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Rediten. In der Linken hat er eine Zigarre. Die Stellung ist allerdings zweideutig. Um was
handelt sichs? Analyse der kindlichen Seele: Freud?
Der Kopf des »Blauen« ist vom Körper abgetrennt. Im Hirn gibts noch ein andres Lust»
gefühl als in den Freude empfindenden Fingern. Der Kopf ist diesmal bloß ein Rüde zur
Flasche. Sie schwebt dem fliegenden Kopf entgegen. Die Klöße auf dem Tisch neigen auch
dazu, verspeist zu werden. Auch sie streben, der Flasche nach, dem Munde zu. Auf dem
Tisch liegt überdies ein Untier: halb Hund, halb Fisch.
Wir haben ein zweites Bild beschrieben. Bevor wir weiter wollen: ein paar »kunsthisto-
rische Oberflüssigkeiten«.
Chagall erinnert oft an die toskanischen Primitiven: Auch die wegwippenden Gliedmaßen
stammen aus Arnoland. Abgesehen von den, aus Überall herkommenden Heiligen, mit ihrem
Kopf unterm Arm, gibts in Florenz tatsächlich für sich wirkende, abgeschnittne Füße oder
Hände. Zumal bei Beato Angelico. Der hat einmal einen ganzen Kranz solcher Glieder
gemalt. Wir meinen seine Verspottung Christi. Da sind um den Heiland, eine speiende
Fratze, ein Arm mit Rute, eine Hand mit Essigschwamm usw., alles im Amputationszu»
stand aufgestellt und angebracht.
In Siena reitet der Condottiere Riccio auf Massa Marittima los. Simone Martini hat ihn
gelb und grau in die Nacht hineingemalt. Das perspektivlose Reiterbild ist noch mittelalter
licher Expressionismus: für lange so etwas zum letztenmal! Die Schwierigkeiten, die den
Reiter erwarten, um durch Stakete mit Stacheldrahthindernissen <freilich gabs damals keine)
hindurchzukommen, wirken futuristisch. Ebenso das kleine Festungswerk und die Zelte in
der Schwarzblau-Nacht. Dieses Visionäre, das damals von Toskana Abschied nahm, ist
in Rußland durch Chagall wieder unter die Menschen gekommen. Nun ist allerdings Cha
gall nicht kriegerisch, sondern idyllisch. Oberhaupt ganz anders. Man kann jedoch sagen
erneut. Denn so ein in die Nachthineingeglaubtsein, das Unperspektivische durch ein In-
den-Traumziehn tauchte bereits einmal unter uns auf. Damals in Toskana!
Beim Russen von heute ists ein Karren mit gelben Rädern, der uns seine herrlichste Vision
vor die Sinne faltert. Zwei Sonnen in der Nacht! Der weiße Schimmel zieht das Fuhrwerk.
Der wolkenweiße Schimmel ist eine Stute. Ihr Füllen wird bereits im Mutterleib sichtbar.
Verkrümmt, wie eine Sichel, mit den Füßen nach oben, liegt es ungeboren unterm Mutter
herzen. Vielleicht sehn es die zwei Bauernkinder am untern Rand des Bildes. Ein blaues
Rind liegt im Leiterwagen mit gelben Rädern und schmiegt sich an die blauschwarze Nacht.
Die Nacht ist vielleicht auch schwanger! Das Tier soll wohl geschlachtet werden, um in die
höhere Nacht einzugehn. Es schläft, es träumt blau. Armes Rind, also zur Schlachtbank?
Sehr traurig! Es wird in die blaue Wahrheit hineinnächtigen. Das liebe Tier! Der Kutscher
ist unheimlich. Wie nur ein'Mensch sein kann. Er ist eine Vision vom Mond. Mit einer
Mondphase im Genick. Er zieht dahin wie der Mond. Ein vermenschter Mond neben uns.
O, der Kutscher mit der durchsichtigen Rotjadce und der trächtigen Wolkenstute! Ein Weib
zieht, steigt dem Fuhrwerk nach. Sie schreitet im lila Rhythmus der Nacht gar leicht dahin.
Und sie trägt dabei ein schweres Kalb. Auch zum Schlächter? Sie scheint das Kalb zu lie
ben, sie hats wie ein Kind, oder ihre liebste Habe, um die Schultern genommen. Sie blickt
zurück. Auch Lots Weib blieb stehn und blickte sich um. Diese Bäuerin wird dafür immer
auf der Erde bleiben, denn sie sieht bis ans Ende der Nacht. Schrecklich viel kann sie be
deuten. Vielleicht bloß den Totengang eines Kalbes, Ist das so wenig? Vielleicht kommt
das Kalb gar nicht zum Schlächter.