landschaften im ersten Raum, die
Blumenaquarelle und Farbholzschnitte hinten und auch
nicht der enorme Publikumszuspruch und sensationelle
Postkartenverkauf, das Ereignis war wohl die Gegenwart
des 98jährigen Künstlers an der Eröffnung. Dass bei sei-
ner Ankunft in der Ausstellung spontan eine eigentliche
Ovation losbrach, kann wohl nur mit dem seltenen
Umstand erklärt werden, einem so erstaunlichen Men-
schen und Künstler noch einmal zu begegnen. Erstaun-
lich, weil Ferdinand Gehr noch jeden Tag ins Atelier geht
und noch’‘im letzten Winter das auf sparsamste Farb-
flächen reduzierte Bild «Maria Empfängnis» geschaffen
hat, erstaunlich auch als Künstlerlegende ausserhalb von
Kunstbetrieb und Kommerz, mit einer grossen Ausstrah-
'ung, einem Publikum und Sammlern, die ihn geradezu
verehren. Als Kirchenmaler eine öffentliche und lange
Zeit umstrittene Reformfigur, zählt auch sein «freies»
Werk, das in den letzten Jahren sich fruchtbar vermehrte,
zu den eigenständigen Leistungen der Schweizer Moder-
ne. Seinen Stil und seine Botschaft, die ganz aus der Farbe
leben, hatte Gehr allerdings schon in den dreissiger Jah-
ren gefunden. Diese kleinen Freskotafeln, wie den Hugo
Ball gewidmeten Dämonenfries (1937), hatte er für sich
behalten und während Jahrzehnten nie öffentlich gezeigt:
als sein künstlerisches Reservat, in dem der Eros eine
Triebkraft war und aus der sein Lebensthema der «Mensch-
werdung» hervorging in einer einzigartigen Symbiose von
profaner Erfahrung und sakraler Spiritualität.
GM
AUSSTELLUNG DER SCHWEIZERISCHEN
STIFTUNG FÜR PHOTOGRAPHIE
«Photographie Nebensache»
Hans Knuchel —- Reto Rigassı - Vladimir Spacek
Anstelle der geplanten Retrospektive über das Werk von
Emil Schulthess hatte die Stiftung die unerwartete Mög-
lichkeit, drei Photographen vorzustellen, deren experi-
mentelles Schaffen verwandt ist. Alle drei arbeiten mit
elementaren Mitteln der Photographie: Mit der «Camera
Obscura», mit dem Licht, der Beleuchtung und Spiege-
iungen sowie mit Veränderungen, die sich durch die Ein-
wirkung der Sonnenstrahlen ergeben.
Vladimir Spaceks grossformatige Photos wurden gros-
sen reflektierenden Glasflächen gegenübergestellt, um da-
durch eine Raumerweiterung, Verdoppelung und Trans-
sarenz zu erreichen. Durch die Spiegelung wurde
gleichzeitig der Betrachter ins Spiel gebracht. Eine Multi-
diaprojektion mit Menschensilhouetten und Waffen kon-
frontierte den Besucher mit der Gewalt in unserer Zeit.
Bei Rigassis Arbeiten ist die Einwirkung des Sonnen-
lichtes von entscheidender Wichtigkeit — durch den
Gebrauch einer Linse, die Brennspuren des Sonnenlichtes
in Papier zeichnet, oder in seinen Gletscheraktionen, bei
denen durch Abdecken mit weissen Tüchern die Einwir-
kung der Sonnenstrahlen reflektiert wird und so nach
einiger Zeit plastische Formen auf dem Gletscher erschei-
nen. Um diesen vergänglichen Prozess festzuhalten,
benützt Rigassı die Kamera. Im Gesamtwerk Rigassis ist
das Erbe der «land art» deutlich zu erkennen.
Bei Hans Knuchel bestimmt die Form der Kamera die
Bildarchitektur. Mit seinen selber konstruierten Lochka-
meras erforscht er neue Abbildungsmöglichkeiten. Auch
Dei seinen Stereophotographien provoziert uns Knuchel,
unsere eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten neu zu
erleben. Er fordert uns auf, sich in spielerischer Art und
Weise auf neue Formen des Sehens einzulassen. LE
AUSSTELLUNGEN IN DER SAMMLUNG
Richard Gerstl
Erst zum dritten Mal erlebte das zwischen 1905 und 1908
entstandene, schmale und eruptive Werk des Wiener
Malers Richard Gerstl eine grössere Präsentation. Im
Anschluss an das Kunstforum Wien wurde er überhaupt
»rstmals ausserhalb Österreichs in fast vollständiger
Zusammenfassung seines erhaltenen Schaffens in Zürich
vorgestellt. Leider - wie oft in solchen Fällen frühvollen-
det jung Verstorbener - ist eine Rückführung in die Kunst-
geschichte ein schwieriges Unterfangen. Die eingebürger-
ten Namen und Stilformen haben das «Gesicht der
Epoche» geprägt - und Gerstl wird kaum mehr aus dem
Schatten Klimts, Schieles und Kokoschkas heraustreten.
Dazu haben der Bannspruch Arnold Schönbergs, mit des-
sen Frau Mathilde Gerstl durchbrannte, und die seltsame
Nachlassgeschichte äussere Gründe geliefert. Im Kern sei-
ner Porträtmalerei, die in seinem Freundeskreis und sich
selbst ihre Modelle fand, steht die frühe Erfahrung der
Beziehungslosigkeit. Es geht nicht mehr um eine Charak-
zerisierung des Gegenüber, nicht einmal mehr um die
Erfassung von dessen psychischer Befindlichkeit - Gerstl
schilderte wohl als erster die nackte Andersartigkeit des
andern, die andere Existenz. In seinen extremsten For-
mulierungen wie dem «Gruppenbildnis mit Schönberg»
(1907) verzichtete er darum auf Gesicht und Augen und
zerstörte die physische Präsenz des Gegenüber bis zur
Formlosigkeit, wobei die wie mit Händen bearbeitete
Malhaut nur den schmerzlichen, letztlich tödlichen Ver-
lust des Körpers signalisierte. Diese Extremposition seiner
Menschendarstellung weit ausserhalb seiner Zeit verdeut-
lichte die Gegenüberstellung mit Werken aus der Samm-
lung von Munch, Kokoschka, Corinth oder Beckmann
und offenbarte vielmehr eine innere Nähe zum späten
Alberto Giacometti. GM
Ein Blick auf Amor und Psyche um 1800
Als das Museum von Carouge bei Genf eine kleine Replik
von Picots «Amour et Psyche» geschenkt erhielt, lud des-
sen Konservator M. Jean M. Marchais Herrn Paul Lang
vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft ein,
eine kleine Ausstellung um dieses Gemälde zu gruppie-
ren. Dieser entsann sich unseres dem gleichen Märchen
gewidmeten Bildes von Angelika Kauffmann und anre-
gender Diskussionen über dieses Modethema des Klassi-
zismus, und so schlug er uns eine Zusammenarbeit zu
einer an den «Dossiers» des Louvre orientierten Ausstel-
lung vor. Die mit viel Spürsinn und Präzision zusam-
mengetragenen und effektvoll vor den im Rot des «Salon»
gestrichenen Wänden der ehemaligen Hodler-Säle arran-
gierten Werke gipfelten in der überhaupt zum ersten Mal
öffentlich gezeigten, höchst erstaunlichen «Psyche aban-
donnee» von Louis David und dem neu entdeckten
Gemälde Füsslis, das in der Folge von der Schweizeri-
schen Bankgesellschaft dem Kunsthaus geschenkt wurde.
So positiv das interessierte Publikum reagierte und so
sinnvoll solche Vertiefungen der Sammlungsbestände
sind, lässt sich leider nicht verschweigen, dass der finan-
zielle Aufwand trotz der dankenswerten Beiträge der
Goethe-Stiftung und der Pro Helvetia unverhältnismässig
hoch ausfiel. ChK
AUSSTELLUNGEN
IN CHRONOLOGISCHER REIHENFOLGE
11. 2.- 8. 5.
4. 3.- 1. 5.
18. 3.- 3. 7.
Richard Gerstl 1883-1908
Einübung ins Chaos
Neuere Schweizer Kunst aus der Sammlung
Friedrich Dürrenmatt - Portrait eines Universums
Das zeichnerische und malerische Werk
Die Welt als Labyrinth
3 Räume — 3 Künstler
Louis Conne, Maria Török, Balz Kloeti
Gesellschaft Schweizerischer Maler,
Bildhauer und Architekten
Ein Blick auf Amor und Psyche um 1800
ändstation Sehnsucht
Dada global
3arbara Hee: Von dem Nichts in die Fülle
Zeichnungen und Plastiken
3erdinand Gehr - Spätwerk
Edgar Degas - Die Portraits
Von Sol LeWitt bis Bruce Nauman
Amerikanische Zeichnungen und Graphik der
siebziger und achtziger Jahre aus den Beständen des
Kunsthauses Zürich
Photographie Nebensache
Hans Knuchel, Reto Rigassı, Vladimir Spacek
Schweizerische Stiftung für die Photographie
18. 3.- 3. 7.
7. 5.-26. 6.
20. 5.17. 7.
2. 7.-28. 8.
12. 8.— 6.11.
19. 8.— 6.11.
9. 9.- 4.12.
2.12.- 5. 3.
2.12.- 5. 2.
8.12.-12. 2.
EXTERNE AUSSTELLUNGEN
Eingangshalle Radio-Studio Zürich
1. 3.-30.4. Heini Stucki
Photographien zum Thema «Radio- und
Fernsehgeräte ım Alltag»
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen
Stiftung für die Photographie
Verkaufte Werke in den Ausstellungen
Verkaufte Kataloge während Ausstellungen
Zahlung an die Künstlerunterstützungskasse
AUSSTELLUNGSVERZEICHNIS 1994
Hauptausstellungen
18. 3.- 3. 7. Friedrich Dürrenmatt - Portrait eines Universums
Das zeichnerische und malerische Werk
Dada global
Edgar Degas - Die Portraits
Ausstellungen im Graphischen Kabinett
18. 3.- 3. 7. Die Welt als Labyrinth
19. 8.— 6.11. Barbara Hee: Von dem Nichts in die Fülle
Zeichnungen und Plastiken
2.12.- 5. 2. Von Sol LeWitt bis Bruce Nauman
Amerikanische Zeichnungen und Graphik der
siebziger und achtziger Jahre aus den Beständen
des Kunsthauses Zürich
Ausstellungen im
4. 3.- 1. 5.
Erdgeschoss (Räume I-III)
Einübung ins Chaos
Neuere Schweizer Kunst aus der Sammlung
3 Räume - 3 Künstler
Louis Conne, Maria Török, Balz Kloeti
Gesellschaft Schweizerischer Maler,
Bildhauer und Architekten
Endstation Sehnsucht
Ferdinand Gehr - Spätwerk
Photographie Nebensache
Hans Knuchel, Reto Rigassi, Vladimir Spacek
Schweizerische Stiftung für die Photographie
7. 5.26. 6.
2. 7.28. 8.
9. 9.— 4.12.
8.12.-12. 2.
Ausstellungen in der Sammlung
11. 2.- 8. 5. Richard Gerstl 1883-1908
20. 5.-17. 7. Ein Blick auf Amor und Psyche um 1800
1994
10/Fr. 52 750.-
14513
Fr. 1055.-
1993 1992
24/Fr. 199 990.- 6/Fr. 77 000.-
14804 24.587
Fr. 3999.80 Fr. 1540.-
GRAPHISCHE SAMMLUNG
ANKÄUFE UND GESCHENKE
Im Zusammenhang mit unserer diesjährigen Sammlungs-
ausstellung amerikanischer Zeichnungen und Graphik
der siebziger und achtziger Jahre erwarben wir Werke von
Vito Acconci, Dan Flavin, Sol LeWitt und Bruce Nau-
man, die unsere umfangreichen Bestände sogenannter
«Minimal» und «Postminimal Art» in ausserordentlicher
Weise bereichern. Die Monumentalgraphik Vito Accon-
cis «Two Wings for Wall and Person» von 1981 ist als
lebensgrosse, tragbare Installation gedacht, denn der
Künstler sah das aus mehreren Platten zusammengesetzte
Bild in seiner Beziehung zur Wand und zum Raum. Im
Gegensatz zu seinen früheren Radierungen erreichte er
mit dem grossen Format, dass die Graphik in ihrer räum-
lichen Ausdehnung einem «realen Stück» nahekam.
Der Titel beschwört darüber hinaus die Anwesenheit eines
Menschen, der zwischen den beiden Flügeln steht und
seine Arme ausbreitet, als wolle er zum Flug ansetzen.
Eine Maschine zum Fliegen war schon immer ein Traum
des Menschen. Die als Vorlage genommenen Flügel
eines Spielzeug-Flugzeuges haben die rosa Farbe mensch-
licher Haut angenommen und sind auf menschliche
Masse vergrössert worden. Dennoch bleibt der Zwiespalt
zwischen Mensch und Maschine erhalten, da die tech-
nischen Details noch deutliche Hinweise auf das ur-
sprüngliche Flugzeug geben. Die beiden sich auf Male-
witsch berufenden Aquatintablätter von Dan Flavin
evozieren mit ihren leuchtend roten Farbflächen
Lichträume, ähnlich den Installationen dieses Künstlers,
in denen das fluoreszierende Licht der Leuchtröhren den
Raum verändert und die Raumgrenzen verschwimmen
lässt.
Sol LeWitt hat sich in den letzten Jahren stark von
seinen streng geometrischen und stereometrischen Kon-
zepten gelöst und ist zu einer ganz neuen malerischen
Freiheit vorgestossen -— vielleicht eine Parallele zu den
gleichzeitigen neoexpressionistischen Tendenzen in der
Malerei. In dem Aquatintablatt «Color and Black» von
1991, das im übrigen wie alle Radierungen eigenhändig
ist - nur Serigraphien und Holzschnitte lässt er von
Assistenten ausführen, Radierungen sind dagegen wie
Zeichnungen für ihn —-, setzt Sol LeWitt nach wie vor
die Primärfarben Gelb, Blau, Rot und Schwarz ein, nur
sind sie jetzt in einer völlig freien, informellen Bewegung
miteinander verbunden und leuchten an einzelnen Stel-
len aus dem beherrschenden Dunkel geheimnisvoll her-
aus. In der Gouache «Irregular wavy horizontal color
bands» von 1992 formen sie sanft bewegte Wellen, die
Assoziationen an die horizontlose Weite einer Meeres-
läche wecken.
Bruce Naumans Werke sind seit Beginn der achtziger
fahre direkter, provokativer und aggressiver geworden.
Arbeiten wie die «hängenden Stühle» haben eine bisher
ungewohnte, emotionelle Ausdruckskraft gewonnen: wir
besitzen die grossformatige Zeichnung «South America
Triangle» der Werkserie von 1981, in der sich Naumans
„olitisches Engagement offenbart, denn sie ist in unmiss-
verständlicher Weise als Kritik an den totalitären Regimen
in Südamerika und Südafrika zu verstehen. In den seit
1988 entstandenen Tierkarussels überwältigen die von
der Decke hängenden «enthäuteten» und verstümmelten
Tiere den Betrachter in ihrem Ausgeliefertsein und
provozieren eine Identifikation des Menschen mit der
geschundenen Kreatur. Es ist nicht von ungefähr, dass
Nauman gleichzeitig Wachsabgüsse von Menschen-
köpfen herstellt und diese in seinen Rauminstallationen
ebenfalls an Drähten «aufhängt». In unserem Aquarell
Hanging Head» von 1989 verstärken die von dem
nach unten hängenden Kopf heruntergespritzten hell-
roten Aquarellspuren durch die Assoziation an Bluts-
tropfen die Grausamkeit der Darstellung. «Mein Werk
entsteht aus der Enttäuschung angesichts der conditio
humana», sagt Bruce Nauman, «der Enttäuschung
darüber, wie grausam die Menschen zueinander sein
Können.»
Mit frühen graphischen Blättern von Sigmar Polke und
Gerhard Richter konnten wir unsere bereits vorhandenen
Bestände von Werken dieser Künstler ergänzen. Zwei
neuere Holzdrucke von Felix Droese bereichern die her-
vorragende Werkgruppe, die wir im Laufe der Jahre auf-
gebaut haben und die durch die Dauerleihgabe des Insti-
tuts für Auslandsbeziehungen von 90 Werken, die uns im
Anschluss an unsere Ausstellung «Felix Droese: Das
Gleichmass der Unordnung» zugesagt wurden, zu einem
wichtigen Schwerpunkt in unserer Sammlung geworden
Ist.
Ein besonderes Geschenk durften wir von Frau Marti-
ta Jöhr mit der hervorragenden Kunstmappe «Künstler
gegen die Folter» von 1993 entgegennehmen, die Blätter
von 19 bedeutenden Schweizer und internationalen
Künstlern enthält. (Vergleiche den Kommentar von Franz
Meyer in den Hinweisen auf Neuerwerbungen.) Frau Elsie
Wyss schenkte uns einen Linolschnitt und 6 Zeichnungen
von Ödön Koch vom Ende der sechziger Jahre, einer Zeit,
in der seine abstrakten Bildhauerzeichnungen von trans-
parenter, schwebender Leichtigkeit waren. Sie sind eine
willkommene Ergänzung der Zeichnungsgruppe, die wir
noch zu Lebzeiten von dem Künstler erwerben konnten,
und bereichern einen seit Jahren gepflegten Schwerpunkt
unserer Sammlung: die Bildhauerzeichnungen. Von
Herrn Pierre Haubensak erhielten wir eine Aquatinta, die
die beiden Blätter von 1992 ergänzt, die wir im vorigen
Jahr angekauft hatten. Herr Brooke Alexander, New York,
schenkte für meine letzte Sammlungsausstellung ein Pla-
kat von Bruce Nauman, das dieser für seine Ausstellung
«Holograms, Videotapes, and Other Works» bei Leo
Castelli 1969 geschaffen hatte, und Annemarie und Gian-
franco Verna übergaben uns das Artist-Book «Jorge Luis
Borges, Ficciones» mit Siebdrucken von Sol LeWitt.
In der seit 1980 aufgebauten Videothek, die heute fast
400 Werke umfasst, haben wir die umfangreiche Samm-
lung an Videobändern amerikanischer Künstler mit
frühen Tapes von John Cage und Bruce Nauman ergänzt.
Einen anderen grossen Bereich bildeten die Bänder jün-
gerer Schweizer Künstler, wie Hanspeter Ammann, Enri-
que Fontanilles, Francesco Mariotti und Pipilotti Rist,
sowie die der blutjungen Amerikanerin Sadie Benning
und des japanischen Newcomers Atsushi Ogata. Ausser-
dem erwarben wir Tapes von den fast schon «Klassikern»
der Videokunst Klaus vom Bruch, Cherif und Sylvie
Defraoui, Ingo Günther und Marcel Odenbach. Die gros-
se Nachfrage von Videointeressierten im Lesesaal der
Bibliothek hängt wohl nicht zuletzt mit dem neuerlichen
Aufschwung der Videokunst zusammen. Wir freuen uns
ausserordentlich, dass der diesmalige Preis für junge Kunst
des Kunsthauses zum erstenmal an einen Videokünstler
verliehen wird. UP
WISSENSCHAFTLICHE BEARBEITUNG
UND KONSERVIERUNG
In diesem Jahr lag der Schwerpunkt der Bearbeitung auf
repräsentativen Werkgruppen von Füssli bis Graeser:
Druckgraphik von und nach Johann Heinrich Füssli
(74 Blätter), expressionistische Graphik (53 Bl.), das
gesamte druckgraphische Werk von Camille Graeser (73
Bl.), Werkzeichnungen von Zoltan Kemeny (89 Bl.). Von
Ernst Georg Rüegg wurden die gesamte Graphik sowie die
im Vorjahr geschenkten Zeichnungen inventarisiert (151
Bl.). Von diesen Werken wurden 169 Blätter im Restau-
rierungsatelier von Frau Annagret Bürki behandelt.
Die Vorbereitungen zum dritten Band unserer Hodler-
Zeichnungen, in dem die Entwürfe zu den beiden letzten,
eng verwandten Monumentalkompositionen, dem «Blick
in die Unendlichkeit» für das Kunsthaus und die Projekt
gebliebene «Floraison» für die Universität Zürich, behan-
delt werden sollten, konzentrierten sich zunächst auf die
Gruppierung der Ideenskizzen. Dazu wurden aus 35 Skiz-
zenbücher im Cabinet des dessins du Musee d’Art et
d’Histoire in Genf 185 Ideenskizzen zu diesem Themen-
kreis photographiert und wissenschaftlich erschlossen.
Forschungen in den Archiven des Kunsthauses und der
ETH sowie Gespräche mit Frau Gabriela Christen, Kon-
servatorın am Nidwaldner Kunstmuseum, die eine
Dissertation über Hodler vorbereitet, trugen Wesentliches
zur Klärung der Entstehungsgeschichte der Wandbilder
bei. Auf diesen Grundlagen konnte mit der Inventarisie-
rung der ersten 100 Zeichnungen begonnen werden.
By
BIBLIOTHEK
Die bereits im Vorjahr gemachte Erfahrung einer welt-
weiten Einschränkung des regulären Schriftenaustausches
hat sich 1994 bestätigt. Allerdings konnte der Eingang
von Tausch- und Geschenkkatalogen durch ständigen
regen Anfragedienst auf dem Vorijahresniveau gehalten
werden.
Unsere Handbibliothek im Lesesaal haben wir um
ainige wichtige Nachschlagewerke in den Gruppen I-XII
erweitert: Lexika Kunst und Künstler: Belser Stilgeschichte
in 6 Bänden, The illustrated Bartsch: 2 Bände, A dictio-
nary of Russian and Soviet artists. Wörterbücher: Diction-
naire des termes de l’art, Langenscheidts Taschenwörter-
buch Neugriechisch/Deutsch=Deutsch/Neugriechisch.
Ikonographie: Lexikon christlicher Symbole, The Dent dic-
tionary of symbols in Christian art, Illustrated dictionary
of symbols in Eastern and Western art. Kunstdenkmäler:
Schweizer Architekturführer.
Der Periodikabestand wurde um folgende Neuabonne-
mente erweitert: Georges Bloch-Jahrbuch des Kunstge-
schichtlichen Seminars der Universität Zürich, Informati-
onsdienst Kunst, Journal of the history of collections der
Oxford University Press.
Für unseren Sammlungsschwerpunkt Euvrekataloge
konnten wir 1994 einige wichtige Titel erwerben. Hier
eine Auswahl: Palma Vecchio/Gerhard Richter/Chaim
Soutine/Massimo Stanzione/Cy Twombly/Walter Gra-
matte/Keith Haring/Jaspar Johns/Georg Friedrich Ker-
sting/Roy Lichtenstein/Hans Memling/Henry Moore/
Karel Appel/Christian Ludwig Attersee/Max Beckmann/
Gustave Caillebotte/Chardin/Salvador Dali.
Für die Ausstellung Dada Global haben wir unser
Dada-Archiv durch den Ankauf einiger Nummern der
Zeitschriften «391» und «Suprema» ergänzt.
An Büchergeschenken erhielt die Bibliothek vom
Französischen Generalkonsulat in Zürich 50 Bände über
französische Kunst; Dr. Martin Kraft, Zürich, überliess
uns 93 Bücher und Kataloge zur freien Verfügung.
Im Tausch für regelmässigen Versand unserer
Ausstellungskataloge wurde uns von der Sächsischen Lan-
desbibliothek Dresden der wertvolle, grossformatige Fak-
simileband «Maria Sibylla Merians Metamorphosis insec-
torum surinamensium» geschenkt.
Im Lauf des Jahres wurden die bewilligungspflichtigen
Bücher (bis Erscheinungsjahr 1870) neu katalogisiert und
vom Buchbinder mit den roten Präsenzsignaturschildern
versehen. In der Buchbinderei musste für die Ausstellung
Dada Global ein grosser Teil der Objekte passepartouriert
und für eine Anzahl von Zeitschriften und Einzelblättern
(Flugblätter etc.) neue doppelte Schutzmappen angefertigt
werden.
Den jährlichen Doublettenverkauf im November/
Dezember liessen wir 1994 ausfallen, da wir auf eine
Anfrage der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia dem
Obala Art Center in Sarajevo beim Wiederaufbau deı
Kunstdokumentation behilflich sein konnten. Anlässlich
seines Aufenthaltes in Zürich konnte der Verantwortliche
für dieses Projekt in unserem Doublettenmagazın sechs
Kisten mit Büchern, Katalogen und Zeitschriften zusam-
menstellen und die Sendung durch ein Uno-Transport:
flugzeug nach Sarajevo bringen lassen. Wir sind froh, dass
wir diese Aktion positiv unterstützen und dem jungen
Film- und Kunstzentrum in Sarajevo unsere Hilfe zukom-
men lassen konnten. SH
Siehe auch den Beitrag der Leiterin der Graphischen Sammlung
und der Bibliothek, Frau Dr. Ursula Perucchi-Petri, am Ende des
Jahresberichts: «Rückblick auf 20 Jahre».
ZUWACHS 1994
Bibliothek
Ankäufe Tausch Geschenke
Beleg-
exemplare Total
i. Bücher
2. Broschüren
3. Museumsbulletins, Jahresberichte
A. Ausstellungskataloge
5. Sammlungskataloge
6. Auktions- und Lagerkataloge
7. Zeitschriftenabonnemente
8. Jahrbücher, Jahresschriften
9. Schallplatten
395
62
A
114
87
45
587
60
57
35
2
51
4
7
:7
784
169
138
1374
205
188
124
45
32
701
125
64
20
21
83
29
6
10
Zuwachs Bibliothek total
.—_5
940
1072
108
3029
Graphische Sammlung
Ankäufe
Geschenke
Total
L. Zeichnungen
2. Druckgraphische Blätter
17
La
Bi
Zuwachs Graphische Sammlung total 23
7 1
Videothek
Ankäufe
Geschenke Beleg- Total
exemplare
Zuwachs Videothek total
f
Ca
4
14
BENUTZUNG 1994
Bibliotheksbenützer
Ausleihe Bibliothek
- Lesesaal 12200
‚nach Hause 11100
- Videotapes (Lesesaal und kleiner Vortragssaal) 489
Interbibliothekarischer Leihverkehr
- Bücherversand und bearbeitete Leihgesuche 470
- Suchdienst (für Leser der Kunsthausbibliothek
und Ausstellungen Kunsthaus)
9 600
Ausleihe Graphische Sammlung
- Lesesaal
- an Ausstellungen
1835
790
Buchbinderarbeiten
- Bücher gebunden 54
Bücher repariert 68
Passepartouts geschnitten 905
(davon 170 Umschläge für Dada-Objekte)
RESTAURIERUNG
1992 erwarb die Paul Büchi-Stiftung zu sehr günstigen
Konditionen ein Frühwerk von Max Beckmann, das den
Tod der Kleopatra darstellt und leider früher schwere Ein-
griffe von «Restauratoren» erlitten hat. Durch die Wachs-
doublierung, eine entschieden zu starke Reinigung und
den dicken, glänzenden synthetischen Firnis wirkte die
Bildoberfläche buntscheckig, während die sachliche
Zuordnung dieser Flecken und die räumliche Entwick-
lung des orientalischen Gemaches oft unklar blieben.
Unsere Vorstellungen von Beckmanns Werk sind von dem
um 1918 entwickelten reifen Stil geprägt; doch er galt
schon vor dem Krieg als einer der wichtigsten jungen
Künstler, dessen Arbeiten allerdings eine erstaunliche
Diversität aufweisen: zwischen Jugendstil und Impressio-
nismus oszillierende Landschaften, dramatische Massen-
szenen in der Art Corinths, an die Nabis erinnernde
Interieurs, geladen von der psychisch-expressionistischen
Auffassung Munchs. In unserem Gemälde macht sich
überdies die Tradition der französisch romantischen
Malerei von Delacroix bis Moreau geltend. Angesichts
dieser experimentellen Vielseitigkeit und dem Fehlen von
unberührt erhaltenen Vergleichsstücken, wie es sich aus
unseren Erkundigungen bei deutschen Kollegen ergab,
musste das Ziel der Restaurierung offenbleiben — trotz-
dem wagten wir das Abenteuer, das Gemälde wieder sei-
nem ursprünglichen Aussehen anzunähern.
Nach dem Abnehmen des Kunstharzfirnis und der
Doublierung wurde das Wachs in wiederholten Benzin-
bädern so gut wie möglich aus der Gemäldestruktur aus-
gewaschen; dadurch konnte eine wesentlich trockenere
Erscheinung der Malerei zurückgewonnen werden. Bei
der eingehenden Betrachtung der Oberfläche zeigten sich
auf den Farbkuppen Abreibungen, durch die tieferliegen-
de Schichten sichtbar wurden und zur erwähnten Fleckig-
keit führten. Durch die Retuschierung dieser Durchbre-
chungen der originalen Farbhaut schlossen sich die For-
men wieder zusammen, so dass die Komposition wieder
wesentlich lesbarer erscheint und sich der Innenraum in
seiner Tiefendimension und Atmosphäre entfaltet.
Anschliessend haben wir ein grösseres Unterfangen in
Angriff genommen: die Restaurierung unserer Sammlung
von Gemälden Johann Heinrich Füsslis. Ihre sehr unter-
schiedlichen materiellen Erscheinungen haben uns bisher
davon abgehalten, obwohl der disparate optische Zustand
schon seit langem nach einer Verbesserung ruft. Nament-
lich gegenüber dem heute tonig braunen Bild «Theuseus
empfängt von Ariadne den Faden» wirken die übrigen
scharf hell-dunkel; insbesondere die Inkarnatpartien
erscheinen in kalkigem Weiss, was oft als Merkmal von
Füsslis manieristischer Auffassung betrachtet wird. Die
Untersuchungen zeigten aber, dass das brauntonige Bild
das am besten erhaltene ist; es bewahrt unter dem
ursprünglichen, natürlich vergilbten Firnis die zum Teil
allerdings gleichfalls verfärbten Lasuren in unberührter
Vollständigkeit. Nach einer oberflächlichen Reinigung
und dem Retuschieren geringfügiger Abscheuerung kann
dieses Gemälde nun als Muster für die Restaurierung
anderer Werke von Füssli dienen, die oft durch allzu
scharfe Reinigung ihre Lasuren und damit an räumlicher
und plastischer Kohärenz verloren haben.
In dem anmutigen «conversation piece» von Heinrich
Freudweiler «Der Künstler als Jäger mit Gattin und Schwä
gerin am Sihlsprung» klaffte seit längerem in der Mitte
eine offene Brettfuge. Bei einem früheren Eingriff wurden
die originalen Schwalbenschwänze, die die beiden Teile
zusammenklammern, zersägt und durch eine Leiste
ersetzt, die nicht genügend Halt bot. Während des Verlei-
mens der Tafel haben wir die ursprüngliche Verklamme-
rungsart wieder erstellt. Auf der Bildseite störte der
ungleichmässig dicke, gelbtonige Firnis, der zur Errei-
chung einer geschlossenen Bildwirkung bei dieser dünn
lasierenden Malerei doch unabdingbar is. So konnten wir
uns darauf beschränken, die Verdickungen chemisch und
mechanisch zu reduzieren, um eine einheitliche Firnis-
fläche und eine Reduktion der alterungsbedingten Verfär-
bung zu erreichen.
Ausstellungen
Vor der Ausstellung Dada Global in unserem Hause fan-
den in München, Hannover und Innsbruck Dada-Aus-
stellungen statt, die im wesentlichen die Zürcher Samm-
lungsbestände beinhalteten. Auf Grund des ephemeren
Materials, wie billigstes Zeitungspapier, bei dem nicht mit
einem Bestand von Jahrzehnten gerechnet wurde, befin-
den sich zahlreiche Werke durch die Versäuerung der
Holzcellulose in äusserst kritischem Zustand. Das Auge
ahnt oft wenig davon, bis die Hände selbst euphorischer
Fachleute erneut Schäden verursacht haben.
Diese Sachlage verlangte somit nach Lösungen, welche
die Werke sowohl während der Lagerung und Präsentati-
on in Ausstellungen, als auch bei der Handhabung weit-
gehend schützen. Für Broschüren, Faltblätter und der-
gleichen stellte man in exakt passender Grösse einzelne
Mappen aus säurefreiem Karton her, deren Schutzklap-
pen sich nach rückwärts umbiegen lassen, so dass sich das
Werk ohne jede weitere Manipulation präsentieren lässt.
Besonders empfindliche Stücke wurden in Rahmen mon-
tiert, um jede Berührung zu vermeiden. Bei vielen Doku-
menten reichten solche präventive Massnahmen nicht
aus; sie mussten Restaurierungen unterzogen werden, die
Herr Daniel Minder, Zürich, sehr sorgfältig ausführte.
Nach diesen langwierigen Vorbereitungsarbeiten war
schliesslich die Mithilfe der Restauratoren beim Auf- und
Abbau der Ausstellungen unumgänglich, wobei zugleich
auf das Einhalten der Klima- und Beleuchtungsbedin-
gungen zu achten war - zwei Parameter, die für den Fort-
bestand des Sammlungsgutes von entscheidender Bedeu-
tung sind. PP
Konservierungsarbeiten an Werken der Sammlung
Inv. Nr.
