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EIME ZEITSCHRIFT
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HSRAUSaSGEBEIf VOH
HEIKZ. BKRSBR. XJgP
FRI.EcDP.XCM XTOI/DfcEHD^JC
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MrtEji 3AHR.- HEFT EIT0. • +0 PEEMKjE.
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Bluter ~ —— -- ii —____MmngMM——aan—
EIWFEHJ,ENDJWE*TE
e>ucheb:
Fichard D e h m e 1 ,
Gesammelte Werke. (S.Fischer.Verlag.Berlin)
Georg Buechner,
JDantons Tod, Drama.- Wozzek, ein Fragment,
leonce und lona, Lustspiel.
(Jnsel Verlag. Leipzig« Jnsel Bücherei.)
Alfred Doeolin,
Die Ermordung einer Butterblume.
(Georg Müller. Verlag. München.)
Paul de Lagarde.
Deutsches Wesen. Ausgewähltes aus seinen Schrif-
ten. (Diederichs Verlag. Jena.)
Der Mistral. Eine lyrisch# Anthologie,
viertes und fünftes Heft der Bücherpi M&yandros*
(Paul Knorr. Verlag. Berlin-Wilmersdorf*)
Wir werden hier regelmässig einen Ueberblick über
Neuerscheingungen geben, aber auch nicht versäumen,
ältere Werke, die für die Jugend in Betracht kom-
men, zu erwähner. Eine Besprechung der angezeigte*
Bücher behalten wir uns vor. Wir werden auch über
Zeitschriften etc. berichten, die für die Jugend
von Jnteresse sind.- Die Leitung über diesen Teil
ist Fritz Taendler, Freienwalde g/0 ., übergeben.-
F.T. «
ER5THS HEFT. MAERZ ^14\ ERSTES HAHR..
SGHRlFTl£frUN^:F.HOUA£riDER/KuksriERt$tH£ AUSSWTUM6.'H£l*ßAR/.
NACHDRUCK MUR MIT QgUAUER <äU£LUMAM6ABE QESTATTET
VORWORT. •?
Jungen Literaten nicht nur, sondern vcr allem
denen, die moderne Kunst und junger Geist interes-
siert, denen, die frei von Phil ister.ie und Prüd-
heil sind, werden diese Hefte here-uegegeben. All’
die -Leiden und Wonnen, die die Jugend erfüllen, was
sie "bewegt und beunruhigt, was ihr jedoch verständ-
lich aus7U8p:rechen versagt blieb, soll hier durch
äi-isdrucKfcfäbige Vertreter Worte finden.- Jugend soll
•diese Werke nicht entschuldigen, eoll vielmehr auf
die Möglichkeit der geistigen Ausreifung hindeuten.“
Wir ‘bemühen uns natürlich, in den Heften
nichts zu veröffentlichen, was nicht zumindest den
schlummernden Kern einer Persönlichkeit birgt. Inso-
fern heben wir dXeoe Zeitschrift auf das Niveau einer
begründeten Notwendigkeit.
3in« Honorierung der uns eingesandteu Beiträge
f 1 n de t im P r i nz i p ni c ht et a 1.1. -
Einen Rahmen kennt unsere Zeitschrift nicht
- so wie wir auch keine Kampfzeitung bedeuten wol-
len,
Und doch gilt uns unser Kampf als etwas heili-
ges - wenn anders das Abstreifen erstickender Tra-
dition. kämpfen heisst--
Kommentarlos im übrigen werfen wir unser er-
stes Buch aus.
Heinz Barger. Friedrich Hollaender.
Berlin, im Februar 1S14
Die "Neue Jugend".
1.
Ais im Mai 1913 das erste Heft des "Anfang",
Zeitschrift für die Jugend, erschien, wurde die All-
gemeinheit auf die Jugendbewegung aufmerksam und
fiel über sie her. Zuerst wollte sie die Jugendbewe-
gung leugnen: aber unbekümmert um des Publikums
Geirief f schritt die Jugend auf ihrem Wege weiter.
Grosses hat sich schon in diesem ersten Jahre des
öffentlichen Arbeitens einer neuen Jugend ereignet:
Grösseres bleibt noch, ist noch unabsehbar.-
2.
Die deutsche Jugend hat sich im vorigen Jahre
zum ersten Male versammelt, vereinigt. Die akade-
mische Freischar, Wandervögel und neuzeitliche Land-
schulheime veranstalteten im Oktober 1913 den "Ersten
freideutschen Jugendtag" auf dem hohen Meissner. Wie
vor hundert Jahren auf dem Wartburgfest die oBurschen
schäften für ein neues Deutschland eintraten, stre-
ben diese Jugendbünde nach "einer Lebensführung, die
jugendlichem Wesen entspricht, die es ihr ab^r zu-
gleich auch ermöglicht, sich selbst und ihr Tun
ernst zu nehmen und sich als einen besonderen Faktor
in die allgemeine Kulturarbeit einzugliedern."
So hiess es in dem Aufruf zum freideutschen Jugend-
tag: und das ist auch das Ziel der heutigen Jugend.
Eine Jugendkultur.
3.
Um aber positive Beiträge zur Kultur der Jugend
zu bringen, sind wir auf die Zeitschriften ange-^
wiesen, die sich allein aus Beiträ-
gen Jugendlicher zusammen«etzen.
So: Der "Anfang", "Neubild" und die "Neue Jugend".
Jn diesen Zeitschriften kann die Jugend u n b e -
vormundet zu Worte kommen, hier hat sie ein*-
Stimme * um ihre Not-und ihre sorgen zu verkUnder .
Hier kann sie für sieh eintreten» "sie versucht 58
unter der Devise: .Durch die Jugend, für die fugend".
(Barbizon).
4 .
Die "Neue Jugend" soll ein Blatt sein, das
gänzlich unpolitisch die Jnteressen der
Jugend vertritt. Hier wird die Jugend auch ihre Un-
befriedigung hervorbringen können. Wir wollen für
unsere Jugendlichkeit arbeiten.
Wir sind, die h e \i t i g e Jugend ! Da wir
die Pflichten wollen, müssen wir die Rechte haben.-
Siegfried Jaccbsohn: "Una spricht zu Dir von Tradi-
tion der ganze Wackelgreis Legion, glaub’ keinen
Ton, glaub’ keinen Ton ! Euer Weg ist aer richtige.
Jhr habt nicht blos.das Recht, Jhr habt die Pflicht
mit Euren Augen von.heute zu sehen.*" -
6.
