<p>"Das neue Leben"</p><p>Erste Ausstellung</p><p>Kunsthaus Zürich</p>
Das Neue Leben ist eine Vereinigung, deren Aus-<br/>schuss aus Schweizer Künstlern besteht. Mitglieder<br/>sind ausübende Künstler aller Länder.<br/><br/>Uns ist künstlerisches Schaffen reinste Lebens-<br/>äusserung und höchste Religion. Unsere Liebe zu<br/>der neuen grossen Bewegung in der Kunst führte und<br/>hält uns zusammen.<br/><br/>Wir glauben, dass der Expressionismus zwar der<br/>entscheidende Übergang von einer erschöpften Kunst<br/>der sinnlichen Nachahmung zu der einer geistigen<br/>Durchdringung ist, aber eben doch nur Übergang,<br/>sodass die eigentliche Kunstwende und der eigentliche<br/>neue umfassende Stil erst noch zu erwarten ist.<br/><br/>Die Arbeit an diesem neuen Stil zu fördern, der<br/>alle Gebiete der Kunst, auch das «sogenannte Kunst-<br/>gewerbe» durchdringen soll, das ist das eigentliche<br/>Ziel unserer Vereinigung.<br/><br/>F. Baumann.<br/><br/>Auskünfte gibt:<br/><br/>Fritz Bau.rn.ann, Basel, Froburgstrasse 3.<br/>
FÜR DIE NEUE BEWEGUNG IN DER KUNST.<br/><br/>Der Streit um die Kunst war wohl nie so gross und so<br/>verwickelt, als in unserer Zeit.<br/><br/>Mit dieser Ausstellung hoffen wir ein Weniges beizu-<br/>tragen, die Situation zu klären.<br/><br/>Wir glauben nur an eine Kunst.<br/><br/>Es gibt für uns nicht den nach Graden eingeteilten<br/>Unterschied von sogenannter freier, dekorativer oder kunst-<br/>gewerblicher Kunst.<br/><br/>Wir unterscheiden Kunst oder Nichtkunst.<br/><br/>Das grosse Publikum nennt und hält im allgemeinen<br/>für Künstler:<br/><br/>Jeden, der öffentlich oder privatim mit mehr oder<br/>weniger Geschicklichkeit eine Geige kratzt oder Klavier spielt.<br/><br/>Alles für Kunst, was in Kramläden, Ausstellungen und<br/>Museen aufgehängt oder gezeigt wird.<br/><br/>Man macht freilich den Unterschied von «ganz grossen»<br/>und «kleinen» Künstlern.<br/><br/>Und so ist es verständlich, dass im allgemeinen immer<br/>die Grossen erst für klein, und die Kleinen für gross ge-<br/>halten werden. Oder wie wir es meinen:<br/><br/>Nichtkunst für Kunst genommen wird.<br/><br/>In der Musik haben wir einen guten Namen für Musiker,<br/>die nicht Künstler sind, er heisst Virtuose; ihre Zahl ist<br/>Legion, die Künstler aber sind zu zählen an den Fingern<br/>einer Hand.<br/><br/>Dasselbe gilt nun für die Malerei, tausende von »Kunst-<br/>malern« oder Malvirtuosen bemühen sich, nach irgend einem<br/>altbewährten oder neuentdeckten, modegewordenen Rezept,<br/>schöne Leinwand mit Ölfarbe zu bedecken. 'Warum, wozu?<br/><br/>Geld und Ehre erlangen nur wenige, denn der Markt ist<br/>überfüllt; bleibt anzunehmen, dass es eine ansteckende<br/>Seuche, oder etwas wie eine irregeleitete Sehnsucht ist.<br/><br/>Das Volk aber muss Kunst vom blossen, sich fürchter-<br/>lich breitmachenden Virtuosentum unterscheiden und trennen<br/>lernen.<br/>
<br/><br/>— 4 —<br/><br/>Wir sind sehr bescheiden geworden im Verlangen und<br/>Fordern nach Kunst.<br/><br/>Wir besuchen Konzerte, eine Ausstellung, hie und da ein<br/>Museum. In den Museen hängen in stillen Sälen einbalsa-<br/>miert nach diesem oder jenem Rezept, Virtuosen und ein<br/>paar Künstler eng und wirr beisammen.<br/><br/>Dürfen wir uns nicht wieder einmal darauf besinnen,<br/>dass Museen und Ausstellungen arme Notunterstände für<br/>die Kunst sind, die im Leben selbst keinen rechten Platz<br/>mehr findet.<br/><br/>Was ist Schuld und wie so kommt es, dass in Europa<br/>die bildende Kunst fast ausschliesslich auf die Leinwand<br/>und ins Öl gedrängt wurde.