136 Unser Geist hat den Gott gedichtet,- aber er vermag ni<ht Gott zu sein, und der Ewige verbirgt si<h. Wir sind Menschentiere und möchten unser Fleisch in blutige Fetzen reißen weil wir Höheres wissen, als wir sind. »Warum zeugt man uns wie Tiere, Uns von Götterstamm und Menschenart? Braucht der Geist ein andres Kleid nicht Als das hier aus Blut und Schmutz?« So schwankt er, im Leben, im Traum, in der Lehre, im Dichten: bald ist er der harte Menschenzüchter, bald der Gepeinigte, der von der Weltordnung, vom Gott-Teufel als Erzieher gezüchtigt wird/ bald schreit er auf: »Alles ist berechtigt außer mir!«, bald neigt er sich liebend erbarmungsvoll zu den Menschen und klagt für alle Schlechtigkeit das Welt regiment, »die Verwaltung«, an. Andere Pessimisten schon haben ihr böses, leidendes Denken an ihr äußeres und inneres Leben angeknüpft/ er aber muß weiter gehen: er zieht rasche, sprunghafte Schlüsse aus einzelnen Vorfällen und Zufälligkeiten nicht nur, sondern wahrhaft aus Halluzinationen. Auch andere haben in Bildern gesprochen und haben grauen hafte Bilder gefunden / er aber erlebt diese Bilder als leibhafte Wirklichkeit, und wenn er etwa sagt: »Zwei Wesen lenken meine Geschidce: das eine gibt mir alles, was ich wünsche, das andere steht dabei und streicht Schmutz auf die Gabe«, so erlebt er das genau so stark mit allen Nerven und Sinnen, wie ein schmatzendes Kind das Butterbrot, das die Mutter ihm geschmiert hat. Ja, so ist es: mit dem Leid und dem Ekel zusammen hat er nicht bloß geschlafen, sie sind ihm Speise und Trank gewesen. Auch er war nicht allzeit ohne Trost, weil er sonst nicht hätte leben können, und er hat nach allen Verzerrungen und Krämpfen immer wieder sanft und freundlich mit den Menschen gelebt. Sein Trost war dann eben, daß er gewahrte, wie zwischen der starken Logik des Denkens und der Logik der Geschehnisse ein Zusammenhang, wie hinter allem Zwiespalt eine unergründliche, aber manchmal hell scheinende Einheit war. Die Logik war ihm dann Tröster und Gott, der ihn auch mit den Menschen, selbst mit den kleinen, dummen, bösen, und mit der Kausalität und Determination der Natur versöhnen konnte. Denn schließlich sagte ihm die Logik, daß die Bösen eben wegen ihrer Bosheit sehr arm seien, und daß es ihnen eine Erlösung sein müsse, um ihre Bosheit zu wissen und zu erkennen, daß sie gar nicht schuld an ihrer widerwärtigen Trübung seien. Das war sein Trost für die Welt, die er sehen und ertragen mußte. Für sich selber hatte der adlige Mann einen hochmütigeren, und sein Stolz gestattete ihm nicht, sich mit der Unentrinnbarkeit ererbter Natur zu entschuldigen: sich nahm er ganz alttestamentarisch wie einen Hiob oder ganz mythisch wie einen Herakles. Von dem Christus, der das Leid der Welt auf sich genommen, ließ er sich fast noch öfter und stärker abstoßen als anziehen: er, Strindberg, war einer, der selber leiden wollte, und woran leidet man stärker als an den eigenen Sünden? Das war doch noch nicht der Rechte, der Christus, der selber sündlos blieb und für die andern litt / er, Strindberg, war der Antichrist, der leidende Sünder, der wie eine zündende Rakete flammend aus dem Tier, das er war, zu dem Gott, der er war, empor stieg und mit all seiner Hölle gen Himmel fuhr. Gustav Landauer