Wir wollen nicht ziellos "Hechts" haben, ©or-
dern wollen "Jugend". Die Jugend» die so leicht
irregeleitet wird, die uns so leicht verloren gehen
muss bei der heutigen - und fast schon gestrigen -
Stellung der Jugend. Wir wollen nicht "faulenzen",
uns "’mißt reiben"., wir wollen eine natürliche Schu-
le, die jugendlichem Wesen entspricht: wir wollen
aber auch nicht© unversucht lassen, um diese
Schule zu erreichen ! Wir bereiten den Späteren diese
Schule vor; für sie auch unser Kampf.
7.
Wir wollen Freiheit: auch die "familiäre". Nicht
die Familie begleiten müssen; nicht altkluge Ant-
worten geben müssen.
Nicht ihre Erfahrungen brauchen wir! Wir
wollen in unserer freien Zeit nicht von der Familie
"abhängig" sein: Geniessen, Schönheit, Freiheit,
Ideale ! (Und hier setzte auch der Wandervogel ein,
bevor er antisemitisch wurde und
allerlei Anderes auf sich häufte !!)
8.
Die "Neue Jugend" wird in diesem Sinne wir-
ken. Literarische, graphische und musikalische Bei-
träge sollen Zeugnis ablegen von dem Geiste, den
eine Jugend - Kunst beseelt. Die "Neue Jugend" soll
ein weiterer Schritt vorwärts sein zur Erreichung
unseres Zieles *
Fritz Tasndler.
Die zwei Ornamente in dieser.Nummer sind
von .Fritz Taendler,Freienwalae,entworfen
^oMMsumiWACj in qbhf.
von C1I/W /?TDCKE]>.
Di© Alp ragt wuchtig am Horisont*
In trägen Mi t tags gl Uten sonnt
die Stadt im Tal mit dem Turm von St. Pierre,
mit asm sch.immsrnüen Quai der Menschheit Parterre.
«in CorsG siehst Du die Menschen schlendern,
@ine.CuIrlands aus Blumen und Bänaern,
die wahllos man zueaminengeknüpft»
mit Farben flecken lebhaft getiipft,
Gewächs© una Blüten aus allen Ländern,
ein Hin und Her, ein Spiel mit Pfändern —*
Hast Du vom Pfänderspiel genug,
so tu einen tiefen Atemzug,
banne den Blick, den neubekehrten
hinauf zur Alp, zu Ewigkeitswerten.
/
Zwei Qcäichte
von. UeeriLe Bbdlu \
“_____J
FARBEN .
In einem Traume habe ich gefunden
Was grübeln mir und denken nicht erwarben:
Ein jedes Wort hat seine eignen Farben»
An seinen Stamm durch ein Gesetz gebunden.
Grün ist die Kette unsrer Lebens«tunden
Das Flötenspiel, die Wunsche, welche darben,
Und rot die Seufzer derer, die jung starben,
Das Lachen und die Schwermut auf den Sunden.
Sprecht ihr vom Schweigen abendlicher Weiten
So ist es blau, und auch der Frauen Schreiten
Der Wind, der Flug der Vögel, das Parfüm.
Weiss will bei Nacht das Regenrauschen scheinen,
Auch Kinderstimmen» welche angstvoll, weinen,
Und jäher Tod und Greisenungestüm.
V E N ED I 0 am A 3 F N 2)«
Auf den türkisgrünen Wasserzeilen
Flimmert perlenfarbner Abendschein -
Glockenläuten hüllt die Häueerfirsten
Und die "blauen Dome ein.
■* ccCoo -
Um die Türme» die sich aus dem goldnen
Aether heben, wunderbar gezackt,
Schweben Vogel, ihre schlanken Hälse
Wiegend zu der Glocken Takt - - -
- ooOoo ~
Schwankend zieht die schwarzverhängte Gondel
Durch den lohenden Kanal die Bahn,
IKeben rosafarbenen Fassaden
Mit vergitterten Altan.
10
^ürbejirftfi T
Es klingt sicher ganz furchtbar, wenn ich als
sechzehnjährige© Mädel sage : "Ich bin vorbestraft!"
Und doch ipt es so, }inä an der Tatsache iat nicht
zu rütteln.vUnd Schuld daran ist unser kleiner
"Piter", dar einzige und verhätschelte Sohn dar
Familie Eosner, in Wahrheit ein Dackel, dessen
Länge man nach Metern misst und dessen frappante
Aehnlichkeit mit einer Riesenschlange oder dem so
oft gezeigten sechsbeinigen Ueberdackel nicht zu
leugnen ist. Er ist immer schön. Kr-ist^schon, wenn
er im rasenden Galopp seine vier krummen Beinchen
von sich wirft, er ist schön, wenn seine lange Oh-
ren im Winde flattern oder wenn seine braunen, gros-
sen Augen Dich grüssen und dazh sein Schwänzlein
gleich einer fremdartigen Fahne schwingt.- Es gibt
Leute,die behaupten, er sei verschimmelt oder ur-
alt; aber das ist der Plebs, de'nn Piter ist ein
Tigerdachei und steht in der Blüte seiner Männer-
jahre . -
An einem herrlichen Frühlingssonntag ging ich
mit dieser Perle aller Hunde spazieren. Auch an
Piter ging diese ungeahnte Frühlingssehnsucht nicht
unbemerkbar vorüber. Und vor einem Haus in der Ho-
henstaufens trasse liess er seinen Gefühlen freien
Lauf,- --------
Warum auch nicht ? Er hielt es nicht für möglich,
dass Inn irgend ein Mensch in diesem so wichtigen
und unvermeidlichen Geschäft stören könne. Auch
ich hatte noch den festen Glauben an eine rücksichts
volle Menschheit.-- Schon Schiller hat festgestellt,
dass das Schicksal schnell schreitet. Auch mein
Verhängnis nahte in der Gestalt eines Schutzmanns.
Ein Schöneberger Schutzmann ! Was ahnte der von
der Tiefe einer Humieseele V Ungerührt zog er sein
11
Taschenbuch und wahrend der folgenden zehn Minuten
schrieb er meinen Famen, Wohnung, Geburtsdatum und
Beruf mit einer bewundernswerten Seelenruhe auf.
Und Fiter sass und sass und sah all die lachenden
Menschen, die im Kreis um ihn herum standen, sah
den blonden, schreibenden Schutzmann und mein ent-
setztes, rotes Gesicht und begriff es nicht. Nur
sein Sittlichkeitsempfinden hatte einen tiefen
Stosö erhalten. Und als er dann mit verachtender,
Miene waitcrging, da war unser beider Glaube an die
Menschheit verloren gegangen.- Fiter setzte sich
bald über den Vorfall hinweg, aber ich wurde einige
Tage später in Form eines Strafmandates daran er-
innert. Es war entsetzlich, was mir da die Schöne-
berger Polizei schrieb: 2 Mark Strafe oder einen
Tag Haft !!- Tief geknickt sank ich neben Piter nie
der und grübelte. Ich stellte mir vor, wenn ich
mal gefragt würde, ob ich vorbestraft sei, "ja"
antworten zu müssen. Und "warum" ??- Und dann meine
Antwort....! 0, es war gamicht auszudenken, wie
schrecklich aas wäre.
