164 den Anfang dazu schon gemacht haben. Ob wir dabei vielen zu korporativ, zu symbolisch, zu akademisch, zu sozialistisch, zu aristokratisch, zu persönlich oder zu sachlich erscheinen werden, das muß uns verhältnismäßig gleichgültig sein, Wir werden durchaus nicht an der Straßenbiegung stehen und uns warnen lassen, werden auch nicht große Ermunterungsreden für noch Zögernde halten, sondern wir werden sehr mit uns selbst und unserm Ziel beschäftigt den Aufbruch wagen und unsern Weg gehen. Möge man uns aber nicht Gleichgültigkeit gegenüber den großen Scharen unserer Kommilitonen vorwerfen. Nein,- allein wir glauben, daß es aufrechter und wirksamer für die Sache der wahren Hochschule gehandelt sei, zu allererst mit sich selbst Ernst zu machen, an statt von den Unüberzeugten Gesinnungen und Taten zu verlangen, deren Dasein sich bei uns bisher noch kaum bewies. Dies also scheint mir ursprünglicher und selbstverständlicher zu sein als die fragwürdige Abhal tung der herrlichsten Vortragsabende zur Einführung des wahren akademischen Lebens. Und wenn Sie, lieber Kommilitone, sagen, wir alle müssen einsehen lernen, »daß jede Tat ihren Wert in sich hat, als unmittelbare Bezogenheit auf Gott«, so ist das ganz die gleiche, uns jeglicher Angst um Zukunft und »Fortschritt« enthebende Anschauung, welche ich in der »Wartenden Hochschule« in die Worte faßte: »es muß sich erweisen, ob wir nicht selber dem Idol der Entwickelung oder des Fortschritts ergeben sind, die Wohlfahrt irgendeiner späteren ungekannten Generation be sorgen, ein wenig aufgespielt und unbescheiden uns für das Jahr 2015 abmühen, anstatt allein darauf bedacht zu sein, das Heil unserer Seele zu retten.« Oder, nochmals in Ihren Worten: »Nicht Ideologie der Zukunft — Realisierung der Persönlichkeit!« Wie aber soll — das ist die zweite Frage — uns der Zusammenhang der geistig Bewegten unter den Studenten dauernd bewußt und lebendig werden? Sehr richtig antworten Sie: »Mit Zeitschriften, negierender Kritik, gelegentlichen Aufrufen, Petitionen erreicht man nichts.« Wir brauchen eine große akademische Heimstätte, eine hoch im Lande liegende Burg des Geistes, einen Treffpunkt, Wallfahrtsort und Kampfplatz der Jugend, an welchem sie in lebendigste Fühlung mit ihren Meistern gerät. Das ist die Neue Hochschule, wie sie nach dem Kriege erstehen wird. Das ist der lose, dennoch lebendige Bund der Kräfte ohne Traditionen und Symbole wie Sie und ich ihn er sehnen, über den Verbänden stehend, dennoch innig gesammelt, arbeitsam und suchend dem Geiste hingegeben, die Bewegtesten aus allen Universitäten, Gruppen, Freundschaftskreisen, Bruderschaften zu festlichen Wochen scharend: »immer deutlicher sich des Gegensatzes zwischen dem Alten und Neuen bewußt zu werden, jung und jugendlich zu leben, das Handwerk fahren zu lassen und die Kunst zu ergreifen, das Unschöne in Wort und Tat an sich und andern nicht zu dulden, ihr Ohr dem Wehen des nahen Geistes nicht zu schließen und weder gedankenlos noch leichtfertig dahin lebend, noch schwermütig brütend, die Blüten des Lebens und der Wissenschaft mit jugendlicher Unschuld und Heiterkeit zu pflücken«. <Wienbarg> Kommilitone, wenn wir uns nun mehr noch als zuvor verstehen, wenn wir diesen schaffenden Bund wollen, so lassen Sie uns unserm Willen einen gelöbnishaften Ausdruck geben. Das nächste Jahr bringt uns die 100jährige Wiederkehr des Wartburgfestes. Lassen Sie uns, einen Burschen schafter und Freistudenten die »Rede, gehalten am Feuer auf den Wartenberge am Abend des 18. Oktober 1817 von L. Rödiger, der Philosophie Beflissenen« als einen Gruß an Deutschlands akademische Jugend gemeinsam heraussenden. Besser können wir unsere Ehrfurcht vor dem, was war und unsere Bereitschaft zu dem, was durch uns sein soll, nicht bezeugen, als wenn wir unsere Fackeln an jenem Wartburg-Feuer entzünden und den alten Worten einen neuen Sinn geben: »Die Form mag man zerbrechen, — der Geist lebt in uns allen.« In dieser Gesinnung reicht Ihnen die Hand Ihr Kommilitone Ernst Joel