<br/><br/>Vieles wurde und wird getan dies zu ändern, wir haben<br/>auch darum so grässliche Dinge erlebt in sogenannter «an-<br/>gewandter» und «kunstgewerblicher» Kunst.<br/><br/>Daher die überlieferte Missachtung oder Klassifizie-<br/>rung als Kunst zweiten oder dritten Ranges.<br/><br/>Reine Kunstform war hier nicht möglich unter den An-<br/>schauungen des Naturalismus, Impressionismus etc.<br/><br/>Man »stilisierte«, dieses Wort sagt genug, man bog und<br/>quälte die Naturformen links und rechts herum, ohne tieferes<br/>Wissen und Gefühl.<br/><br/>Wenn in den Schulen endlich gelehrt wird, dass Kunst<br/>und Natur zwei sehr schöne, aber völlig verschiedene und<br/>- für sich bestehende Sachen sind, so wird dieses so widrige<br/><br/>und unanständige Verfahren rasch verschwinden.<br/><br/>Wenn wir in den ethnographischen Museen die Kunst<br/>Chinas, Indiens, Assyriens, Persiens, Ägyptens, die Kunst<br/>der Neger und Indianer, in Europa die Gothik oder rus-<br/>sische Volkskunst bewundern, so bewundern wir eine Vase,<br/>einen Teppich, ein Götterbild, Sargmalerei etc. mit dem glei-<br/>chen Staunen und der gleichen Achtung wie ein gemaltes Rild.<br/><br/>Wir reden nicht von freier, dekorativer oder gar »kunst-<br/>gewerblicher Kunst.«<br/><br/>Wir bewundern überall die gleiche schöpferische Kraft<br/>mit dem wunderbaren Unterschied der Sonne.<br/>
5<br/><br/>Und was wir hier bewundern ist derselbe Geist, die<br/>reine Kraft, die in der heutigen neuen Bewegung in der<br/>Kunst, nur in Kleid und Gebärden unserer Zeit, wieder in<br/>Erscheinung tritt.<br/><br/>Es ist eine uralte, nun neu siegende Wahrheit.<br/><br/>Wir begegnen hier nicht den unmittelbaren Vorstellungs-<br/>bildern der natürlichen Dinge, sondern eigenen Phantasie-<br/>bildern, denn die künstlerische Schöpfung ist, ob gewollt<br/>oder nicht, der treue Ausdruck der eigenen Bewusstseins-<br/>inhalte des Künstlers. »Das klassizistische Ideal, das uns<br/>seit dem Beginn der Renaissance durch eine über mehrere<br/>Jahrhunderte sich erstreckende Gewöhnung anerzogen ist<br/>und das in der naturwahren Wiedergabe des gesehenen Ob-<br/>jektes einen Gipfel künstlerischer Vollendung erblickt, hat<br/>es mit sich gebracht, dass in unserer Zeit auch die grosse<br/>Masse geneigt ist, den Grad der Naturwahrheit als einen<br/>Masstab für die Höhe des künstlerischen Schaffens sowohl<br/>in der ganzen Kunstgeschichte als in der Leistung des ein-<br/>zelnen Künstlers zu sehen.«<br/><br/>Die neue Bewegung in der Kunst bedeutet ohne Zweifel<br/>eine grosse Kunstwende.<br/><br/>Es ist nun eine Tragikomödie, zu sehen, wie sich die<br/>Kunst ins Leben und das Leben in die Kunst sehnt.<br/><br/>Da gibt es Berge von altem Schutt wegzuräumen, und<br/>das tun nur wenige Menschen gerne, der Krieg aber hat<br/>viele dazu gezwungen. Darum auch Krieg um die Kunst.<br/><br/>Wir wissen, dass unsere Ausstellung zu diesen Worten<br/>bescheidener Anfang ist. Die neue Bewegung wird ihre<br/>ganze Kraft auf dem Bilde und der Ausstellungsplastik nie<br/>zeigen können. Wir begegnen auch deshalb vielen Arbeiten<br/>auf Leinwand, die im eigentlichen Sinne keine Tafelbilder<br/>mehr sind und sein wollen, sondern Pfeile der Sehnsucht,<br/>neue Ideen auszuführen in besserem Material.<br/><br/>Wir sehnen uns vor allem nach dem neuen Theater,<br/>nach neuen grossen Bauten, die unsere Freude am Leben<br/>und unsere tiefe Liebe zur Kunst in die Himmel stossen.<br/>