Aber eins hab' ich mir geschworen: Nie wieder
geh ich mit Piter am. ersten schönen Frühlingssonn-
tag spazieren ! ! -
Helene Rosner
12
ZEICHHUnq
VOfi ONO.
1.
Es gibt Leute* die 'behaupten, dass unsere mo-
derne Plakatkunst eine vorübergehende Modesache sei,
aber ich möchte gerade das Gegenteil aussprechen ’
Ich bin ein grosser Liebhaber und Förderer dieser
neuen Kunstverwertung, aber nach meiner festen Ueber-
zeugung gewinnt die Plakatkunst einen immer grösseren
Anhängerkreis und wird, dauernd bestehen bleiben,
wenn nicht einmal eine Erfindung gemacht wird, die
das ganze künstlerische Propagandafach umwirft. (Aber
so etwas ist wohl die nächsten Jahrzehnte nicht zu
befürchten). Denn aie Plakatkunst erfüllt ihren
Zweck: sie ist eine gute und geschmackvolle Reklame.
2.
Ein Plakat muss vor allen Dingen den Vorüber -
gehenuen sofort fesseln. Man muss dem Plakat gleich
ansehen, für welche Branche es gedacht ist und es
darf also keine Zweideutigkeit aus dem Bild hervor-
gehen. Schrift und Bild müssen als ein einheitliches
Ganzes wirken und sich gegenseitig ergänzen. Je we-
niger Schrift ein Plakat enthält, desto wirksamer ist
es und einen desto längeren Eindruck hinterlässt es •
dem Beschauer. -
Welchem Lande man in der Plakatkunst den Vorzug
einräumen muss, kann ich hier nicht a.n& ben; das wür-
de zu weit führen. Begnügen wir uns mit der erfreu-
lichen Tatsache, dass Deutschland im modernen Plakat-
wesen eine grosse Rolle spielt und mit an der Spitze
steht* Jm Deutschen Reich sind Berlin und wohl auch
München die führenden Städte und grösstenteils mass-
gebend für die Kunstvertreter anderer Gegenden. Als
Berliner möchte ich eine kleine Besprechung über das
Können unserer Berliner Plakatkünstler wiedergeben,
in der Annahme, dass sich ein grosser Teil unserer
14
heutigen Jugend auch für diese Kunst interessiert.
Meine folgenden Angaben beruhen allerdings nur auf
Beobachtungen und eigenen Anschauungen, und ich weis«
nicht, ob ich hierin mit der Allgemeinheit harmo-
niere . -
3.
Jn Berlin sind wohl die bekanntesten Plakat-
künstler: Julius Klinger, Lucian Bernhard, Hans Rudi
Erdt, Julius Gipkens, F. Rumpf, Ernst Deutsch, Robert
L. Leonard, Lehmann-Steglitz, Rolf Niczky, Stephan
Krotowski, Leonhard Fries, Joe-Loe, Paul Scheurlch,
Ernst Neumann und Louis Oppenheim.-Alle diese Künst-
ler entwerfen nicht nur farbige Plakate zum öffentr
liehen Aushängen, sondern vor allem auch Jnserate in
Tageszeitungen und Zeitschriften.
Julius Klinger ist der König der Pla-
katkünetler, er verfügt über einen so trockenen Humor
und verbindet damit ein technisches Können, eine
Raumverteilung mit Schrift und eine Farbenreinheit,
aie geradezu bewunderungswürdig ist. Als Karikatur
rist ist Klinger ebenso zu schätzen. Er versteht es,
die Karikatur mit dem Zweck zu verbinden una besitzt
ein enormes Können.-
Lucian Be rnhard zerteilt sich dadurch,
dass er auch Jnnenarchitekt ist. Seine Plakate sind
sauber und gut in der Raumverteilung. Bernhard mei-
det grelle Farbentöne und gibt dem Plakat durch sein
weiches Aussehen eine gewisse Vornehmheit. Aber wirk-
lich Originelles bringt Bernhard nicht. Seine Arbei-
ten sina eindrucksvoll, ater langweilig.-
Hans Rudi E r d t scheint sich auf die Ci-
garettenbranche gelegt zu haben. Seine Entwürfe für
die Firma Batschari, die man in den Berliner Unter-
grundbahnhöfen bewundern kann, zeugen von grossem
Können und feinem Geschmack. Immer wieder neue Jdeep
bringt er für Cigaretten und ist ein nicht zu ver-
15
achtender Meister der Plakatkunst. Auch in Umechlag-
entwürfen ist er gross; (eine "besondere Eigenart von
Ihm sind die dunklen Umrandungen und Härchen um die
Augen* die das Gesicht etwas ausdrucksvoller machen).
Julius G i p k e n ß* Entwürfe sind wundervoll.
Jch habe noch nie einen Fehler an ihnen entdeckt
Er entwickelt eine herrlich abgetönte Farbenpracht,
und hat ein ungemein feines Empfinden. -
Eine ganz andere Art als dem trefflichen Gipkens
ist F. R u m p f zu eigen. Rumpf bringt zwar wenig
Originelles und macht das ganz Moderne nicht mit, aber
was er bringt ist gut und fein. Seine Plakate für
"Prinoe of Wales" und "Leichners Fettpuder” wollen
mir recht gefallen ! Er versteht es, den ausgespro-
chenen Gentleman gut wiederzugeben, das sehen wir
den Zeichnungen deutlich an.
Ernst Deutsch? Den wird wohl jeder ken-
nen! Jch möchte beinahe sagen, es gehört zur allge-
meinen Bildung des Berliners, dass ihm Deutsch, wenig-
stens dem harnen nach, bekannt ist.- Das ist der Mann,
der sich der unbeschränkten Beliebtheit der elegan-
ten Welt erfreut, der Mann, der als unbedeutender
Zeichner anfangend (ich glaube als Schüler von Fries),
jetzt Tausende jährlich verdient und sich eine "Be-
rümtheit” nennen darf ! Und warum das alles ? - Das
iet schwer zu sagen ! Das ist so ein gewisses Etwas,
das seinen Zeichnungen so einen wunderbaren Schwung
gibt, den wir alle so lieben. Die ganz dünnen Linien,
die zierlichen Gestalten, die reizenden Figürchen,
die 2 leben Ges lohter und die saubere Ausführung bis
ins kleinste Detail, das ist es, was wir so bewundern
an seinen Zeichnungen ! Zeichnungen sage ich, - nicht
Plakate. Seine Plakate sind schon eher anfechtbar.