1992/20
2532
1974/9
2219
M. Beckmann
M. Campigli
J. Crotti
FE. Freudweiler
Kleopatra
Mädchen
Doiseau Jaune
Der Künstler als Jäger mit
Gattin und Schwägerin am
Sihlsprung
Theseus empfängt von
Ariadne den Faden
Titania findet am Strand
den Zauberring
Franz und Luciano
Tosafall im Val Formazza
Hickory
Dinderella
Quai mit Fischerbooten
Maria und Joseph,
das Kind anbetend
Der Höllensturz
Das Jüngste Gericht
Der Entomologe
Schlafende Venus von Satyren
überrascht
Venezianischer Fischer
Sam and Dave
Windmühle am
Neusiedlersee
Ave Marıa
L023
J.H. Füssli
1575
J. H. Füssli
1977/9
254
1969/1
1974/12
1404
1642
F. Gertsch
L. Hess
U. Lüthy
U. Lüthy
A. Marquet
Meister mit der
Nelke, Bern
Meister mit der
Nelke, Zürich
C.G. Naumann
N. Poussin
F. Ruben
M. Schaffner
J. Schwemminger
1952
1917
368
2480
704
1986/8
556
723
J. Wopfner
VERANSTALTUNGEN
MUSEUMSPÄDAGOGIK
340 Veranstaltungen mit Schulklassen und ca. 20 öffentli-
che Kinderworkshops bedeuten rund 7500 junge Besu-
cher oder, anders gesagt, sicher 5000 Erstkontakte mit
ainem Kunstmuseum —- einem Kunstmuseum zudem, das
anfangs Jahr von den Vorstellungen und Erwartungen der
SchülerInnen weit entfernt war. Der Beuys-Saal wirkte
fremd, und auch die Erwachsenen verunsicherte die Tat-
sache, dass man nicht auf gewohnte Wahrnehmungsfor-
men zurückgreifen konnte. Während der ganzen Ausstel-
lung fanden denn für diese Besuchergruppe jeden
Dienstag- und Donnerstagabend und sporadisch auch an
Samstagen zweistündige Workshops statt, die durch das
Kunsthaus oder die Züri Woche angeboten wurden.
Eine ähnliche Herausforderung in allen Bereichen des
pädagogischen Arbeitsfeldes stellte sich - neben den stän-
digen verschiedenen Projekten in der permanenten Samm-
lung - durch Dada Global. Bedingt durch die Verschie-
bung der Ausstellung musste zudem ein Block von bereits
angesagten Veranstaltungen vorgezogen und anhand der
Sammlungsbestände durchgeführt werden: In organisato-
rischer Zusammenarbeit mit dem Schulamt der Stadt
Zürich und der Fachstelle Schule und Museum des Pesta-
lozzianums wurde der Kunsthausbesuch mit der Auf-
führung von «König Hirsch» im Zürcher Puppentheater,
dem Film «Sophie Taeuber-Arp» und abgegebenen didak-
äschen Anregungen für die anschliessende Weiterarbeit
verbunden. Das Konzept ermöglichte es, die Fragen an
Dada auf verschiedensten Ebenen zu stellen und Brücken
zwischen Museum, Theater, Film, zwischen Kulturräu-
men und Schulraum, zwischen Begegnungen mit künst-
lerischer Tätigkeit und eigener Kreativität zu schlagen.
Den Fortbildungsbereich bestimmten die Einführun-
gen in die Wechselausstellungen und rund 10 allgemeine
Auseinandersetzungen mit Museumspädagogik für Leh-
rerkollegien und Seminarien. Neue Akzente setzen eine
Veranstaltung für die Zürcher MuseumspädagogInnen
durch die Tanz- und Kunstpädagogin Barbara Haselbach
und verschiedene Angebote für KindergärtnerInnen. Im
Sinne des Austausches zwischen den Museumspädagogi-
schen Abteilungen arbeitete zudem Frau Barbara Schlueb,
während Jahren am Kunstmuseum Bern für Vorschul- und
frühe Primarstufe verantwortlich, mit Zürcher Klassen zur
Thematik «Paul Klee». Auf bleibende Verbindungen
zählen wir für die Zukunft auch zur Pädagogik des Kunst-
hauses Zug: Seit November 1994 wird diese durch Frau
Sandra Hughes betreut. Sie trat im August 1991 in unse-
re Abteilung ein und betreute, zuerst als Praktikantin, spä-
ter als freie Mitarbeiterin, Klassen der Primarstufe. Wir
danken an dieser Stelle herzlich für ihren Einsatz und ihre
Anregungen.
1994, Joseph Beuys und Dada Global: Neugier aber
auch Skepsis und Abwehr als Triebfedern der Auseinan-
dersetzung; Verunsicherungen im persönlichen Empfin-
den und Konsequenzen im historischen und sozialen
Denken. Auf der Waagschale der Vermittlung lagen der
erwartete Einblick in die Bedeutungsstrukturen der Werke
und der angestrebte unmittelbare und aktive Zugang des
Betrachters; die oft nicht einmal gestellte Frage und die
geforderte, schnelle und möglichst einleuchtende Ant-
wort. Die PädagogInnen auf der Seite der KünstlerInnen,
in deren Gedankengut sie sich in der Vorbereitungsphase
eingearbeitet hatten; die PädagogInnen auf der Seite der
BesucherInnen mit der Absicht, ihnen grundlegende
Erfahrungen mit den Werken zu ermöglichen - Gratwan-
derung zwischen der Dienstleistung Kunstvermittlung
und der Einsicht, dass Kunstverständnis ein persönliches
Engagement voraussetzt, Arbeit ist, die man auch selber
zu leisten hat. HRW
AKTIVITÄTEN IM ZUSAMMENHANG
MIT AUSSTELLUNGEN
Führungen
{m Berichtsjahr wurden 101 öffentliche Führungen mit
6059 Teilnehmern und 305 private Führungen mit 4148
Teilnehmern durchgeführt. Damit haben 10207 Besucher
von diesen Dienstleistungen profitiert.
Rahmenprogramm zur Ausstellung Friedrich Dürrenmatt
Videoprogramm im Kleinen Vortragssaal «Porträt eines
Planeten»
Videoprogramm in der Ausstellung
Charlotte Kerr Dürrenmatt:
«Zwischen Passion und Profession. F. D. Maler.», 1993
26. März 1994
Hans Mayer im Gespräch mit Peter Ruedi
n der Ausstellung
23. Juni 1994
Helmut Lohner
liest Texte von Friedrich Dürrenmatt:
«Der Tod des Sokrates»
Acht Monologe aus «Portrait eines Planeten»
in der Ausstellung
26. Juni 1994
Hans Liechti, Sammler
Begegnungen mit Dürrenmatt, dem Zeichner und Maler
Film von Erwin Leiser
Ausschnitte aus:
«Dürrenmatt und Varlin» und «Dürrenmatt als Maler»
in der Ausstellung
30. Juni 1994
Charlotte Kerr
liest «Das Hirn» von Friedrich Dürrenmatt.
Zugunsten der Dürrenmatt-Stiftung wurde eine Mappe
«Hommage ä F.D.» mit einer Originallithographie von
Antoni Tapies verkauft.
25.-27. März 1994
Friedrich-Dürrenmatt-Tage
Gemeinsame Veranstalter: Schauspielhaus, Kunsthaus,
Theater Neumarkt, Theater an der Winkelwiese, Theater
Heddy Maria Wettstein, Hechtplatztheater, Schauspiel-
akademie, Städtisches Filmpodium (Zürich), Schweizeri-
sches Literaturarchiv, Stadttheater, Kunstmuseum, Thea-
ter 1230 (Bern), Vertreter verschiedener Universitäten
sowie Radio DRS 1, DRS 2, Radio Z und Fernsehen DRS.
Rahmenprogramm zur Ausstellung Amor und Psyche
29. Juni 1994
«Amor Reisen» (Johannes Bürkli)
Eine szenische Lesung mit Liliane Heimberg
und Susanne Baltensperger am Cembalo
Konzept: Claudia Brinker und Gabriele Lutz
in der Ausstellung
10. Juli 1994
Anne-Marie Blanc, Schauspielerin
liest die Fabel «Amor und Psyche» aus dem
«Goldenen Esel» des Apuleius
in der Ausstellung
Rahmenprogramm zur Ausstellung Endstation Sehnsucht
2.-28. August 1994
Videoprogramm im Kleinen Vortragssaal
Sadie Benning:
«Girl Power», 1992
«It Wasn’t Love», 1992
Sophie Calle & Gregory Shephard:
«Double Blind», 1992
12. Juli 1994
Janine Antoni
spricht über ihre Arbeit
Dia-Vortrag
Grosser Vortragssaal
Rahmenprogramm zur Ausstellung Dada Global
19./20./25./26./27./30. August 1994
29./30. Oktober 1994
«Dada Zürich»
Koproduktion: Neumarkt-Theater
Schauspielhaus, Kunsthaus
in der Ausstellung
1./2./3. September 1994
Compagnie Les Endimanches, Paris
«Cabaret Voltaire»
Koproduktion: Präsidialabteilung der Stadt Zürich
«Bücherspektakel», Kunsthaus Zürich
in der Ausstellung
22./27. September 1994
Lieben Sie Dada?
Workshop für Erwachsene
mit Hans Ruedi Weber
20. September 1994
Rap-Konzert
Eine Veranstaltung des Hip Hop Magazine
Fourteen Key und der KuBus-Austauschwoche.
Spezialvorführung des Films «Entr’acte» von Rene Clair
in der Ausstellung
8./9. Oktober 1994
Dada-Baargeld
Zentrodada Jesaias
Szenische Lesung
Inszenierung: Monika Fromet Kraemer
in der Ausstellung
11. Oktober 1994
musikDADA
dadas Saat in Klaviermusik unseres Jahrhunderts
mit Claudia Rüegg, Klavier
ın der Ausstellung
13. Oktober 1994
wortDADAmusik
vom Klängemalen, Lautebilden und Wortwirbeln
mit Claudia Rüegg, Klavier
in der Ausstellung
15. Oktober 1994
musikDADAtanz
Bildergeschichten, Klangbilder und die Gleichzeitigkeit
des Verschiedenen
mit Claudia Rüegg, Klavier,
und Massimo Bertinelli, Tanz
in der Ausstellung
23. Oktober 1994
Stiller Has
Musikalische Cartoons
Endo Anaconda und Balts Nıill
in der Ausstellung
25. Oktober 1994
Freiheit für Sinn und Form
Der Kammersprechchor Zürich liest Texte von Arp,
Bichsel und Schwitters
in der Ausstellung
1./2. November 1994
Recherchen im Reich der Sinne
Die Gespräche der Surrealisten über Sexualität
Koproduktion: Schauspielhaus, Kunsthaus Zürich
Leitung: Burghart Klaussner
in der Ausstellung
3. November 1994
Vortrag
Prof. Dr. Alexsandar Flaker
«Avantgarde zwischen Zürich und Moskau»
Filmvorführung
«Shriek into the Ear-Drum», 1993
von Radu Igazsag und Alexandru Solomon
in der Ausstellung
6. November 1994
Finissage «Bühne frei a la Cabaret Voltaire»
Steve Lacy (soprano sax), Irene Aebi (vocals)
spielen und singen Eigenkompositionen nach Texten
von Picabia, Schwitters, Soupault, Eluard etc.
Auftritt von Kraska Rex
Anton Bruhin
spielt auf der Maultrommel traditionelle Stücke und
neue Improvisationen
Filmvorführung
«Entr’acte» von Rene Clair, 1924
Dada-Nudelsuppe ä la mode de Rene Simmen
Cafe «Dadaon» vor dem Kunsthaus
von Werner Müller, Architekt
Rahmenprogramm zur Ausstellung Amerikanische
Zeichnungen und Graphik von Sol LeWitt bis Bruce Nauman
6. Dezember 1994 bis 5. Februar 1995
Viedeoprogramm im Kleinen Vortragssaal
Vito Acconci
«Contacts», 1971
«Recording studio» from «Airtime», 1973
«Face of the Earth» 1974
«The red tapes», 1976
John Cage
«WGBH (Catch 44)», 1971
Bruce Nauman
«Wall/floor positions», 1968
«Flesh to white to black to flash», 1968
«Pacing upside down», 1969
«Manipulating a fluorescent tube», 1969
«Walk with contraposto», 1969
Rahmenprogramm zur Ausstellung Degas — Die Portraits
Video-Einführung zur Ausstellung, 12 Min.,
von Tobia Bezzola und Peter Münger
Audioführungen in der Ausstellung
in deutscher, französischer und englischer Sprache
Dauer: ca. 45 Minuten
ALLGEMEINE VERANSTALTUNGEN
Kunst über Mittag
1994 organisierte die Klubschule Migros in Absprache
mit dem Kunsthaus Zürich wiederum zwei Zyklen von
Bildbetrachtungen, Analysen und Diskussionen mit
bekannten Kunstsachverständigen. Vom 8. März bis 24.
Mai und vom 13. September bis zum 29. Novemer 1994
wurden Werke von verschiedenen Künstlern oder aus ver-
schiedenen Zeiten miteinander verglichen.
Veranstaltungen der Volkshochschule im Kunsthaus Zürich
18. Mai bis 15. Juni 1994
Fünf Vorträge zum Thema «Der Künstler - ein Schmerz-
killer?»
von Dr. Dagmar Hnik
10. Mai bis 15. Juni 1994
Sechs Vorträge zum Thema «Reisen ä la (c)arte»
von Marika Kekkö
25. Oktober bis 29. November 1994
Sechs Vorträge zum Thema: Moderne Kunst und Philo-
sophie von Marika Kekkö
1. November bis 7. Dezember 1994
Sechs Vorträge zum Thema: Schweizer Künstler und «Die
Welt» von Dr. Dagmar Hnik
10. Januar bis 31, Januar 1995
Vier Vorträge zum Thema: Degas — Die Portraits
von Sibyl Kraft
10. Januar bis 14. Februar 1995
Sechs Vorträge zum Thema: Hommage ä Marc Chagall
(1887-1925) «Mein ganzes Leben ist identisch mit mei-
nem Werk» von Marika Kekkö
11. Januar bis 15. Februar 1995
Sechs Vorträge zum Thema: Holländische Malerei - Ein
Spiegelbild des Lebens? von Dr. Dagmar Hnik
Werkseminar der Höheren Schule für Gestaltung
im Kunsthaus Zürich
21. Februar bis 15. Juli 1994
Die Avantgardebewegungen im 20. Jahrhundert.
Alberto Giacometti: Das Spätwerk
29. August 1994 bis 3. Februar 1995
Manifeste des Dadaismus, Futurismus und Surrealismus.
Konfrontationen: Von Angelika Kauffmann bis Cy
Twombly
Lehrveranstaltungen des Kunstgeschichtlichen Seminars im
Kunsthaus Zürich
ab 10. Mai jede Woche
«Werke von Künstlerinnen im Kunsthaus Zürich» (mit
Übungen) mit Dr. H. Gagel und R. Kuhn
KUNSTHAUS-FORUM
Vortragszyklus 1994: Thema: Körper
9. Februar 1994
Ursula Pia Jauch
«Geteert, gefedert, zevierteilt. . .»
13. April 1994
Peter Greenaway
im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
18. Mai 1994
Michel Onfray
Pour une €thique esthetique
8. Juni 1994
Marina Warner
Soul Stealer, Shadow catcher: The Body in the
Photograph
Vortragszyklus 1994: Thema: Kunst & Moral & Leben
16. November 1994
Diedrich Diedrichsen
Selbstausbeutung
22. November 1994
Edmund White
The Close Relationship Between Art and Life
7. Dezember 1994
Sophie Calle
Histoires Vraies
1. Februar 1995
Georg Kohler
Was soll die Kunst:
7. Februar 1995
Arthur C. Danto
Lecture
16. März 1994
Jean-Christophe Ammann
Sexualität & Kunst
VERÖFFENTLICHUNGEN 1994
Jahresbericht 1993 der Zürcher Kunstgesellschaft. - Zürich:
Kunsthaus, 1994. — 89 Seiten, 23 Illustrationen, davon 9
farbig.
Jahresbericht 1993 der Vereinigung Zürcher Kunstfreun-
de/Bericht des Präsidenten: Thomas E. Krayenbühl. -
Zürich: Kunsthaus, 1994. — 36 Seiten, 5 Illustrationen.
davon 4 farbig.
Mitteilungsblatt der Zürcher Kunstgesellschaft. - Nr. 1-4
(1994). - Zürich: Kunsthaus, 1994.
Sammlungsheft Nr. 18 der Zürcher Kunstgesellschaft: Dada
Global (siehe Ausstellungskataloge).
Sammlungsheft Nr. 19 der Zürcher Kunstgesellschaft: Ame-
kanische Zeichnungen und Graphik von Sol LeWitt bis
Bruce Nauman aus den Beständen des Kunsthauses
Zürich (siehe Ausstellungkataloge).
Ausstellungskataloge
Richard Gerstl: Ausstellung, Kunstforum der Bank Austria,
Wien, 21. September bis 28. November 1993, Kunsthaus
Zürich, 11. Februar bis 8. Mai 1994: Katalog/Klaus
Albrecht Schröder; Vorwort und Dank: Felix Baumann,
Klaus Albrecht Schröder. -— Wien: Kunstforum der Bank
Austria, 1993, - 190 Seiten: Illustrationen, zum Teil
farbig.
Friedrich Dürrenmatt, Schriftsteller und Maler: Ausstellung
«Querfahrt: Das literarische Werk», Schweizerisches Lite-
raturarchiv Bern, 16. März bis 30. Juli 1994, «Portrait eines
Universums: Das zeichnerische und malerische Werk»,
Kunsthaus Zürich, 18. März bis 23. Mai 1994: Kata-
log/Geleitwort: Felix Baumann, Thomas Feitknecht:
Texte: Heinz Ludwig Arnold, Friedrich Dürrenmatt, Marc
Eichelberg, Peter Edwin Erismann, Manuel Gasser, Wal-
ter Jens, Daniel Keel, Hugo Loetscher, Guido Magnagua-
gno, Peter Rüedi, Peter Rusterholz, Beat Sterchi, Heini
Stucki, Josef Svoboda, Ulrich Weber, Veit Wyler. - Bern:
Schweizerisches Literaturarchiv; Zürich: Kunsthaus, 1994.
- 320 Seiten: Illustrationen, zum Teil farbig.
Ein Blick auf Amor und Psyche um 1800:
Ausstellung, Musee de Carouge, Geneve, 17. März bis 1.
Mai 1994, Kunsthaus Zürich, 20. Mai bis 17. Juli 1994:
Katalog/Paul Lang; zum Geleit: Felix Baumann, Christi-
an Klemm; Einleitung: Jean Rousset; Texte: Paul Lang,
Francois Noel; Repertorium: Hanna Böck; Übersetzung
aus dem Französischen: Marc-Joachim Wasmer. - Zürich:
Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, 1994. —
178 Seiten: Illustrationen, zum Teil farbig.
Endstation Sehnsucht mit Gedichten von Thomas Kling:
Ausstellung, Kunsthaus Zürich, 2. Juli bis 28. August
1994: Katalog/Bice Curiger; Einleitung: Bice Curiger;
Texte: Bice Curiger, Thomas Kling, Michelle Nicol. —
Zürich: Kunsthaus, 1994. — 77 Seiten: Illustrationen, zum
Teil farbig.
Dada Global: Ausstellung, Kunsthaus Zürich, 12. August
bis 6. November 1994: Katalog/Hans Bolliger, Judith
Hossli, Guido Magnaguagno, Raimund Meyer; Vorwort:
Pelix Baumann, Guido Magnaguagno, Heiner Spiess;
Texte: Dietmar Elger, Aleksander Flaker, Judith Hossli,
Giovanni Lista, Raimund Meyer, Juri Steiner; Bibliogra-
phie: Rudolf Künzli, Timothy Shipe. - Zürich: Limmat
Verlag, 1994. - 471 Seiten: Illustrationen, zum Teil farbig.
- (Sammlungsheft; 18).
Barbara Hee: Von dem Nichts die Fülle: Zeichnungen und
Plastiken: Ausstellung, Kunsthaus Zürich, 19. August bis
6. November 1994: Katalog/Text: Ursula Perucchi-Petri,
Claudia Jolles - Darmstadt: Verlag Jürgen Häusser, 1994.
- 78 Seiten: 46 Illustrationen, zum Teil farbig.
Ferdinand Gehr: Spätwerk: Ausstellung, Kunsthaus Zürich,
10. September bis 13. November 1994: Katalog/Einlei-
tung: Guido Magnaguagno. - Zürich: Kunsthaus, 1994. —
32 Seiten: Illustrationen, zum Teil farbig.
Amerikanische Zeichnungen und Graphik von Sol LeWitt bis
Bruce Nauman aus den Beständen der Graphischen
Sammlung des Kunsthauses Zürich: Ausstellung, Kunst-
haus Zürich, 2. Dezember 1994 bis 5. Februar 1995: Ka-
talog/Hrsg.: Ursula Perucchi-Petri; Einleitung: Ursula
Perucchi-Petri; Texte: Gerhard Mack, Franz Meyer, Ursu-
la Perucchi-Petri, Christel Sauer, Ludmila Vachtova. -
Zürich: Kunsthaus, 1994. —- 171 Seiten: Illustrationen,
zum Teil farbig. — (Sammlungsheft; 19)
Degas: Die Portraits: Ausstellung, Kunsthaus Zürich, 2.
Dezember 1994 bis 5. März 1995, Kunsthalle Tübingen,
15. März bis 18. Juni 1995: Katalog/Hrsg.: Felix Bau-
mann, Marianne Karabelnik; Einleitung: Felix Baumann,
Marianne Karabelnik; Texte: Felix Baumann, Tobia Bez-
zola, Jean Sutherland Boggs, Elisabeth Bronfen, Marian-
ne Karabelnik, Luzius Keller, Emil Maurer, Barbara Stern
Shapiro, Antoine Terrasse, Pierre Vaisses. — London: Mer-
rell Holberton Publishers, 1994. — 372 Seiten: Illustratio-
nen, zum Teil farbig.
ebenso:
Englische Ausgabe.
{Hi
KUNSTHAUSBESUCH
Gegenüber dem Vorjahr sind die Besucherzahlen leicht
angestiegen, was erfreulich ist, insbesondere auch unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Ausstellung, die
im Jahresprogramm fest eingeplant war (Bill zeigt Bill)
nicht durchgeführt werden konnte. Da es möglich war, die
beiden Ausstellungen Friedrich Dürrenmatt und Dada
Global zu verlängern, konnte der Ausfall der Max Bill-
Ausstellung kompensiert werden. Trotz sehr langer Dauer
haben beide Ausstellungen mit 712 beziehungsweise 1013
Besuchern einen beachtlichen Tagesdurchschnitt erzielt.
Die bereits im Vorjahr eröffnete Ausstellung Joseph Beuys
wies zu Jahresbeginn eine stetig zunehmende Besucher-
frequenz auf. Dass eine Ausstellung, die einen nach wie
vor nicht ganz unumstrittenen Meister zeigt, mit einem
Tagesdurchschnitt von 1383 Besuchern abschloss, muss
als ein überraschender Durchbruch der Rezeption
von Gegenwartskunst bezeichnet werden. Die anfangs
Dezember eröffnete Ausstellung «Edgar Degas - Die Por-
traits» hatte in der Vorweihnachtszeit eine gewisse Mühe
sich durchzusetzen; allerdings blieb die Besucherzahl
ınnerhalb des Budgets. Nach den Feiertagen hat die Aus-
stellung dann spürbar zugelegt, worüber im nächsten Jah-
vesbericht geschrieben werden wird.
Kunsthausbesuch
Besucher insgesamt
Tagesdurchschnitt
Zahlende
davon Sammlung
davon Ausstellungen
Nichtzahlende
1994
298101
968
201 494
41856
159638
26 607
1993
277668
907
173 103
50685
122418
104 565
1992
392458
1274
284727
41498
243229
107731
1991
295793
939
185 686
40 900
144 786
110107
1990
318469
902
199 974
45 952
154 022
118495
An Sonntagen insgesamt 62452 59486 83 168 72960 69247
An Sonntagen Zahlende 37092 30289 55052 39.968 39512
An Sonntagen Nichtzahlende 25360 29197 28116 32992 29735
Auswärtige Schulklassen und Studenten-
gruppen mit ermässigtem Eintritt:
Stadtzürcherische Schulen“:
Kantonale Schulen”:
Studenten der beiden Zürcher Hoch-
schulen* (Kunstgeschichtliche Seminare):
Private Schulen:
Öffentliche Führungen:
Führungen für Gesellschaften und Gruppen:
* mit freiem Eintritt
Besucherzahlen nach Ausstellungen
Joseph Beuys 2.1.-20.2.
Richard Gerstl 11.2.-8.5.
Friedrich Dürrenmatt 18.3.-3.7.
Dada Global 12.8.-6.11.
Edgar Degas (Anfang) 2.12.-31.12.
Gruppen/Personen
Andere Besucher-
gruppen/Personen
Klassen/Schüler
Klassen/Schüler
Besuche/Teilnehmer
Klassen/Schüler
Anzahl/Teilnehmer
Anzahl/Teilnehmer
1994
1993
1992
308/ 6589
300/ 6267
169/ 3076
167/ 2089
225/ 3834
948/12 942
142/ 1730
251/ 4442
1057/13 455
169/ 2006
285/ 4964
988/12 163
20/ 347
98/ 1282
101/ 6059
305/ 4148
16/ 305 7/ 103
144/ 1898 148/ 1940
78/ 5451 94/ 7040
269/ 4531 469/10 257
Tages-
Besucher durchschnitt
59487 1383
35117 481
64835 712
74.956 1013
30354 1167
lage
3
73
91
74
26
Die obenerwähnten Zahlen beinhalten alle Museumsbesucher während der entsprechenden Ausstellung,
Besucher
Kunsthausbesuch 1985-1994
500 000
485919
450 000
400 000
355311
378437
360134
392458
350 000
318469
300 000
305 751
295 793
298101
277 668
250000
200000
150000
100000
50000
1985 1986 1987 1988 1980 1990 1991 19997 19923 10977
ZÜRCHER KUNSTGESELLSCHAFT
Anfang Mai verlor die Zürcher Kunstgesellschaft zwei Per-
sönlichkeiten, die während Jahrzehnten die Entwicklung
unserer Gesellschaft aufs nachhaltigste geprägt haben.
Am 2. Mai verstarb Dr. Willy Rotzler, der unsere Aus-
stellungskommission, der er als Mitglied seit 1969
angehört hatte, von 1978 bis 1985 präsidierte und gleich-
zeitig auch Vorstandsmitglied war. Für die Direktion des
Kunsthauses war er stets ein überaus anregender
Gesprächspartner von höchster fachlicher Kompetenz. Er
hat sein weitverzweigtes Beziehungsnetz nicht nur zu
Gunsten des Kunsthauses eingesetzt, sondern hat die Kul-
turpolitik Zürichs, aber auch der Schweiz in zahlreichen
Gremien mitgeprägt.
Wenige Tage später verschied kurz nach seinem 89.
Geburtstag Dr. Walter Bechtler. Die Erwähnung seiner
Tätigkeit in unseren Gremien - er war von 1957 bis 1972
Mitglied der Ausstellungskommission, Gründungsmit-
glied der Alberto Giacometti-Stiftung und gehörte
während langen Jahren dem Vorstand der Vereinigung
Zürcher Kunstfreunde an - zeigt nur zu einem kleineren
Teil die freundschaftliche Beziehung des Verstorbenen zu
unserem Hause. Was Walter Bechtler mit dem Kunsthaus
verband, war nicht eine offizielle Ämterkarriere; seine
Verdienste um das Kunstleben in Zürich hat er nicht in
dieser Hinsicht instrumentalisiert. Sein sehr persönlich
geprägtes Interesse für moderne Kunst, sein diesbezügli-
ches Wissen und sein Instinkt verbanden sich mit einem
kontaktfreudigen Charakter, wovon nicht nur Junge
Künstler, sondern auch Sammlerfreunde und vor allem
die Kreise rund um das Kunsthaus in hohem Masse pro-
fitieren konnten. Ohne das Wirken von Walter Bechtler
wäre der öffentliche Kunstbesitz unserer Stadt spürbar
bescheidener. Durch die Errichtung der Walter Bechtler-
Stiftung für Moderne Plastik konnte eine bedeutende
Reihe von hervorragenden Kunstwerken auf öffentlichem
Grund plaziert werden.
Am 25. September verstarb Dr. Karl Binding, der mit
der von ihm und seiner Gattin gegründeten Sophie und
Karl Binding-Stiftung das Kunsthaus wiederholt unter-
stützt hatte.
Der Tod von Max Bill kurz vor Weihnachten bedeute-
:e auch für das Kunsthaus einen grossen Verlust. Beson-
ders schmerzlich ist‘'die Tatsache, dass die im letzten Jahr
mit ihm vorbesprochene Ausstellung «Bill zeigt Bill» nun
nicht mehr in dieser Form realisiert werden kann. Max
Bill gehörte unserer Sammlungskommission von 1966 bis
1972 an, nahm aber stets regen Anteil an der Entwicklung
des Kunsthauses, das ihn 1968 mit einer grossen Ausstel-
lung ehrte. Eine letzte kleinere Ausstellung konnte aus
Anlass seines 80. Geburtstages 1988 gezeigt werden. Max
Bill hat zudem die Ausstellungen von Kupka (1976) und
Vantongerloo (1981) im Kunsthaus eingerichtet.
Generalversammlung
Die 99. ordentliche Generalversammlung fand am Diens-
tag, 31. Mai statt. Der Jahresbericht und die Rechnung
wurden einstimmig gutgeheissen. Der anschliessende
Aperitif fand in der von Mario Botta eingerichteten Aus-
stellung der Werke von Friedrich Dürrenmatt statt.
Vorstand und Kommissionen
Zu Beginn der neuen Legislaturperiode hat die Stadt
Zürich ihre Vertretungen in unseren Gremien bekannt-
gegeben. Neu wurde anstelle des bereits 1993 zurückge-
tretenen Dr. Lorenz Heer Frau Dr. Jacqueline Burckhardt
in den Vorstand delegiert.
Herr Hans Danuser ist gegen Jahresende aus der Aus-
stellungskommission ausgetreten. Der Vorstand hat an
seiner Dezember-Sitzung Herrn Daniel Schwartz als sei-
nen Nachfolger bestimmt.
Der Vorstand trat im Berichtsjahr zu drei Sitzungen
zusammen, die Ausstellungskommission tagte ebenfalls
dreimal, die Sammlungskommission traf sich zu fünf
Sitzungen.
Mitgliederbestand
Der Mitgliederbestand hält sich in vergleichbarem Rah-
men wie im Vorjahr. Besonderer Anstrengungen bedarf es
jedes Jahr, die Zahl der Juniorenmitglieder zu halten. 1994
wurde mit einer gezielten Aktion Juniorenwerbung betrie-
ben. Dem Zuwachs an Juniorenmitgliedern steht leider
eine grössere Anzahl Rücktritte infolge Erreichens der
Altersgrenze (25 Jahre) gegenüber.
Mitgliederbestand 1994 1993 1992
Einzel-/Ehepaarmitglieder 12249 12482 11601
Kollektivmitglieder 10 9 9
Junioren 1346 1760 1713
(bis 25. Altersjahr)
Personal
Die wichtigste Mutation im Personal betraf die Pensio-
nierung des langjährigen Verwaltungsdirektors Hans
Marti. Er trat 1978 in den Dienst des Kunsthauses und
vetreute während seiner 16jährigen Tätigkeit mit Geschick
und Sorgfalt die finanziellen Belange unseres
Hauses. Gleichzeitig war Hans Marti zuständig für die
gesamte Personaladministration. Sein Aufgabenbereich
wurde aufgeteilt und zwei langjährigen Mitarbeiterinnen
übergeben: Frau Ilona Koller, seit 1988 als Buchhalterin
angestellt, übernahm die Finanzverwaltung, Frau Gerda
Kram, die weiterhin im Ausstellungssekretariat tätig ist.
wurde die administrative Personalbetreuung übergeben.
