I48 DER STEREOGRAPH oder Die kinetisdie Automodellierung. Professor Abnossah Pschorr ist meinen zahllosen <o?> Lesern längst kein Fremder mehr: er hat ja, wie Sie sich erinnern werden, den »Ferntaster« erfunden, der jetzt im Kriege sicherlich das aus schlaggebende Moment spielen würde, wenn er bereits eingeführt worden wäre. Die Regierungen haben unrecht daran getan, die (allerdings sehr erheblichen) Kosten zu scheuen. Da Pschorr leider neutral ist, läßt er sein Ferngetast feiern. Der Krieg ist vielleicht bloß das Symptom einiger noch nicht anerkannter Erfindungen. Deshalb hören Sie zu! Dem Pschorr ist es gelungen, das Getast, also diejenigen Schwingungen, welche die Empfindung des Getasts erregen, ähnlich wie Licht- und andere Strahlen durch Linsen zu schicken, die natürlich nicht aus Glas, sondern aus einem eigentümlich elastischen, chemisch sehr kompliziert zusammengesetzten Material bestehen,dessen Formel zunächstFabrikgeheimnis bleibt/ eine Art gläsernes Gummi. Während es sich beim Ferntaster darum handelt, das Getast, sozusagen auf Drähten, in die Ferne zu leiten, bleiben die Gegenstände des Getasts hier an ihrer Stelle,- sie werden durch den Stereographen an einer bestimmten anderen Stelle in einer plastischen Masse, einer besonders präparierten Art Ton, lediglich kopiert und zwar eben plastisch, in derjenigen Größe, die von der Größe der Linse abhängig ist — also analog zur Photographie wird hier geplastikt. Abnossah Pschorr hatte die Güte, mich in folgende Details einzuweihen. Er wies auf einen Glas sturz von der Größe eines Familienteekessels: Darin ist die Tastmasse, in der sich die Eindrücke plastisch widerspiegeln. Ich sagte: Aber Herr Professor, ich sehe nicht das Geringste. Wie sollten Sie, bester Herr, gab er zur Antwort und lächelte sein geistreichstes Gerhart-Hauptmann-Lächeln/ (übrigens, da er bald berühmter werden wird, wird dann G. H. ein Abnossah-Lächeln verzapfen! !>. Wie sollten Sie, lächelte Pschorr: Die Masse ist unterm Glassturz zwar vorhanden, aber in Gasform. Sie gerinnt erst durch die Einwirkungen der Taststrahlen, die ich durch die Linse auf das Gas konzentriere, zu plastischen Gebilden,- es scheint zauberhaft, ist aber ganz natürlich. Das Getast hat, wie das Gesicht, sein Plus und sein Minus, sein Licht gleichsam und seine Finsternis, seine Dichte und Dünne, seine Kompaktheit und Dissipation. Und ähnlich wie die photographische Platte, um auch die zartesten Lichteindrücke aufzunehmen, verfinstert werden muß: ähnlich muß die Tonmasse gleichsam vernichtet werden, verflüchtigt, um auch für die minimalsten Tastunterschiede sensibel zu bleiben. Professor Abnossah Pschorr holte sodann die Linse herbei,- sie war merkwürdig klein, in Kaut schuk gefaßt, sah aus wie eine zwiebelartigeTaschenuhr, aus sehr glibbriger Gallerte, von trübster (molkiger) Durchsichtigkeit. Abnossah, in der Hand diese Linse, erkundigte sich, was ich modelliert zu haben wünschte. Ich fragte, ob ich auf die Stabilität der Gegenstände Rücksicht nehmen solle. Im Gegenteil! sagte er triumphierend: Je beweglicher, desto interessanter! Damit wies er auf die Straße, wo gerade Fahnen flatterten, Tiere, Menschen, Wagen aller Gattungen bunt durch einander wirbelten. Ich staunte, daß dies alles in Miniatur unterm Glassturz plastisch in beweglichster Leben digkeit zu wiederholen sein sollte. Abnossah sagte: Denken Sie nach! Materie ist durchaus nichts als lauter Wiederholung. Lauter Variation desselben Themas, das eben allerdings in seiner eigentlichen Originalität, also im Schöpfer, im Schaffenden, im Produzenten verborgen bleibt und, sowie es sich auch nur leise äußert, sofort in diesen allegorischen Variationen ausfällt, nicht wahr? Ich sagte: Jawohl, Herr Professor!