Da gibt es Gutes und Reizendes, - aber auch recht
Schlechtes, zuweilen sogar Kitsch. Aber ich will dem
Meister nicht zu nahe treten ! Sein Tabarin-Plakat
macht ihm sobald keiner nach ! Denn das war sein Mei-
sterstück ! Hierin hat er eich selbst übertroffen !
Was lesen wir nicht alles aus diesen zwei Figuren !
Wir sehen die Linie des Tanzes und vor allem diese
lachende Glückseligkeit in den beiden Gesichtern.
(Fortsetzung folgt)
[ fi^cHDPUJCK vetusorenj
tt:
ElOiem'üM PEö V/OUACiEd : h
t CJUQEND, BeTU.lN^CWNW*0TT6n®.i^iV
1
20.
Mit Genehmigung- das Neubild Verlages
Fritz Taendler, Freienwalde a.d.Oder.
ENtmKtUKG5VUU£
Kopf an Kopf
Das Blut fliegt in den Schläfen
Durch zwei Körper zuckt ein still Gewahren
Wilder Takt wiegt kurze Leidenschaften
Und ein Hauch von Dir fliesst ein in mich.
Jch und Du fühlen eins:
Ein Mensch» ein Glück
Wie wenn die Stunde höchster Reinheit wäre.
Das biegt und gibt und singt
Schönheit ist das Leben,
Stunden erhabner Heiligkeit
Hab’ ich geatmet.
J
ELSE LASKER SCHUELER.
Else Lasker Schüler ist das Urphantom. ihres
tiefeigensten Innern» Ihre ewig räteeldurchgeister-
ten Augen sind nun Blut und Weh. In ihnen schwim-
men all * ihre tausend Seligkeiten wie tcdverklär-
te dunkle Weisen still dahin. Ihre Rythinen und Far-
ben gebiert ihr Herz* wenn die leiatiefe Lust es
packt. In ihren Träumen klang aas Stöhnen eines süd-
braunen* echmerkreifen Weibs - das rieselt irt ihrer:
Versen, dass unsere Seele des Weinens kein Ende
weiss.
- eeOoo-
Sie hat eine Lustigkeit, die trägt die Trane
im Schild. Ihr Lachen gellt uns das Herz entzwei*
- coOoo -
Ali in ihrer Einsamkeit ist sie königlich.
Sonant sie vom Tum ihrer Festung hinab ins Tal,
blickt sie tausend bewaffnete Streiter des prinz-
liehen Winks warnend. Tritt sie vom Fenster zurück,
sinkt sie nüd zum Schlafen. Lies stille bläuliche
Licht, das über ihr Tal sich gegossen, hängt nun
schwer wie Tau an ihren Lidern. Aber die Königs-
würde entflattert ihr nicht. Sie weiss, aase morgen
die schwarzen Diener schwertürkischen Mocca an ihr
Lager servieren«
- 00O00 -
Sie begütigt bis ins Kleinste. Unter ihren eanf
ten schönheitformenden Fingern erwacht und erblüht
alles. Wir wollen Kinder sein, wenn sie uns führt.
Seht, da steht sie - die Arme weit ent»treckt; Da
spricht sie: "Schaut-dass der Himmel blau, wusstet
ihr längst. Aus welchen Farben aber dies Blau-, als
umfingen Wunder und Frommheit einander-"
Sc lehrt sie uns sehen. Die geheimen Wunder
23
die sich der Lauschender auf taten, uns zuflüsternd
Seihet wunderdurchjagt•
- 00O00 -
Pankbar für die-4 und vieles und alles, was
von ihr kommt, strecken wir stumm die Hände nach
ihr aus * -
Prinz Floridor
9.4
REVOL
N
1 m
Revolution - aus dem
lateinischen revolvere«,
(Allgem. Konv »Lex.pag.71i).
1. ' *
Revolution - das ist der Kampf hiß aufs Blut,
besser noch die Aufpeitschung aller Kräfte, dass
sie berstend wilde Dämpfe ausspeien; gleichsam nach
einem tollen Hennen von Weltanschauung, Gefühl, Ver-
nunft und Jugend der krönende finish. Aber ein
Kampf jeden Falls; einer zwar, der Mitleiden oder
Gedankenrückblick erstickt«
2.
Revolution - das ist die Tat. JEs gibt. Menschen,
uie nicht immer geglaubt haben, man lasse die Zu-
stande tatlos über sich hinrollen, wie der Zufall
sie umherbläst. Sie haben alle einmal gewollt, einer
nervigen Baust eich gerühmt und einer klingenden
Hede; aber sie haben dann ihren Idealismus irgendwo
liegen gelassen.Die haben sich selbst verloren.
Hunderttausende kommen und gehn. Tausende davon
weihen der Sache unauslöschliches Tun. Aber unaus-
löschliches. Und tausend mal tausend sind eine Mil-
lion.
3.
Revolution - das ist die Pflicht dar sehenden
Jugend. Und nicht nur äussere Revolution, nicht al-
lein Schulmängel und moralische Affektiertheit be-
?,b
kritteln» sondern kulturelle Tiefstände oder die der
Kunst, Oder seelische (Seelische).
Jeder deutsche Junge revolutioniert einmal, und
das in der Zeit seiner Mannirerdung. Ziel: Die Ab-
streifung sexueller Unfreiheit, Aber nicht allein
diese Revolution meinen wir (wir verkennen nicht
die Schattenkonsequenzen vorzeitiger Selbständig-
keit), wir gehen weiter und tiefer* suchen auf al-
len Gebieten zu bessern (oder zu erhöhen). Dabei
übersehen wir nicht die Missgeburten und Wechsel-
bälge mancher Revolutionen (vergl. die musikalischen
Unmöglichkeiten des Arnold Schönberg)« Dagegen» (um
in die bildende Kunst zu greifen) erblicken wir den
grandiosen Zug eines Pechstein» Junghanns oder
Kokoschka,
Jch möchte noch Frank Wedekind und Richard
Strauss nennen* deren Kunst dem Verständnis der
Masse immer mehr sich nähert, wenn anders man so
reden darf. Mir scheint das eine Sinntäuschung.
Denn in Wahrheit nähert sich das topfinden der Masse
dem Künstler, der sie zu sich erzieht. Und das ist
nicht der Beweis etwa für die willkürliche Anpas-
sungsfähigkeit menschlichen Gefühls, sondern für
die Berufung eine«. Grossen» den das Empfinden der
Menge begreift (Eines Grossen» den das Empfinden der
Menge begreift ).