EHRENMITGLIEDER
Dr. Carlo von Castelberg, Ehrenpräsident
Hans C. Bechtler
Dr. h. c. Hans Bolliger
Dr. Hanspeter Bruderer
Erna und Curt Burgauer
Bruno Giacometti
Prof. Alfred Roth
Dr. Rene Wehrli
Gustav Zumsteg
VORSTAND
Dr. Thomas Bechtler, Präsident
Trix Haussmann, Architektin, Vizepräsidentin
Prof. Dr. Kurt Schiltknecht, Quästor
Andreas Christen, Plastiker
Hans-Peter Karlen
Dr. Roland C. Rasi
Rolf Weinberg
Vertreter des Stadtrates
Dr. Paul Baumann
Dr. Jacqueline Burckhardt (ab August)
Peter Fischli, Künstler
Marguerite Hersberger, Malerin und Plastikerin
Dr. Jean-Pierre Hoby
Prof. Dr. Vreni Hubmann
Vertreter des Regierungsrates
Thomas Isler (Auf Antrag des Verbandes der
Gemeindepräsidenten des Kantons Zürich)
Dr. Sylvia Staub
Vertreter der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde
Dr. Thomas Krayenbühl
KOMMISSIONEN
Sammlungskommitssion
Rolf Weinberg, Präsident
Dr. Bernhard Bürgi
Peter Emch, Maler
Rita Ernst, Künstlerin
Marianne Karabelnik-Matta
Werner Merzbacher
Marianne Olsen, Bildhauerin
Robert Rufli
Dr. Hans Wyss
Ausstellungskommission
Dr. Roland C. Rasi, Präsident
Franziska Bodmer Mancia, Photographin
Klaus Born, Maler
Jürg Burkhart, Maler
Hans Danuser, Photograph (bis Dezember)
Barbara Hee, Zeichnerin und Bildhauerin
Dr. Marie-Louise Lienhard
Elisabeth Lubicz, Architektin
Daniel Schwartz, Photograph (ab Dezember)
David Weiss, Maler
Dr. Franziska Widmer Müller
Revisoren
Markus Haussmann
Ulrich Klenk
Dr. Peter F. Weibel
Personalvertreter
Hanspeter Marty, Restaurator (bis August)
Bernhard von Waldkirch, wissenschaftlicher
Mitarbeiter (ab August)
DIREKTION UND PERSONAL
Direktion
Direktor: Dr. Felix Baumann
Verwaltungsdirektor: Hans Marti (bis Juni)
Vizedirektoren: Dr. Ursula Perucchi,
Guido Magnaguagno
Freier Mitarbeiter: Dr. Harald Szeemann
Freie Mitarbeiterin: Bice Curiger
Direktionssekretariat: Ursula Hirzel
Ausstellungen
Sekretariat:
Gerda Kram
Daniela Tobler
Christine Ullmann
Sammlung
Konservator:
Dr. Christian Klemm
Registrar und Sekretariat Sammlung:
Romy Storrer
Dokumentation: Cecile Brunner
Graphische Sammlung
Wissenschaftl. Mitarbeiter: Bernhard von Waldkirch*
Sekretariat: Ute Richi*
Techn. Mitarbeiter: Armin Simon
Bibliothek
Haupt-Bibliothekarin: Susanne Häni
Bibliothekarinnen im Lesesaal: Ursula Häusler*
Gisela Umbach*
Buchbinder: Otto Müller
Restaurierung
Paul Pfister“
Hanspeter Marty*
Jean Rosston*
Werbung und PR
Regina Meili
Marianne Fili*
Museumspädagogik
Dr. Hans Ruedi Weber*
Sibyl Kraft*
Verwaltung und Betrieb
Leiterin des Finanzwesens: Ilona Koller (ab Juli)
Personaladministration: Gerda Kram (ab Juli)
Telefon und Empfang: Leontina Maissen*
Christine Wolff*
Buchhaltung: Ilona Koller
Mitgliederwesen: Edeltraut Motyka* (bis Juli)
Elisabeth Utiger* (ab Juni)
Museumsshop und Kasse:
Paula Grillitsch*, Erika Hammerer* (ab Dez.),
Irene Laissue*, Edeltraut Motyka* (bis Juli),
Bettina Stich*, Bettina Weber*, Tina Wüstemann*,
Trudi Thalmann*, Annemarie Olgiati*,
Tse-Ling Uh* (ab Aug.)
Technik und Betrieb: Hans Leiser, Robert Brändli,
Jakob Diggelmann, Erich Faes, Heinz Hurter,
Günter Kilbert, Marcel Manderscheid, Fredy Pfenninger,
Kurt Stähli (ab März)
Aufsicht, Garderobe und Reinigung:
Maria Barata* (ab Aug.), Margrit Büchi, Maria Gasser*,
Astrid Ramsauer*, Annelies Roth* (bis Febr.),
Katharina Jordi*, Margaretha Zurfluh*
Aufsicht: Jacqueline Amstutz* (ab Dez.),
Stefanie Baumann”, Fred Better*, Yuri Birukoff*.
Thomas Böhler*, Katharina Briner* (bis Juni),
Giuseppe Caputo*, Prisca Donze*, Irmgard Dünki*,
Harald Foehr*, Paul Hofer*, Gregor Imhof*,
Karl Kaufmann*, Friedrich Meier*, Matthias Odermatt*
Rudolf Robmann*, Reinhard Saller*, Werner Schärer*,
Paul Schönenberger*, Marcel Triner*, Samuel Vitali*,
Margrit Wagner*, Clara Zingg*
* Teilzeitbeschäftigte
RECHNUNG
Die Rechnung 1994 schliesst mit einem kleinen Gewinn
von Fr. 19 040.33 ab. Dies entspricht ziemlich genau dem
5udgetierten Gewinn.
Sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben übertra-
fen die budgetierten Werte deutlich. Zu Zufriedenheit gibt
insbesondere die Feststellung Anlass, dass die Einnahmen
aus den Eintritten um 58 Prozent und diejenigen aus dem
Verkauf von Katalogen um knapp 100 Prozent über den
budgetierten Beträgen lagen. Zu diesem guten Ergebnis
trug insbesondere der die Erwartungen weit übertreffende
Besuch der Beuys-Ausstellung bei. Das grosse Interesse,
auf das diese Ausstellung bei den Besuchern stiess, schlug
sich auch im Verkauf einer sehr hohen Zahl von Katalo-
gen nieder. Etwas hinter den Erwartungen blieb dagegen
das finanzielle Ergebnis der Dürrenmatt-Ausstellung.
Auf der Aufwandseite fielen die unerwartet hohen Vor-
vereitungskosten ins Gewicht. Sie verhinderten einen
noch besseren Abschluss. Insgesamt kann jedoch von
einer erfreulichen Finanzentwicklung im Jahr 1994
gesprochen werden. Die Anstrengungen zur Kostenkon-
trolle wie auch die Qualität der Ausstellungen haben sich
ausgezahlt.
Nach den enttäuschenden Besucherzahlen im Vorjahr
konnte die Zahl der Eintritte im Jahr 1994 wieder gestei-
gert werden. Sie blieb jedoch noch deutlich hinter den
Rekordbesuchen des Jahres 1992 zurück.
Zum guten Ergebnis haben aber auch die Mitarbeiter
des Kunsthauses beigetragen. Für ihren grossen Einsatz
und die im einzelnen geleistete Arbeit verdienen sie Dank
und Anerkennung. Dank verdienen aber auch all jene, die
dem Kunsthaus laufend ihre finanzielle und ideelle
Unterstützung zukommen lassen.
Der Quästor
I. BETRIEBSRECHNUNG PER 31. DEZEMBER 1994
Ausgaben
Ausstellungen (Transporte, Versicherung, Einrichtung)
Beleuchtung, Heizung, Reinigung, Unterhalt
Besoldungen und Sozialleistungen
Bibliothek/Videothek
Allgemeine Verwaltungskosten
Veranstaltungen, Führungen
Werbung
Inventaranschaffungen
Unterhalt der Sammlung
Einlagen in Sammlungsfonds
Einlage in Sammlungsfonds I (Fonds für gemeinnützige Zwecke)
Einlage 15% Mitgliederbeiträge in Sammlungsfonds I
Vereinsauslagen
Verkaufsartikel Museums-Shop inklusive Photos
Kataloge
Plakate
Bewachung
Versicherungen
Überschuss 1994 (Einlage in Ausgleichsfonds)
19G
Fr.
2152661.16
565195.40.
1580218.93
79952.18-
500 770.56
150 867.35
164 459.46
52346.45
102 483.80.
500 000.——
400 000.——
139 164.——
207719.10
466 851.50
1049 409.43
98 907.30
43 239.90
347 728.10
11901974.62
19 040.33
11921014.95
1993
Fr.
2111042.61
470 320.10
4435 026.45
77246.19
410 023.90
30974.60
445 999.20
81225.15
136 715.57
500 000.——
143 595.——
188 125.35
348 087.90
L337229.—
81 651.75
24331.10
348 217.——
11169 810.87
11169 810.87
Einnahmen
Mitgliederbeiträge
Ordentlicher Betriebsbeitrag Stadt Zürich
Ordentlicher Betriebsbeitrag Stadt Zürich TZ
Kanton Zürich (Fonds für gemeinnützige Zwecke)
Eintrittsgelder
Garderobengebühren
Kataloge
Saalmieten
Verkaufsprovisionen und Diverses
Plakate
Verkaufserlös Museums-Shop inklusive Photos
Verschiedene Einnahmen
Zinsen
Museumspädagogik
Sponsoring
1994
Fr.
927 757.—
5789 400.—*
78 400.——*
700 000.——
| 442 744.20
108 596.40
| 022 200.15
69514.——
46 984.20
101 666.20
6532 725.62
291 732.98
72 004.20
85 290.——
552 000.——
11921 014.95
1921014.95
1993
Fr.
957 298.——
5499 400.——
526 000.——
1357 825.50
97 192.--
936 179.60
53 120.15
64 445.80
114 987.——
595 538.95
157210.22
112 544.70
69 750.——
425 000.——
10966 491.92
203 318.95
11169810.87
° Fr. 5867 800.-, davon Fr. 1976 380.—- Kantonsbeitrag
(direkt an Stadt Zürich bezahlt)
]Il. BILANZ PER 31. DEZEMBER 1994
Aktiven
Kassa
Postcheck
Banken
Debitoren
Verrechnungssteuer
Transitorische Aktiven
1994
Fr.
67 585.25
83 381.42
2287751.30
586 445.45
25 200.75
702 000.——
3752364.17
1993
Fr.
75 849.30
59815.67
4 205 540.85
235 157.35
39390.60
47 460.—-
4663 213.77
Passiven
Kreditoren
Rückstellungen
Transitorische Passiven
Sammlungsfonds I
Sammlungsfonds II
Graphische Sammlung
Graphische Sammlung 18. und 19. Jahrhundert
Sammlungsfonds Photographie
Preis für Junge Schweizer Kunst
Ausgleichsreserve
1994
Fr.
1308 749.70
486 105.——
904 020.——
412 262.42
20678.90
162.—
3225.—
259.20
102 282.—
514619.95
3752364.17
1993
Fr.
922 772.63
883 834.55
651 424.——
1549018.57
55 978.90
— 460.70
2525.-—-
259.20
102 282.—-
495 579.62
4 663 213.77
Sammlungsfonds I
Bestand per 1. Januar 1994
Beitrag aus der Betriebsrechnung
Mitgliederbeiträge 1994
Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung
Kanton Zürich (Fonds für gemeinnützige Zwecke)
Fr.
1549 018.57
350 000.——
139 164.——
25 000.——
400 000.——
2463 182.57
Ankäufe:
Stiftung «The 2000 Sculpture» (Walter De Maria)
Cy Twombly «Goethe in Italy», 1. Rate
Max Ernst Ausstellungseinladung, 1921
Bestand per 31. Dezember 1994
250 000.——
L 800 000.——
920.15
2050 920.15
412.267 47
Sammlungsfonds II
Bestand per 1. Januar 1994
Beitrag aus der Betriebsrechnung
Dr. Carlo Fleischmann-Stiftung
Alpina Versicherung, Max Matter «Mittelland»
Fr.
55 978.90
100 000.—-
5 000.—-
9 000.—-
169 978.90
Ankäufe:
Helmut Federle
Marc-Antoine Fehr
Black Series IX, 1993
Le meunter, 1993
Esquisse pour le moulin, 1993
Esquisse pour le moulin, 1993
8 Photoarbeiten
Germinations, 1937
Kaspar Thomas Linder
Serge Brignoni
Bestand per 31. Dezember 1994
54 000.——
25 000.——
2 500.——
2 800.——
5 000.——
650 000.——
149 300.——-
20678.90
Graphische Sammlung
Bestand per 1. Januar 1994
Beitrag aus der Betriebsrechnung
Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung
Alpina Versicherung, M. Duchamp Ray
Ankäufe:
Bruce Nauman
Vito Acconci
Sol LeWitt
Hanging Head, 1989
2 Wings for Wall and Person, 1981
Color and Black, 1991
Irregular Wavy Horizontal Color Band, 1992
Zeichnung, Ohne Titel, 1986
Zeichnung, Ohne Titel, 1993
Zeichnung, Ohne Titel, 1991
Ohne Titel, 1990
Doppelzeichnung, 1993
Kölner Bettler I, 1972
Kölner Bettler II, 1972
Am Meer, 1993
Alles in der Schwebe, 1993
Schweizer Alpen I. 1969
Albrecht Schnider
Christoph Rütimann
lona Ruegg
Sigmar Polke
Felix Droese
Gerhard Richter
Gerhard Richter/
Sigmar Polke
Wilhelm Lehmbruck
Dan Flavin
Richard Long
Umwandlung, 1968
Liegender Mann, stehende Frau, 1914
Untitled (TOK, Malevich), 1988
River Avon Circle, 1990
Bestand per 31. Dezember 1994
20 500.——
8 000.——
2617.85
13 500.——
800.—-
700.——
700.——
3 800.——
l 200.——
788.60
788.60
294.10
294.—
1115.80
1328.35
2 500.——
5 950.——
1 500.——
Fr.
- 460.70
50 000.——
5 000.——
15 000.——
69 539.30
69377.30
162.——
REVISORENBERICHT
ZUR JAHRESRECHNUNG 1994
An die Generalversammlung
Zürcher Kunstgesellschaft Zürich
Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Damen und Herren
Als Revisionsstelle Ihres Vereins haben wir die auf den
31. Dezember 1994 abgeschlossene Jahresrechnung im
Sinne der gesetzlichen Vorschriften geprüft.
Wir haben festgestellt, dass
- die Bilanz und die Erfolgsrechnung mit der Buchhal-
tung übereinstimmen,
die Buchhaltung ordnungsgemäss geführt ist,
bei der Darstellung der Vermögenslage und des
Geschäftsergebnisses die gesetzlichen Bewertungs-
grundsätze sowie die Vorschriften der Statuten einge
halten sind.
Aufgrund der Ergebnisse unserer Prüfungen empfehlen
wir, die vorliegende, mit einem Gewinn von Fr. 19 040.33
abschliessende Jahresrechnung zu genehmigen.
Die Revisionsstelle
M. Haussmann
U. Klenk
P. F. Weibel
ABBILDUNGEN
1
Bernardo Bellotto
Die Ruinen der Kreuzkirche in Dresden. 1765
2
Johann Heinrich Füssli
Amor und Psyche, um 1810
3
Giovanni Segantini
Die weisse Gans, 1886
4
Marc-Antoine Fehr
Le meunier. 1993/94
5
Carl Burckhardt
Kniende. 1917
5
Serge Brignoni
Germinations. 19237
u)
Frank Kupka
Gäteaux, 1933
8
Josef Albers
Study for a Variant, 1947
9
Josef Albers
Homage to the Square “Profundo”, 1965
10
Camille Graeser
Gelenkte Elemente. 1953
m, . |
m „ = ken
_0OQ
11
Helmut Federle
Rlack Series IX 1997
12
Sol LeWitt
irregular wavyv horizontal color bands 16°
13
Walter De Maria
”1 ° 2000 Sculpture. 1997
14
Cy Twombly
Untitled (Roma), 1959
15
Cy Twombly
Goethe in Italy (Scene TI), 1978
16
Cy Twombly
Goethe in Italy (Scene II). 1978
17
Cy Twombly
Ry the Ionian Sea 1987
16
Cy Twombly
Ooethe in Italv (Scene I 1977
L/
Cy Twombly
By the Ionian Sea, 1987
18
y Twombly
Jntitled (Roma). 1979
18
Cy Twombly
Untitled (Roma). 1979
19
Cy Twombily
Rotalla (Roma). 1986
20
Cy Twombly
Untitled (Rama) 1982
21
Cy Twombly
Untitled (Roma), 1983
22
Cy Twombly
Winter’s Passage LUXOR (Porto Ercole), 198*
23
Cy Twombly
{Intitled (Roma). 1978
24
Cy Twombly
Untitled (Roma). 198°
HINWEISE AUF
EINIGE NEUERWERBUNGEN
BERNARDO BELLOTTOS DIE RUINEN DER
KREUZKIRCHE IN DRESDEN - EINE «ALLEGORIE
REELLE» AUS DEM 18. JAHRHUNDERT
Zwei Zerstörungen Dresdens markierten handgreiflich
Anfang und Ende preussischer Gewaltspolitik. Die
flächendeckende Vernichtung ziviler Siedlungen als nor-
males Mittel der Kriegführung, wie es Hitler lautstark ein-
führte und an Coventry vorexerzierte, brannte sich dem
Bewusstsein der Zeitgenossen nirgends schmerzlicher ein
als in der Dresdener Brandnacht vom 13.Februar 1945, als
unter dem Bombenhagel die sächsische Hauptstadt mit
35 000 Einwohnern und all ihren Monumenten in Schutt
und Asche sank, die prächtigste unter den deutschen
Barockresidenzen, deren Schönheit gerade dank der
unvergleichlichen Serie der grossen Veduten Bellottos
jedermann lebhaft vor Augen stand.
Nicht weniger traumatisch wirkten im Zeitalter der
Aufklärung die gezielt grausamen «Präventivschläge», mit
denen Friedrich II. mittels der Kriegsmaschinerie seines
zu Recht «Soldatenkönig» genannten Vaters seine Expan-
sionspolitik betrieb, und insbesondere die Ruinierung des
sächsischen Staates, der unter August dem Starken und
Friedrich August II. zu einem der glänzendsten Höfe
Europas aufgestiegen war. Was die Preussen zu viel, hat-
ten die Sachsen zu wenig getan; die Vernachlässigung der
Armee kam sie nun teuer zu stehen. Sogleich zu Beginn
des Siebenjährigen Krieges wurde das Land besetzt,
dieweil König und Hofstaat in ihre polnische Hauptstadt
entflohen, und in der Folge wurde zum guten Teil hier die
Auseinandersetzung um Schlesien zwischen dem Aggres-
sor und der legitimen Herrscherin Maria Theresia ausge-
fochten. 1759 wurden die Preussen aus Dresden vertrie-
ben, nachdem sie noch zur Verbesserung des Schussfeldes
zwei Vorstädte abgebrannt hatten, doch bereits 1760 kehr-
ten sie zurück und belagerten die von den Österreichern
schliesslich erfolgreich verteidigte Stadt. Friedrich II. lei-
tete persönlich den Angriff; wo eine Granate ein Feuer
entzündet hatte, liess er sofort die Artillerie hinschiessen,
um die Einwohner bei Löschen zu treffen, so dass in dem
siebentägigen Bombardement über 400 Gebäude vernich-
tet wurden. Vorzugsweise die Kirchen nahm er unter
Beschuss; die Frauenkirche, Stadtbaumeister Georg Bährs
gewaltiger Kuppelbau, widerstand allen Kugeln, wie sie
denn auch 1945, bereits ausgebrannt, noch zwei Tage dem
Zusammenbruch trotzte.
Die Kreuzkirche, die älteste Pfarrkirche der Stadt,
wurde an dem hochragenden und wie ein Westwerk breit
ausladenden Turmmassiv getroffen; obwohl es ausbrann-
te, blieb es stehen. Doch das Feuer griff auf das spätgo-
tische Kirchenschiff über und zerstörte es vollständig.
Nach dem Friedensschluss begann Johann Georg Schmid,
Bährs Schüler und Nachfolger, 1764 mit dem Neubau, in
den der alte Turm integriert werden sollte. Allein, am
22. Juni des folgenden Jahres barst nach starken Regen-
fällen dieser von zu oberst bis zu unterst mitten entzwei,
und die hintere Hälfte ergoss sich samt ihres Gerüstes in
die zu Teil bereits über die Fundamente hochgeführte
Baustelle.
Ähnlich wie das Erdbeben von Lissabon 1753 den
Optimismus der Aufklärung erschütterte!, gehörte die
geistige Verarbeitung des Siebenjährigen Krieges, in der
ein ebenso aufgeklärter wie despotischer, sich mit dem
Feigenblatt eines Philosophen behängender König den
zerstörerischsten, blutrünstigsten Krieg seit dem Dreissig-
jährigen in Deutschland vom Zaune riss und darin fast
selbst mitsamt seinem Staat unterging, zu den Grund-
lagen der deutschen Klassik. Am berühmtesten entfaltet
sich dieser Konflikt in Lessings versöhnlichem Lustspiel
zwischen dem Major Tellheim, der in seinem beschränk-
ten Pflichtbegriff vom Macchiavellismus seines Königs
missbraucht wird, und der lebensklugen Sächsin Minna
von Barnhelm. Unmittelbar vergegenwärtigt wird Glanz
und Elend Dresdens in Goethes Schilderung seines Besu-
ches 1768, als er in der Galerie zum ersten Mal Kunst-
werke ersten Ranges im Original sah. «Diese köstlichen,
Geist und Sinn zur wahren Kunst vorbereitenden Erfah-
rungen wurden jedoch durch einen der traurigsten An-
blicke unterbrochen und gedämpft, durch den zerstörten
und verödeten Zustand so mancher Strassen Dresdens,
durch die ich meinen Weg nahm. Die Mohrenstrasse im
Schutt, sowie die Kreuzkirche mit ihrem geborstenen
Turm drückten sich mir tief ein und stehen noch wie ein
dunkler Fleck in meiner Einbildungskraft?.»
In unserem Zusammenhang tritt die besondere Pointe
dieser Beschreibung hervor: 1768 war der Turm längst
abgetragen, so dass in Goethes «Einbildungskraft» Bellot-
tos Gemälde? an die Stelle der gesehenen Realität getreten
sein muss. Und dies nicht von ungefähr, entzückte ihn
doch auf dieser Stufe seiner Geschmacksbildung vorzüg-
lich die täuschend echte Schilderung der Wirklichkeit,
«wo der Pinsel über die Natur den Sieg davon trug.» Lern-
te er nun, «die Natur ... mit den Augen dieses oder jenes
Künstlers zu sehen» und so eine Schusterwerkstatt als ein
Gemälde Ostades zu geniessen, um wieviel eher muss sich
ihm das Bild Bellottos als «Vorbild» und Erinnerungsbild
der Wirklichkeit eingeprägt haben. Nicht nur um des
wörtlichen Sinnes willen nannte er seinen Jahrzehnte spä-
ter geschriebenen Lebensbericht Dichtung und Wahrheit:
war er sich doch gerade durch seine Dresdener Erfahrun-
gen des Wechselspiels zwischen Wahrnehmung von Wirk-
lichkeit und deren erinnerungsmächtigen Verdichtung in
der künstlerischen Gestalt inne geworden.
Die geistige Aneignung des Sichtbaren geschieht vor-
zugsweise durch die Fixierung des Blickes, das Anhalten
des unaufhörlichen Stromes wirr eindringender Sinnes-
eindrücke, durch die Konzentration auf einen bestimm-
ten Aspekt, der nun in seinen Eigenarten analysiert und
erfasst werden kann. Die Bilder der Maler sind die gros-
sen Lehrmeister bei solch reflexivem Tun, denn in ihnen
ist nicht nur diese Stillegung bereits geleistet, sondern
durch die Methode ihrer Darstellungsweise zeigen sie
zugleich Möglichkeiten der Anschauung, des bewussten
Wahrnehmens von Wirklichkeiten auf. Überdies gelingt
as den bedeutendsten Künstlern, die unweigerlich entflie-
hende Lebensfülle der gegenwärtigen Wirklichkeit, ihre
Wärme und Helle, die Weite des Raumes und das Fliessen
der Zeit, die Spannung des sich bewegenden Körpers und
der vielfach gereizten Sinne durch die Wirkungsmacht
ihrer Gestaltung, die evokative Kraft ihres Vorstellungs-
vermögens in ein Analoges zu verwandeln und so für den
Betrachter dauernd festzuhalten. In unserem Gemälde
“ritt schliesslich noch die Einzigartigkeit des Gegenstan-
des dazu, den Bellotto in einer ungewöhnlichen und
unverbrauchten Komposition zu erfassen wusste, so dass
eine ebenso lebensvoll reichhaltige wie frappant unver-
wechselbare Bildprägung entstand. Man könnte diese
Qualität, die ein Bild schwer zu vergessen macht, Bild-
haftigkeit im genaueren Sinne oder auch - von «Ikone» -
[konizität nennen; das anschliessend zu betrachtende
Gemälde Amor und Psyche von Füssli besitzt sie gleichfalls
in hohem Masse.
Die künstlerische Tradition, deren kumulierten Erfah-
rungsschatz erst ein solches Resultat ermöglichte, ist
zunächst die Gattung der realistischen Stadtansicht, der
Vedute. Sieht man von ihrer Vorgeschichte ab, die man
mit van Eyck oder Campin, jedenfalls mit Gentile Bellini
sinsetzen lassen kann, so beginnt sie erst in der nieder-
'ändischen Fachmalerei des 17. Jahrhunderts, in der Berck-
heyde, Jan van der Heyden und Vermeer die wesentlichen
Gestaltungsmittel bereitstellten. Ihren Höhepunkt findet
sie sodann in der anderen grossen, künstlerisch aktiven
Republik, Venedig, bei Canaletto und dessen Neffe
Bellotto. Fasst man nun ihre Nachfolger, Guardi und
Romantiker wie Nehrly auf der einen Seite, andererseits
die nordischen Klassizisten oder Biedermeier-Maler wie
Gärtner oder Kgbke ins Auge, beginnt sich schon das Aus-
einandertreten des subjektiven Erlebens in der Malerei
ınd des technisch objektiven Registrierens in der Photo-
graphie abzuzeichnen, mit dem die Gattung an ihr Ende
gelangt. Nach barock dynamischen Frühwerken zeichnet
die reife, klassische Kunst Canalettos gerade die Einheit
dieser beiden Aspekte aus, die er anscheinend durch die
Rezeption gewisser Ideen aus Newtons Physik und Optik
srreichte*, So scheint das Konzept des «weisen» Lichtes,
das alle Farben in sich enthält, zu der klaren Helle und zur
Vorliebe für reine Spektralfarben geführt zu haben; in der
grossen, am Übergang vom frühen zum reifen Werk ste-
1enden Zürcher Vedute des Dogenpalastes lässt sich dies
in der fast milchigen Helligkeit und der Buntheit der
Sewänder bereits deutlich sehen. Für die Erfassung der
Stadt wird sodann das physikalische Prinzip eines ein-
heitlichen, zunächst leeren, mathematisch zu beschrei-
benden Raumes wichtig. Die dramatischen Wolken und
atmosphärischen Schleier verschwinden; bis in die fernste
Tiefe stehen die Häuser in heiterer, durchsichtiger Klar-
heit. Nicht mehr als manchmal fast drohende Massen wir-
ken sie, sondern leicht und präzis wie die Oberflächen
regelmässiger Körper. Ihre Gestalt im einzelnen und ihre
Beziehungen untereinander sind zwar zunächst mit der
Camera obscura exakt aufgenommen, anschliessend aber
vom Künstler nach den Erfordernissen der Komposition
viel entschiedener, als der Augenschein glauben macht,
modifiziert: Spannung und Rhythmik der Flächengliede-
rung, Blickführung, Bevorzugung bildparalleler Elemente
zur Klärung der räumlichen Beziehungen und vieles der-
gleichen mehr bestimmen die Gestaltung®. Und damit
tritt der Inhalt in Konsonanz mit dem prinzipiellen Cha-
rakter eines Gemäldes als von Farben bedeckte Fläche: auf
dieser Übereinstimmung mit den «Urtatsachen des Bil-
des» beruht die «einfachste Idealität», die aus Canalettos
Bildwelt spricht und ihr etwas «grandios Weiträumiges,
Aufgeräumtes, Festliches und Feierliches» verleiht, wie
Hetzer in einem schönen Aufsatz gezeigt hat“
Bernardo Bellotto (1721-1780) war seines Onkels
bester Schüler; vollständig eignete er sich seine Bild-
erzeugungs-Iechnologie an, wie ein paar zwischen den
beiden strittige venezianische Veduten zur Genüge bewei-
sen. So galt er denn lange auch nur als dessen Epigone —-
man mag es als die gerechte Strafe der Geschichte für seine
Usurpierung des Namens «Canaletto» für Marketing-
zwecke nehmen. Doch gibt es auch andere Gründe für die
lange Verkennung seiner Eigenart®. Bellotto trat erst aus-
serhalb von Venedig aus dem Schatten seines Lehrers; der
Aufenthalt in der Lombardei 1744 führte zu seiner Selbst-
findung, deren schönstes Zeugnis die Ansichten von
Gazzada in Mailand und Zürich sind. In der Folge wand-
te er sich nach Deutschland: in Dresden (1747-1758 und
1762-1766), Wien (1759/60), München (1761) und
schliesslich in Warschau (1767 bis zu seinem Tode 1780)
malte er in königlichem Auftrag seine grossformatigen
Hauptwerke, und hier sind sie denn auch im wesentlichen
verblieben und dominieren vollständig. Die Gemälde
Canalettos hingegen fanden ihre Bewunderer vorzüglich
in Frankreich und vor allem in England, woher ihn die
meisten Aufträge erreichten und wohin er 1746 selbst
reiste; so besitzen noch heute weder der Louvre noch die
National Gallery ein Werk Bellottos. Erst mit der regen
Reise-, Ausstellungs- und farbigen Reproduktionstätigkeit
seit den fünfziger Jahren trat die Differenz der künstle-
rischen Auffassung von Onkel und Neffe allgemein ins
Bewusstsein.
Eine zweite rezeptionsgeschichtliche Bedingung, die
sich für Bellotto nachteilig auswirkte, ergab sich aus der
Wahrnehmung und Charakterisierung der veneziani-
schen Vedutenmalerei in der Polarität von Canaletto und
Guardi, die ein Drittes, Andersartiges quasi notwendig aus
dem Diskurs ausschloss. Bezeichnend genug der bereits
zitierte unvergleichlich trefflich charakterisierende Text
Hetzers, der Bellotto doch nur als negative Folie Cana-
lettos wahrzunehmen vermag. Mit seiner Kritik an der
weniger blühenden Farbigkeit und der allzu präzisen
Pinselführung war er freilich bereits auf dem richtigen
Weg - nur wäre hier nicht Unvermögen, sondern eine
andere Auffassung zu sehen. Was bei Canaletto in einem
glücklichen Augenblick in selbstverständlich erfülltem
Sein zusammenklang, wird nun beim jüngeren Künstler
zusammengezwungen und gesteigert bis zum Punkt, wo
eine überklare Natürlichkeit die Spannungen zwischen
Erscheinung, Wahrnehmung und Wiedergabe eben gerade
noch aushält.
Nicht von ungefähr tritt bei Bellotto die Farbe hinter
den ungleich entschiedeneren Helldunkel-Kontrasten
zurück, denen schon durch ihr Mathematisch-Konstruier-
bares etwas Analytisches eignet. So gibt es tatsächlich
Ansichten, die einen fiktiven Sonnenschein von Norden
zeigen”; und auch bei den Ruinen der Kreuzkirche treten die
Parameter auseinander: bei genau von Ost nach West
gerichtetem Blick entspricht der Schattenwurf dem späte-
ren Vormittag, doch seine Länge und die rosa Verfärbung
der Atmosphäre deuten auf den Abend. Das harte Entge-
gensetzen von Licht- und Schattenzonen, die anders als
bei Canaletto nicht mehr atmosphärisch eingebunden
wirken, erzeugt eine quasi abstrakte Ordnungsstruktur,
welche sich das Gegenständliche unterwirft: so wird etwa
der hinterste Teil der diagonalen Häuserflucht durch den
Schatten abrupt abgeschnitten und dem Gebäude hinter
der Kirche zugeordnet. Wie sich zwischen beiden ein tie-
fer Einschnitt auf die jenseits des Altmarktes aufleuchten-
de Fassade und den noch ferneren Helm eines Turmes'®
öffnet, ist einerseits von zwingender Gestalthaftigkeit und
oszilliert andererseits gerade deswegen merkwürdig
zwischen exakter Beobachtung und Bilddramaturgie.
Ähnliches gilt vom Schattenstreifen im Vordergrund und
dem scharf beschnittenen Palais des sächsischen Ober-
kommandanten Grafen Rutowski, die als Binnenrahmen
das Bildfeld unten und rechts definieren und zugleich
dem Blick eine Gegenspannung zur aufragenden Turm-
fassade bieten.
Strahlen die Ansichten Canalettos etwas heiter Gelas-
senes aus, eignet denjenigen Bellottos in ihrem stets fühl-
baren Anspruch von künstlerischer Konstruiertheit und
totaler Wirklichkeitserfassung etwas Manisches. Schon
die Sicht, die in der Breite ihres Feldes und der vollstän-
digen Ausschaltung der Randverzerrungen zugunsten
eines möglichst frontalen, aufrisshaften und exakten
Wahrnehmens paradoxerweise die Eigenheiten von Weit-
winkel und Teleobjektiv!! verbindet, konfrontiert den
Betrachter mit unmittelbarer Nähe und distanziert das
Gezeigte zugleich zu einem jenseits eines Glases präsen-
tierten Modells. Diese Wirkung kommt gerade bei unse-
rem Bild mit der bis über die Unterkante ragenden reich-
haltig detaillierten Vordergrundstaffierung und dem exakt
axialen Turmkörper, dessen Inneres wie ein anatomisches
Präparat freigelegt erscheint, besonders zur Geltung,
unterstützt durch die leichte Aufsicht - aus dem Studier-
zimmer des Superintendanten Dr. am Ende, wie Bellotto
auf seinem Stich nach dem Gemälde wissenschaftlich
präzisiert.
