100 Dieses Wort MERZ war durch Abstimmen gegen die anderen Bildteile selbst Bildteil geworden, und so mußte es dort stehen. Sie können es verstehen, daß ich ein Bild mit dem Worte MERZ das MERZbild nannte, wie ich ein Bild mit „und" das und-Bild und ein Bild mit „Arbeiter" das Arbeiterbild nannte. Nun suchte ich, als ich zum ersten Male diese geklebten und genagelten Bilder im Sturm in Berlin ausstellte, einen Sammelnamen für diese neue Gattung, da ich meine Bilder nicht einreihen konnte in alte Begriffe, wie Expressionismus, Kubismus, Futurismus oder sonstwie. Ich nannte nun all meine Bilder als Gattung nach dem charakteristischsten Bilde MERZbilder. Später erweiterte ich die Bezeichnung MERZ erst auf meine Dichtung, denn seit 1917 dichte ich, und endlich auf all meine entsprechende Tätigkeit. Jetzt nenne ich mich selbst MERZ. In meiner Ausstellung sind als typische MERZbilder zu sehen die Nummern 14—16, 18 und 19. Das waren Bilder aus der Zeit der leidenschaftlichen Erforschung der Materialien, aus meiner Revolutionszeit. Allmählich kam dann aus meinem Studium der Materialien und der Bildgesetze die Auswahl, das Zusammenfassen, die Frucht der Arbeit, und so entstanden zuerst die Versuche zu größerer Strenge, Vereinfachung und allgemeinerem Ausdrude des Jahres 1924: die Bilder 21 — 28, Es sind typische Übergangsbilder zu dem neuen, eindeutigen Ausdruck, den ich erst 1926 im Anblidc der Nordsee in Holland fand, wo ich im Atelier von Lajos von Ebneth in Kijkduin die meisten neuen Bilder malte: 32—45, Es ist immer noch Merz, denn ich habe mich immer noch anregen lassen durch irgendwelche nicht von mir selbst geformte Einzelheit. Aber es sind doch so wenige Anregungen, und die kontrapunktische Durcharbeitung ist so hauptsächlich, daß man die Arbeiten zuerst als Kompositionen und erst in zweiter Linie als Merz betrachten sollte. Nun habe ich wieder meine neue Ausdrucksform gefunden, und da habe ich mich entschlossen, nun wieder meine Arbeiten öffentlich zu zeigen, und daraus entstand diese Ausstellung und dieser Katalog. Die beiden neuen Bilder 46 und 47 aus dem Jahre 1927 sind größer, aber im Wesen nicht anders, als die des vorigen Jahres, gut durchgearbeitete Kompositionen nach gefundenen Zufälligkeiten. Die Bilder 17 und 31 habe ich mit ausgestellt, um zu zeigen, daß ich neben den abstrakten Kompo= sitionen immer noch die Natur studiert habe, jährlich eine kleine Zeit lang. Es ist dieses vielleicht auch ein privates Vergnügen, jedenfalls möchte ich den Zusammenhang mit meinen früheren Entwick= lungsstadien nicht verlieren. Denn ich halte es für unbedingt wichtig, daß zum Schluß das ganze Leben mit allem Wollen ganz dasteht, daß nichts verloren geht, selbst wenn es einmal falsch oder träge war. Denn wir Menschen mit den tausend Schwächen und dem kleinen idealen Funken können nur bestenfalls offen und ehrlich uns geben und an uns in idealem Sinne arbeiten. Wir können aber nicht ein ideales Wesen aus uns machen. Der Versuch dazu endet meistens mit Heuchelei. Ich habe nichts zu verbergen, auch nicht, daß mir noch heute die Sentimentalität der Naturnachbildung so angenehm anhaftet, ohne irgendwelche künstlerische Absichten, nur zur Orientierung. KURT SCHWITTERS 4. 3. 1927. 10 CM 0) T* lL UJ □ Ul tt N QC UJ 2 H < Of Q < ö Z o Ctf ro D 05 < z m H Sä Ul 5 x o (0 h üt D £