4,
Revolution - das ist das rücksichtslose Aus-
fechten subjektivster Anschauung. Der Tradition die
kalte Revolvermündung auf die Brust: sei meinen Plä-
nen Freund oder kämpfe mit mir !
5.
Revolution - aus dem lateinischen revolvere.
Sincerus.
26
_
Wenn ich auf Bergen wandere» in Tälern»
Da schlägt das Herz so gern zum Himmel auf;
Der Abendsonne warme Dämmerstrahlen
Vergolden rings die liebliche Natur;
Und in der Seele quillt ein selig Fühlen
Von allem, was die’Welt uns Schönes beut.
Wie tiefer Frieden atmet uns entgegen,
Wenn Feierabendglocken fern erklingen,
Wenn durch die dunklen Wälder wehmutsvoll
Ein Rauschen zittert wie ein Absoh.i edsgruss .
An diesem log, der schön war wie der letzte.
Und sieh, es küsst der Abendsonne Strahl
Den stillen Berg in liebevollem Sehnen.
So sendet sie den letzten Liebesgruss
Der dämmernden Natur - und flieht hinunter*
Die Welt ist himmlisch schön, wir sehen’s wohl
Doch fiihlen’s nur die seltnen Feierstunden.
/
/Sefne <qeseHicmt
Von GoVi ^Ajzrulett
27
Meine Geschichte V Jeh habe keine ! . Oder doch,
aber so alltäglich, ganz alltäglich,"
Er war während dieser Worte langsam durch das
Zimmer geschritten. Jetzt stand er am Fenster und
schaute mit nachdenklich, ja finster zusaimnengezo-
genen Brauen auf die schon herbetlich-trüb gefärbte
Strasse. Ueber der Nasenwurzel bildeten sich dabei
2 tiefe Furchen in Gestalt einer V. Plötzlich wandte
er sich kurz auf dem Absatz !
"Nun gut, ich will sie Dir erzählen!" -
Doch schon schien ihn sein sein schneller Entschluss
wieder gereut zu haben. Langsam, zögernd nahm er
wieder den Rundgang in dem wohnlich eingerichteten
Bib1iothekzimmer auf, blieb hier stehen, sah prüfend
ein ihm längst bekanntes, an der Wand hängendes Bild
an, schritt wieder weiter, hielt wieder an, betrach-
tete söheinbar interessiert die Bücherrüoken seines
Schrankes und wusste offenbar nicht den rechten An-
fang zu finden. Jch betrachtete, ängstlich in meinem
Klubsessel sitzend, nachdenklich forschend sein Ge-
sicht. Ja, er war alt geworden ! Deutlich trat das
jetzt zu Tage, wo er ohnehin von der ermüdenden Be-
rufsarbeit erschöpft war. Die feinen Falten um Mund
und Schlafen hatten sich vertieft und gaben seinem
Gesicht ein etwas grämliches Aussehen; in den klei-
nen Schnurrbart und die noch immer reichlichen Haare
mischte sich schon bedenklich viel Grau. Auch seine
lange hohe Gestalt hielt er - wie es mir schien -
nicht mehr so gerade und straff wie einst. -
Nun Hess er sich langsam in einen der grossen
Sessel fallen und bedeckte müde die Augen mit der
Hand, Dann begann er» erst mit tonloser, langsamer
Stimme, dann immer mehr in Fluss geratend und sich dem
Gang der Erzählung anpassend:
"Dass Du 's nur weisst, mein Lieber, die Frauen spie-
len in meinem Leben keine Rolle, Eine Liebesgeschich-
te bekommst Du nicht zu hören.
(Fortsetzi;ng folgt).
PJM3S1F/\L
XHL Ihtfrl. TCdXU^I. {&pferrTha?n<
ot
/Jo
Man hat sich bemüht« den Ernst und die Weihe,
die dies Werk umgeben« (zunächst äuseeriich) zu be-
tonen, Man hat den grossen Kronleuchter abgencmmen,
das Proszenium zum Oral®tempel erweitert« die Be-
leuchtung gedämpft. Den Anfang prophezeien dunkle
(flockentöne - das Orchester ist verdeckt, Aber - was
das ungleich schöne war * * ein Mann hat es fertig-
gebracht, den ganzen Apparat so einzus'chalten, dass
er bewusst (doch unaufdringlich) die innere Heilig-
keit zuhöchst hielt.Leo Blech hat uns die letzte
Tiefe übermittelt. Jn ihm spüren wir einen Bayreu-
ther Atem « der das ganze sanft uberweht.-
Mit dieser Aufführung des Parsifal erreicht aas
Königliche Opernhaus eine neue Stufe. Das ist der Ca
eamteIndruck. Es ist eigentlich schade, ihn zu zer-
kleinern.. Aber ee zeigt, was uns fehlt, - und warum
die rechte Bayreuther Stimmung bei uns nicht auf-
kommt« Zunächst: Hüleen-Kaeseier. Diese Regie
schafft gute Bühnenbilder, die wir wie einzelne Ta-
feln im Gedächtnis wahren. Aber sie verwebt nicht,
wir sehen eine herrliche Waldverwcrrenheit des er-
sten Aufzuges. Jn weiter Ferne hinter verästelten
Baumkronen - der See. -Hier arbeitet unsere Phanta-
sie weiter« Das ist gut. Das ist der Zweck. Wir
sehen aber einen Zaüberjgarten* der wie eine geplün-
derte Baumblüte ln Werder (bei Potsdam) aussieht. Jn
ihm tanzen Klingscis Blumenmädchen einen altmodischen
und furchtbar gut einstudierten Reigen. Jmmer in
Gruppen zu vieren. Und Parsifal ruft: Wie duftet ihr
hold ! Seid ihr denn Blumen ? Jet berauscht von so-
viel dahinschwebender Schönheit. Des reinen Toren
Sinne erwachen.- Wir können ihm das nicht, glauben.
Das ist es.-
Der Gralstempel. Hier ist der Ton getroffen.
Uneingeschränkt. Wunderbar heilig. Ergreifend schön.
29
Kirchhoff,der mir der liebste Jung-Siegfried ist
(&lso eine dem reinen Toren geistesähnliche Gestalt)
ist - seltsam genug - kein Parsifal. Sein Spiel und
Sang ist ohne inner© Teilnahme: - "Durch Mitleid
wissend - " Wir hörten’s, und es ergriff uns nicht.
(Hur von unten aus dem Orchester tonte eine unbe-
zwingliche Macht zu uns herauf. Wir schlossen die
Augen - - Kirchhoff v erschwand - )
Frau L@ffler-Burkard ist herrlich. (Für den
zweiten Akt etwas zu reif). «Ihre dramatischen Ak-
zente und Leidenschaftlichkeiten wühlen in uns. Sie
ist ungeheuer.