Sodann verleiht die in den meisten Bildern vorherr-
schende düstere Stimmung, die von der durchdringend
klaren Atmosphäre und dem scharfen Sonnenlicht merk-
würdig absticht, dieser so perfekt durchgezeichneten Welt
eine irritierende, kühle Faszination. Kunsthistorisch
dürfte sie auf den Eindruck der lombardischen Malerei,
der Bellotto 1744 begegnete!?, zurückzuführen sein; hier
finden sich schon vor und parallel zu Caravaggio jenes
scharfe Helldunkel und das Schwanken zwischen ex-
tremem Realismus und Phantastik, das gerade der dort vor
Bellotto tonangebende Landschaftsmaler Magnasco auf
die Spitze trieb. Hier, fern von der silbrig glänzenden
Lagune mit ihren alle Schatten auflösenden Reflexen,
stösst er auch auf eine härtere, widerständigere Realität:
die mit dunkeln Wäldern überwucherten Hügel der Vor-
alpen, die düstren Städte hinter ihren übermächtigen
Befestigungswerken. Gegenüber der hervorragend regier-
ten Republik der Serenissima lastete hier noch das Erbe
jahrhundertelanger spanischer Fremdherrschaft und Miss-
wirtschaft; die feudalen Strukturen liessen die sozialen
Gegensätze ungleich schärfer hervortreten. Bellotto muss
dafür ein ausgeprägtes Sensorium gehabt haben, wie
schon das ihm von seinem Vater attestierte, stadtbekannte
«Cervello bestiale» vermuten lässt®, Er weiss sich in Pose
zu setzen - gleichzeitig mit den Ruinen der Kreuzkirche prä-
sentiert er sich im Vordergrund eines Capriccio mit
pompöser Palastarchitektur als venezianischer Prokurator
-, entsprechend gut weiss er sich zu verkaufen: sein
Gehalt als Hofmaler in Dresden übertrifft trotz der
«untergeordneten» Gattung das seines Vorgängers ebenso
wie die Bezüge seiner Kollegen!*. Schon durch die Wahl
der Bildgrösse - normalerweise etwa 1,35 auf 2,40 Meter
- hebt er sich von den venezianischen Souvenir-Malern
ab; diese Hauptexemplare entstehen im Auftrage von
Königen, ersten Staatministern, grossen Landesfürsten;
niedrigere Stände werden mit kleineren Wiederholungen
bis hinab zu den immer noch recht stattlichen Radierun-
gen bedient und so gleichzeitig der grosse Aufwand für die
Bildentwicklung amortisiert. In der Exaktheit der Kom-
position, der Fülle der Details, der Präzision der Aus-
führung hingegen erlaubt er sich nicht die geringste
Abweichung vom höchsten Standard.
Die Erfahrung des Siebenjährigen Krieges haben Bel-
lottos Wahrnehmung für diese Phänomene weiter
geschärft; verlor doch auch er seine wichtigsten Auftrag-
geber, die wohl gesicherte Stellung und schliesslich noch
seine Wohnstätte in der Pirnaer Vorstadt, deren Ruinen er
im Gegenstück zu dem Bild mit der Kreuzkirche fest-
hielt”. Nicht nur die Kontraste von Licht und Schatten
werden in den Wiener und Warschauer Ansichten noch
härter, die malerische Ausführung spröder; auch die
Gegensätze in der Gesellschaft und ihre Vielfalt traten
ihm in diesen erneuten, unfreiwilligen Wanderjahren
näher und machen sich mit einem neuen Realismus gel-
tend. Auch dafür bietet unser Bild bestes Anschauungs-
material: vorn und in der Belle-Etage komplimentierende
Höflinge und disputierender Klerus, sodann reichlich
gaffende Bürger und Volk, vor allem aber die Bauhand-
werker, die Steinmetzen rechts und die Fundamentarbei-
ter links, in der Mitte vor der Bauhütte wohl der leitende
Stadtbaumeister Johann Georg Schmid mit einem Polier,
auf dem Turm selbst der Maurergeselle Künzelmann, der
mit dem Zimmermann Stephan mittels einer speziell kon-
struierten einholmigen Leiter am 2. Juli auf die Ruine klet-
;erte und gegen eine Entschädigung von fünfzig Thalern
- was zwanzig Wochenlöhnen entsprach - den Abbruch
eförderte. Drei Tage später soll übrigens auch Bellotto
auf den Turm gestiegen sein, um sein Objekt aus unmit-
telbarer Nähe zu studieren. Ameisengleich wirken Hilfs-
kräfte in dem Schuttkegel, und wie 1945 schleppten schon
damals «Trümmerfrauen» mit Hutten den Abraum weg.
Dahinter bildet schliesslich die besonders trostlos wir-
kende Brandruine der Kreuzschule eine düstere Folie?®.
Damit nähern wir uns wieder dem durchaus unge-
wöhnlichen Charakter des Gemäldes; es ist ohne Zweifel
die dramatischste Darstellung einer durch Kriegseinwir-
kung entstandenen Ruine der älteren Kunst. Nicht in auf-
wendig gemalten Veduten, sondern allenfalls in meist
schlechten Kupferstichen, zeitungshaft rapportierender
Gebrauchsgraphik, wurde solch Unerfreuliches, Ruhmlo-
ses abgebildet. Man hat in Bellottos grossen Stadtansich-
ten eine neue Form der Darstellung des «buon governo»,
der «Guten Regierung», wie sie in allegorischer und reali-
stischer Form seit Lorenzettis Fresken im Palazzo Publico
in Siena vorkam, erkennen wollen!’: nicht mehr im rhe-
torischen Schwulst barocker Allegorik wollten die aufge-
klärten Herrscher die Früchte ihres Tuns sehen, sondern
in der unmittelbaren Tatsächlichkeit volks- und gewerbe-
reicher Städte mit eleganten Neubauten, wohlangelegter
und trutziger Befestigungsanlagen, prächtiger Lustschlös-
ser wie Schönbrunn, Nymphenburg oder des Dresdener
Zwingers,
Und nun dies: eine spektakuläre Ruine, ein frontaler,
gespaltener Turm mit offenen Eingeweiden. Und so
Mmonumental ragt er zum oberen Bildrand über dem
Schuttkegel seiner eingestürzten Hälfte auf, dass das von
unausweichlicher Objektivität getragene Pathos dem
Gemälde eine bezwingende expressive Qualität, ja den
Charakter einer «allegorie reelle» verleiht!®. Es wird zum
Bild des Ruins des sächsischen Staates im Fiasko des Sie-
venjährigen Krieges, zum Mahnmal für die Zerstörung
der Städte überhaupt, deren Darstellung Bellotto sein
Leben gewidmet hatte. Die volle Schärfe dieses kühlen
und zugleich visionären Realismus tritt aber erst in der kri-
tischen Differenz zu den damals beliebten Ruinenbildern
hervor, die zunächst nostalgisch Grösse und Vergänglich-
keit Roms evozierten und bald zu einem dekorativen
Genre verkamen: dieser Beliebigkeit wird hier die brutale
Wirklichkeit ohne arkadische Hirten und Schäferinnen,
sondern mit hartem Alltagsleben entgegengesetzt.
Dass das Leben auch in den Ruinen weitergeht und das
Zerstörte wieder aufgebaut wird, wenn auch mit Schwie-
rigkeiten und Rückfällen, wird allerdings gleichfalls
gezeigt. So müssen für die Zeitgenossen wohl besagter
Künzelmann und seine Gesellen die heimlichen «Hel-
den» des Bildes gewesen sein, deren Heldentat ironischer-
weise in mutig-zweckmässiger Abbrucharbeit bestand.
Und diese Aspekte standen wohl im Vordergrund, als das
Gemälde in der ersten Ausstellung der nach dem Frie-
densschluss von Hubertusburg gegründeten Akademie
gezeigt wurde: denn hier sieht man, wie von Kunst gelei-
tet der Gewerbefleiss die Ruinen überwindet - und genau
dies war der Zweck des neuen Institutes, in dem Bellotto
Perspektive unterrichtete. «Aus Mitleid» kaufte der Hof
das Gemälde für 200 Thaler dem verschuldeten Maler für
die berühmte Galerie ab; als einziges wird es in deren
Katalog aus dem gleichen Jahr erwähnt, und tatsächlich
scheint es dort bis um 1830 seine Kunst allein vertreten
zu haben. Auch das Professorengehalt erhielt er als einzi-
ger aus der Hofschatulle; mit 600 Thalern war es unter den
höchsten und doch nur noch ein Drittel des einstigen
Salärs des Hofmalers. So widmete Bellotto die Radierung
nach dem Gemälde der Witwe Augusts III., während das
Gegenstück mit den Ruinen der Pirnaer Vorstadt vom
Prinz-Administrator Xaver, der die Regierung für seinen
minderjährigen Neffen führte, erworben wurde.
Doch die wirtschaftliche Situation des Malers blieb bei
seinem Aufwand in dem verarmten Dresden unhaltbar,
und da auch sein Professorengehalt auf drei Jahre befristet
war, liess er sich Ende 1766 einen Pass nach St. Petersburg
geben, wo Katharina II. Künstler zu vorteilhaften Bedin-
gungen anwarb. Doch bereits in Warschau nahm ihn der
neue König Stanislaus August Poniatowski in seine Dien-
ste: hatte er sich hier gar mit der Zürcher Replik der
Ruinen der Kreuzkirche eingeführt!?? In diesem noch völlig
dynastisch denkenden Jahrhundert, dessen politische Ge-
schichte von Erbfolgekriegen beherrscht wurde, konnte
für den neu gewählten König dieses Monument des Nie-
derganges der vor ihm regierenden Dynastie nicht ohne
beziehungsreiche, legitimierende Bedeutung gewesen
sein. Und während in der Dresdener Fassung das kühle
Morgenlicht vor der düsteren Wolkenbank die Aufhel-
lung nach einem Unwetter evoziert, ruht nun mit der
Abendröte eine Stimmung nostalgischer Vergänglichkeit
über der Unglücksstätte. Durch zahlreiche rosa Retou-
chen - besonders sichtbar etwa an den Kaminen des mitt-
leren Palais - akzentuierte Bellotto diese atmosphärische
Verschiebung ın der letzten Arbeitsphase sehr fühlbar.
Hat hier Bellotto bewusst die Aussage von der tätigen
Überwindung des Zusammenbruchs durch den Wieder-
aufbau zu einem Abschiednehmen von zerfallenden Rui-
nen verschoben und so auf den neuen Adressaten abge-
stimmt? Bei der extremen Schärfe der künstlerischen
Durchdringung des Gegenstandes bis in die letzten Ein-
zelheiten, wie sie Bellotto gerade auch in diesen beiden
Bildern vorexerziert, halten wir dies nicht für ausge-
schlossen.
Rätselhafter wird es, wenn wir nun abschliessend den
Blick noch über Bellottos Zeit auf frühere und spätere
Ruinenbilder werfen. Das grosse Paradigma einer Bau-
ruine - eines Gebäudes, bei dem Aufbau und Untergang
bruchlos ineinander übergehen, - bietet der Babylonische
Turm. Pieter Brueghels Darstellung bestimmt bis heute
die bildliche Vorstellung dieses Mythos von Hybris und
Scheitern von Mensch und Stadt. Auch in der Dresdener
Galerie ist diese Tradition mit einem volkreichen Gemäl-
de Maerten van Valckenborchs eindrücklich vertreten,
und dieses zeigt nun trotz einer ganz anderen Stilhaltung
bis in beiläufige Details merkwürdige Übereinstimmun-
gen mit Bellotto: so behauen auch hier rechts Steinmetze
ihre Blöcke unter einem ähnlichen Schutzdach, während
sich links Erdarbeiter mit Gerüsten in die Tiefe graben;
und wo Nebukadnezar seinem Gefolge den Turm weist,
stehen nun zwei Kleriker und disputieren wohl über den
höheren Sinn des ausserordentlichen Geschehens. Zufall?
— oder hat hier der anscheinend so exakte Bildberichter-
statter die Tatsachen nach dem alten Vorbild zurecht-
gerückt“? Und wiederum malte in Dresden in ganz ande-
rer Weise ein Künstler frontal mitten im Bild eine
hochaufragende Kirchenruine, durch deren leere Fenster
der Himmel über einer düsteren Nebelbank blickt: Cas-
par David Friedrich kann das Bild Bellottos nicht überse
hen haben*!. Höherer Zufall mag es schliesslich sein, dass
nun im Kunsthaus Zürich diese alte Darstellung der Zer-
störung Dresdens mit jener neuen Gestaltung zusammen-
trifft, in der Baselitz dem Untergang der Stadt 1945 ein
Monument gesetzt hat.
Christian Klemm
Anmerkungen
Vgl. Horst Günther: Das Erdbeben von Lissabon erschüttert die Meinungen und setzt
das Denken in Bewegung (Berlin 1994). Bezeichnenderweise galten die Ruinen der
Pirnaer Vorstadt (vgl.unten) bis vor kurzem als Darstellung des Erdbebens von
Lissabon.
Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, 8. Buch. Bereits von
Hellmuth Allwill Fritzsche: Bernardo Belotto genannt Canaletto (Burg bei Mag
deburg 1936, S. 72) zitiert, aber ohne den im folgenden beschriebenen Zusam
menhang zu bemerken.
Das durch Tausch aus dem Vermächtnis Betty Koetser erworbene Gemälde deı
Stiftung Betty und David M.Koetser im Kunsthaus Zürich ist eine Replik des
Gemäldes in der Gemäldegalerie Dresden, von dem es sich unterscheidet
durch die ganz andere atmosphärische Stimmung (vgl. unten), die Beifügung
einer Leiter vor dem Himmel auf dem Turm und die Beschriftung (das Dres-
dener Exemplar ist voll signiert und 1765 datiert, auf dem Zürcher Exemplar
jest man unten links: «Vue de la Tour de S'“ Croix,/qui s’ecroula le 22 Juin
1765, dans/le tems qu’on commencoit a relever l’E/glise, laquelle avoit peri
ar le Bombardement/de 1a Ville de Dresden, en 1760 1. la Place du
Vieux/Marche. 2. Ecole de S* Croix. 3. Palais du C. Rutowski». Die Inschrift
entspricht bis auf den kuriosen Zeilenfall in «Eglise» dem Text auf der eigen
aändigen Radierung nach der Komposition, gekürzt und um die Identifizie:
ung der Gebäude ergänzt: Hinweis auf einen späteren Plattenzustand ohne
die Widmung an die Kurfürstin?). Die beiden Fassungen waren ursprünglich
wohl gleich gross; heute ist die Zürcher durch Aufklappen des oberen (1,5 cm)
und unteren (2 cm) Randstreifens höher, während sie seitlich etwas beschnit-
:en (rechts minim, links ca. 3 cm) erscheint, eine Änderung, die wohl bis in
die Zeit Bellottos zurückreicht, da die aufgemalten alten Inventarnummern
rechts teilweise in der Anstückung liegen. Erworben an der Auktion 7he Estate
of Peter Jay Sharp (Sotheby’s New York, 13. Januar 1994, lot 75), im Katalog
Zusammenstellung der Herkunft (vgl. auch Anm. 19) und der Literatur nach
Kozakiewicz (wie Anm. 7. Nr. 298/299). geringfügig ergänzt. Die historischer
Jmstände und faktischen Einzelheiten findet man am detailliertesten bei
Angelo Walther in Bernardo Bellotto. Le vedute di Dresda. Dipinti e incisioni dai
Musei di Dresda (Ausst. Kat. Venedig, Fondazione Giorgio Cini, 1986, Nr. 15).
Die neueste Literatur zu Bellotto und zur Dresdener Fassung mit guter Farb-
abbildung in Zhe Glory of Venice. Art in the Eighteenth Century (Ausst. Kat. Lon-
don, Royal Academy, 1994, S. 361-375, bes. S.372-374 und Nr. 260).
Dies und das Folgende nach Andre Corboz: Canaletto. Una Venezia immagina-
ria (Mailand 1985) bes. S.171-174.
Auch dies hat für Canaletto vor allem Corboz herausgearbeitet. Für Bellotto
vgl. Caterina Limentani Virdis: Bernardo Bellotto: imago veritatis (in: Bernardo
Bellotto. Verona e le citta europee [Ausst. Kat. Verona 1990] S. 30-38).
Theodor Hetzer: Canaletto und Guardıi (Venezianische Malerei [Stuttgart 1985: =
Schriften Theodor Hetzers Band 8] S. 731-739).
Grundlegend Stefan Kozakiewicz: Bernardo Bellotto genannt Canaletto (Reck-
linghausen 1972) mit Werkkatalog (das Zürcher Bild - ihm nur durch Erwäh-
nungen in der Literatur und Abbildungen bekannt - Nr. 298 und 299, die
Dresdener Fassung Nr. 297) - Ettore Camesasca: L’opera completa del Bellotto
(Mailand 1974; = Classici dell’Arte 78; Nr. 178).
‘Notizen zur fortuna critica Bellottos bietet Bettagno im Ausst. Kat. Verona 1990
(wie Anm. 5) S. 18f.
‘Z.B. Dresden vom rechten Elbufer oberhalb der Augustusbrücke, die nach der
Ankunft 1747 gemalte erste grosse Vedute Dresdens (Kozakiewicz Nr. 140).
° Vermutlich der Wilsche Torturm.
\ Dies bemerkte Sergio Marinelli: / Iumt e le ombre della cittä del principe (in. Ausst.
Kat. Verona 1990 [wie Anm. 5] S. 39-50, bes. S. 42).
?Die Beziehungen zur lombardischen Kunst entwickelte besonders Sergio
Marinelli (a. a. O., bes. S. 47) auch in ihrer sozialhistorischen Dimension.
} Kozakiewicz S. 83.
* Kozakiewicz Nr. 333, jetzt in Warschau und gleichfalls 1765 in der Dresdener
Akademieausstellung gezeigt, als Gegenstück prätentiöserweise Christus, die
Wechsler aus dem Tempel vertreibend, Zu Bellottos Stellung in Dresden und sei-
nen Bezügen s. Kozaktewicz S. 79ff resp. S. 131ff.
Erstmals veröffentlicht von Pierre Rosenberg: Un chef-d’xuvre de Bellotto 4 Troyes
(Arte Veneta XXVII 1974, S. 285-287), dazu neuerdings mit zahlreichen lokal-
historischen Details Angelo Walther (in: Ausst. Kat. Verona 1990 [wie Anm. 5]
Nr. 46 mit der einzigen brauchbaren Farbabbildung), der die älteren Beden-
ken gegen die Annahme, dass es sich um das Gegenstück handelt, ausräumt.
Dass auf der 1766 datierten Radierung noch das polnische Königswappen
erscheint, kann bei dem notorischen Weiterschleppen längst überholter Titu-
laturen und dergleichen nicht besonders überraschen; es mag auch eine beson-
dere Schmeichelei Bellottos gewesen sein.
Die historischen Einzelheiten am detailliertesten bei Walther (wie Anm. 3).
Dies bemerkte Sergio Marinelli (wie Anm. 11, bes. S. 42): «una rivoluzione
copernicana dei temi».
Der Begriff wird bekanntlich vorzüglich auf die Kunst Courbets angewendet.
jedenfalls stammt das Gemälde aus der Warschauer Sammlung und zeigt noch
deren Inventamummern; die Nr. 440 unten links entspricht dem Catalogue des
tableaux appartenant &4 sa Maj. le Roi de Pologne, Manuskript von 1795, publiziert
von T. Mankowski: Galerja Stanislawa Augusta (Lwöw 1932) S. 62, 147 Nr. 440.
1798 von Fürst Joseph Poniatowski und 1813 von der Gräfin Maria Teresa
Tyskiewicz geerbt; 1818 letztmals in der Empfehlung der russischen Behörden,
las Gemälde für die Ausschmückung des Warschauer Schlosses zu verwenden,
zenannt, sodann erst wieder in Wiener Auktionen ab 1930 (alles nach Koza-
kiewicz, vgl. Anm. 3).
“Dies führte erstmals aus Jan Peeters in Bernard Aikema/Boudewijn Bakker:
Schilders van Veneti&. Oorsprong en bloei van de venetiaanse vedute (Ausst. Kat.
Amsterdam 1990, Nr. 37).
Die Beziehung u.a. von Edgar Peter Bowron (im Ausst. Kat. London 1994 [wie
Anm. 3] S. 374) bemerkt, der allerdings das Zukunftsträchtige Bellottos eher
in den noch späteren Warschauer Veduten ortet.
«AMOR UND PSYCHE»
EIN WIEDERGEFUNDENES GEMÄLDE FÜSSLIS
ÜBER DIE RÄTSELHAFTIGKEIT DES TODES
Pseudo-Morphose nennen die Geologen jene seltsame
Gestaltbildung, bei der ein Material die Form eines Hohl-
raumes annimmt, der einst von einem inzwischen ausge-
waschenen Kristall geformt wurde. Eine solche Pseudo-
morphose scheint uns, zunächst formal, das faszinierende
Bild der toten Psyche in Amors Schoss zu sein, das bei den
Forschungen zu unserer Ausstellung um «Amor und Psy-
che» auftauchte und in ihr erstmals öffentlich zu sehen
war; denn es zeigt, ungewöhnlich genug, die sonst zärtliche
Gruppe der Liebenden in Gestalt des spätmittelalterlichen
Andachtsbildes der Pietä: der Muttergottes, die ihren vom
Kreuze abgelösten Sohn beweint. Und die historischen
Umstände legen uns nahe, das konkrete Vorbild in dem
merkwürdigen Gemälde Ercole de’ Robertis zu sehen, das
mit der Sammlung von Füsslis gutem Freund und Mäzen
William Roscoe in die Walker Art Gallery in Liverpool
gelangte; Maria erscheint hier in weissem Gewand und
tief schwarzem Mantel vor einem substanzlos bleichen
Raum, in dem die Kreuzigungsszene wie eine geisterhafte
Erinnerung schwebt. Füsslis stets wachsame Kombinatorik
und sein unüberwindlicher Widerspruchsgeist verkehrt
nun freilich alles in sein Gegenteil: Geschlecht, Bezie-
hung, Tod und Leben, Mensch und Gott!.
Sich der Anschauungsformen der Mineralogie zu
bedienen, scheint der Goethe-Zeit nicht unangemessen —
man denke an Caspar David Friedrichs Erdleben-Sym-
bolik, an Novalis Bergwerkmystik oder an die Wahlver-
wandtschaflen von Goethe selbst, diesen tiefgründigen,
von der Todesthematik durchzogenen Roman’. Und wie
hier die Verbindung und Scheidung der Elemente in die
Verwirrung der Seelen übertragen werden, wobei das alte
Sympathie-Denken der Alchimie, das mit der Verwand-
lung der Stoffe zugleich ein psychisches Wirken meint,
noch nachklingen mag, so dürfte auch der Vorgang der
Pseudomorphose ein Modell für den menschlichen
Gefühlshaushalt abgeben: eine Vorstellung, eine Ge-
wohnheit bildet sich einen Ort, einen Raum in der Seele;
zerfällt nun jenes, bleibt eine schmerzliche Lücke, ein
positives Nichts, eine Leerstelle, die nach neuer Füllung
verlangt. Man kann sich das ganz banal an dem alltägli-
chen überflüssigen Komfort und Luxus klar machen, den
xein Mensch vermisst, bevor er unserer forderungsbewuss-
ten Konsumgesellschaft angedient wird, und der sogleich
zum selbstverständlichen Besitzstand wird, auf den zu
verzichten aber überaus schwer fällt.
Wohl die gravierendste derartige Lücke, mit der sich
die abendländische Psyche in der neueren Geistesge-
schichte auseinandersetzen musste, hinterliess der Abbau
der religiösen Gewissheit und Jenseitsbindung durch die
Aufklärung. Die Vertiefung der religiösen Spiritualität, die
sewusste Aktivierung und Ausdehnung von Geist und
Seele in der Spannung auf ein Transzendentes bildeten die
ungeheure Leistung des christlichen Mittelalters; sie
brachte auch eine Rationalität von neuartiger Schärfe und
Kohärenz hervor, die bald in Widerspruch zum unreflek-
;jert geglaubten Religiösen geriet und von diesem bald
ausgestossen und bekämpft, bald integriert und intensi-
viert wurde. Als das rationale Element in der Aufklärung
die Realität der christlichen Dogmen auflöste, entstand
im geweiteten Seelenraum eine schmerzliche Leerstelle,
deren Füllung in erneuten religiösen Wellen, wie dem Pie-
tismus, der Romantik bis hin zu den erstaunlichsten Sek-
ten, aber auch durch Hingabe, Bindung - nichts anderes
heisst «religio» - an Kunst, Musik, Landschaftserlebnis,
Freundschaft, Vaterland versucht wird. Es ist der
geschichtliche Prozess der Säkularisierung, der aus dem
«Ewigen» der Kirche ins Zeitliche des «Saeculum», des
Jahrhunderts, zurückführt, geprägt zunächst für die Rück-
führung des Eigentums der «Toten Hand», der für das Heil
der Seelen gestifteten Besitztümer in den irdischen Kreis-
lauf der Lebenden, kulminierend in der Verstaatlichung
des Kirchenbesitzes in der Französischen Revolution.
Auch die bildende Kunst tritt in diese Erbschaft des
Religiösen ein, dem sie seit eh’ eng verbunden: dies
bedeutet deren Aufwertung zu einem eigengesetzlich in
sich selbst begründeten Sinnstiftenden über die Beleh-
rung und den Genuss, das «docere et delectare» der älte-
ren Theorie hinaus, und zugleich deren prinzipielle Auto-
nomie gegenüber dem herkömmlichen Auftrags- und
Funktionszusammenhang mit Kirche und Staat. Und
hier, in diesem gestalthaften Bereich, konkretisieren sich
die geistigen Phänomene im Anschaulichen von Pseudo-
morphosen. Die Kunstgeschichte, selbst ein Säkularisie-
rungsprodukt der Theologie, liebt diese Verschiebungen
und wittert, unter dem Leistungsdruck der Sinnstiftung
stehend, Zusammenhänge, wo sie allenfalls auf einer ganz
niederen Ebene der Ökonomie formaler Traditionen exi-
stieren. Es ist die Motivgeschichte, die sich solchen Fra-
gestellungen widmet und bezeichnenderweise gerade für
die Malerei des 19. Jahrhunderts mit ihrer diffusen Aus-
breitung und Verbeliebigung der Inhalte wichtig wird. Jan
Bialostocki, der bedeutende polnische Kunstwissenschaf-
ter, hat vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes von
Katholizismus und Kommunismus seine Theorie der
«Rahmenthemen» entwickelt, in der die Unterschiede der
präzisen Inhalte auf umfassende anthropologische
Grundkonstanten, wie «Mutterschaft» und dergleichen
reduziert und so harmonisiert oder «kompatibilisiert»
werden‘. Anderen Kunsthistorikern aber genügt solches
nicht, und sie postulieren spezifische, bewusste Bedeu-
tungsübertragungen, wo es sich zunächst nur um formale
Ähnlichkeiten handelt“. Da liegt also etwa im Gemälde
von Benjamin West der sterbende General Woolf ähnlich
wie der tote Christus auf van Dycks Beweinung in Ant-
werpen, und schon wird angenommen, der Militär werde
als neuer Heiland dargestellt®. Solche mythische Übertra-
gungen, assoziative Allegoresen, metaphorische Verschie-
bungen entsprechen ganz der Homiletik: der Prediger
geht von einem Bibeltext aus und setzt ihn durch solches
Denken in Analogien mit der aktuellen Situation in
Beziehung. Inwiefern aber der Maler solches beabsichtigte
und das Publikum dies gar realisierte, ob nur eine allge-
meine sakrale Aura oder eine bestimmte, etwa politische
Aussage transportiert werden sollte, dies lässt sich selten
entscheiden. Explizit ausgenützt wird die Möglichkeit in
Karikaturen, aber auch Reynolds, der wichtigste Maler in
London zur Zeit von Füsslis Anfängen und sein Mentor,
spielte mit solchen Zitaten, wobei der Bezug zu einem
berühmten Vorbild gewissen Portraits gezielt eine höhere
Sinnschicht und damit eine Annäherung an die Histori-
enmalerei verleihen sollte, während andere Übernahmen
aus entlegenen Quellen nur der «Originalität» des Malers
dienten und entsprechend in einem satirischen Gemälde
als Plagiate denunziert wurden“.
Während also die meisten derartigen Motivübernah-
men ausser dem Ausdrucksgehalt, der jeder Körperstel-
lung oder Figurengruppierung an sich eignet, kaum
Inhaltliches transportieren, scheint der Fall von Füsslis
«Amor und Psyche» schon deshalb ungewöhnlich, als sich
die Interpretation der Szene radikal von allen anderen
Darstellungen des gleichen Momentes unterscheidet. Um
diese Besonderheit richtig zu verstehen, muss kurz das
von Apuleius in seinem «Goldenen Esel» erzählte Mär-
chen rekapituliert werden. Psyche erregt durch ihre über-
grosse Schönheit den Neid der Venus, und diese schickt
ihren locker Liebespfeile versendenden Sohn Amor aus,
sıe zu rächen. Doch nun verliebt sich der Gott der Liebe
selbst und entführt Psyche in seinen Palast, in dem er sie
im Dunkel der Nacht besucht, bis sie sein Verbot, ihn zu
sehen, übertritt. Jetzt ist sie der Rache der Venus ausgelie-
fert, die Unmögliches von ihr verlangt; nachdem sie die
letzte und schwerste Prüfung, das Einholen der Schön-
heitssalbe von der Unterweltsgöttin Persephone, durch
wunderbare Hilfe bereits glücklich hinter sich gebracht
hat, fällt sie wiederum ihrer unbezwingbaren Neugier
zum Opfer und öffnet entgegen dem Verbot das Gefäss.
Ein tödlicher Dampf entsteigt ihm und umfängt Psyche -
«Unbeweglich lag sie da, ein schlafender Leichnam, nichts
weiter’.» Amor eilt herbei, weckt sie mit dem Stichlein
einer seiner Pfeile und schickt sie mit der Salbe zu seiner
Mutter, während er selbst die Genehmigung zur Hochzeit
vom Göttervater einholt, die alsobald gebührlich im
Olymp gefeiert wird.
Wie man sieht, hat das oberflächlich so leichtfüssig
daherkommende Märchen viel mit Tod und Jenseits zu
tun. Das beginnt schon damit, dass Psyche gemäss eines
finsteren Orakel geopfert werden muss, indem sie von
einem Fels gestürzt wird. Auf wunderbare Weise von
Zephir aufgefangen, gerät sie so in das Jenseits von Amors
Traumpalast, der nach ihrem ersten Vergehen schlagartig
verschwindet und sie verzweifelt umherirren lässt. Da sie
ihren Geliebten im Jenseits vermutet, will sıe sich umbrin-
gen, doch dieser verhindert es und lässt sie die Versöhnung
mit Venus suchen, indem er sie ihrer Rache aussetzt: Wie-
der werden Grenzen überschritten, die für die Sterblichen
den Tod bedeuten. Die Prüfungen, die Psyche nun aufer-
legt werden, verweisen zunehmend auf das Totenreich bis
zur letzten, die direkt zur Fürstin des Hades führen soll.
Da sie nicht anders als durch den Tod dahin zu gelangen
weiss, will sie sich von einem Turm stürzen. Doch dieser,
plötzlich sprachbegabt, belehrt sie eines besseren Weges,
der ihr bei sorgfältiger Vermeidung zahlreicher Fallstricke
eine heile Wiederkunft ermöglicht. Wie wir bereits sahen,
gelang dies, doch kaum zurückgekehrt, sinkt sie durch
Proserpinas Schönheitssalbe in einen Todesschlaf, aus
dem sie durch Amor in den Olymp entrückt wird; eine
Form der Apotheose, die schon seit eh’ als Tod und Ver-
klärung von Götterlieblingen verstanden wurde.
Nun werden im Mythos zwar öfters die Grenzen zwi-
schen Leben und Tod überschritten, man denke etwa an
Odysseus’ Schattenbeschwörung, an Orpheus und Eury-
dike oder an Herakles und Alkestis, doch bleiben dies ver-
einzelte und letztlich meist erfolglose Heldentaten, von
denen sich das schwerelose Gleiten der Psyche durch die
Sphären vollständig abhebt. Sie ist auch gar keine Heldin,
sondern eine Person gewordene Idee - eben Psyche, was
zunächst nichts anderes ist als das griechische Wort für
«Seele» und zugleich für «Schmetterling». Dass auch bei
Amor eine im griechischen Götterhimmel sonst nicht
übliche begriffliche Identität von Figur und ihrer Wir-
kungsmacht, hier also der Liebe, herrscht, machte das Paar
im 18. Jahrhundert schon aus rein dichtungstheoretischen
Prinzipien attraktiv: man wollte von den aus Attributen
rein verstandesmässig zusammengeklebten allegorischen
Figuren ohne eigenes Leben wegkommen und Symbole
verwenden, die in sich selbst sinnvoll und lebendig sind
und zugleich allgemeinere Bedeutungen aufscheinen las-
sen. Obwohl Psyche also eine menschliche Person ist, eig-
net ihr als «Seele» doch ein lockereres Verhältnis zum Tod,
denn sie ist der sterblichen Welt nicht wie der Leib verfal-
len, sondern nach weitverbreitetem, vor allem von Platon
in seinem Phaidon vertretenem Glauben unsterblich.
In der Spätantike hat das Christentum diese platoni-
schen Ideen aufgegriffen und mit Vorstellungen von der
Wiederauferstehung des Fleisches und dem Jüngsten Ge-
richt mit seiner Trennung der Guten und Bösen vereint.
Die sich daraus ergebenden Widersprüche wurden in der
Scholastik zu einem System zusammengeschweisst, das uns
mit seinen tiefgreifenden Folgen religionspsychologischer
und weltlicher Art letztes Jahr in der Ausstellung «Himmel,
Hölle, Fegefeuer» plastisch vor Augen geführt wurde®. Im
Spätmittelalter und Barock spitzte sich der Glaube auf ein
Individualgericht in der Stunde des Todes zu, das über das
ewige Schicksal entscheidet. Diese Kluft trennt das Dies-
seits vom Jenseits und nur über die Fürbitte bei Christus
und den Heiligen besteht für die Lebenden die Möglich-
keit einer Einwirkung auf das Schicksal der Seelen im Jen-
seits, deren einziges Ziel die seligmachende Schau Gottes
ist. Der Tod hat so einen doppelten Aspekt: einerseits bil-
det er die Schwelle aus der Nichtigkeit des Diesseits, aus
dem Jammertal der Erde in die Eigentlichkeit des ewigen
Reiches Gottes, andererseits enthüllt er die Schrecken des
Jüngsten Gerichtes. Dass man wohlvorbereitet vor dieses
tritt — und nicht etwa im Stand ungebüsster Sünden, ist
die stete Sorge der christlichen Seele, die deshalb durch
das Bild des Todes ständig und drastisch an die Vergäng
lichkeit des Diesseits gemahnt werden muss.