6<br/><br/>Zweifellos ist nun die geistige und formale Kraft, dies<br/>zu verwirklichen, wieder gefunden, und wird sich durch-<br/>setzen trotz den mannigfachen berghohen Hindernissen.<br/><br/>Schnell und viel könnten die Schulen ändern, viel-<br/>leicht alles.<br/><br/>Vor allem Klarheit für die heranwachsende Jugend.<br/><br/>Reinliches Auseinanderhalten von rein technischem,<br/>virtuosem, reproduzierendem Arbeiten, und rein künstle-<br/>rischem, schöpferischem Schaffen.<br/><br/>Das freie Kompositionelle wird an den Schulen erst<br/>schüchtern geduldet.<br/><br/>Statt dessen unnötig viel falsch betriebenes sogenanntes<br/>Naturstudium, bis zum »Stilisieren«. Ein willkürliches<br/>Durcheinanderwerfen von »Natur und alten Vorbildern«.<br/><br/>Warum aber der Schüler stilisiert oder komponirt, wird<br/>ihm selten klar.<br/><br/>Gerade aber hier erst finge der Kunstunterricht an.<br/><br/>Mit diesen veralteten Methoden und Anschauungen be-<br/>kommen wir nie die »Kunst ins Handwerk« oder »Handwerk<br/>in die Kunst«. Sicher machen wir fürchterliche Umwege,<br/>und viel gute Kraft hat sich durch die Schule zu Tode<br/>gelaufen.<br/><br/>Werden wir hei uns warten und werden wir zu spät<br/>sein?<br/><br/>Wir wünschen das nicht, deshalb diese Schrift und<br/>unsere Ausstellung.<br/><br/>Möge man auch bei uns endlich einsehen, dass die<br/>Kunst kein Sport und Zeitvertreib, sondern eine tiefernste<br/>Sache, die eng verknüpft ist mit unserem Glück oder Unglück.<br/><br/>Wir hollen, mit unserer Ausstellung etwas beizutragen<br/>an der so nötigen Klärung der jetzigen misslichen Lage<br/>und wünschen, dass das Publikum unser Arbeiten besser<br/>versteht und weniger gleichgültig oder gar verächtlich be-<br/>handelt.<br/><br/>Fritz Baumann.<br/>
1<br/><br/>— / —<br/><br/>Die Kunst will und muss wieder zum Leben zurück-<br/>kehren.<br/><br/>Seit der Renaissance ist aber Kunst private Angelegen-<br/>heit geworden, getrennt vom Leben. Ihre Künstler fühlten<br/>sich hoch und stolz über den andern Menschen.<br/><br/>Dieser unsinnige Stolz hat uns aus dem Leben und der<br/>Arbeit in unfruchtbare Spekulationen gejagt. Wir sehnen<br/>uns weg von diesem Stolze. Wir sind nicht nur Künstler,<br/>sondern auch Menschen und fühlen uns verpflichtet, im<br/>Leben wieder eine positiv wirkende Kraft zu werden. Eine<br/>ethisch hochstehende Kunst gehört nicht nur einem Gehirn,<br/>sondern der ganzen Zeit, der ganzen Welt an. Wenn man<br/>aber Kunst zur eigenen Freude machen will, kann man<br/>nicht den Menschen und noch weniger sich selbst gerecht<br/>werden. Die Ausstellung zeigt Versuche, die Kunst wieder<br/>ins Leben zu führen.<br/><br/>Man sieht viele neubehandelte Materialien, fast keine<br/>»Bilder« im eigentlichen Sinne mehr. Unsere Arbeiten mussten<br/>die alten Historien und Anekdoten vernichten, mussten<br/>»abstrakter« werden, um das Material neu und tief zu<br/>packen. Wir wollen zum Handwerk, zur Architektur, die<br/>uns in diesem abstrakten Sinn die nächst verwandte Welt ist.<br/><br/>Marcel Janco-<br/><br/>Mit dieser Ausstellung sind 4 Vorträge verbunden:<br/>IM KUNSTHAUS:<br/><br/>1. OTTO FLAKE: Einführung zum Verständnis der<br/><br/>neuen Kunst.<br/><br/>2. TRISTAN TZARA: L’art abstrait.<br/><br/>3. FRITZ BAUMANN: Was will das Neue Leben?<br/><br/>4. MARCEL JANCO: Sur l’art abstrait et ses buts.<br/>
<br/><br/>Hans Arp.<br/>
Fritz Baumann<br/>
<br/><br/>Augusto Giacometti,<br/>
f<br/><br/><br/><br/><br/><br/>Marcel Janco.<br/><br/>J<br/>
T<br/><br/>Oskar Lüthje.<br/><br/>
T<br/><br/>1<br/><br/>i.<br/><br/>Otto Morach<br/>
Niklaus Stoecklin<br/>
Sophie H. Taeuber.<br/>
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