Das Erlebnis des Abends: Knüpfer als Gurnemanz.
Als der Vorhang niederrauschte, war mir unsagbar
weh. Ich blickte mich um. Mein Freund hatte Tränen
im Auge. Jch drückte ihm stumm die Hand. Wir hatten
uns ganz verstanden - Dann gingen wir lautlos hin-
unter .
Vor der Tür etwas Widerwärtiges. Autos. Weisse
Strümpfe und Schuhe mit langen Absätzen. Geschlitzte
Kleider. Decolletes. Cylinder. Fracks.- "Also essen
wir bei Richards oder bei Traube - V ?"
Hinten am Bühneneingang ein kleines Männchen
mit hastigen Schritten, allein - ungesehen, eine
Mappe unterm Arm. Scheu wie verloren: Leo Blech.-
Friedrich Hollaender.
voel tJdix^rma^ Hexjsz-
Piebern und Aengsten der Dämm’rung entst
leuchtender Tag !
0 Du leuchtfarbiger Tag !
Deines Blühens Duft und Klang
vermag eines Geistes tönende Stimme
je sie zu bannen ?
Sind nicht Zung* und Atem zu schwach
Dies Gestalten in der Matur
und das Gottewige in a}i dem Wirken
festzuhalten zu ewigem Erinnern,
und dieser ganzen sonnengetränkten
spriessendan Schönheit
goldenen Ueberfluss ? -
J
Die. &chu*frnde venül.J
31
Im Neubild Verlag / Fritz Taendler / Freienwalde
an der Oder, Alt Tornow 4 erschien:
Neubild / Zeitschrift für moderne Kunst und
neuartiges Geistesleben, h§qjaus gegeben von M. Gumpert.
Heft 1-3 vergriffen / Heft 5 und 6
a 80 Pfennig,
Das Arno Holz Buch / Zum 50 Geburtstag des
Dichters / Hur noch wenige Exemplare zu haben.
a itk • 1 • —
Martin Gumpert / Entwicklungsverse / Titelblatt
von Kolf Sachs, Buchschmuck von F. Taendler.
Preis Mk. 1.-
Es erschien ein Verlagsbericht, der ein Bild
unserer Tätigkeit gibt und Interessenten kostenfrei
zugesandt wird.
Heubild ist durch den "Buchladen ain Kurfürsten-
dämm", Berlin W. 15. Kurfürstendamm 210 und durch den
Verlag zu beziehen.
In der Georg Wilhelmstrasse zu Halensee (unweit des
Ringbahnhofs) hat sich ein reizender Kino aufgetan«
Nicht nur den Erwachsenen wird in abwechslungsreicher
Bilderfülle geschmackvoll genügt, sondern vor allem
gibt es dort für die Jugend Vorstellungen, die wie
kaum an andrer Stelle belehrend und amüsant zugleich
dem Verstände des Kindes nahekommen, ohne es verderb-
lich zu bebürden. -
Das erste Buch:"Heue Jugend*
erschien im März 1914.- Die
Auflage besteht aue zweihun-
dert Exemplaren;davon dieses
Mumme r . -/,
Die Neue Jugend ist entweder durch den Verlag
Neue Jugend,Heinz Barger und Friedrich Ilcllaender,
Berlin-Charlottenburg 4, Mommsenstr. ll(Telephon:
Steinplatz 9166) oder durch eine Anzahl Buchhandlungen
im besten Berlins zu beziehen. (Jn den meisten hängt
auch c.as Plakat "Neue Jugend" aus).
Ferner liegt sls in einigen Cafes und Kinemato-
graphentheatern aus, bezw. ist daselbst käuflich.
Die musikalischen Beiträge und JnseratOfferten sind
an den Verlag Neue Jugend, Friedrich Hollaender,
Berlin-aalensee, Kurfürstendamm 111, die literarischen
urui graphischen Beiträge, an den Verlag Neue Jugend,
Heinz Barger, Berlin-Charlottenburg 4, Mommsenstr. 11
zu*richten. -
Allen Einsendungen von Beiträgen ist Rückporto
bei zulegen !
Jn betreff Abonnementsbestellungen bediene man
sich der beigefügten Postkarte.
Für den gesamten JTihalt verantwortlich:
Ernst S t e n d e r , Berlln-Schöneberg.
Copyright by Verlag Neue Jugend, Berlin-Halensee.
Schriftleitung: Friedrich Hollaender.
Künstlerische Ausstattung: Hei-Bar.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Zweites Heft. April 1914, Erstes Jahr.
Jugendbewegung und „Anfang“.
Vor einem Jahre erschien das erste Heft des „Anfang,
Zeitschrift der Jugend“. Die Tageszeitungen berichteten
über die Gründung des Anfang und erwähnten, daß der
bekannte Schulreformer Wyneken die verantwortliche Re-
daktion übernommen habe. Deshalb wurde vielfach die irr-
tümliche Meinung laut, die Ziele Wynekens und die der
neuen Zeitschrift wären vollständig dieselben. Das scheint
nur so weit richtig zu sein, als es sich auf das Programm
beider bezieht, wenn man überhaupt von einem festum-
rissenen Programm bei dieser allgemeinen kulturellen Be-
wegung reden will, es dürfte aber kaum auf alle Einzer-
fälle zutreffen. Ich denke dabei besonders an Wynekens
Theorie vom objektiven Geist. Auch wird kaum allen die
Wickersdorfer Schule, die bekannte Gründung Wynekens,
in ihrer heutigen Gestalt Zusagen, selbst wenn sie der
Idee einer freien Schulgemeinde an und für sich mit Freuden
beistimmen. Die neue Bewegung, die durch den „Anfang“
hervorgerufen wurde, suchte bald durch eine ausgedehnte
Tätigkeit ihre Existenzberechtigung zu erweisen. Der „An-
fang“ war das Organ, in dem ihre Wiünsche und Meinungen
zum Ausdruck kamen. Doch in der treffenden Erkenntnis,
daß vor allem mündliche Aussprachen geeignet seien, alles
zu Worte zu bringen, was die Jugend bewegt, wurden
in Wien, Berlin und verschiedenen anderen deutschen Städten
die „Sprechsäle“ gegründet. In diesen Sprechsälen erstand
der Jugend ein Heim, wo sie wirklich fand, was sie suchte:
Geist von ihrem Geiste. Um aber auch außerhalb der so-
genannten Sprechsäle eine Verbindung der Einzelnen zu
schaffen, wurden verschiedene Gruppen gebildet, die sich
3
entsprechend dem Interesse ihrer Mitglieder mit Mansmus,
Wynekens freier Schulgemeinde, Literatur etc. beschäftigten
und auch Wanderungen unternahmen. Von Wien aus kam
die Anregung zur Gründung des „Grünen Ankers“, einer
Auskunftssteile für Jugendliche. Die Notwendigkeit dieser
Einrichtung dokumentierten zahlreich^ traurige Fälle der
letzten Zeit. Der grüne Anker, dem Leute angehören und
angehören sollen, die im öffentlichen Leben irgendwie her-
vorgetreten sind, will jedem, der sich um Rat an ihn wendet,
gleich, ob es in religiösen, moralischen, sexuellen oder
materiellen Fragen geschieht, nach bestem Können behilf-
lich sein.