Mit der Aufklärung nun begannen sich diese Vorstel-
lungen zu verschieben®. Während die neuzeitlichen Ent-
deckungen und der Rationalismus in gebildeten Kreisen
oft zu einem Deismus führten, der nur noch einen Schöp-
fergott, nicht aber die orthodoxe Lehre von Sündenfall
und Erlösung durch Christus vertrat, blieben andere
Ideen, wie die Unsterblichkeit der Seele, durchaus gültig
und im Einklang mit der Überzeugung, in der besten aller
möglichen Welten zu leben, wie sie ein notwendig all-
gütiger Gott nicht anders gewollt und erschaffen haben
muss. Dass Seelen ewiger Verdammnis anheimfallen, kann
in einem solchen Heilsplan keinen Platz haben; folge-
richtig entfallen mit den Schrecken des Gerichtes auch die
des Todes. Das entleerte Jenseits wird mit den Vorstellun-
gen eines in Empfindsamkeit und Pietismus gefühlsmäs-
sig intensivierten Diesseits erfüllt; insbesondere beginnt
sich der früher nur selten als heidnisch-antik oder gar zau-
berisch-dämonisch geäusserte Wunschgedanke allgemein
durchzusetzen, dass man seine Freunde und Verwandten,
seine Kinder und seinen Gatten wieder als Individuen
treffen und mit ihnen die himmlischen Freuden geniessen
werde. Nachdem sich die Idee besonders in der englischen
Literatur zunehmend herausgebildet hatte, sprach sie
merkwürdigerweise anscheinend als erster Albrecht von
Haller in seiner «Trauerode, beim Absterben seiner gelieb-
;en Mariane» (1736) ganz eindeutig aus. In Youngs
«Nachtgedanken», in Richardsons nicht weniger populä-
ten Briefromanen, in der zu einer eigenen Gattung aus-
ufernden «Briefen von Verstorbenen an Lebende», beson-
ders schlagfertig in Goethes «Werther» mit der klassischen
Formulierung «Wir werden uns wiedersehen» bis hin zu
Novalis todessüchtigen «Hymnen an die Nacht», überall
findet sich nun der Gedanke!
Der schwedische Naturforscher, Theosoph und Gei-
sterseher Emanuel Swedenborg steigerte diese Vorstellun-
gen zu einem kohärenten spiritistischen System: die Seele
vesitzt einen Geistleib, um den der irdische Körper wie
ein Gewand gehüllt ist; im Tod gleitet dieser so leicht wie
ein Schatten ab, so dass die Person zunächst kaum
bemerkt, dass sie gestorben ist - Tod und Auferstehung
fallen zusammen!!, In dem so populären, in zahllosen
Wiederholungen verbreiteten Grabmal der Frau Pfarrer
Langhans in Hindelbank?, in Gemälden von Freudwei-
ler, Graff!*, Fabre® u.a. sehen wir nun die Seele der Ver-
blichenen in ihrem Geistleib, und öfters steht sie im Kon-
takt mit dem hinterbliebenen Gatten, den sie noch
umschwebt, erwartet und ihm den Weg zum Himmel vor-
ausweist. Denn im Gegensatz zur kirchlichen Lehre bleibt
für Swedenborg Geschlechtlichkeit und Ehe, die auf ech-
ter Seelenverwandtschaft beruht, auch im Jenseits beste-
aen und vervollkommnet sich hier ebenso wie andere
Seelenkräfte. Der Himmel wird banalisiert; die alten
gewaltigen und erschreckenden Jenseitsvorstellungen wei-
chen einem «Land des ewigen Schäferstündchens»
(Mason). Allerlei merkwürdige Auswüchse, wie etwa Lava-
ters «Aussichten in die Ewigkeit» und sein leichtgläubiges
Haschen nach Andeutungen aus dem Jenseits machen
sich breit — bis hin zu spiritistischen S&ancen und dem
Aufleben des Vampirglaubens, demzufolge Seelen ihre
leben ins Jenseits nachziehen!®.
Vor diesem Hintergrund ist nun auch die ausseror-
dentliche Beliebtheit des Märchens oder Mythos von
Amor und Psyche im späten 18. Jahrhundert zu sehen!’:
denn hier findet sich genau dieser fliessend unbestimmte
Übergang über die Grenze des Todes und das Weiterleben
und die Vollendung der Gattenliebe in höheren Sphären.
Dass Psyche als Eigenschaft zunächst vor allem Schönheit
eignet, macht sie im Zeitalter der «schönen Seele» beson-
ders attraktiv; ihre läuternden Prüfungen und ihre entsa-
gungsvolle Hingabe entsprechen der Gefühlsverdichtung
und Sublimierung der Empfindsamkeit, über deren inni-
gere Ehebeziehungen noch ein Hauch geläuterter Roko-
ko-Erotik schwebt. Die Rückkehr Psyches aus der Unter-
welt und das Wiederfinden ihres Geliebten führt alle
Motive und Gefühle zusammen; in ihren so zart schick-
lich gezähmte Liebe und getröstete Melancholie emp-
findsam verschwisternden Gestalten erfasste Angelika
Kauffmann die in Deutschland und im protestantischen
Norden dominierende Stimmung wohl am genauesten!8,
Nicht von ungefähr wünschte sich Friedrich von Matthis-
son, der Mode-Poet der Epoche, von ihr eine aus Lethe,
dem Vergessen spendenden Jenseitsfluss, schöpfende Psy-
che als Frontispiz für seine Gedichte, die etwa diejenigen
Goethes an Popularität übertrafen und ganz überwiegend
der geschilderten Thematik verpflichtet sind. Die Vignet-
te bezieht sich auf die zentrale Stelle des Gedichtes Elysi-
um: «Psyche trinkt, und nicht vergebens! / Plötzlich in der
Fluten Grab / Sinkt das Nachtstück ihres Lebens / Wie ein
Traumgesicht hinab.» - offensichtlich die poetisch euphe-
mistische Umschreibung des Todes, der Befreiung der
Seele von ihrem irdischen Körper. Da Matthisson das
Frontispiz bestellte, kurz bevor Angelika Kauffmann das
grosse Gemälde in Angriff nahm, bildete sein Gedicht
möglicherweise überhaupt die entscheidende Anregung;
ıedenfalls ist seine Gefühlshaltung in die Gestaltung ein-
geflossen. Dass das Bild nicht an die Bestellerin, die jäh-
zornige Fürstin Bariatinsky, gelangte, sondern von der
schönen Seele und unglücklich verheirateten Louise von
Anhalt-Dessau für ihr Schlösschen Elysium erworben
wurde, als sie in Begleitung Matthissons Angelika in Rom
besuchte, entspricht völlig der Logik der Dinge. Dass sich
nach ihrem Tode ihr aus physischer Inkompatibilität pla-
tonischer Gemahl Fürst Franz in ihr Elysium, wo er ihren
«Geistleib» noch um sich schweben fühlen mochte, zu-
rückzog, will uns der historischen Stimmigkeit fast zu viel
erscheinen.
Dass eine solch glättende, verharmlosende Sicht der
Dinge Füssli nicht befriedigen konnte, sondern seine
unbezähmbare Widerspruchslust herausfordern musste,
versteht sich fast von selbst. Als bei seinem Zürcher Auf-
enthalt im Winter 1778/79 sein alter Bekannter Schinz
zwei Szenen aus dem Märchen von Amor und Psyche
bestellte, wird dieser wohl schwerlich an die kaum je dar-
gestellte Episode, wie Psyche an den Parzen vorbeieilt,
gedacht haben: statt der üblichen Lieblichkeit erfindet
Füssli eine Szene, die eher an Macbeth und die Hexen
erinnert?. Schon aus dem berühmten antiken Fresko mit
dem Verkauf von Eroten, das Vien u.a. zu einer galanten
Genreszene aus dem Geist des Rokokos in klassizisti-
schem Gewand machten, wusste der «painter ordinary to
the devil» das Dämonisch-Hexenhafte herauszukehren?',
wie es übrigens auch in Apuleius’ Goldenem Esel in oft kras-
ser Weise zur Geltung kommt. Bereits in einer Jugend-
zeichnung, die Amors nächtlichen Besuch bei Psyche
zeigt? stellt Füssli diesen nicht wie üblich als zierlichen
Jüngling, sondern als mächtigen Dämon dar; und in glei-
cher Weise stürmt er in gewaltsamem Sturzflug auf die
ohnmächtige Psyche nieder in einer Zeichnung, die kurz
vor dem Gemälde entstanden sein dürfte”.
Nun müsste eigentlich folgen, was Canovas welt-
berühmte Gruppe zeigt?: wie Amor seine Geliebte — sei
es mit einem kleinen Stich eines seiner Pfeile, sei es mit
zinem Kuss - auferweckt. Doch statt dessen sitzt der Gott
auf der Erde und hält die nach allen Anzeichen tote Psy-
che in seinem Schoss: ratlos betrachtet er die leblos hän-
gende Gestalt, deren von dem korallenroten Armband
pikant akzentuierte Leichenblässe auffällig von seinem
ajgenen merkwürdig düster blutleeren, grau-grünen Inkar-
nat absticht. Noch weniger mit dem holden rosigen Kna-
ben stimmen seine riesigen, tiefschwarzen Flügel überein.
Was heute nur als eine stilistische Eigentümlichkeit Füsslis
erscheinen mag, muss den Zeitgenossen als höchst signi-
fikante Abweichung von der üblichen Ikonographie
erschienen sein. Den neuen Vorstellungen vom Sterben
entsprach die herkömmliche Darstellung des Todes als
Knochenmann nicht mehr; was an die Stelle dieser furcht-
erregenden und abgeschmackten Gestalt zu treten hatte,
beschrieb Lessing in «Wie die Alten den Tod gebildet»:
ein Jüngling, Bruder des Schlafes, Eros zum Verwechseln
ähnlich, nur dass seine Fittiche nicht hell, sondern dunkel
sind und er die Fackel, die jener zur Liebeglut hochhält,
zum Erlöschen niedersenkt?. Dem Verwischen der Gren-
ze von Tod und Leben, der Erotisierung des Jenseits durch
die Fortdauer individueller Liebesbanden entsprach die
Annäherung von Eros und Thanatos bis zur Einheit im
Begriff des «Genius», der die Seele ins Jenseits geleitet, wie
es auf zahllosen klassizistischen Grabmälern zu sehen ist.
Wäre es also denkbar, dass hier Füssli nicht nur Psyche
als durchaus tot, sondern auch statt des Genius der Liebe
den des Todes darstellt und damit die Aussage des Mode-
themas seiner Zeit in dessen Gegenteil verkehrt? Dies
scheint uns tatsächlich eine Möglichkeit zu sein, wenn wir
Füsslis geistige Haltung bedenken. Schon durch seine
Ausbildung zum reformierten Prädikanten wurde er von
der orthodoxen Lehre der Erbsünde und deren pauli-
nischem «Der Tod ist der Sünde Sold» (Römer 6,23)
geprägt, das letztlich mit dem neuplatonischen Dualis-
mus von Leib und Seele unvereinbar bleibt?®. Und bei all
seiner Distanzierung vom kirchlichen Christentum blieb
er von der Realität der Macht des Bösen überzeugt. Von
Klopstocks Messzas, dessen Thema die Erlösung der See-
len ist und der ganz von der neuen Auffassung bestimmi
wird28, wandte sich Füssli ab, nachdem er aus dem Kreis
um Bodmer getreten war, und wählte Miltons Paradise
Lost mit seiner Betonung der Verdammung und der nega-
tiven Verherrlichung Satans zum bevorzugten Gegen-
stand seiner Kunst.
Vor diesem Hintergrund wird die Wahl der Bildform
der Pieta erst voll verständlich, denn in der Erzählung des
Apuleius findet sie keinen Anhaltspunkt. Vielmehr ändert
Füssli deren Entwicklung und spricht seine Auffassung
durch den Rückgriff auf die inhaltlich traditionell gepräg
te Figurengruppe aus. Nach christlich orthodoxem Glau-
ben ist der vom Kreuz abgenommene Jesus auf dem
Schoss Mariae tatsächlich tot — so tot, wie er in Holbeins
Bild seiner Leiche im Grabe erscheint. Nur durch dieses
vollständige Opfer kann der Tod überwunden und das
Wunder der Auferstehung möglich werden. Indem Füsslı
nun die euphemistisch leichtfüssige «Auferstehungs»-
Szene aus dem neuplatonischen Märchen durch die Pseu-
domorphose der Pietä der Ernsthaftigkeit des christlichen
Todesverständnisses aussetzt, lässt er die Fragwürdigkeit
der neuen Auffassung aufscheinen und erteilt ihr auch
eine Antwort, indem er statt des erlösenden Amors sein
heidnisches Ebenbild, den Tod, mit der Leiche der Psyche
hilflos dasitzen lässt, die er ebensowenig wie Maria den
Sohn Gottes wieder ins Leben zu rufen vermag. Mehrere
verwandte Kompositionen aus den gleichen Jahren
Ugolino mit der Leiche eines Sohnes auf den Knien,
Romeo vor der Bahre Julias, Celadon, in dessen Armen
Amelia vom Blitz erschlagen wird — bestätigen diese
düstere Interpretation??.
Diesem weltanschaulichen Pessimismus entspricht
eine ästhetische Dimension von eigener Ausdrucksmäch-
tigkeit. Ihr Leitbegriff ist das «Erhabene», das dem «Schö-
nen», wie es die euphemistischen Todesdarstellungen
bestimmt, entgegengesetzt ist. Füssli hat dem Unterschied
in einer anderen ikonographischen Umkehrung schlagen-
den Ausdruck verliehen: der antiken Skulptur der Drei
Grazien, wie sie etwa Angelika Kauffmann programma-
tisch auf ihrem Portrait Winckelmanns in Zürich zeigt,
setzt er in ähnlich verschränkter Dreiergruppe kauernde
Mädchen als Darstellung von Furcht, Angst und
Schrecken gegenüber*®. Solche erschütternde Wirkungen
erreicht das Genie, indem es «einen Blick ins Dunkel
wirft», das grenzenlos Überwältigende, das rätselhaft
Unfassbare beschwört. Wie bei einem Andachtsbild stellt
sich dem Betrachter die Gruppe unausweichlich frontal
gegenüber; die mächtigen Schwingen des Gottes füllen
mit ihrem tiefen Schwarz nahezu den ganzen Bildgrund,
ja sie überragen diesen in nicht bestimmbarem Masse: es
gehört zur Wirkungsmacht des Erhabenen, dass es «die
eigene Grenze in eigener Grösse verhüllt» und dass es das
Meiste der Phantasie des Betrachters überlässt — mit Füss-
lis Aphorismen zu sprechen?!. So bleibt auch der Raum
dunklem Ahnen überlassen; selbst die Erde ist kaum zu
erkennen, so dass die bildbestimmenden nach unten wei-
senden Arme, die den Gliederungsrhythmus der Flügel-
ansätze fortführen, zusammen mit dem hängenden und
dem abwärts blickenden Kopf einen düsteren, orts- und
bodenlosen Abgrund evozieren.
Als wichtigstes Bildmittel erscheint hier aber wiederum
das Licht - «chiaroscuro’s magic?» —, das steil und gebün-
delt wie durch einen tiefen Schacht auf den alabasternen
Leib der Psyche fällt und die mächtigen Glieder des
Genius in düsterer Blässe aus dem finstern Grund auf
schimmern lässt. Ein Luftzug streicht aus gleicher Rich-
tung in die Gruft hinab, weht die goldenen Locken dem
Jüngling ins Gesicht und lässt sie seinen melancholischen
Blick zur Entseelten begleiten. Etwas Stimmungshaftes
entsteht, das freilich ebenso weit von barocker Vanitas-
Drohung oder erotischem Sensualismus wie von roman-
tisch weicher Sentimentalität ist; in «heiliger Nüchtern-
heit» erinnert es noch von Ferne an Tizians Dre:
Lebensalter, wo der entblösste Bursche ähnlich am Boden
sitzt und ähnlich von Liebe und Trauer erfüllt zu der frei-
lich von Leben strotzenden Schönen vor seinem Schosse
schaut. War in jenem farbenprächtigen arkadischen
Hymnus die Meditation über Zeugen und Vergehen in
den ewigen Zyklus einer blühenden und absterbenden
Natur eingebettet, so ist sie nun ins Individuelle, Rätsel-
hafte, Unlösbare zugespitzt. Füssli gelang hier eine unver-
gleichlich tiefgründige Gestaltung des Themas, das von
der Nachtseite der Aufklärung über die Romantik bis zum
Symbolismus Musiker, Dichter und Maler zentral
beschäftigte. Statt seine Komplexität durch eine eindeuti-
ge Interpretation zu reduzieren, wollen wir mit Füsslis
Warnung enden: «Approach the sanctuary of mysteries
guided by reason, but remember that its feeble light can
only make darkness visible.»
Christian Klemm
Ein Blick auf «Amor und Psyche» um 1800 (Ausst.Kat. Kunsthaus Zürich 1994)
Nr. 18bis Abb., Text von Paul Lang, Abb. der Pret4 von Ercole de’Roberti. In
der grundlegenden Monographie von Gert Schiff: Johann Heinrich Füssli
(Zürich 1973) unter den verschollenen Werken S. 654, Nr. 75: Ausstellung
Royal Academy 1812, Nr. 89.
Herkunft: William Lock, Norbury, Surrey (?, vgl. Kat. 1994, Anm. 1) - dessen
Schwiegersohn, Joseph Henry Blake, third Baron Wallscourt (1797-1849, hei-
ratet 1822 Elisabeth Lock) — seit ca. 1920 Isle of Wight, Privatsammler — des
sen Erben - 1994 durch Anthony Mould, London, erworben.
Jörn Göres: Goethes Gedanken über den Tod (in: Der Tod in Dichtung, Philosophie
und Kunst [ed. Hans Helmut Jansen, Darmstadt? 1989] S. 267-278).
Jan Bialostocki: Die «Rahmenthemen» und die archetypischen Bilder (in J.B.: Stil
und Ikonographie [Dresden 1966] S. 111-125). ;
‘Donat de Chapeaurouge: Wandel und Konstanz in der Bedeutung entlehnter Motive
(Wiesbaden 1974), ferner Renate Liebewein-Krämer Sähularisierung und Sakra-
Fistierung. Studien zum Bedeutungswandel christlicher Bildformen in der Kunst des
19. Jahrhunderts (Diss. Frankfurt 1977).
Triumph und Tod des Helden (Ausst. Kat. Köln/Zürich 1987) Nr. 103.
‘John Newman: Reynolds and Hone. The «Conjuror» Unmasked (in: Reynolds [ed.
Nicolas Penny, Ausst. Kat. London, Royal Academy, 1986] S. 344-354).
Apuleius: Metamorphoseon libri, genannt Der goldene Esel, darin das Märchen
von Amor und Psyche, lib. IV 28-1lib.VI 24, das Zitat aus lib. VI 21.
Himmel, Hölle, Fegefeuer (ed. Peter Jezler, Ausst. Kat. Zürich. Schweizerisches
Landesmuseum, 1994).
Eine Darstellung dieser Veränderungen im Erleben des Todes bei Hermann
Beenken: Das 19. Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte (Mün-
chen 1944) S. 234-246.
)Eudo C.Mason: «Wir sehen uns wieder!» Zu einem Leitmotiv des Dichtens und Den-
bens im 18. Jahrhundert (Literaturwissenschaftliches Jahrbuch. Neue Folge V. 1964.
3. 79-109).
Die Bedeutung dieses Konzeptes und Swedenborgs für die bildende Kunst des
Klassizismus bemerkte H. Woldemar Janson: Thorvaldsen and England (in: Bertel
Thorvaldsen. Untersuchungen zu seinem Werk und zur Kunst seiner Zeit [Köln 1977]
5. 107-128) bes. S. 110-113, insbes. über Nahl und Flaxman. Vgl. allgemein
Ernst Benz: Emanuel Swedenborg. Naturforscher und Seher (München 1948).
? Axel Christoph Gampp: Das Grabmal der Maria Magdalena Langhaus von
lohann August Nahl von 1751 (Kunst und Architektur in der Schweiz 1995
$. 72-75).
Horst W. Janson: Über die «Trosthilder» des Heinrich Freudweiler (Neue Zürcher
Zeitung 30.7.1977), insbesondere die beiden Bilder im Kunsthaus Auferstehung
und Allegorie auf den Tod einer jungen Gattin, besonders bezeichnend die in
einem Stich von Benjamin-Rodolphe Comte überlieferte Komposition La
sollicitude d’une mere dans V’eternite,
*Z.B. in dem sog. Bildnis der Gräfin Armfeld und ihrer Tochter.
> Francois-Xavre Fabre, Don Luigi Grimaldi am Grab seiner Verlobten und Posthu-
mes Bildnis seiner Braut, Fanny, Marquise Grimaldi, mit Amor. 1804. Auktions-
katalog Christie’s, Monaco 4. XII. 1993, lot 49.
> Bekanntestes hochliterarisches Beispiel Goethes Braut von Korinth.
'Dies hat Christel Steinmetz: Amor und Psyche. Studien zur Auffassung des Mythos
in der bildenden Kunst um 1800 (Diss. Köln 1989) präzise herausgearbeitet (bes.
S. 189-231).
18 Das grosse Gemälde im Kunsthaus s. Amor und Psyche (wie Anm. 1) Nr. 13,
ferner Christian Klemm: Angelika Kauffmann «Amor und Psyche», Kunsthaus
Zürich. Geschenke und Neuerwerbungen zum 200-Jahr-Jubiläum der Zürcher Kunst-
gesellschaft 1988, S. 9-12; auch in Jahresbericht 1987, S. 89-92.
9 Siehe in Amor und Psyche (wie Anm. 1) Nr. 20.
0 Schiff (wie Anm. 1) Nr. 715 und neuerdings eher essayistisch Frederick N. Boh-
rer: Public virtue und private terror: A two-sided oil sketch by Henry Fuseli (Zeitschrift
Für Kunstgeschichte 53 1990 S. 89-106).
“4 Schiff (wie Anm. 1) Nr. 655.
2 Schiff (wie Anm. 1) Nr. 282.
+ Schiff (wie Anm. 1) Nr. 997, Amor und Psyche (wie Anm. 1) Nr. 18, anscheinend
zu einem geplanten Zyklus zu dieser Geschichte gehörend.
*Hauptexemplar im Louvre, dazu Amor und Psyche (wie Anm. 1) Nr. 17.
> Gotthold Ephraim Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet (1769). Über die aus-
serordentliche Wirkung dieser Schrift mag man Goethes Dichtung und Wahrheit
(Buch VIII) vergleichen.
Vgl in Der Tod in Dichtung... (wie Anm. 2) S. 53.
”Eudo C.Mason: 7he Mind of Henry Fuseli (London 1951) gibt in sorgfältiger
Abwägung eine Auswahl einschlägiger Textstellen S. 159-171.
Elisabeth Höpfer-Herberg: Der Tod der Meta Klopstock. Ein Versuch über des Dich
ters Auffassung vom Tode (in: Der Tod in Dichtung... [wie Anm. 2] S. 249-265)
Schiff (wie Anm. 1) Nr. 1200, 1207, 1218. Natürlich ist in diesem Zusammen-
hang auch an die Nachtmahr zu erinnern; schon die Ähnlichkeit der Stellung
der beiden Frauen deuten auf eine Beziehung. Schiff (S. 308f) bemerkt ferner
die innere Distanzierung Füsslis von der Antike nach 1800.
* Schiff(wie Anm. 1) Nr. 839 (Zürich), zur Interpretation und zum «Erhabenen»
bei Füssli s. Johann Heinrich Füssli. Zeichnungen (Zürich 1986: = Kunsthaus
Zürich. Sammlungsheft 12) Nr. XII.
1 Heinrich Füssli: Aphorismen über die Kunst (Hrsg. Eudo C.Mason, Basel 1944
Nr. 51, 37 und 41.
2 Füssli, Lecture VI, S. 281, zitiert nach Mason, Mind (wie Anm. 27) 5. 241.
> Mason (wie Anm. 27) 5. 162.
CY TWOMBLY IM
KUNSTHAUS ZÜRICH
Seit der grossen Ausstellung und dem Ankauf des monu-
mentalen Gemäldes Vengeance of Achilles, das sich die
Kunstgesellschaft 1987 zu ihrem Jubiläum genehmigte,
reifte während sieben Jahren das Bestreben, Cy Twombly
eine ähnliche Heimstätte zu schaffen, wie es für Füssli,
Hodler, Munch, Kokoschka oder Giacometti früher
glückte. Indem nun der Künstler in grossartiger Unei-
gennützigkeit neun seiner seltenen Originalskulpturen
schenkte und das Museum mit Hilfe der Vereinigung Zür-
cher Kunstfreunde und des Lotteriefonds das mehrteilige
Werk Goethe in Italy erwarb, wird hier die faszinierende
Ausstrahlung dieser poetischen Kunst dauernd erlebbar
oleiben. Ein weiter Raum, in dem der grosse Atem abend-
ländischen Geistes sichtbare Gestalt gefunden hat, öffnet
sich so im Kunsthaus - hoffen wir, dass er mit der Zeit zu
zinem repräsentativen Überblick über die Kunst Cy
Twomblys wachsen wird; doch schon heute können wir
die herausragenden Eckpunkte in der Malerei und die
Fülle der Skulpturen betrachten.
Die Gemälde
Goethe in Italy ist ein grosses, mehrteiliges Werk von 1978,
das in der Mitte zwischen den beiden, sich am markante-
sten unterscheidenden Werkphasen Cy Twomblys steht!.
Die frühere ist durch die Dominanz des skriptural Zei-
chenhaften bestimmt, in der späteren erhält das Maleri-
sche das Hauptgewicht: an beiden hat unsere Serie Anteil,
so dass sich die Charakteristika beider Phasen hier studie-
ren lassen. Will man dieser werkgeschichtlichen Entwick-
‚ung folgen, muss man allerdings die Panneaux von Goethe
'n Italy in umgekehrter Reihenfolge betrachten. Das letz-
te und kleinste, eine Art kurzer Abgesang auf Papier, erin-
nert als reines Hin und Her von Strichen an die frühesten
Bilder Twomblys, in denen er mit Strichbündeln urtüm-
lich nordafrikanische Ornamente evozierte, Von deren
Sperrigkeit und Eigengewicht ist hier freilich nichts mehr
zu spüren; vielmehr haben wir ein Kalligramm, eine freie
Bewegung der Gelenke auf dem im übrigen leeren weissen
Papierrechteck vor uns und damit quasi ein beispielhaftes
Muster für die Keimzelle von Twomblys Kunst.
Cy Twombly gehörte wie Jasper Johns und Robert
Rauschenberg, mit dem er sich früh befreundete, zu den
um 1950 jungen Künstlern, die bereits auf der Errungen-
schaft der Gründergeneration der New York School auf-
5auen konnten: der existentiellen, unmittelbaren, psy-
chophysischen Konfrontation des Malers und seiner
Farbmaterie mit dem virtuellen Bildraum der Leinwand.
Gegenüber den heroischen Gesten der «abstrakten Expres-
sionisten» Pollock und Kline findet Twombly im Gekrit-
zel, in beiläufigen Kringeln, in flüchtigen Zeichen am
Rande der Lesbarkeit die Möglichkeit der Spurensiche-
rung seiner Emotionen. Was extrem subjektiv erscheint
und in seiner unnachahmlich spannungsvollen Sensibi-
lität und Erfindungsfülle auch ist, nähert sich zugleich
wieder dem Ursprung des Zeichnens in kindlichen Versu-
chen und dem anonym Allgemeinen von Graffiti. Diese
sich vom willensmässig Forcierten, vom verstandesmässig
Beherrschten lösenden Grenzzonen wurden von Barthes
u.a. weitläufig analysiert?; Twombly notierte 1957 dazu:
«Heute ist jede Linie die gegenwärtige Erfahrung ihrer
eigenen ihr innewohnenden Geschichte. Sie erklärt
nichts, sie ist das Ereignis ihrer eigenen Verkörperung?.»
Und wie die Linie so zu ihrer Autonomie findet und
doch in ihrer Verkörperung notwendig die Geschichte
ihrer Entstehung vergegenwärtigt, so entwickelt Twombly
auch für das andere elementare Kunstmittel, die Fläche,
die zugleich als Bildfeld Deutungshorizont für alles auf
ihr Vorhandene, für die Emotionen virtuelle Räumlich-
keit und objekthafte Farbmaterie sein soll, eine ähnlich
kunstvolle wie urtümlich kunstlose Weise zwischen
Gestalt und Auflösung. Die zweitletzte und grösste Tafel,
die den namengebenden Schriftzug «Goethe in Italy»
trägt, zeigt die vielschichtige, an alte, vielfach übertünch-
te und wieder abbröckelnde, ausgebleichte Mauern erin-
nernde Behandlung, die für die frühen Arbeiten Twomb-
lys charakteristisch ist. Und auch in diesem Bereich setzt
sich Twombly innerhalb der gleichen Bildauffassung vom
Pathos der Gründergeneration ab: nicht das Wesenhaft
Absolute der Farbflächen Newmans oder Rothkos sucht
er, sondern ein haptisch Erdverhaftetes, das in seinen Ver-
läufen mehr der eigenen Materialität als der Willkür des
Malers zu gehorchen scheint und so etwas Naturwüchsi-
ges erhält. So werden diese Bilder weder wie die Farb-
flächen Newmans als plötzliches Ereignis, als sublimer
«Moment» quer zur Zeit, noch als zeitlos schwebend wie
die Stimmungsräume Rothkos erlebt, sondern als in ihrer
Materialität zeithaltige, über Vergangenheiten geschichte-
te und in die Zukunft zerfallende oder sich verwandeln-
de. Besonders die sich mehrfach überlagernden, gelösch-
ten und wieder auftauchenden Schriftzüge machen diesen
geschichtlichen und damit quasi erzählerischen Charak-
ter deutlich: der durch die Farbschleier evozierte Raum
öffnet sich in die Tiefe der Zeit - die Strukturanalogie zur
Gegenwärtigkeit von Mythen drängt sich auf.
So simpel und alltäglich also diese sensibel ver-
schmierten Oberflächen erscheinen, so komplex sind sie
in ihren Anmutungsqualitäten, deren Widersprüchlich-
keit nur in der Vieldeutigkeit der Farbe Weiss aufgehoben
werden kann“. Das bereits zitierte Statement von 1957,
kurz nach der ersten Mallarme-Lektüre verfasst, als Weiss
von New York bis Zero faszinierte, beginnt so: «The reali-
ty of whiteness may exist in the duality of sensation (as the
multiple anxiety of desire and fear).» Es ist diese siımultane
Gegenbewegung von Anziehung und Distanzierung, die
auch Giacometti in seinen Skulpturen, insbesondere im
Chariot, gestaltete, die das Weiss als Nichts und Unend-
lichkeit, als Ort der Latenz vor dem Erscheinen und Ent-
scheiden auszeichnet. Twombly vermag ihm durch mate-
rielle Verunreinigung die Körperlichkeit einer Haut geben
und trotzdem die geistige Durchsichtigkeit zu bewahren —
es ist bei den Bemerkungen zu den Skulpturen darauf
zurückzukommen.
Es bleiben die vier oder zwei Panneaux, die links des
grossen Bildes mit «Goethe in Italy» hängen und in denen
der Bewegungsimpuls, der die ganze Gruppe durchzieht,
einsetzt. Die vier Hochrechtecke gliedern sich in zwei
gleichartige Zweiergruppen: je eine kleinere, vollständig
mit tiefem Grün, Braun und etwas Weiss zugemalte
Papierarbeit, die ursprünglich mit ihrem Gegenstück ein
einziges Blatt bildete, als Auftakt und je ein grosses Lein-
wandbild, auf dem sich die Farbmaterie in gewaltigem
Furioso zu einem Berg oder einer Insel türmt. In dieser
Form wurde die Werkgruppe seit ihrer Entstehung 1978
wiederholt ausgestellt und für das Kunsthaus erworben;
die Verdoppelung des Zweierrhythmus zu Beginn, in dem
sich die Palette vom ersten zu zweiten Paar aufhellt und
reinigt, geben der ganzen Serie einen weiten, quasi musik-
dramatischen Atem®. Doch neuerdings neigt Cy Twombly
zur Ansicht, dass für die Aussage von Goethe in Italy die
zweite Gruppe genüge und die beiden anderen Teile eine
selbständige Arbeit bilden. Dieweil nun alles hier vereint
bleibt, kann man es damit halten, wie man will - ob man
der editio princeps oder der Ausgabe letzter Hand den
Vorzug gibt, ist dem Betrachter überlassen.
Jedenfalls verwirklicht hier Twombly erstmals im
Grossen, was im folgenden sein Werk bestimmen wird:
eine neue Einheit des linear Skripturalen mit der Farb-
materie. Die beiden bisher getrennten Prinzipien werden
«fusioniert», «ineinandergegossen» bis zur unlösbaren Ver-
einigung. Haben sie sich bisher mannigfaltig überlagert,
durchdrungen, sich gelegentlich sogar im Charakter
genähert, so werden sie nun eins und damit ändert sich
unvermeidlicherweise ihr Wesen. Am auffälligsten ist
zunächst, wie die mit bunter Farbe gesättigte Malmaterie
plötzlich die Leinwand überflutet; die Dringlichkeit des
Schwalls lässt die schon länger gestauten Energien dieses
Durchbruchs ahnen. Nicht mehr durchsichtig flächig als
wesenhaft dem Bildgrund zugehörig und diesen konstitu-
ierend, sondern als eigenmächtig gegenständlich erscheint
diese Woge; bezeichnenderweise bleibt über ihr die weiss
präparierte Leinwand demonstrativ völlig leer, während
sich wenigstens im zweiten Panneau ein Wolkenbruch des
Bindemittels in den unteren Teil ergiesst. Damit kommt
dieser Farbmasse ein positiver Form- und damit Zeichen-
charakter zu: ihre Gestalt und Mächtigkeit, das erdige
Braun und das primär der Vegetation zugeordnete Grün
drängen die Vorstellung von Gebirge oder Inseln auf.
