glücklich gewählt, dass auch hier diese Absicht deutlich wird. Die Energie der Sonne am Mittag sehen wir im Heu- haufen und im Dogenpalast, doch während der erstere ihre Wirkung im Gegenlicht eines dunstgesättigten Winterta- ges zeigt, fällt sie voll auf den über dem reflektierenden Wasser schwebenden Palazzo und löst mit der Leuchtkraft des Spätsommers seine Südfassade in eine perlmuttern ir! sierende Fläche auf. Demgegenüber zeigen die beiden Bilder aus London Morgen und Abend, das Aufleuchten der ersten Sonnen: strahlen auf der Themse, während selbst die Brücke im dichten reinen Frühnebel noch kaum zu ahnen ist, sodann das Verschwinden des Gestirns in der vom Russ und Rauch des Werktags düster erfüllten Atmosphäre hin- ter der Silhouette des Parlamentes. Monet war bereits 1870 während des Deutsch-Französischen Krieges nach Lon don ausgewichen und seither von den unwahrscheinli- chen, extrem wechselhaften Lichtbrechungen in der ver- schmutzten Luft der Industriestadt fasziniert und herausgefordert. Der berühmt berüchtigte Smog der vik- torianischen Metropolis, der einen grossen Teil der Be völkerung zu Lungenkranken machte und in seineı undurchdringlichen Dichte gelegentlich den Verkehr zusammenbrechen liess, hatte auch seine poetischen und malerischen Seiten, die in Monet ihren genialsten Inter- preten fanden. Ob die Dreyfuss-Affaire, die nicht nur den Antisemitismus der Militärs, sondern die allgemeine kor- rupte Verfilzung des französische Systems aufdeckte, Monet das lang gehegte Projekt ausführen liess, bleibt eine Vermutung; jedenfalls fällt auf, dass die beiden Hauptmotive - die Waterloo Bridge und das House of Parliament — an eine französische Niederlage und an die englische politische Institution, die Frankreich Vorbild sein sollte, erinnern.” Die Impressionisten betonten stets, dass sie weniger die Dinge als die Luft zwischen ihren Augen und den Gegen- ständen malen wollten; nicht mehr die klare Fernsicht, wie die älteren Landschaftsmaler, sondern Dunst und Nebel interessierten sie. Kurz vor seiner ersten Kampagne in London studierte Monet das Erwachen des Tages über dem ruhenden Wasser eines Seitenarms der Seine in einer Folge quadratischer, quasi identischer Kompositionen. Langsam zeichnen sich in den fast monochrom grauen, unmerklich gegen lila, rosa oder blaugrün gebrochenen Schleiern die Schatten der Baumgruppen und ihre sym- metrischen Spiegelbilder ab.? Gegenüber diesem reinen, sich rasch auflösenden Frühnebel bot die Londoner Atmosphäre eine ganz andere Komplexität.” Dutzende von angefangenen Leinwänden stapelten sich in dem Appartement des Savoy-Hotels, auf denen Monet den flüchtigen «effets» nachhastete, die nicht wiederkehren wollten — oder bereits wieder vorbei waren, bevor das ent- sprechend angefangene Bild gefunden war. Da die «enve- loppe» der Dinge besonders im Gegenlicht zur Geltung kommt, richtete Monet die Staffeleiı am Morgen nach Osten zur Waterloo Bridge; der früheste Moment - Le point du jour — lässt die Brücke und die Kamine am ande- ren Ufer nur als düstere Schemen in der blaugrünen Dämmerung ahnen, in der noch vereinzelt nächtliche Lichter matt brennen.!® Hier knüpfte Monet an die subti- len Nocturnes seines Freundes Whistlers an, die dieser seit den siebziger Jahren malte und mit Titeln wie «Harmony in Blue and Silver» versah, In vielen Schichten wie Lack- arbeiten aufgebaut, zeigen sich in der glatten, nahezu monochromen Fläche die Silhouette einer japanisieren- den Brücke, ein paar ferne Lichter oder gar ein Feuerwerk. Unser Gemälde, wohl das «abstrakteste» der ganzen Serie, erfasst die Stimmung kurz nach Sonnenaufgang; das Gestirn selbst ist nicht zu sehen, aber sein leuchtende: Reflex auf den Wellen, von dem sich substanzlos die klei- nen Segel eines Lastkahns abheben. Der Nebel ist noch dichter geworden, morgendlich rein vom Qualm der Schiffe und Eisenbahnen, Fabrikschlote und Heizungen. So wenig Gegenständliches zu sehen ist, so intensiv erscheint die malerische Durcharbeitung. Der dramatische Sonnenuntergang mit dem House of Parliament evoziert einen anderen englischen Künstler, der freilich kurz nach Monets Geburt starb: Turner. Auch er arbeitete öfters mit solch düsteren Tönen, aus denen kühne Rot und Orange drohend aufleuchten; ebenso ver- schmolz er in seinen Spätwerken das Gegenständliche bis zum kaum mehr Erkennbaren in farbige Massen. Viel- leicht ist ihm Monet nie näher gekommen als hier; gera- de deshalb zeigt sich nun die Differenz zwischen den romantischen, nach aussen projizierten Visionen Turners und den modernen, zwischen Wahrnehmunesstudien