Bisher sprach ich fast ausschließlich von der Tätigkeit
des „Anfang“ und seiner Anhänger. Wenn ich das tat, so
geschah es in dem Glauben, daß die Leistungen einer
Gemeinschaft dem Außenstehenden oftmals ein besseres
Bild von ihrem Wesen zu geben vermögen, als viele schöne
Worte. Für den jedoch, der das Barbizonsche Wort: „Für
die Jugend durch die Jugend“ näher erläutert haben möchte,
Sei es kurz gesagt: Die Jugend, bisher in Schule und
Haus ein passives Material, in das Bildung und Erzihung
eingestanzt wurden, fühlt angesichts dessen, daß weder
Schule noch Haus im allgemeinen ihrer Pflicht in einer
Weise nachkommen, die für die Wahrung der Jugendlich-
keit, des kostbarsten Gutes, das die Natur dem Menschen
verlieh, notwendig ist, das Bedürfnis, für sich selbst ein-
zutreten und den Kampf gegen steinerne Konvention, gegen
lähmenden Zwang aufzunehmen, um in freiwilliger Kamerad-
schaft im Schutz, Pflege und Förderung der Ihren zu
arbeiten. Der „Anfang“ ist, wie schon angedeutet, vor allem
eine Kampfschrift der Jugend in diesem, ihrem heiligen
Kampfe. Literarisch kann und will er sich nicht betätigen.
In diese Lücke könnte die „Neue Jugend“ eintreten. Mag
es auch bis jetzt noch nicht so scheinen, als ob hier der-
selbe Wind wehe, wie im „Anfang“, mögen die Beiträge
bisher auch noch oft etwas Unjugendliches gehabt haben,
der Wille zur Jugendlichkeit ist vorhanden und ein Wille
ist viel, wenn nicht alles. So stehen denn diese Zeilen in
der neuen Jugend nicht als ein Zeichen irgend einer Stellung-
nahme zum „Anfang“, sondern allein, um einer Bewegung
gerecht zu werden, deren Ideale ein jeder bejahen muß,
der an eine Zukunft der Jugend glaubt, an ihre Entwicklung,
an die wahre Größe und Reinheit ihres Wiollens.
—sch.
V
Drei japanische Utas
im Versmaß des Originals übersetzt von Jean Le Hogh.
K w a n k e.
Das rote Herbstlaub
Des Tanmke will ich den
Göttern opfern, da
Zur Feier ich die seidnen
Gebetsblätter heut vergaß.
No in.
Kahl steht vom Herbstwind
Umbraust der Mimuroberg —
Sein totes Laub hat
Die Wasser des Tatsuta
Mit brennendem Gold verbrämt.
Sakanoue No Korenori.
Als stände über
Dem Dorfe Joschino der
Weiße Frühmond, so
Glänzen die Dächer unter
Des Schnees glitzender Last.
Meeresstimmung.
Das Meer ist heute seltsam blank und eben —
Ich liege draußen an der Schärenbank
Und lausche:
Eine große Stimme spricht irgendwo —
Nun schweigt sie — jetzt beginnt sie wieder...
* * *
Wer gibt Dir so reiche Träume, Du?
Haben die Toten auf Deinem Grund noch nicht Ruh?
Oder sind es die Spiegelbilder
Der Wolkenkähne und der fernen Segel...
Oder vielleicht die fremden Vögel,
Deren Springen abends das letzte Rot
Ueber Deine grünen Schwellen bringen?
* * *
. . . . In den großen Muscheln am
Strand saust es —
J. L. H.
5
I i___________________________
Rote Rosen
von Götz Amulett.
Dort auf dem weißen Tisch die roten Rosen,
Die haben mich um den Verstand gebracht,
Wie ihre Kelche miteinander kosen
In dieser düfteschwangren, heißen Nacht ....
Das reißt die Sinne hin zu wilden Gluten,
In trunkenem Vergessen lockt das Glück,
Ich küsse Deines Haares goldne Fluten,
Und zitternd sinkt Dein schlanker Leib zurück . . .
Der schwüle Duft beginnt mich zu verwirren.
Ein Kuß, so voller Leidenschaft,
Daß leis die Zähne aufeinander klirren,
Raubt mir der Ueberlegung letzte Kraft,
Von weißen Gliedern löse ich die Hüllen,
Ich schaue Deiner Schönheit reine Pracht —
So soll sich meine Sehnsucht nun erfüllen;
Und rote Rosen duften durch die Nacht. — —
Worte.
Die Bildung ist das Feigenblatt, mit
dem die Dummheit ihre Blößen deckt.
Briefe sind geistiger Stuhlgang.
K. B. sagte zu mir: „Wie kann man Worte
wechseln mit einem Mädchen, das ick und
det spricht?!“
Ich: „Es gibt auch solche, deren Seelen
hochdeutsch reden.
Du fragst, warum ich friedlos. Kind!! Luft-
schiffe erbauen wir — aber Wesentlichstes
kennen zu lernen bleibt uns versagt. Das sind
die Todarten. Erschieß ich mich heut, kann
ich nie empfinden, wie das Ertrinken ist.
Stürz ich mich aber aus dem Fenster, nie
lern ich, wie Gift tut. F. H.
Zeichnung von Paul .Waiden.
Franziska.
Ein modernes Mysterium von Frank Wedekind.
1.
Ich möchte behaupten, daß hier All- und Endergebnis —
das heißt: die reifen Früchte der Wedekind'schen Wande-
rungen durch Nacht und Teufelei aufgestapelt liegen. Aber
nicht nur diese, sondern, was uns so herrlich berührt, — all
das Holde, Zarte, bisher Verschlossene Frank Wedekinds
lugt ganz leis durch eine angelehnte Tür.
2.