Diesen Flächen eignet auch durchaus nicht mehr jenes
quasi passive und anonyme Sich-Ergeben-Haben, viel-
mehr werden sie vollständig von dem prozessualen Prin:
zip der «Linien» durchdrungen und mit prickelnden Ener-
gien aufgeladen. Die Striche verlieren in dieser Fusion
ihren spezifischen Zeichencharakter an ein Allgemeine-
res, das man als Analogie oder Extremfall von «peinture»,
des Pinselwerkes der traditionellen Malerei betrachten
kann. Obwohl bei Cy Twombly hier wie zuvor Mache
ınd Materie prinzipiell über irgendwelche abbildungs-
haften Anmutungen dominieren, ergibt sich so eine
Annäherung an ältere Kunst und insbesondere an Monet,
der, von der anderen Seite kommend, am weitesten gegen
diesen Bereich vordrang. Nicht von ungefähr geschah das
in den grossen Seerosen-Panneaux; das Element des Was-
sers, in dem die bei Festkörpern getrennten Prinzipien ver-
schwimmen, wird auch bei Twombly dominieren und
ihm helfen, in dem Triptychon Hero und Leander die 1978
noch ungelösten Probleme zu gestalten®. Schweifen wir
kurz in die Sammlung des Kunsthauses ab, sehen wir hier
zwei durchgehende Hauptlinien konvergieren: das Feiern
malerischer «peinture» bei Manet, Monet oder Ryman
und die expressive Aktivierung der gemalten «Haut» bei
Hodler, Munch, Kokoschka, dessen Werk Twomblv übri-
zens früh rezipiert hat.
Bereits 1961/1962 scheint sich in Twomblys Werk eine
ähnliche Entwicklung anzubahnen, als die «Zeichen»
zunehmend pastos farbig - meist rot — wurden und sich
vom Skripturalen zu fleckigen Ergüssen wandelten. Bevor
die Tendenz abbrach und von ganz andersartigen, dun-
<elgrundigen Bildern mit streng linearer weisser Schrift
abgelöst wurde, kulminierte sie in einer Anzahl «Portraits»
mythischer Gewalttaten; zwar nicht das malerischste, aber
das grösste, brutalste und in verschiedener Hinsicht kon-
sequenteste dieser Werke ist Vengeance of Achilles. Auch
ler hat sich die aufgewühlte Farbmaterie von dem unbe-
nalten Grund in eine einzige grosse Form, das Dreieck
der Speerspitze, zusammengezogen, doch bleibt sie in das
gezeichnete grosse A und den skripturalen Gestus von
Titel, Signatur und sich sträubendem «Haar» eingebun-
den: beide Prinzipien sind in ihrer je eigenen, spezifisch
wirkungsmächtigen Autonomie vollständig ausgeprägt
ınd nur durch die Energie der inhaltlichen Kongruenz
zusammengezwungen. Systematisch zu sprechen, führt
der nächste Schritt einerseits zu den wieder streng skrip-
‚uralen, dunkelerundig farblosen Schrifttafeln der späten
sechziger Jahre, andererseits zu der mit Goethe in Italy zum
Durchbruch kommenden malerischen Auffassung. Inter-
essanterweise griff Iwombly mit der unmittelbar zuvor
entstandenen grossen Arbeit Fifly Days at Ilium” die Achil-
leis wieder auf, um das 1962 in eine dramatische Ikone
zugespitzte Thema episch in zehn Teilen auszubreiten.
1977 wurde Cy Twombly fünfzig: ein Alter, in dem
man sich nicht mehr mit den triebgeladenen Gewalttaten
eines Achill identifizieren mag. Ohne gleich den Mann von
fünfzig Jahren in Wilhelm Meisters Wanderjahren zu be-
mühen, scheint Goethe nun eine sinnvollere Referenz-
person: seine italienische Reise markiert zugleich dessen
Überwinden jugendlichen Sturms und Drangs und den
Übergang zum tieferen und breiteren Wirken der Reife.
Vor allem fand er in Rom den weiten Rhythmus der durch
die Jahrhunderte und Jahrtausende hallenden Mythen,
eine sinnlichere Kunst, ein freieres Leben, einen heiteren
Himmel: Goethe in Italien wurde selbst ein Mythos, das
vielen Nordländern den Weg wies. Auch wenn sich
Twombly schon durch die emphatische Einverleibung
des Namens in seine Handschrift in gewisser Weise mit
Goethe identifiziert, sollte man diesen Punkt vielleicht
ebensowenig strapazieren wie allfällige konkrete Ausdeu-
tungen des Gesehenen im Hinblick auf den Titel. Man
könnte etwa daran erinnern, dass neben der Antike auch
naturkundliche und insbesondere geologische Interessen
Goethe leiteten: überall, selbst in Sizilien, fand er das
«aquatische» und nicht das «vulkanische» Prinzip der
«Geognosis» bestätigt. Ein landschaftliches Wogen
durchzieht auch Twomblys Werkgruppe; in den beiden
grossen Bildern kann man die Widerstände gegen die
ltalienfahrt - die Alpen, wenn man so will - sehen und zu-
gleich die Klärung vom ersten, braun triefenden zu dem
:n reinerem Grün schwebenden zweiten bis hin zu der
ganz durchlichteten Haupttafel, in der sich helles Blau in
die Schrift mischt. Es ist nun ein heiteres, von den Waag-
‚echten bestimmtes Herabkommen, im Gegensatz zu
dem heroisch senkrecht Aufschiessenden des Achill. Die
absolute Setzung weicht den sich überlagernden Schrif-
ten, den Schichten der auf die Tiefe der Zeiten offenen
Arbeit am Mythos ähnlich, wobei die Steigerung der Züge
von der lockeren Eile des Dichternamens zu den zuneh-
mend steileren fast monumentalen Lettern des gelobten
Landes nicht zu übersehen ist. Besonders das Y, auf das
die ganze Bewegung zielt, ist markant herausgehoben: ist
es das in der pythagoräischen Tradition so betonte Zei-
chen der Entscheidung? Die damit verbundene Selbstbe-
stimmung und Selbstfindung im Gang zu den Wurzeln
der eigenen Tradition in Rom mag letztlich der tiefste
Grund der Italienreisen sein. Aber wie «Roma» umgekehrt
gelesen «Amor» ergibt, so erinnert auch die Form des
Ypsilons an anderes, wie ein Blick quer durch den Raum
zu Raetz’ Ave Eva lehrt: wie in den Mythen ist auch in
Twomblys Kunst das sinnlich Elementare stets miteinge-
woben.
Die Skulpturen
Wie immer, sind auch bei Cy Twombly die Skulpturen
von elementarer, unmittelbarer Gegenwärtigkeit und trotz
ihrer Schlichtheit von unabweislicherer auratischer
Ausstrahlung als die Gemälde, denn sie sind wie wir selbst
im tatsächlichen Raum vorhandene Gegenstände”. Und
doch sind sie einem kritischen Verständnis fremder, Ja sie
scheinen sich diesem in ihrem fraglosen Vorhandensein
zu entziehen, denn das Medium der Gedanken gleicht
eher dem Vorstellungsraum von Gemälden als der opaken
Dichte der Dinge. Der Blick auf ein Bild wird durch
dessen fiktionalen Charakter sogleich in das Innere der
eigenen Vorstellung zurückgewendet, während das Objekt
andere, sinnlichere, vorsprachliche Anmutungsqualitäten
weckt.
Nun geht es in Twomblys Kunst allgemein um das
[neinander von sinnlicher Dichte, von Körper- und Haut-
arfahrung, von Gefühlen und Erinnerungen, und um
deren Transformierung und Metamorphose in Zeichen,
(deogramme, Farbmaterie, Lichträume, um das Festhalten
vitaler Vibrationen und Erschütterungen, ohne dass aus
diesen «Versteinerungen» der Lebensspuren das Leben
flieht. Es ist eigentlich ein paralleles Unterfangen zu
Giacomettis «unmöglichem» Projekt, das unmittelbar
Lebendige der menschlichen Begegnung in das Dauer-
hafte der Skulpturen zu bannen. Diese onthologische
Paradoxie, die aller «verewigenden» Kunst inhärent ist,
wird im Spontanismus des existentialistischen Informel
besonders virulent.
Wie wir bei Goethe in Italy bemerkten und frühere
Werke noch deutlicher zeigen, eignet deshalb auch den
Gemälden ein haptisch Gegenständliches über das
Objekthafte hinaus, das die Moderne allgemein vom Bild
fordert: es ist das Hautartige vielfach übertünchter Mau-
ern, das von den Graffiti verletzt wird. Die fiktionalen
Gemälde erhalten also von ihrer Farbschicht eine «echte»
Materialität, von der sich die aufgebrachten Zeichen tra-
gen lassen. Bei den Skulpturen ist es genau umgekehrt:
hier sind die Zeichen von vornherein Gegenstände, die
nun durch die weisse Übertünchung in den schwerelos
lichten Raum poetischer Assoziationen eingetaucht wer-
den. Diese Metamorphose entrückt aus drei Ebenen
gegenständlicher Realität: zunächst aus den Materialien,
aus denen der Künstler seine Plastiken zusammenwach:
sen liess, sodann von ihrem Modellcharakter als Musik-
instrumente, Gefährt oder dergleichen und schliesslich
von ihrer Dinglichkeit als Skulptur. Vielleicht bieten diese
drei Aspekte geeignete Kriterien, sich diesen in ıhrer rät-
selhaften Selbstverständlichkeit ruhenden Gebilden etwas
zu nähern, wobei das Verhältnis zu den Gemälden stets
mitbedacht werden soll.
Die Materialien, die Cy Twombly verwendet, sind
zunächst Holzstückchen, Karton, Draht - die Bricolage-
Dinge, die Picasso mit seinen kubistischen Materialreliefs
eingeführt hat und die seither die Domäne der Maler-Pla-
stiker geblieben sind. Im Gegensatz zu professionellen
Bildhauern gehen sie mit Vorliebe nicht von der rohen
amorphen Materie aus, sondern greifen diese in bereits
bearbeiteten Stücken auf; mit dem Stoff ist so immer auch
schon eine Form gegeben und gewählt. Zwar haben sich
zwei Arrangements des jungen Twombly aus spezielleren
«objets trouves», wie Türknäufen, erhalten, die von einer
frühen Begeisterung für Schwitters zeugen!®, doch im fol-
genden zieht er schlichte, unspezifische Dinge vor - wich-
tig ist ihm nur, dass sie nicht neu, dass sie bereits eine
Geschichte haben, eine anonyme, randständige, beiläu-
fige, wie eben die Zeichen, die er auch in den Bildern
verwendet.
Holz ist sein bevorzugtes Material, in dem natürliches
Wachstum kontinuierlich in menschliche Geschichte
übergeht, voller mythischer Erinnerungen und doch von
der gewöhnlichsten Alltäglichkeit. Dass in den sichtbaren
Parallelen seiner Jahresringe die durchwachsene Zeit stets
gegenwärtig bleibt, entspricht den zeithaltigen Schich-
tungen der Bildgründe; die Lineamente der Fasern sind
Spuren der Lebensvorgänge wie Twomblys vital gespann-
te und emotional zitternde Striche. Meist greift er es ın
Form von Kistchen auf, die mit ihrem Inhalt ihren Her-
stellungszweck verloren haben; gerade dadurch sind sie
als leere wieder zu ihrem hölzernen, so und so proportio-
nierten Kistchen-Dasein zurückgekehrt, das nun neuen
Assoziationen und Zusammenhängen offen steht. Das
Dienende ist ihnen eigen und so dienen sie oft als Sockel,
doch gehen sie in dieser Funktion nicht auf; sie bleiben
eigenwertige, gleichberechtigte Elemente des Werkes. Am
deutlichsten wird dies in den einfachsten Arbeiten, etwa
in derjenigen mit dem einzelnen, leicht abgehobenen
Brettchen (Abb. 23), in dem nun zugleich das Liegende
ınd Labile von Brettern im «Normalzustand» zur Geltung
<ommt. Latten haben in ihrer Gerichtetheit wieder einen
anderen, dynamischeren Charakter, den Twombly in der
aufschnellenden, zeichenhaft in den Raum ragenden Dia-
gonale nützt (Abb. 21). Auch wenn man in diesen drei
Verarbeitungsformen von Holz rein formal Körper,
Fläche und Linie sehen will, spürt man sogleich, dass dies
eine unzulässige Reduktion wäre, dass die sinnliche Sub-
stanz, Körperlichkeit, lebens- und geschichtenhaltige
Rauheit wesentlich bleibt und das eigentliche Substrat bil-
det. Wie ganz anders wirkt dies als die rein geometrischen
Formen, welche die Minimal-Artisten für ihre aseptischen
Wahrnehmungsexerzitien produzieren liessen!
Holz erscheint nicht nur in aufgesägter, sondern auch
in naturwüchsiger Form, nicht in der Massigkeit von
Baumstämmen, aber als aufstrebende Ästchen und fein
zespannte Gerten. Einer der entsprechenden Zürcher
Arbeit (Abb. 20) eng verwandten Skulptur fügte Twomb-
'y den Text ein: «And we who have always thought of hap-
piness climbing, / would feel the emotion that almost
;tartles when / happiness falls?» Das dem Pflanzenreich
entnommene Material wird in der ganzen Fülle seines
Gewachsenseins in das Kunstwerk aufgenommen und
zum sympathetischen Träger menschlicher Emotionen.
Twombly ist noch weiter gegangen und hat nicht nur die
dauerhaften Blätter der Palme, sondern auch andere ver-
zängliche, dazu Blumen, Rosen und Tulpen, in seine
Skulpturen aufgenommen, die so nur in ihren Abgüssen
oder mit künstlichem Ersatz überleben können.
Eine zweite, untergeordnete Kategorie von Materialien
bilden die Elemente, welche die organischen verbinden
oder zusammenhalten, das «Bindegewebe». Nägel, Kleb-
stoff und dergleichen verschwinden öfters unter der
Bemalung - vielleicht fehlen sie überhaupt, denn die ein-
zelnen Teile könnten auch lose aneinander gefügt sein.
Die Fragilität der Objekte gehört wesenhaft zu ihnen,
Resultate seismographischer Eingriffe, die weder schwere
Arbeit noch gewichtige Massen vertragen. Der Künstler
gibt sie deshalb auch nicht in den Handel - für diesen sind
nur die Abgüsse bestimmt -, sondern hütet sie zu Hause
oder in Museen!®*, Manchmal sprechen die verbindenden
Materialien durchaus mit: ein Draht wiederholt die ver-
knüpfende Geste, Bänder umgreifen wie Hände das
Schilfrohr (Abb. 20, 14). Um 1955 schuf Twombly ein
paar Skulpturen als umwickelte Bündel von Umwickel-
tem; das Zwanghafte des Einschnürens erinnert an Ritual-
objekte primitiver Kulturen!“
Erst relativ spät greift Twombly zu einem amorphen
Material, einem Gemisch von Sand und Gips, dem der
Künstler eine Form geben muss, wie es bei herkömmli-
cher Skulptur üblich ist. Soweit wir sehen, verwendet er es
erstmals für das aus zwei Rädern und einem Dreieck gebil-
deten Objekt (Abb. 18), das an die Zeichen für archaische
Streitwagen in den Gemälden aus dem Trojanischen Krieg
erinnert”. Es stammt von 1979, also dem Jahr nach Goethe
in Italy und der dort skizzierten Annäherung der Verwen-
dung von Farbe an traditionellere Vorstellungen. Doch
wie in jenem Fall bleibt auch hier die Materie selbst primä-
rer Ausdruckswert: das spröd poröse, die geometrischen
Formen korrosiv zersetzende erdige Gemisch gleicht das
Zeichen halb verwitterten archäologischen Fundstücken
an - eine Spur menschlicher Willensaufbäumung, die sich
ım Gestaltlosen des Erdreiches verliert. Dass dieses chto-
nische Chaos aber zugleich der Nährboden neuen Lebens
bildet, zeigt die Verwendung der gleichen Masse in den
Objekten mit pflanzlichen Elementen von 1983 (Abb. 20,
24) und der Humul genannten Skulptur von 1986, in der
eine Scheibe aus solch amorpher Aufschäumung auf-
:aucht und so unmittelbar an die von Twombly auch in
Bildern evozierte Schaumgeburt der Aphrodite erinnert!®.
Nachdem wir das materielle Substrat von Cy Twomb-
lys Skulpturen betrachtet haben und gesehen haben, dass
es trotz seiner weissen Schlemmung keineswegs gleich-
gültig ist, wenden wir uns dem zweiten Aspekt zu, den wir
«Modellcharakter» genannt haben. Die alte akademische
Unterscheidung von Materie, Form und Inhalt greift hier
nicht mehr, denn wie in Ovids Metamorphosen durchdrin-
gen sich die Seinsbereich in lebendigem Fluss. Wie
bemerkt, ist mit der Materie oft die Form zugleich gege-
ben, der Inhalt wohnt beiden untrennbar ein. Das Ganze
hat nicht den Charakter eines Abbildes, sondern ist ein
autonomes Ding, das in der Ordnung der realen Dinge
zur Kategorie Kunstwerk gehört, aber zugleich an andere
Dinge erinnert. Reinhold Hohl hat für die surrealistischen
Konstruktionen Giacomettis den Begriff «Schaumodell»
eingeführt”, und das ist auch hier ganz passend, weil es
die konzeptuelle Entleerung von «Inhalt» oder «Zeichen»
vermeidet und zugleich Bezugsgrösse und -art offen lässt.
Gerade die früheste der dem Kunsthaus geschenkten
Skulpturen eignet ein solcher Modellcharakter; sie erin-
nert an eine Panflöte oder Syrinx. Für einmal ist der Bezug
zum Mythos, überliefert von Ovid, manifest: Pan, Inbe-
griff der Natur, entbrennt in Liebe zur Nymphe Syrinx;
seiner Umarmung entzieht sie sich durch die Verwand-
lung in Schilfrohr, das unter den Händen und Lippen des
Hirtengottes aufklingt - Mythos vom Ursprung der Kunst
in Sehnsucht und Entsagung, Sublimierung ins klingend
Ungreifbare. Was früher figürlich ins Bild gesetzt wurde,
schwingt hier nur noch ahnungsvoll mit; die Aussage des
Mythos wird in der Struktur des Werkes selbst nachvoll-
zogen. Als Leihgabe steht ein Guss einer ähnlichen, sechs
Jahre früher entstandenen Skulptur daneben; das Original
gehört Robert Rauschenberg, mit dem Twombly damals
durch Europa und Nordafrika reiste!® In Rom photogra-
phierte er Cy, wie er am Fenster ihres Zimmers bei der
Spanischen Treppe sitzt und eine Lyra, wie sie einst Her-
mes erfand, konstruiert. Doch die Skulptur erinnert mit
ihren Unwicklungen, den Nägeln und Drähten eher an
Fetische und nordafrikanische Zäune oder Latten-
konstruktionen, die auch in Bildern jener Jahre wirksam
sind. Die Faszination durch das Obsessive und Repetitive
des Rituals, das in ursprünglichen Kulturen die Psyche in
Beschlag nimmt, dominiert hier ganz, während es später
von mythischen Allusionen oder freieren Gesten über
lagert wird, wie die Entwicklung dieses Formgedankens
von der früheren zur späteren Skulptur beispielhaft zeigt
Der Begriff der Metamorphose, der Verwandlung, der all
gegenwärtig das Werk Twomblys durchwirkt, ist hier für
einmal nicht auf die Veränderung der Gestalt, sondern au{
die Verschiebung des religiösen Deutungshorizontes zu
beziehen.
Mehrere Skulpturen Twomblys können als Modelle
eines Gefährtes angesprochen werden, ein Motiv, das Gia
cometti mit dem Chartot in die neuere Kunst eingeführt
hat. Von einem altägyptischen Wagen angeregt, wird ihm
die zweirädrige Konstruktion zum hieratischen Zeichen
für das Erscheinen der Gottheit. In einem kleineren Werk
bezog er sich auf Nilbarken, wie sie aus Grabbeigaben
geläufig sind’”. Dass Twombly auf die gleichen Inspira
tionsquellen zurückgreift wie Giacometti, ist kaum
erstaunlich, da dessen reifes Werk nur wenige Jahre voı
Twomblys grundlegender Stilbildung einsetzt. Beide sind
von dem Klima existentieller Gegenwärtigkeit und huma
nistischer Nostalgie geprägt, wie sie die Nachkriegszeit
bestimmte, in der möglichst uralte und archaische
Mythen wieder als Modelle ursprünglichen Menschseins
erschienen. Twombly weilte 1962 und wieder 1985 in
Ägypten; kurz darauf richtete er sich in Gaeta ein Haus
ein, von dem der Blick weit nach Westen über das Tyr-
rhenische Meer schweift und so zu den in lichten Flächen
schwebenden Barken auf den Gemälden der letzten Jahre
anregte. Die Skulptur Winter’s Passage Luxor (Abb. 22) von
1985 bezieht sich wohl auf die Überquerung des Nils in
der Hauptstadt des alten Ägyptens, dem «hunderttorigen
Theben», die von der Stadt der Lebenden auf dem Ostufe:
zur Stadt der Gestorbenen jenseits des Fruchtlandes am
Rande der westlichen Wüste führt; unschwer erkennt man
in der kostbaren Fracht des schlichten Kahns den Sar
kophag. Der Austausch der Lebenden und Toten, die
Rettung der lebendigen Gegenwart in die weiterwirkende
Vergangenheit gehört zu den zentralen Beweggründen deı
Formwerdung; sie gleicht der Entrückung der Opfer in
Ovids Metamorphosen, in denen Sterbliche in Sterne, in
Steine, in Bäume und Quellen, in jedes Jahr neu auf
blühende Blumen verwandelt werden. Den von Tulpen
gekrönte Kubus (Abb. 24) beschrieb ein Freund des Hau-
ses als Modell eines Feldaltars, auf dem die Landleute der
Gottheit des Ortes die Erstlinge ihrer Ernten darbieten?®;
ganz unmittelbar geht hier zur symbolischen Förderung
der Fruchtbarkeit blühendes Leben in Verwesung, in
Kompost über, berührt sich höchst ausdifferenzierte und
strenge Gestalt mit Amorphem.
Die Modelle, die uns so umfassend über die materielle
Kultur des alten Ägyptens unterrichten, sind primär Grab-
beigaben, Geräte zur Verwendung im Jenseits: stets hält
die verwittert zerbrechliche Materialität, die bleiche weiss-
liche Schlemmung der Fügungen Twomblys diesen
Bedeutungshorizont wach. Modelle können aber auch
Spielzeuge sein, die von der Schwere der materiellen Tat-
sachen befreiten Dinge, die der ursprünglichen symboli-
schen Weltaneignung des kindlichen Spiels dienen und so
in ihrem reinen Wesen aufleuchten. Die Imagination
macht hier das faktisch Fehlende der lebenspraktischen
Funktionen wett, denn im geistigen Gebrauch lassen sich
die engen Schranken der Bedingtheiten überschreiten in
Räume, die dem Erwachsenen durch das Gedränge der
Alltäglichkeiten meist verstellt sind. So bildet in der
Moderne der Modellcharakter oft das wesentlich Vermit-
telnde zwischen Kunst und Wirklichkeit; er entspricht
dem Konzeptuellen der neuen Weltbilder und tritt an die
Stelle der Abbildfunktion der realistischen Tradition.
Sicher beruht das Faszinierende, das diese so schlichten
und zugleich vielfältige Gedanken und Gefühle wecken-
den Dinge ausstrahlen, nicht zuletzt darauf, dass
Twombly diese elementare Dimension so rein zur Gel-
tung bringt, ohne in leere Schemata zu verfallen.
Modelle sind die Objekte in gewisser Weise auch als
Skulpturen: Proportionierung, relative Grösse und Hier-
archisierung der übereinander geschichteten Teile ent-
sprechen zumal bei den früheren Werken der Massenver-
teilung grosser Denkmäler. Damit kommen wir nach dem
Material und dem Modellcharakter zum dritten Aspekt
der Dinglichkeit dieser Objekte: ihrer Zugehörigkeit zur
Gattung Skulptur. Sie stellen sich damit in ein weites Feld
von Traditionen, Ansprüchen, Beziehungen, das hier nur
angedeutet werden kann. Die Bedeutung des Modell-
begriffs für die moderne Kunst wurde erwähnt, ebenso
Picasso und Schwitters, die als Vorläufer für den Charak-
‚er der Konstruktionen als «Bricolagen» im Allgemeinsten
zu nennen sind. Die Beziehungen zu seinen Kollegen
Rauschenberg und Jasper Johns wären zu untersuchen,
die, von ihrem gemeinsamen Lehrer Motherwell angeregt
- er publizierte eine Dada-Anthologie -, Dinge des
Konsums ihren Werken einverleibten. Zwar greift auch
T’wombily Strandgut auf, aber von so primärer Art, dass er
schon dadurch der Ironisierung oder Heroisierung von
Zivilisationsmüll durch die der Pop Art näher stehenden
Künstler entgeht. Wie bereits beiläufig bemerkt, unter-
scheiden sich umgekehrt diese schlichten Fundstücke
durch ihre Lebenshaltigkeit prinzipiell von den Fabrika-
ten der Minimal-Art, auch wenn sie sich wie diese oft geo-
metrisch reinen Formen nähern. Noch eher wäre an eine
Verwandtschaft mit deren Ahnherrn, Barnett Newman
and dessen drei Stelen Here 7, II, IT zu denken, diesen
emphatisch modernen und amerikanischen Antworten
auf Giacomettis Grande figure. Gerade in dieser Bindung
ans Existentielle und an eine ins Abstrakte gewendete
anthropomorphe Anmutung stehen die tonnenschwere
Stahlobjekte Twombly näher, auch wenn er deren
geschichtslos abgehobenen Heroismus nicht teilt.
Vielmehr müsste eine andere Entwicklungslinie der
modernen Skulptur bedacht werden; sie führt von Gau-
guin zu Giacometti und sucht wieder an das Kultbildhaf-
te und Magische archaischer Figuren und Idole anzu-
knüpfen. Bei den zahlreichen mythologischen Bezügen,
die Twomblys Bildwelt durchweben, liegt diese Tradi-
tionslinie nahe; hier zeigen sich denn auch formale Ver-
wandtschaften, die über Äusserlichkeiten hinausgehen:
das Festhalten an Einheit und Präsenz des Werkes, eine
iierarchische Stufung der Teile, Frontalität, Verwesentli-
chung der Elemente, auratische Ausstrahlung. Hier
erweist sich der angeführte Vergleich mit dem «Feldaltar»
als besonders fruchtbar: das Kultische und Numinose
wird ins anonym Niederschichtige und naturwüchsig All-
ägliche, die erhabene Form ins Spontane und unempha-
isch Selbstverständliche gerückt, in dem die individuelle
Regung nicht in der Prätention der subjektiven Geste ver-
aarrt, sondern in eine allgemeinere Objektivität eingeht.
Hier findet auch das Nicht-Anthropomorphe in der sonst
;o völlig von der menschlichen Figur dominierten Skulp-
tur seine alten Wurzeln: in Kultsteinen und Altären, in
Menhiren, Obelisken und Omphaloi, in Grabmälern und
klassizistischen Gartenmonumenten —- Konkretisationen
zultischer Handlungen oder zwischen Mikro- und Makro-
Kosmos vermittelnder religiösen Vorstellungen. Rotalla
(Abb. 19) steht solchen am nächsten: zwei Scheiben stei-
gen übereinander auf, die vordere halb in die Ebene
gebrochen wie der Reflex des aus dem Meer aufsteigenden
Gestirns, das sich so in seinem Erscheinen dem Betrach-
ter öffnet. Körperlos und streng frontal auf die eine axiale
Ansicht beschränkt, bleibt es ihm ähnlich unfassbar
und wie eine romanische Madonna mit thronendem
Christuskind entrückt.
Eine solche Beschreibung führt vom Aufzeigen kunst-
historischer Zusammenhänge zu formalen oder «phäno-
menologischen» Bestimmungen dieser Dinge als Skulptu-
ren — ein anderes weites Feld, das überdies für jedes Werk
einzeln zu beackern wäre. Was etwa soeben über die Ein-
ansichtigkeit von Rotalla bemerkt wurde, gilt sonst nicht;
ebensowenig lässt sich der Bezug zum Raum verallgemei-
nern. Auch die Plastizität prägt sich unterschiedlich aus,
doch ergeben sich aus den brüchigen Materialien und der
Art, wie sie durch die weisse Tünche neutralisiert und
zugleich fühlbar gemacht werden, Gemeinsamkeiten:
weder das muskulös Gespannte oder organisch Schwel-
lende noch das lastend Massige oder ein nur formdefinie-
rendes Leeres charakterisieren diese Skulpturen; vielmehr
»jgnet ihnen ein Fragiles, Zeichenhaftes, Erscheinendes,
der Schwere dumpfer Stofflichkeit Enthobenes.
Als weitere allgemeine Bestimmung gilt es, die prinzi-
pielle Einheit und Geschlossenheit dieser Werke gerade
wegen ihrer vergänglichkeitsbedrohten Brüchigkeit und
dem stets fühlbaren geschichtlichen Gewordensein zu
betonen. Jedes einzelne ist ein Monument, nicht nach sei-
ner Grösse oder unverrückbaren Schwere, aber nach sei-
ner Zeichenhaftigkeit und geistigen Energie. Aus dieser
Ganzheitlichkeit folgt die durchgehende Definiertheit der
einzelnen Teile im Hinblick auf das Ganze: nur auf ihren
Verhältnissen untereinander und insgesamt beruhen ihre
Bedeutsamkeiten. Dass entsprechend alle Elemente not-
wendig dazugehörig sind und mitbedacht werden müs-
sen, zeigt sich besonders deutlich an den untersten, als
Sockel wirkenden Teilen.
Die Problematisierung des Sockels gehört zu den wich-
gen Fragen der modernen Skulptur: besonders Giaco-
metti hat hier wichtige Lösungen entwickelt. Der Ver-
gleich von Vide poche — einem sog. «objet sans base» - mit
Rotalla zeigt die Integration des Sockels in die Skulptur
und zugleich, dass Twombly an der fiktiven Objekthaf-
tigkeit des Surrealismus nicht mehr interessiert ist. Wich-
tiger scheinen für ihn die zwar kleinen, aber im Verhältnis
zu den winzigen Figürchen übermächtigen, häufig abge-
treppten Quader, die in den Skulpturen um 1940/1945
den Eindruck einer grossen Ferne der erscheinenden Per-
son vermitteln sollen. Eine ähnliche Umkehrung in der
Gewichtung von Sockel und Gesockeltem zeigt u.a. die
«Brettchen»-Skulptur von 1978 (Abb. 23) und demon-
striert die völlige Integration des Sockels als gleichwertigen
Teils ins Werkganze, Spätere Arbeiten Giacomettis entfal-
ten die räumliche Funktion der Standplatte als Ort der
aufragenden oder schreitenden Figuren; Twombly ver-
fährt bei seinen «Schiff»-Plastiken (Abb. 17, 22) ähnlich.
Wie schon beim Palais quatre heure le matin von 1932, der
ihn früh beeindruckte, wird die tragende Ebene durch
eine Schattenzone vom nicht mehr zugehörigen
Museumssockel abgehoben; in sie taucht das Ruder von
By the Ionıan Sea (Abb. 17).
Zum Abschluss unserer Bemerkungen kehren wir wie-
der zur Betrachtung der Skulpturen im Werkganzen
zurück. Denn sie bleiben die Arbeiten eines Maler-Plasti-
kers, wie sie in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts
so wichtig wurden; für sie ist die bemerkte geringe Gene-
ralisierungsfähigkeit primärer skulpturaler Eigenschaften
- Raumbezug, Plastizität, Ansichtigkeit usw. - typisch: sie
sind nicht Spezialisten dieser Gattung und legen keinen
Wert auf die vollständige Durchdringung ihrer Probleme
oder auch nur ihrer implizierten handwerklichen Fähig-
keiten; vielmehr experimentieren sie in einem ver-
wandten Feld mit Fragestellungen, die aus ihrem eigenen
kommen, um dieses besser zu verstehen. Die unterschied-
lichen Bedingungen führen zu interessanten Verschie-
bungen im Verhältnis der gleichen Kunstmittel; so haben
wir die Inversion in den Funktionen der Zeichen und Far-
ben bei den beiden Gattungen bemerkt. Ähnliches gilt für
die Zeitstruktur: während die Gemälde in ihrer weiten,
flächigen Ausdehnung ganz von Abläufen bestimmt sind
- sich selbst erzählende Linien, Spuren von sich
entwickelnden Emotionen, sich rituell wiederholende
skripturale Gesten - und folgerichtig in zeitlich zu lesen-
de Serien auseinandertreten, bleibt die Skulptur in den
«ewigen Augenblick» gebannt, die Metamorphose vollzo-
gen, die Verfolgungsjagd von Pan und Syrinx in der Flöte
vollendet. Das Dingliche der Plastik gestattet kaum eine
Wiedergabe des Bewusstseinsstroms, doch kondensiert
sich in ihr das Ereignis zu unausweichlicher, zeichenhaf-
ter Dichte, der Bewegungsimpuls, die Spannung der Geste
verharrt unaufgelöst.
Dass sich so zwischen Malerei und Plastik ein vielfach
anregendes Wechselspiel ergibt, erkannte schon Matisse;
der alte «Paragone», der vor allem in der Renaissance aus-
gekostete Wettstreit der beiden Gattungen mutiert so zu
einem neuen und fruchtbaren Prinzip. Kaum kann es
Zufall sein, das nach Plastiken wie unserem Panflöten-
Monument (Abb. 14) auch die Gemälde um 1960 einen
anderen Charakter annehmen; in zentrierten Figuratio-
nen gestalten sie mythische Ereignisse - der Extrempunkt
solcher der Plastik entsprechenden, zeichenhaften Kon-
zentration wird ın Vengeance of Achilles erreicht. Damit
scheint die Malerei zugleich die Wünschbarkeit der skulp-
turalen Ausdrucksweise absorbiert zu haben; jedenfalls
tritt ihre Produktion ganz zurück. Ihr Neueinsatz in den
späteren siebziger Jahren kündet sich nun umgekehrt in
den nach 1970 stets wichtiger werdenden Collagen an, die
nicht nur an sich plastischen Charakter annehmen, son-
dern öfters auch Reproduktionen stark plastisch wirken-
der Objekte ins Bild bringen. Die früher gelegentlich von
der Unterkante ins Bild hineinragenden, als Umrisse
gezeichneten Rechtecke nähern sich nun als aufgesetzte
Papiere auch materiell den Sockelelementen der Skulptu-
ren. Diese Ableitung bestätigt deren bereits bemerkte, alle
Teile integrierende Einheit und erhellt zugleich einen
gemeinsamen Ursprung von Malerei und Plastik im Ver-
fahren der Collage, des Zusammenfügens von Vorgefun-
denem, Älterem, Anonymem und Ursprünglichem. Das
früheste, uns wenigstens in einer Abbildung bekannte
Werk ist eine Collage, die der junge Cy auf einer Photo-
graphie von 1947 vorweist?l, Die ältesten Arbeiten, die er
in seiner gegenwärtigen grossen Retrospektive in New
York und Houston zeigt, sind aus wenigen vorgefundenen
Dingen wie Türknöpfe u.dgl. zusammengesetzte, zei-
chenhafte Assemblagen oder Skulpturen. Und auf einer
alten Photo erkennt man eine nicht erhaltene Konstruk-
tion von 1954, deren grosser rechteckiger Sockel wie ein
Gemälde behandelt ist - so wie die Schrift «By the Ionian
Sea» auf der Jüngsten unserer Skulpturen das «Segel» zum
Bild macht.
Christian Klemm
Heiner Bastian: Cy Twombly. Catalogue Raisonne of the Paintings, vorliegend
Bd. I 1948-1960 und Bd. II 1961-1965 (München 1992, 1993); zu Leben und
Sntwicklung jetzt neu recherchiert die Einleitung von Kirk Varnedoe zu Cy
Twombly. A Retrospective (Ausst. Kat. New York, Museum of Modern Art, 1994,
S. 8-64). Zur mythischen Dimension Katharina Schmidt: Weg nach Arkadien.
Gedanken zu Mythos und Bild in der Malerei von Cy Twombly (in: Cy Twombly
‚Ausst. Kat. Baden-Baden 1984] S. 60-87).
Roland Barthes: Cy Twombly (deutsch Berlin 1983, erstmals 1979 als Cy Twom-
bly ou Non multa sed multum und Sagesse de l’art).
Für L’Esperienza moderna (Nr. 2 1957, S. 62), wieder abgedruckt im Ausst. Kat.
New York 1994, S. 27; deutsch mit (autorisierten ?) Abweichungen in blätter und
bilder (Nr. 12, Würzburg 1961, S. 62f), wieder abgedruckt in Cy Twombly. Bıl-
der, Arbeiten auf Papter, Skulpturen (Ausst. Kat. Kunsthaus Zürich 1987) S. 13.
Dazu Harald Szeemann im Ausst. Kat. Zürich 1987, S. 8£.
Zeitgeist (Berlin, Martin Gropius-Bau, 1982) Nr. 212 - La grande parade (Amster-
dam, Stedelijk Museum, 1984) Nr. 234 - Leo Castelli y sus artistas. XXX anios de
promociön del arte contemporaneo (Mexico City, Centro Cultural Arte Contem-
poraneo 1987) Nr. 159-164 - Cy Twombly. Peintures, ceuvres sur papier, sculptures
(Ausst. Kat. Paris, Centre Georges Pompidou, 1988). Die technischen Anga-
ben oben S. 8.
1981/84, Ausst. Kat. Zürich 1987, Nr. 37.
1977/78, Philadelphia Museum of Art. Abb. in: Cy Twombly. Fifty Days at Tlium.
A Painting in Ten Parts (Frankfurt 1979). In den Panneaux mit den grossen,
blumenartigen «Schatten» nähert sich hier Twombly schon stark der neuen,
in Goethe in Italy zum Durchbruch kommenden Auffassung. Auf der zweiten
und dritten Umschlagseite der genannten Publikation sind übrigens die üppig
tief grün bewachsenen Abhänge um Twomblys Atelier in Bassano in Teverina
zu sehen, die wohl zu den Inspirationsquellen von Goethe in Italy zu zählen
sind.
Man vergleiche etwa die merkwürdig an das zweite Panneau erinnernde
Beschreibung eines Abhanges bei Bologna in der Italienischen Reise, Bologna,
20. Oktober.
Nachdem Lucio Amelio vereinzelte Skulpturen in seiner Galerie in Neapel
gezeigt hatte, traten diese erst mit der monographischen Ausstellung Cy
Twombly. Skulpturen (Kat. mit Texten von Gerhard Storck und M. Stocke-
arand) im Museum Haus Lange in Krefeld 1981 ans Licht, und mit der
gedrängten Präsentation an der Documenta in Kassel 1982 ins allgemeine
Bewusstsein. Harald Szeemann zeigte sie in seinen Skulpturen-Ausstellungen
1985/86 (beginnend mit Spuren, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise
[Kunsthaus Zürich 1985] Nr. 7-11) und wies ihnen in seiner Zürcher Twombly-
Ausstellung eine bedeutende Stellung zu. Die 1994 von Cy Twombly dem
Kunsthaus geschenkten Skulpturen kehrten bereits nach dem Ende der
Tournee dieser Retrospektive nach Zürich als Leihgaben zurück; im Auwsst. Kat.
Zürich 1987, Nr. 112, 115, 119, 122, 123, 124, 127, 129 z. T. die Abgüsse, vel.
ferner Kunsthaus Zürich. Mitteilungsblatt der Zürcher Kunstgesellschaft 1991/1,
S. 8-11. Für die technischen Angaben s. oben S. 11.
9 Ausst. Kat. New York 1994, Nr. 1, 2.
!In frühen Arbeiten verwendete Twombly gelegentlich Schachteln oder
Röhren aus Karton; aber auch dieses weniger spezifische Material wird durch
die Deformierungen beim Anstreichen in seiner Fragilität aktiviert und mit
seiner die Festigkeit von Quadern oder Säulen ansprechenden Formen kon:
trastiert.
2 Ausst. Kat. Zürich 1994, Nr. 125.
} Neben Zürich ist dies die de Menil Foundation in Houston, die eigens für die
Werke Twomblys ein neues Galeriegebäude errichten konnte.
% Ausst. Kat. Krefeld 1981, Nr. 1, 2, vgl. Ausst. Kat. New York 1994, Abb. S. 21£.
>Vgl. Anm. 7; ähnlich auch in Zeichnungen, z.B. dem Blatt der Graphischen
Sammlung des Kunsthauses (Ausst. Kat. Zürich 1987, Nr. 106).
> Ausst. Kat. Zürich 1987, Nr. 128.
"Reinhold Hohl: Alberto Giacometti (Stuttgart 1971) S. 77.
> Ausst. Kat. New York 1994, Nr. 7, die im folgenden erwähnte Photographie
S. 57, Abb. 51.
) Hohl 1971, S. 295 Abb. 60; ebendort Abb. 56 der vorbildliche ägyptische Streit
wagen. Zu Twomblys ägyptischen Eindrücken s. Ausst. Kat. New York 1994
S. 48f.
° Franz Meyer: Die Spuren subjektiver Existenz. Ausstellung Cy Twombly im Kunst
haus Zürich (Neue Zürcher Zeitung 7.111.1987, S. 65).
Ausst. Kat. New York 1994, S. 11, Abb. 1, ebendort Nr. 1fund S. 21£ Abb. 15f
die im folgenden erwähnten Skulpturen und Photographien.
WALTER DE MARIA
THE 2000 SCULPTURE
Nur zwei Jahre sind es her, dass «The 2000 Sculpture» im
Kunsthaus ausgelegt war. Das Werk beeindruckte ein paar
Kunstliebhaber derart, dass am 12. April 1994 vor allem
dank der Initiative des Präsidenten unserer Gesellschaft,
Herrn Dr. Thomas Bechtler, die «The 2000 Sculpture»-
Foundation gegründet werden konnte. Vorrangiges Ziel
der Stiftung ist, das grossartige Werk für immer dem
Kunsthaus zu erhalten, da unsere Institution die Mittel
für einen Ankauf nicht aus eigener Kraft aufbringen kann,
sich jedoch mit einem aus dem Sammlungsetat bestritte-
nen, angemessenen Beitrag beteiligt. Der «The 2000
Sculpture»-Stiftung gehören an: Thomas Bechtler, Felix
Baumann, Cristina Bechtler, Hans-Peter Karlen, Walter
De Maria, Franz Meyer und Harald Szeeman.
Was zuerst als Handicap wirkte - die Unmöglichkeit,
das Werk permanent in der Sammlung zu zeigen —-, wird
von der Stiftung als Chance erkannt: «Es ist beabsichtigt,
“The 2000 Sculpture» periodisch im Kunsthaus Zürich zu
zeigen sowie als Leihgabe an verschiedenen Orten rund
um die Welt.»
Zum Werk und seiner Bedeutung ist viel geschrieben
worden. Im Jahresbericht 1992 stand zu lesen: «Der
Wunschtraum des «Musee mis ä nu» zieht sich wie ein
roter Faden durch die grossen Einzelausstellungen zeit-
genössischer Künstler, die unsern grossen Saal im Rein-
zustand als Raum für ihre Präsentationen einsetzen. Nach
Mario Merz, Richard Serra nun der 1935 in Kalifornien
geborene, seit 1960 in New York lebende Walter De Maria,
Schöpfer des «Erdkilometers>», des «Lightning Fields» in
der Wüste von Neu-Mexiko.
Nach zehn Jahren Vorbereitungszeit konnte diese gröss-
te Bodenskulptur, das skulpturale Feld «The 2000 Sculp-
ture> installiert, die 2000 Einzelskulpturen über 500 m?
(10x50 m) ausgelegt werden. Sichtbar war das Opus nur
Dei Tageslicht durch die freigelegten Oberlichter vom
Morgen bis zum Einbruch der Dämmerung. Licht und
Ausdehnung bewirkten, dass die Skulptur beim Betreten
des Saals als Ganzes wahrgenommen wurde, als kompak-
tes weisses Feld. Erst beim Nähertreten und Umwandern
xonnte das schwebende Weiss, erzeugt durch die warme
Helligkeit des verwendeten Materials Gips, in seinen
Bestandteilen erfahren werden. Die Lektüre zeitigte ein
‘ormales Grundraster von zwei Elementen gleichen Typs
ın diagonaler Ausrichtung auf eine sich in der Perspektive
verlierende Mitte hin, ein numerisches System durch den
Wechsel der drei Grundelemente, fünf-, sieben- und neun-
seitigen Barren oder Stäben von je 50 cm Länge und 12 cm
Höhe. Der vom Künstler gewählte Rhythmus - 5/7/9/7/
5/7/9/7/5 — ist steigend-fallend-steigend-fallend. Dieses
System und seine scheinbare Durchschaubarkeit lösten
sich bei jedem Schritt in Licht- und Bewegungsschübe auf,
suggerierte stets neue Deutungen und Korrespondenzen
zu Musik, zu Architektur, zu Wissenschaft, zu Poesie.
Das für eine zeitgenössische Ausstellung erstaunlich
gut besuchte Ereignis sah die Betrachter auf dieses
strahlend-verhaltene Kraftfeld mit Erstaunen, Neugierde,
ja mit Andacht eingehen. «Energie des Unendlichen;,
‚Sinfonie in Weiss», «Eine Bodenskulptur voller Musik»,
«Diffuse Lichtfülle — Reichtum in der Stille», «Eine Parti-
tur von Licht und Reinheit», «Hochspannung im Kunst-
haus», «Sintflut der Stille», «Göttliche Signalsprache»,
«Helligkeit und Transparenz» kündeten die Titel der
Ausstellungsbesprechungen dieser Weltpremiere.»
Das nächste Rendez-vous mit «The 2000 Sculpture» im
Kunsthaus fällt - wie könnte es anders sein - in den Über-
gang vom zweiten ins dritte Jahrtausend, von Ende 1999
bis Frühjahr 2000. «Walter De Maria hofft, mit «The 2000
Sculpture>» eines der grossen Werke unseres Jahrhunderts
geschaffen zu haben, das über das Schicksaljahr 2000 hin-
aus wirken soll. Kontinuität ist Leben und Überleben.»
Das waren 1992 die Schlussätze im Ausstellungskatalog.
Erneut zeigt sich an «The 2000 Sculpture» die vom Kunst-
aaus gepflegte, intensive Wechselwirkung zwischen Aus-
stellung und Sammlung.
Harald Szeemann
3ips und Hydrocal, 800 fünfseitig-polygonale Elemente: @ 12 cm, Länge 50cm,
300 siebenseitig-polygonale Elemente: © 11,9 cm, Länge 50 cm, 400 neunseitig-
jolygonale Elemente: © 11.8 cm, Länge 50cm.
GRAPHISCHE SAMMLUNG UND BIBLIOTHEK
RÜCKBLICK AUF DIE LETZTEN 20 JAHRE
«Erst da, wo den Zeichnungen grundsätzlich die gleiche
Achtung entgegengebracht wird wie Gemälden, darf man
wirkliches Verständnis für Kunst voraussetzen.»
(H. Th. Musper)
Als mir 1975 die Leitung der Graphischen Sammlung und
der Bibliothek anvertraut wurde, bestand meine Aufgabe
zunächst einmal darin, diese von Grund auf zu reorgani-
sieren. Der Umzug in den lang erwarteten Neubau bot die
willkommene Gelegenheit, das neue Konzept zu verwirk-
lichen.
Graphische Sammlung
Die Graphische Sammlung, die heute rund 80 000 Werke
umfasst, bildete den eigentlichen Kern des Museums, aus
dem das heutige Kunsthaus hervorgegangen ist, des soge-
nannten «Künstlergüetli», bestand dieses doch hauptsäch-
lich aus einer Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulp-
turen und den «Graphischen Kabinetten» von Gessner,
Hess und Usteri, die bis zu den ersten Gemäldeschenkun-
gen 1847 das Gesicht der Sammlung prägten. Es soll hier
nicht auf die alten Bestände der Sammlung und ihre Ent-
stehung seit 1787 eingegangen werden, ist dies doch an
anderer Stelle geschehen, unter anderem in unserem
Überblickskatalog «Meisterwerke aus der Graphischen
Sammlung - Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Collagen
aus fünf Jahrhunderten» von 1984. Der erste Direktor des
Kunsthauses, Wilhelm Wartmann, hatte sich mit grossem
Engagement für die Graphische Sammlung eingesetzt. Er
hatte zum Beispiel Zeichnungen und Druckgraphik von
Munch, Daumier und den deutschen Expressionisten
erworben. Er hatte die bedeutende Gruppe der Cezanne-
Aquarelle gekauft, womit das Kunsthaus die drittgrösste
öffentliche Sammlung von Cezanne-Aquarellen besitzt,
und er hatte die wichtige Rückkaufaktion von Füssli-
Zeichnungen betrieben. Zahlreiche Ausstellungen mit
Zeichnungen und Graphik fanden unter seiner Ägide
statt, und (Euvre-Kataloge der Graphik von Dürer, Gess-
ner und Welti stammen von seiner Hand. Nach 1945
kümmerte man sich immer weniger um Zeichnungen und
Graphiken. In dem grösser werdenden Kunsthausbetrieb
gab es niemanden, der sich dieser Sammlung annahm,
Man kaufte wenig und meist zufällig, so dass ganze Ge-
5iete, wie der Abstrakte Expressionismus, der Tachismus
und die Pop-Art fehlen. Nachdem die Graphische Samm-
lung jahrzehntelang ein Schattendasein gefristet hatte,
wurde ab 1976 ein Ankaufsetat geschaffen, mit dem es
möglich wurde, eine gezielte Anschaffungspolitik zu
betreiben und den Anschluss an das aktuelle Kunstge-
schehen wiederzufinden. Regelmässige Ausstellungen im
neu geschaffenen Graphischen Kabinett weckten die
Sammlung zudem aus ihrem Dornröschenschlaf und
brachten sie der Öffentlichkeit wieder ins Bewusstsein.
Auf dem Gebiet der Zeichnung und der Graphik kann
man es sich leisten, risikofreudiger zu sammeln als bei den
Bildern. Die Erweiterung der Graphischen Sammlung
geschah zum grossen Teil parallel, zu einem Teil auch in
Ergänzung zur Gemälde- und Skulpturensammlung, ist
doch die Zeichnung ein besonders geeignetes Medium,
um einen Eindruck von Künstlern zu vermitteln, die ihre
Arbeiten in grossen Rauminstallationen verwirklichen
und deshalb nur in beschränktem Masse ım Museum
Platz finden können. Die Vorstellung der Konzeptkünst-
er, dass ein Kunstwerk bereits in der skizzierten Idee
segründet sei und nicht mehr unbedingt ausgeführt zu
werden brauche, erweiterte zudem die Funktion der
Zeichnung. Auch haben sich durch die heutige Tendenz
der Künstler, sich in verschiedenen Medien zu äussern,
die traditionellen Grenzen zwischen Bild und Zeichnung
stark verwischt.
Sammlungsschwerpunkte
Von Anfang an war klar, dass es mit dem vorhandenen
Ankaufsbudget nicht möglich wäre, die in der Vergangen-
heit entstandenen Lücken zu schliessen. Es war sinnvol-
ler, sich auf die Kunst der Gegenwart zu konzentrieren
und zukunftsorientiert zu sammeln. Wir setzten uns zum
Ziel, einerseits in sich zusammenhängende und sich
wechselseitig erhellende Werkgruppen wichtiger künstle-
rischer Bewegungen aufzubauen, andererseits von einzel-
nen, ausgewählten Künstlern umfangreichere Zeich-
nungsgruppen zu sammeln, die Aufschluss über die
Entwicklung und Vielseitigkeit eines künstlerischen Wer-
kes zu geben vermögen. Das bedingt selbstverständlich,
infolge der beschränkten Mittel, den Verzicht auf andere
Künstler, die ebenfalls wichtig wären. So konnten wir
unter anderem eine repräsentative Werkgruppe der Zero-
Bewegung sowie einen Überblick über die wichtigsten
Künstler der «Minimal»- und «Concept-Art» zusammen-
stellen. Die Gruppe der Zero-Werke wurde im Zusam-
menhang mit unserer 1979 veranstalteten Ausstellung
«Zero - Bildvorstellungen einer europäischen Avantgarde
1958-1964» aufgebaut. Diese Künstler, die in den späten
fünfziger und frühen sechziger Jahren einen künstle-
tischen Wendepunkt im Nachkriegseuropa markierten,
hatten mit der traditionellen Vorstellung von Kunst
gebrochen. Sie verwendeten neue technische Gestaltungs-
mittel, entwickelten neue Methoden der Bildherstellung
und reduzierten ihre Ausdrucksmittel in Reaktion auf die
emotionale Gestik der informellen Malerei der Nach-
kriegszeit auf eine elementare Formensprache. Um die
Vielfalt innerhalb der Zero-Gruppe zu veranschaulichen,
haben wir nicht nur von Heinz Mack, Otto Piene und
Günther Uecker Zeichnungen und Graphik gesammelt,
sondern auch von Piero Dorazio, Gotthard Graubner,
Oskar Holweck, Piero Manzoni, Almir Mavignier, Jef
Verheyen und Hermann de Vries.
1980 bot sich die Gelegenheit, aus zwei Privatsammlun-
gen eine umfangreiche Dada-Grupppe zu erwerben, die
mit anderen Ankäufen ergänzt wurde. Dies konnte aller-
dings nicht mit dem normalen Ankaufsetat geschehen,
sondern war nur über eine grossangelegte Spendenaktion
zu finanzieren, die auf Initiative der Direktion des Kunst-
hauses durch Mithilfe des hiesigen Spezialisten Hans Bol-
liger, der Sammlungskommission und ihrem damaligen
Präsidenten Hanspeter Bruderer, der Vereinigung Zürcher
Kunstfreunde und des Fonds für gemeinnützige Zwecke
des Kantons Zürich zum Erfolg führte. Neben vereinzelten
Neuerwerbungen konnte 1993/1994 nochmals ein grosser
Block von Dokumenten der internationalen Dada-Bewe-
gung gekauft werden, der es mit gleichzeitigen Schenkun-
gen, insbesondere zu den osteuropäischen Reflexen,
erlaubte, dass in der Zürcher Sammlung die Dada-Zentren
und die beteiligten Künstler und Künstlerinnen etwa
gleichmässig vertreten sind. Mit 190 Werken und 390
Dokumenten bildet die in Zürich entstandene Bewegung
heute einen bedeutenden Schwerpunkt in der Sammlung
des Kunsthauses.!
Eine weitere wichtige künstlerische Bewegung, die wir
ım Laufe der Zeit dokumentieren konnten, ist die «Mini-
mal-» und «Concept-Art». Die Graphische Sammlung be-
sitzt repräsentative Werkgruppen von James Bishop, Dan
Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt, Robert Mangold, Ro-
bert Ryman, Fred Sandback und Richard Tuttle, die in dem
Sammlungskatalog «Amerikanische Zeichnungen und
Graphik von Sol LeWitt bis Bruce Nauman» von 1994
wissenschaftlich bearbeitet und publiziert worden sind.
Diese Künstler brachen seit Mitte der sechziger Jahre aus
dem als verbraucht und unglaubhaft empfundenen Me-
dium der Malerei aus und erschlossen sich durch elementa-
re dreidimensionale Objekte vollkommen neue künstleri-
sche Möglichkeiten. Sie lehnen den subjektiven Ausdruck
und die persönliche Handschrift ab und arbeiten häufig
mit symmetrischen, repetitiven und seriellen Strukturen.
Sie benutzen neue Industriematerialien und lassen die
geometrischen Objekte in industriellen Werkstätten her-
stellen. Voraussetzung dafür ist eine Trennung von Kon-
zept und Ausführung, wobei die Betonung auf der Idee
jegt. Aus diesem Grunde sind für die Künstler Zeichnun-
gen, Skizzen und Modelle genauso wichtig wie das aus-
geführte Werk. Die Zeichnungen sind nicht Ausdruck
zmotioneller Erregungen oder persönlicher Betroffenheit;
neben den selbständigen Zeichnungen sind es meist
Ideenskizzen, die im Zusammenhang mit den geplanten
Werken entstehen, oder Entwurfszeichnungen mit ge-
nauen Material- und Massangaben, die als Anweisungen
für den Handwerker dienen. So abstrakt und sparsam die
Zeichnungen dieser Künstler auf den ersten Blick erschei-
nen mögen, bei längerer Anschauung entfalten sie einen
erstaunlichen Reichtum. Ihre Subtilität fordert die Wahr-
nehmungsfähigkeit des Betrachters in besonderer Weise
heraus.
Einen speziellen Akzent in unserer Sammlung haben
wir mit Bruce Nauman gesetzt, von dem wir sieben meist
Sol LeWitt, Ohne Titel (Pyramide), 1981
grossformatige Zeichnungen, zwölf graphische Arbeiten,
zehn Videobänder und drei «Artist books» besitzen. Das
Werk von Nauman entzieht sich in seiner Komplexität
Begriffen wie Process-Art, Concept-Art, Anti-Minimal- oder
Body-Art, die häufig in seinem Zusammenhang genannt
werden. In Reaktion auf die traditionelle Bildhauerei
einerseits und auf die geometrische Perfektion der Mini-
mal-Art andererseits interessiert ihn der Herstellungspro-
zess mehr als das Endergebnis. So verwirklicht der Künst-
ler seine Arbeiten in den verschiedenartigsten Materialien
und Medien, die nicht durch einen einheitlichen Stil ver-
bunden sind. Es entstehen Skulpturen aus Fiberglas,
Gummi, Wachs, Neonröhren, Holz, Gips und Eisen,
dazu Installationen, Zeichnungen, Graphiken, Photos,
Hologramme, Performances, Tonbänder, Filme und
Videos. Es ist Naumans Anliegen, existentielle Situatio-
nen und Orte physischer und psychischer Erfahrungen zu
schaffen. Diese sind in der letzten Zeit zunehmend von
Gewalt, Unterdrückung, Folter und Tod erfüllt. Dabei ist
die scheinbare Unfertigkeit und skizzenhafte Offenheit
vieler Werke bewusst eingesetztes Mittel, um bei dem
Betrachter über den Weg der Wahrnehmung Assozia-
tionen, Irritationen und Emotionen auszulösen. Die
Zeichnung dient Nauman zur Vorbereitung seiner drei-
dimensionalen Arbeiten, sie ist aber auch selbständige
Ausdrucksform seiner künstlerischen Vorstellungen.
Weitere Ankäufe galten Künstlern, die ihre Arbeiten
ebenfalls in räumlichen Installationen verwirklichen, wie
beispielsweise Vito Acconci, Jannis Kounellis und Mario
Merz. Die Zeichnung ist besonders geeignet, solche
Werke zu dokumentieren, kann sie doch einen Eindruck
sowohl von den ausgeführten als auch von den nicht
realisierten Installationsprojekten vermitteln. Ähnlich
verhält es sich bei den Künstlern, die in verschiedenen
Medien arbeiten, wie Dieter Roth oder Arnulf Rainer.
Dementsprechend sammeln wir von ihnen nicht nur
Zeichnungen und Graphik, sondern auch «Artist books»,
Photos und Videobänder.
Nach der Vorherrschaft der amerikanischen Kunst seit
den fünfziger Jahren und einem allerorts angestrebten
«Internationalismus» waren Ende der siebziger Jahre in
Europa, vor allem in Italien, Deutschland und der
Schweiz, junge Künstler ins Blickfeld getreten, die wieder
verstärkt auf eigene Traditionen zurückgriffen. Regiona-
lismus wurde nicht mehr mit Provinzialismus gleich-
gesetzt, im Gegenteil, die lokalen «Dialekte» erwiesen
erneut ihre eigenständige Kraft. Nach der «Entmateriali-
sierung» der Kunst in den sechziger und siebziger Jahren
durch die «Minimal-» und «Concept-Art» legten die jun-
gen Künstler wieder Wert auf das Material und den direk-
ten handwerklichen Umgang mit ihm. Die gleichzeitige
Rückkehr zum Figurativen war begleitet von der Wieder-
entdeckung der Mythen, die als geistiges Potential ver-
standen wurden, um ein nur rationales Weltverständnis
zu überwinden. Schnell verbreitete sich diese Malerei mit
ihrer expressiven Formensprache und ihrem «neuen Sub-
jektivismus» unter Etiketten wie «Neue Wilde», «Neo-
Expressionismus» oder «Transavantgarde». Einer dieser
Künstler, auf die wir uns in den achtziger Jahren konzen-
trierten, war Enzo Cucchi, von dem wir 1982 die erste
Einzelausstellung in einem Museum zeigten. Wir erwar-
ben eine der dort gezeigten grossformatigen Kohlezeich-
nungen, mit deren wandbildhafter Monumentalität
Cucchi der Zeichnung ganz neue Möglichkeiten
erschloss. Im Laufe der Jahre sammelten wir eine Gruppe
von 17 Zeichnungen und 13 Druckgraphiken. Cucchis
Werke lassen sich nicht in einer eindeutigen Aussage fest-
legen, und sie sind offensichtlich nicht allein über den
Intellekt zugänglich. Nicht spezifische Mythen oder
Legenden. sind Auslöser seiner «Zeichen», wie Berg,
Zypresse, Stein oder Barke, es kommen vielmehr innere
Visionen, archetypische Bilder und Metaphern zum Aus-
druck, Cucchi schafft traumartige Situationen, indem er
Strukturen des Traums für die Bildgestaltung verwendet,
wie fliessende Übergänge von einem Raum in einen ande-
ren und von einer Zeit in eine andere. Irritierend sind
dabei nicht nur die Sprünge in den Grössenverhältnissen,
sondern auch das beunruhigende Nebeneinander von
Bildelementen verschiedener Herkunft und unterschied:
licher Ebenen. Dadurch, dass die Darstellung nicht logi-
schen, linear narrativen Gesetzen folgt, gelingt es Cucchi,
geistige Inhalte in überzeugender Weise ins Bild zu setzen.
[Ihm geht es um die Überwindung einer nur rational und
technokratisch organisierten Welt und um die Rück-
zewinnung unserer spirituellen Kräfte.
Ein weiterer Künstler, von dem wir eine umfangreiche
Werkgruppe erwarben, ist Felix Droese. Im Anschluss an
seine zweite Ausstellung im Graphischen Kabinett «Das
Gleichmass der Unordnung» von 1991, für die das Insti-
tut für Auslandsbeziehungen Stuttgart sämtliche gemein-
sam ausgewählten Werke ankaufte, erhielten wir die Zu-
sage, dass diese nach Beendigung der internationalen
Tournee dem Kunsthaus als Dauerleihgabe überlassen
werden. Wir freuen uns ausserordentlich über diese Gross-
zügigkeit, die wir unserem langjährigen Engagement für
diesen Künstler verdanken. Das Kunsthaus erhält 47
Zeichnungen und 27 Graphiken, 11 Papierschnitte, 3 Male-
reien und 7 Objekte, anhand deren sich die künstlerische
Entwicklung von Felix Droese nachvollziehen lässt. Alle
Werke sind von uns in dem zur Ausstellung erschienenen
Katalog bearbeitet und ausführlich kommentiert worden.
In Verbindung mit den eigenen Beständen von 29 farbi-
gen Blättern und 33 Druckgraphiken ist sein Werk zu
1
Bruce Nauman
4 Films rotating —
4 rotating prisms in a room,
1970
Felix Droese
Bewusstsein der Pflanze,
1989
einem Schwerpunkt der Sammlung geworden. Droese
liegt daran, die Dinge nicht auf ein System einzuengen,
sondern jeweils auch den Gegensatz mit einzubeziehen.
In Arbeiten, wie «Das Andere», «Grenzwandler» oder
«Dort», das im Gegensatz zum «Hier» auf Jenseitiges,
Dahinterliegendes verweist, wird immer wieder eine Ord-
nung aufgebaut, die durch eine bewusste Nicht-Ordnung
in Frage gestellt wird. Es scheint, dass gerade diese regel-
lose Seite, das Chaotische der Werke die Empfindung des
Betrachters anspricht und seine Vorstellungskraft anregt,
weil sie elementare, vorsprachliche Kräfte veranschau-
licht. In ihrer Dialektik zwischen Formauflösung und
Formfixierung weisen die Werke Droeses auf sein Bestre-
ben hin, dem einseitig Rationalen zu entgehen und die
verloren gegangene Einheit von Intuition und Intellekt
wieder herzustellen.
Indem das Museum Künstlerinnen und Künstlern die
Möglichkeit bietet, Sammlungsräume für begrenzte Zeit
einzurichten, gewinnt es als «bewegliches» Museum eine
ganz neue Lebendigkeit. Einen wichtigen Schritt auf die-
sem Weg bildet der Erwerb der 34teiligen Raumarbeit
«1 Weiblicher Monat 23.3. bis 12.4. 1990» von Miriam
Cahn durch die Vereinigung Zürcher Kunstfreunde. Seit
1983 hat die Gruppe Junge Kunst dieser Vereinigung mit
dem Kunsthaus kontinuierlich Werke dieser Künstlerin
angekauft. Dieses Hand-in-Hand-Gehen schuf eine ideale
Basıs für einen gezielten Sammlungsaufbau, der zur Folge
hat, dass wir heute zusammen über 139 Werke von
Miriam Cahn verfügen. Bei ihrer Raumarbeit handelt es
sich um ein zusammenhängendes Werk, das Tag für Tag
während eines Monatszyklus entstanden ist und das gross-
formatige Landschaftszeichnungen, Baumserien und
Tierdarstellungen sowie Bilder von Frauen umfasst, deren
dunkle Gesichter und Körper wie von einer Leuchthülle
umgeben sind. Es gehört zum Konzept der Arbeit, dass sie
von der Künstlerin selbst installiert wird, und zwar in der
genauen Reihenfolge ihrer Entstehung. Weibliche Monate
sind für Miriam Cahn «zeitlich geordnete Räume». In
Abkehr vom klassischen Schönheitsideal konzentriert sie
sich auf eine einfache, bewusst naiv-kindliche Zeichen-
sprache und eine spontane Gestik, mit der sie der Perfek-
tion des «Meisterwerks» entgehen kann und ihre weib-
lichen Erfahrungsweisen und die ihr eigenen Inhalte in
unverbrauchter Weise zum Ausdruck bringt (zum Beispiel
in der Serie «Blutungsarbeit» von 1982).
Auch bei Martin Disler entstehen die Zeichnungen nie
einzeln. Wenn er zu zeichnen beginnt, macht er Hun-
derte von Zeichnungen hintereinander, tagelang, nächte-
lang, wie ın einem Rausch. Damit erweist sich das Sam-
meln von Arbeiten dieser Künstler in Werkgruppen fast
als eine Notwendigkeit. Wir besitzen von Martin Disler
21 Tuschzeichnungen und Aquarelle und 23 Druck-
graphiken, angefangen mit dem frühen Tagebuch einer
dreimonatigen USA-Reise mit Rolf Winnewisser, die wir
1976 mit einer sogenannten «Subskription» unterstützt
hatten und für die wir nach ihrer Rückkehr ein wunder-
schönes, 252-seitiges Büchlein mit Aquarellen, Photos
und Texten erhielten. Der Betrachter von Dislers Blättern
muss sich langsam in die skizzenhaft abkürzende und
fragmentarische Gestaltung einlesen, um nach und nach
figürliche Elemente zu entdecken, die ihm auf die Spur
helfen. Die in Lust und Schmerz wie im Tanz bewegten
Körper und Körperfragmente sind so- ineinander ver-
flochten, dass sie sich einer eindeutigen Interpretation
entziehen. Dislers Absicht ist es denn auch, eine nicht
abgeleitete Formensprache zu finden, eine gegenüber der
akademischen Tradition «falsche» Sprache, die aber gerade
dadurch in der Lage ist, assoziative Phantasien und emo-
tionale Prozesse beim Betrachter auszulösen.
Die Werkgruppe von Ilona Ruegg ist inzwischen auf
27 Zeichnungen und 4 Graphiken angewachsen. Aus
dem Misstrauen gegen fixierte Vorstellungen und über-
nommene Sehweisen versucht die Künstlerin eine Erwei-
terung der Wahrnehmungsfähigkeit zu gewinnen, indem
sie auch die Randzonen miteinbezieht. Sie interessiert
nicht das lineare Sehen, sondern das Sehen in Sprüngen,
wo Erinnertes und Augenblickliches, weit Auseinander-
liegendes und Gefühlsmässiges ineinanderspielen.
Mit dem speziellen Bereich der Bildhauerzeichnungen
haben wir an eine lange Tradition des Kunsthauses ange-
knüpft, zu dessen Stärken die internationale und Schwei-
zer Plastik des 19. und 20. Jahrhunderts zu rechnen ist.
Aufbauend auf der Sammlung von Zeichnungen deı
Alberto Giacometti-Stiftung und den Zeichnungsbestän-
Enzo Cucchi
Ohne Titel, 1985
den von Carl Burckhardt, Ernst Barlach, Hans Aesch-
bacher, Bernhard Luginbühl u. a. haben wir dieses Gebiet
nicht zuletzt dank einiger grosszügiger Schenkungen mit
folgenden Künstlern weitergeführt: Franz Fischer, Hans
Fischli, Florin Granwehr, Zoltan Kemeny, Ödön Koch,
Richard Long, Wilfrid Moser, Josef Felix Müller, Otto
Müller, Robert Müller, Edwin Scharff, Jean Tinguely und
Fritz Wotruba. Es würde sich lohnen, diese Gruppe ein-
mal in einer Ausstellung zu zeigen und in einem Samm-
lungsheft zu publizieren.
Neben diesen Gruppenbildungen haben wir dank be-
sonderer Zuwendungen einige herausragende Einzelwerke
erwerben können, unter anderem das Aquarell «A Föte
Day in Zürich: Early Morning», um 1843-1845 von
William Turner, das mit seiner Darstellung von Zürich
durch Spenden der Schweizerischen Bankgesellschaft, des
Schweizerischen Bankvereins, der Schweizerischen Kredit-
anstalt und der Jubiläumsstiftung der Versicherungsgesell-
schaften «Zürich», Vita/Alpina, für Zürich gesichert wer-
den konnte, oder die grossformatige, farbige Zeichnung
«Anabasis» von 1983 von Cy Twombly, die von der
Georges und Jenny Bloch-Stiftung finanziert wurde. Cy
Twombly setzte sich darin mit dem berühmten
Geschichtswerk des Altertums «Anabasis» auseinander,
dem Augenzeugenbericht des griechischen Schriftstellers
Xenophon von dem Feldzug Kyros d.J. gegen Artaxerxes
IL, der von Twombly nicht illustrativ geschildert, sondern
durch Symbole und Zeichen angedeutet wird. Andere
Einzelstücke konnten wir mit Unterstützung durch den
Sammlungsfonds anschaffen, wie das grossformatige
Aquarell «New River Watercolor» von 1988 von John
Cage, das von einigen seiner sensiblen Ryoanji-Blättern
begleitet wird, oder das monumentale Quadriptychon
«Carte segrete» von Mimmo Paladino von 1981, das ın
«geheimen Botschaften» die Zusammengehörigkeit von
Schlaf und Tod mit der Frage nach der künstlerischen
Kreativität und deren Erschöpfung verknüpft.
Druckgraphik
Einer Eigenschaft des Kunsthauses folgend, das bis 1920
fast ausschliesslich ein Museum Schweizer Kunst war,
haben wir zahlreiche Schweizer Künstlerinnen und
Martin Disler, Ohne Titel, 1981
Künstler gesammelt, und zwar sowohl mit Zeichnungen,
als auch mit Druckgraphik. Nach der Graphikschwemme
der sechziger und siebziger Jahre, die infolge der Massen-
auflagen und der Häufung von photomechanischen
Reproduktionstechniken zu einem allgemeinen Desin-
teresse an der Graphik führte, hatten die Künstler in den
achtziger Jahren wieder begonnen, die eigenständigen
Möglichkeiten dieses Mediums zu erforschen. Sie wand-
ten sich vermehrt den traditionellen Techniken — wie
Holz- und Linolschnitt, Radierung und Lithographie -
zu, gingen mit ihnen aber in neuer, unkonventioneller
Weise um. So haben wir grössere oder kleinere Werkgrup-
pen von folgenden Künstlern zusammengetragen: Jan
Anüll, Franz Eggenschwiler, Peter Emch, Helmut Federle,
Pierre Haubensak, Barbara Hee, Rolf Iseli, Urs Lüthi,
Thomas Müllenbach, Josef Felix Müller, Christian Roth-
acher, Claude Sandoz, Klaudia Schifferle, Albrecht
Schnider, Anselm Stalder, Hugo Suter, Franz Wanner und
Rolf Winnewisser.
Im Anschluss an unsere älteren Sammlungsbestände
mit druckgraphischen Gesamtwerken von u.a. Honore
Daumier, Marie Ellenrieder, Francisco Goya, Ferdinand
Kobell, Fritz Pauli, Edouard Vallet oder Albert Welti, war
es uns ein Anliegen, die Druckgraphik einiger wichtiger
zeitgenössischer Künstler möglichst komplett zu sam-
meln. So besitzen wir die gesamten Editionen von Marcel
Broodthaers, die fast vollständige Druckgraphik von
Markus Raetz, den mit 530 Blättern grössten Teil des
druckgraphischen Werkes von Dieter Roth sowie die voll-
ständige Druckgraphik von Andre Thomkins. Bei Dieter
Roth ist es beinahe unerlässlich, nicht nur einzelne gra-
phische Blätter zu sammeln, sondern sein Werk im
Überblick zu erfassen. Erst im Verfolgen der Verwandlun-
gen und Variationen von Grundthemen wird es in seiner
Vielschichtigkeit erkennbar. Dieter Roth hat schon immer
unkonventionelle Graphik gemacht, und zwar nicht nur
dadurch, dass er jeweils die neuesten graphischen Techni-
ken nutzt. Er erzielt auch durch die Kombination der ver-
schiedenartigsten Techniken und durch das Übereinan-
derdrucken und Ineinanderschieben unterschiedlicher
Bilder eine bisher ungewohnte Komplexität der Werke.
Die einzelnen Graphiken ergeben erst im Zusammenhang
ihren eigentlichen Sinn, ähnlich wie seine Bücher auch als
«Buchfamilien» zusammengehören. Das Kunsthaus er-
warb ausser seiner Druckgraphik und seinen Büchern
9 Zeichnungen und 31 Schallplatten seiner Musik, die er
mit seinen Kindern und Freunden gespielt und aufge-
nommen hat. Ausserdem haben wir seine gesamte Video-
produktion angekauft. Er war es auch, der uns dazu anreg-
te, eine Schallplattensammlung anzulegen, für die wir seit
1983 speziell Musik von bildenden Künstlern, wie Laurie
Anderson, Joan La Barbara, Terry Fox, Meredith Monk,
A.R. Penck oder Hanne Darboven gesammelt haben.
Häufig geben Künstler Graphikfolgen heraus, deren Blät-
Miriam Cahn
1 weiblicher Monat,
23.3-12.4. 1990
ter in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen und
übergreifende Bildideen zum Ausdruck bringen, wie in
den Mappenwerken von Jonathan Borofsky, Francesco
Clemente, Enzo Cucchi, Hanne Darboven, Felix Droese,
Gustav Kluge, Barbara Kruger, Urs Lüthi, A. R. Penck
oder auch in denen der Zürcher Konkreten Max Bill,
Camille Graeser, Verena Loewensberg und Richard Paul
Lohse.
Künstler wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke arbei-
ten weiterhin mit photomechanischen Verfahren, wie
Heliogravüre, Offset oder Lichtdruck. Richter vor allem,
von dem wir über eine umfangreiche Gruppe graphischer
Arbeiten verfügen, fand damit ein adäquates Mittel für
sein auch in der Malerei verfolgtes Bestreben, das «Hand-
schriftliche» und die subjektive Geste auszuschalten und
das «Objektive» und «Anonyme» zur Darstellung zu brin-
gen. Allerdings bewirken sehr freie künstlerische Manipu-
lationen die Verwandlungen der Vorlage, beispielsweise
führt die Montage verschiedener Photos oder ihre
Umkehrung zu den vom Betrachter bewusst erlebten
«Störungen». Die Druckgraphik ergänzen Zeichnungen
und übermalte Photographien, in denen sich zwei Rea-
litätsebenen — die der realistischen Photographie und die
der abstrakten Malerei — überlagern. Auch die Editionen
von Marcel Broodthaers, die aus den Jahren 1964 bis 1975
datieren, wurden im Sieb-, Buch- oder Photodruckverfah-
ren hergestellt und umfassen ausser den druckgraphischen
Blättern eine bedruckte Photoleinwand, einen Film und
eine Flasche mit dem Titel «Le manuscrit trouve dans une
bouteille». Für ihn waren dies adäquate Medien, ging es
doch in seinem vielfältigen Schaffen um Wort und Bild,
um die Reproduktion und ihre Veränderung und um die
Austauschbarkeit von Wörtern, Bildern und Zeichen. In
den Editionen von Joseph Beuys, von denen wir noch vor
seinem Tod eine kleinere Gruppe erstehen konnten, unter
anderem die «Schautafeln für den Unterricht» von 1971,
ging es ebenfalls nicht um Originalgraphik im konventio-
nellen Sinn, für Beuys waren sie aber in dieser Form sehr
wichtig, da er in ihnen Vehikel zur Verbreitung seiner
Ideen sah.
Sammelte man früher Bücher mit Originalgraphik,
unter denen bei uns die illustrierten Bücher von Emile
Bernard, Pierre Bonnard, Edgar Degas und Pablo Picasso
herausragen, gibt es seit den sechziger Jahren die soge-
nannten «Artist books», das heisst Bücher mit Original-
beiträgen von Künstlern, die im Sinne der Konzeptkunst
primär-künstlerischen Charakter haben, ohne dass sie
unbedingt Originalgraphik enthalten müssen. Für viele
Künstler ist das «Artist book» ein in sich geschlossenes
Werk, das ihren übrigen Arbeiten gleichwertig ist. Sie
schätzen es darüber hinaus wegen seiner grossen Verbrei-
tung und seinem niedrigen Preis, durch den es vielen
zugänglich gemacht werden kann. Wir haben im Laufe
der Zeit einen ausserordentlich grossen Bestand dieser
Gattung zusammengetragen.
Unter Aufnahme einer alten Tradition hat das Kunst-
haus zum 200-Jahr-Jubiläum der Zürcher Kunstgesell-
schaft 1987 eine Graphikmappe mit Druckgraphiken von
sieben Schweizer Künstlern herausgegeben. Unsere Kas-
sette enthält folgende Blätter: eine Farbradierung von
Martin Disler, einen Linolschnitt von Peter Emch, eine
Radierung von Barbara He&, einen Holzschnitt von Josef
Felix Müller, eine Farbradierung von Markus Raetz, eine
Farbradierung von Klaudia Schifferle und eine Farblitho-
graphie von Rolf Winnewisser. Zu unserer grossen Freude
war die Edition in kurzer Zeit vergriffen.
Schenkungen
Zwischen Erwerbungen und Schenkungen besteht ein
sinnvoller Zusammenhang, sie bedingen sich gegenseitig.
Wir durften in den letzten 20 Jahren sehr viele Geschenke
und ausserordentliche Nachlässe entgegennehmen, von
denen hier nur die allerwichtigsten erwähnt seien. 1977
schenkte uns Frau Frida Richter 31 Zeichnungen von
Hans Richter, die fast ausschliesslich aus seiner Dada-Zeit
stammen? 1979 kam das Legat Louise Glarner mit dem
Nachlass von Fritz Glarner dazu, der zusammen mit
Gemälden, Dokumenten, Photographien und Publikatio-
nen 370 Zeichnungen und 15 Skizzenbücher umfasst”.
1981 erhielten wir von Frau Madeleine Kemeny eine
Gruppe von 92 Zeichnungen von Zoltan Kemeny, die
eine Reihe von Ideenskizzen und Studienblättern sowie
grossformatige Zeichnungen umfasst, welche in direktem
Zusammenhang mit seinen Metallreliefs stehen. 1983
kam eine umfangreiche Ex Libris-Sammlung von Herrn
Professor Dr. Max Holzmann ins Kunsthaus, die diesem
von Frau Clara Holzmann-Forrer vermacht worden war.
Die Sammlung umfasst rund 3860 Werke und enthält
sowohl alte Ex Libris von 1500 bis 1900 als auch zahl-
reiche Blätter aus der Zeit der Erneuerung der Ex
Libris-Kunst ab der Jahrhundertwende. 1986 schenkten
uns Frau Clay Giedion und Professor Giedion 86 Photo-
graphien von Constantin Brancusi im Andenken an ihre
Mutter, Frau Carola Giedion-Welcker, welche 1958 das
bahnbrechende Buch über den Künstler veröffentlichte.
1990 erhielten wir von Herrn Armin Haab aus Zug ein
Geschenk ganz besonderer Art. Er übergab uns seine seit
Jahrzehnten aufgebaute, rund 500 Blätter umfassende
Sammlung mexikanischer Graphik. Da diese Sammlung
in Europa einzigartig ist und einen gültigen Überblick
über die Entwicklung der figurativen Graphik in Mexiko
während des Zeitraums von 1847 bis 1950 gibt, sind wir
für diese Ausdehnung der Graphischen Sammlung auf ein
unbekannteres Gebiet sehr dankbar.
Von Herrn Gustav Zumsteg erhalten wir eine Jährlich
wiederkehrende Zuwendung der Hulda und Gustav Zum-
steg-Stiftung, die uns erlaubt, insbesondere unsere
Schweizer Sammlung mit speziellen Blättern zu ergänzen.
Da die Aufzählung aller Schenkungen den Rahmen dieses
Berichtes sprengen würde, verweisen wir auf unsere Jah-
resberichte, in denen wir detailliert darüber informierten.
Unsere Sammlungspolitik ist eng mit den im Graphi-
schen Kabinett veranstalteten Ausstellungen verbunden,
bieten diese uns doch Gelegenheit, eine Auswahl aus dem
dort ausgebreiteten Material zu treffen.
Ausstellungen
«Eine Graphische Sammlung, die nicht ausstellt, existiert
nicht im Bewusstsein des Publikums», schreibt Gunther
Thiem, der langjährige Leiter der Graphischen Sammlung
der Staatsgalerie Stuttgart. Der Ausbau des Graphischen
Kabinetts, den wir 1982 dank einer namhaften Unterstüt-
zung der Georges und Jenny Bloch-Stiftung realisieren
konnten, schuf die Voraussetzungen für einen Ausstel-
lungsbetrieb, der den heutigen Anforderungen für die
Präsentation von Zeichnungen und Graphik entspricht.
Erst seitdem sind wir in der Lage, Werke der Graphischen
Sammlung, die normalerweise in den Sammlungsräumen
nicht zu sehen sind, sondern in Schachteln und Schrän-
ken sorgfältig vor dem Licht geschützt werden müssen,
kontinuierlich zu zeigen.
Es war uns ein Anliegen, die eigenen Bestände von Zeit
zu Zeit durch Ausstellungen einem grösseren Publikum
zugänglich zu machen und sie bei der Gelegenheit wis-
senschaftlich zu bearbeiten und in einem Sammlungsheft
zu publizieren. In einer Zeit der zunehmenden Erinne-
rungslosigkeit ist es besonders wichtig zu zeigen, dass die
Zeugnisse der Vergangenheit fortwirkende Kraft haben
und das Museum ein Ort ist, an dem sich schöpferisches
Geschichtsbewusstsein bilden kann. In diese Reihe
gehören:
William Hogarth —- Sittenbilder aus dem 18. Jahrhun-
dert, 1983 (Sammlungsheft 9)
Albert Welti - Zeichnungen und Graphik rund um die
«Walpurgisnacht», 1984 (Sammlungsheft 10)
Meisterwerke aus der Graphischen Sammlung, 1984
Dada in Zürich, 1985 (Sammlungsheft 11)
Johann Heinrich Füssli - Zeichnungen, 1986 (Samm-
i‚ungsheft 12)
Johann Robert Schürch, 1986 (Sammlungsheft 13)
Von Gessner bis Turner - Zeichnungen und Aquarelle
von 1750-1850, 1988 (Sammlungsheft 14)
Amor, Tod und Jenseits - Graphische Folgen von Max
Klinger, 1989
Von Leibl bis Pechstein - Deutsche Zeichnungen,
[991 (Sammlungsheft 16)
Ferdinand Hodler - Vom Frühwerk bis zur
Jahrhundertwende, 1991 (Sammlungsheft 15)
Ferdinand Hodler - Zeichnungen der Reifezeit
1900-1918, 1992 (Sammlungsheft 17)
Amerikanische Zeichnungen und Graphik von Sol
LeWitt bis Bruce Nauman, 1994 (Sammlungsheft 19)
Im speziellen haben wir in regelmässigen Abständen
unsere Neuerwerbungen vorgestellt:
Neuerwerbungen 1971 bis 1975, 1976
Aus den Neuerwerbungen 1976 bis 1980: Amerika-
nische Zeichnungen der siebziger Jahre, 1980
Bilder der Angst und der Bedrohung: Neuerwerbun-
gen aus den achtziger Jahren, 1983
Marcel Broodthaers - Die Editionen, 1983
Alberto Giacometti: Vivantes cendres, innommees —-
Eine unbekannte Graphikfolge, 1989
Schweizer Graphik der achtziger Jahre, 1990
Besonders am Herzen lagen uns die Ausstellungen mit
zeitgenössischen Künstlern und Künstlerinnen:
- Enzo Cucchi - Grossformatige Zeichnungen, 1982
Arnulf Rainer — Hiroshima, 1984
Mario Merz - Arbeiten auf Papier, 1985
Joseph Beuys - Ölfarben 1949-1967, 1985
Nicola De Maria - Regno dei Fiori, 1985
Felix Droese —- Farbige Blätter (die von mir abgefallen),
1986
Richard Paul Lohse - Zeichnungen 1935-1985, 1986
Gotthard Graubner: Zeichnung - Aquarell 1946-1986,
1987
Enzo Cucchi: «La Disegna», Zeichnungen 1975-1988,
1988
Ilona Ruegg - Die Ränder der Gegenwart, 1990
Felix Droese: Das Gleichmass der Unordnung, 1991
Martin Disler: Druckgraphik aus den Jahren 1986 bis
1992, 1992
Miriam Cahn: Unbenennbar (was mich anschaut),
1993
Barbara Hee - Von dem Nichts die Fülle. Zeichnun-
gen und Plastiken, 1994
Eine Ausstellungsreihe umfasste Klassiker, vor allem des
19. und 20. Jahrhunderts:
- Munch und Ibsen, 1976
- Max Beckmann - Das druckgraphische Werk, 1976
Alberto Magnelli - Collagen 1936-1965, 1977
Paula Modersohn-Becker - Zeichnungen und Pastelle,
1977
- Giovanni Segantini - Zeichnungen, 1978
Pablo Picasso: 156 graphische Blätter 1970-1972, 1978
Max Ernst, Frottagen, Collagen, Zeichnungen, Gra-
phik, Bücher, 1978
- Käthe Kollwitz —- Die Zeichnerin, 1981
- Picasso - Graphik aus den eigenen Beständen, 1982
Paul Cezanne - Aquarelle, 1982
Nabis und Fauves - Zeichnungen, Aquarelle und
Pastelle aus Schweizer Privatbesitz, 1982
Leonardo da Vinci - Zeichnungen aus Schloss Wind-
sor, 1983
Georges Seurat - Zeichnungen, 1984
Gustave Courbet - Unbekannte Reiseskizzen, 1984
Sigismund Righini - Farbstiftzeichnungen, 1987
Fritz Wotruba: Zeichnungen 1925-1950, 1988
«Je suis le cahier»: Die Skizzenbücher von Picasso,
1989
Wilhelm Lehmbruck: Zeichnungen, 1990
Von Zeit zu Zeit veranstalteten wir thematische Ausstel-
lungen:
Zero - Bildvorstellungen einer europäischen Avant-
garde 1958-1964, 1979
Zeichnungen der Romantik aus der Nationalgalerie
Oslo, 1985
Disegno italiano:
Italienische Zeichnungen 1908-1988, 1989
Die Nabis —- Propheten der Moderne, 1993
Aus dem Bereich der Videoinstallationen und Video:
skulpturen zeigten wir:
- Vito Acconci - Wandarbeiten und Workshop, 1981
Shigeko Kubota - Video Sculptures, 1982
Richard Kriesche, 1983
Video-Skulptur retrospektiv und aktuell 1963-1989,
1989
Zu fast allen Ausstellungen haben wir Kataloge herausge-
geben.
Bewahren
Neben dem Sammeln und Ausstellen besteht die dritte
Aufgabe des Museums im Bewahren der Kunstwerke. Die-
ses bekommt heute eine akute Bedeutung durch die
zunehmende Umweltbelastung. Da das Interesse an gra-
phischen Werken in den letzten Jahren sehr zugenommen
hat, hat die Beanspruchung der Blätter durch Leihgaben
für Ausstellungen, Photoaufträge und durch die Ausleihe
an Besucher zu Studienzwecken im Lesesaal Abnutzungs-
erscheinungen zur Folge. Viele Blätter haben auch durch
die jahrelange Aufbewahrung in den nichtklimatisierten
Räumen des Altbaus gelitten. Trotz der Klimaanlage im
Neubau machen sich Umwelteinflüsse, vor allem in der
Versäuerung des Papiers, bemerkbar. Allein die Ausleihe
an Museen bringt die Blätter mit anderen Umweltbedin-
gungen in Berührung, die sich im Papier oft sichtbar nie-
derschlagen. Die konservatorische Betreuung durch
Papierrestauratoren und Buchbinder erweist sich als
dringliche Daueraufgabe. In Zusammenarbeit mit der aus-
wärtigen Papierrestauratorin, Frau Bürki in Bern, konnte
man die Altmeisterzeichnungen des 16. bis 18. Jahrhun-
derts restaurieren, neu montieren und diesen «alten
Bestand» mit neuen Nummern inventarisieren. Eine
besonders intensive Aufgabe war es, unsere umfangrei-
chen Hodler-Bestände zu bearbeiten, die neben den
Füssli-Zeichnungen einen der Schwerpunkte der Graphi-
schen Sammlung bilden. Die Erschliessung der 1506
Zeichnungen haben wir mit einem dreiteiligen Ausstel-
lungszyklus verbunden, zu dem bereits zwei Sammlungs-
hefte mit der wissenschaftlichen Bearbeitung der Werke
durch Bernhard von Waldkirch, dem wissenschaftlichen
Mitarbeiter der Graphischen Sammlung, erschienen sind
und das dritte in Arbeit ist‘.
Videosammlung
1979 haben wir Video als neues künstlerisches Medium in
unsere Ausstellungs- und Sammlungspolitik aufgenom-
men. Im Zusammenhang mit regelmässig veranstalteten
Videozyklen, in denen jeweils ein Überblick über die
Videoproduktion eines Landes oder einzelner Künstler
gezeigt wurde oder thematisch gegliederte Programme
und neue Bewegungen vorgestellt wurden, haben wir eine
Videothek aufgebaut, die inzwischen mit ihren 470 Bän-
dern eine der grössten in Europa darstellt. Die Video-
sammlung, die sich einer lebhaften Nachfrage erfreut, ist
über den Katalog im Lesesaal zugänglich und steht den
Besuchern während der Öffnungszeiten zur Verfügung.
Die Bänder können entweder in der Bibliothek oder im
kleinen Vortragssaal angeschaut werden. Die Sammlung
umfasst zur Hauptsache Künstlervideos, das heisst Bän-
der, in denen Künstler das Medium Video als Ausdrucks-
mittel einsetzen. Die Videotechnik, das heisst die elektro-
magnetische Aufzeichnung des Bildes und seine
Wiedergabe auf dem Bildschirm, beschäftigt die Künstler
heute wieder in verstärktem Masse. In den sechziger Jah-
ren, in einer Zeit der Umstrukturierung der Kunst, als vor
allem die Künstler der «Land-Art» und der «Concept-Art»
die traditionellen Kunstformen ablehnten, bot sich Video
als willkommenes Medium an, die neuen «Objekte» zu
vermitteln und Ideen, Prozesse oder Gesten zu visualisie-
ren. Auch eignet sich Video in besonderer Weise zur
Selbstdarstellung und Selbstbefragung. Nach einer Phase
nachlassenden Interesses hat die Videokunst seit Anfang
der achtziger Jahre einen neuen, lebhaften Aufschwung
genommen. Das steht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Entwicklung der Computer-Technologie, die den
Künstlern mit der digitalen Bildmanipulation und mit
den elektronischen Schneidetechniken die Möglichkeit
bietet, eine vorher nicht gekannte Präzision in der Zusam-
menstellung von Bildsequenzen zu erzielen. Unsere
Videosammlung bietet heute einen repräsentativen
Überblick über die Entwicklung dieses künstlerischen
Mediums von seinen Anfängen in den sechziger Jahren
bis in unsere Gegenwart, beginnend mit der Pioniergene-
ration von Vito Acconci, Bruce Nauman, Nam June Paik
über Peter Campus, Bill Viola, Marcel Odenbach, Gary
Hill bis zu der heutigen Generation der Alexander Hahn,
Iony Oursler oder Sadie Benning. Der Sammlungskata-
og, den wir in Arbeit haben, vermag deshalb zugleich
eine Geschichte der Videokunst darzustellen.
Bibliothek
Die erste wichtige Entscheidung in der Bibliothek betraf
die akzessorische Aufstellung der Bücher, das heisst die
Aufstellung nach dem Prinzip des Numerus currens, was
uns ermöglichte, die aufwendige Arbeit des Magazi-
nierens und der Büchersuche zu vereinfachen. Dabei
wurde die Systematik durch den neu erstellten, alphabe-
tischen Schlagwortkatalog erschlossen. Dieses System bot
sich aufgrund der Tatsache an, dass die Bibliothek des
Kunsthauses keine Freihandbibliothek ist, sondern mit
den Compactus-Schränken ein geschlossenes Magazin
besitzt, dessen Bestände für den Besucher nicht zugäng-
lich sind. Die neue Einteilung in sechs Formate erwies
sich als eine äusserst platzsparende Massnahme, die
zudem im Hinblick auf die Pflege der Bücher von Vorteil
ist. Gleichzeitig wurden die Zeitschriftenbestände mit den
unterschiedlichsten Signaturen auf die Periodika-Signatur
«Per» vereinheitlicht und umkatalogisiert. Die immer
wichtiger und dicker gewordenen Ausstellungskataloge
werden seit 1975 wie Bücher bearbeitet. Von jeder Titel-
aufnahme wird im übrigen eine Katalogkarte nicht nur an
die Zentralbibliothek Zürich geschickt, sondern auch an
die Landesbibliothek Bern, so dass unsere Bibliothek
gesamtschweizerisch zur Verfügung steht. Der neue Lese-
saal war geräumig genug, um eine vergrösserte, in zehn
Sachgruppen unterteilte Handbibliothek einzurichten,
die ständig durch Lexika, Handbücher, neueste Bibliogra-
phien und ikonographische Nachschlagewerke erweitert
wird. Auch die Kataloge der laufenden Ausstellungen, die
wir von allen grösseren Museen und Kunstinstituten im
Schriftenaustausch erhalten, sowie die Neuerwerbungen
und die neuesten Nummern der abonnierten Zeitschrif-
ten können seitdem zur Einsicht aufgelegt werden. Im
hinteren Teil des Erdgeschosses konnten wir eine Buch-
Linderwerkstatt einrichten, die es unserem Buchbinder
erlaubt, die durch häufige Benutzung beschädigten
Bücher zu reparieren oder neu zu binden sowie die Passe-
partouts für die Graphische Sammlung zu schneiden.
Nach der Reorganisation haben wir unsere Ankaufs-
politik auf Literatur zu Malerei, Plastik und Graphik des
19. und 20. Jahrhunderts konzentriert, wobei wir das
Schwergewicht auf die aktuelle Kunst gelegt haben. Unser
besonderes Augenmerk galt den Bereichen Kunsttheorie,
Kunst und Gesellschaft, Kultur- und Mediengeschichte
sowie den Euvre- und Sammlungskatalogen. Der regel-
mässige Katalogaustausch mit den wichtigsten internatio-
nalen Museen ergänzt unsere Erwerbungen. Mit unserer
neuen Ausrichtung hängt wohl auch die seit einiger Zeit
beobachtete Veränderung der Benutzerstruktur zusam-
men: es kommen immer mehr jüngere Leser zu uns, rund
die Hälfte der Bibliotheksbenutzer sind heute Studenten,
Assistenten und Dozenten der Universität, der ETH und
der Schule für Gestaltung.
Unter den zahlreichen Schenkungen, die wir im Laufe
der Jahre entgegennehmen durften, nimmt die Bibliothek
von Professor Leopold Ruzicka mit rund 600 Einheiten
einen besonderen Platz ein. Herausragende Geschenke
waren ausserdem die umfangreiche Picasso-Bibliothek
von Georges und Jenny Bloch mit circa 440 Büchern und
Katalogen sowie die Jahrgänge 1901-1912 der neben dem
Simplicissimus wichtigsten satirischen Zeitschrift zu
Beginn des 20. Jahrhunderts «Assiette au Beurre», die wir
vom Migros-Genossenschaftsbund erhielten. Die Erben
der Tänzerin Suzanne Perrottet überliessen uns den Nach-
lass mit Photographien, Dokumenten, Briefen und insbe-
sondere den Zeichnungen von Rudolf Laban. Frau Lucie
Glarner schenkte uns den gesamten dokumentarischen
Nachlass von Fritz Glarner. Zahlreiche Geschenke, vor
allem von Herrn Dr. h. c. Hans Bolliger, bereicherten
unser im Laufe der Jahre aufgebautes einzigartiges Dada-
Archiv.
Sowohl in der Bibliothek als auch in der Graphischen
Sammlung wurden im Laufe der Zeit die Aufgaben erwei-
tert, so dass der Personalbestand erhöht werden musste.
Die Arbeit unserer Hauptbibliothekarin, Frau Susanne
Häni, besteht heute nicht mehr nur im Inventarisieren
und Katalogisieren von Büchern und von Ausstellungs-
und Sammlungskatalogen. Viel Zeit wird aufgewendet für
die Betreuung der Besucher, das Auskunftwesen, die Lite-
ratursuche für Leser und für Ausstellungen im Kunsthaus,
die Kontrolle des Schriftenaustausches sowie für die
Inventarisierung und Katalogisierung unserer umfang:
reichen Archive (Dada, Junghanns, Perrottet). Hinzu
kommt die Betreuung der bei uns integrierten Bibliothek
der Stiftung für die Photographie. Ausserdem ist es den
Bibliothekarinnen ein Anliegen, die Neuerwerbungen
dem Publikum möglichst rasch zugänglich zu machen.
Rückblickend auf die letzten 20 Jahre kann man feststel
len, dass die Kunsthausbibliothek heute eine der wichtig:
sten Fachbibliotheken der Schweiz ist.
Ursula Perucchi-Petr
Anmerkungen
«Dada in Zürich» 1985, wissenschaftlich bearbeitet von Hans Bolliger, Guido
Magnaguagno und Raimund Meyer (Sammlungsheft 11) und «Dada global»
1994, wissenschaftlich bearbeitet von Raimund Meyer, Judith Hossli, Guido
Magnaguagno, Juri Steiner und Hans Bolliger (Sammlungsheft 18)
Ursula Perucchi-Petri im Jahresbericht der Zürcher Kunstgesellschaft 1977 und
im Katalog «Hans Richter, Dadaist - Filmpionier - Maler - Theoretiker».
Berlin, Zürich, München 1982
Dagmar Hnikova: in Sammlungsheft 8, Kunsthaus Zürich 1982
Bernhard von Waldkirch, «Ferdinand Hodler — Vom Frühwerk bis zur Jahr:
hundertwende», Kunsthaus Zürich 1991 (Sammlungsheft 15) und «Ferdinand
Hodler - Zeichnungen der Reifezeit 1900-1918», Kunsthaus Zürich 1992.
(Sammlungsheft 17)