Lulu und Wendla und Gräfin Geschwitz und von all
den andern ein Stück — das ist Franziska; aber doch noch
ganz anders und überraschend. Dies Weib, das in der
seltsamen Verästelung ihrer Seele keinen andern Trost weiß,
als Unnormalheit der erotischen Empfindung herauszubilden
— eine Unnormalheit, die im Grunde so schlimm oder so
wenig schlimm ist, wie das Doppelgeschlechttum einer jeden
Frau; dies Weib, das nach aller Wirrnis am Ende so hold
einem Manne entgegenblüht, ist wert zu leben. Schon um
der heiligen Liebe willen, die der Dichter zu ihr emp-
findet. — 5
3.
„Franziska“ ist kein Drama — wenngleich Mitleid und
Furcht darin sehr lebendig werden. Es ist ein Wandelbild,
eine Szenenfolge, durch die wie Efeugerank die Legende
von der Zweiheit allen Seins sich schlingt; Asche, unter
der ein herrlich holdes Feuer glimmt. Jene Szene, die ich
immer wieder aufs Neu im Sinn habe, die Liebesszene
zwischen Franziska und Veit Kunz am Dach, steht ganz
hoch und unerreichbar über dem Schlinggewächs von Per-
versität und letzter Weisheit. Die keifenden Stimmen der
Fanatik und Ketzerei sind tot — hier ist Religion in hol-
dester Form.
4.
Noch einmal —: Hier wird Wedekind ganz unser. —
Friedrich Hollaender.
8
Gen Süden.
von Otto Laender.
Aus leuchtender Halle gleiten die Wagen,
Aus Stimmengewirr in die stumme Nacht.
Abschiedsworte verhallen im Winde,
Ganz in der Ferne weht noch ein weißes Tuch
Zum Abschied! — Leb wohl.
Es rattern und rasseln, es schaukeln die Wagen
Im Rhythmus, im Rhythmus hin durch die Welt
Ich schaue hinaus in die schweigende Leere,,
Hier blitzt und dort blitzt ein zwerghaftes Licht.
Schnell, schnelle vorbei.
Das Gas brennt trüb und die Menschen sind müd,
In der Ecke schläft einer und lächelt im Traum.
Träumt er von Lieben, zu denen er eilt,
Träumt er von Glück, das er sich erhofft?
Schweigen, Schweigen — der Schlaf!
Matt wandle ich durch den dumpfigen Gang,
Sende die Blicke empor zum sterneblitzenden Himmel.
Fauchend rast das schwarze Gespenst rotäugig über die
Schienen.
Neben mir steht ein bleicher Geselte und schluchzt:
Fort, fort in die Fremde.
Im Winde draußen zerstieben blutige Funken.
Ganz hinten, ganz hinten glimmt es schon schwach.
Zu beiden Seiten des Wegs riesige Stangen, Gewirr von
Draht,
Ich öffne das Fenster und kalt weht die Luft.
Ich fröstle, fröstle und schaudre.
Schnell ziehen die Wiolken, es bleicht der Mond.
Es wirbelt und tanzt der Rauch in der Luft.
Die Sonne bricht strahlend hervor, und die Menschen
Wärmt, ermuntert und stärket ihr Licht.
Durchs Fenster, durchs Fenster strömt Morgenluft.
Wir eilen, wir eilen. Nur selten, ganz selten
Halten wir, bleiben wir wenige Minuten.
Dann geht es, dann stürmts im wilden Takt
Durch Felder und Wälder, weit in die Lande.
Ohn’ Ende, ohn’ lEnde.
Durch grüne Wiesen, schnurgrade Chausseen,
Ragende Burgen an lieblichen Flüssen.
Getreidewogen und Blumen: gelbe, blaue und rote.
Hochragende Tannen, dunstige Städte.
Wechsel, ewiger Wechsel.
Plötzliches Dunkel! Brüllen und Brausen,
Glimmende Lichter, stickige Luft.
Sprühender Dampf, qualmende Wärme.
Geht’s nun zur Hölle, zur ewigen Nacht?
Licht dort im Tunnel, Licht!
Tief unten, tief unten ein schimmernder See.
Weit, weit und von Strahlen durchtränkt.
Berge, rings Berge mit rosigem Schnee.
Grünende Ufer, blühende Städte und Dörfer.
Süden, lachender Süden.
Halt, Halt nun am Ziel und die Glieder gestreckt.
Fremde Sprachen ringsum, fremde Menschen und Sitten.
Wohlige, weiche Luft und Vogelgezwitscher.
Farben, Freude; glückseliges Verstummen.
Süden, lachender Süden.
Land meiner Träume,
Land der Verheißung:
Süden, strahlender Süden!
10
Rhythmus.
E. L. S. gewidmet.
Ein Mensch ohne Rhythmus — das ist sangloses Blut oder
wandelnde Leiche —; jedenfalls — „Hailoh 4293 — ist dort
Beerdigungsgesellschaft für Menschtum? Bitte Leichen-
wagen!“ —
Ich glaube — nur der Mensch wird mit Rhythmus im
Leibe geboren, der mit Rhythmus empfangen ward, sagen
wir: mit Leidenschaft vorbereitet.
Denkt Euch — es gibt sogar junge Ehepaare, die sich
schon vor der Hochzeit überlegen, ob sie schon im ersten,
oder vielleicht doch lieber erst im zweiten Jahre Kinder haben
wollen. (Berechnung der Nahrungskosten eines eventuellen
Säuglings — Vergleichung dessen mit dem Zinsfuß der Ein-
künfte des Gatten im zweiten Jahr.) Einigung —: Kinder
erst im zweiten Jahr. Also: Rhythmus?? Nein —. Typus
des jüdischen Bankiers plus Gemisch von frauenhafter Um-
ständlichkeit und mediumartiger Ueberwindlichkeit durch
jüdischen Schmus. Zwei wandelnde Leichen nähern sich
einander, wie man zwei Eisstückchen zusammenlegt, geben
einander ihr totes Blut. Ergebnis: im zweiten Jahr (gut be-
rechnet!) erscheint ein Knäblein normaler Konstitution mit
Zungenfehler und Plattfüßen. Was wird aus ihm nach fünf-
undzwanzig Jahren? Jurist oder Nationalökonom.
Also heran — Jungdeutschland! Beteiligung und
Rhythmus! Was säumt ihr? Moral? Unsinn! —
Pflicht! Aus Euch wächst Musik! —
Johannes Heim.
Kleiner Briefkasten.
M. P. in Düsseldorf. Nein! — Lilly S. in
Berlin W. Wer Sincerus ist, können wir nicht verraten.
— Maler G., Berlin. Viel Glück auf den Weg! —
Fritz Lachmann. Wo Sie einen Hauslehrer bekommen?
Wenden Sie sich bitte an den „Höheren Schüler“. — In-
teressent. Wir müssen den Vorwurf ablehnen. Wir stehen
mit Herrn Fritz Taendler in keinerlei Verbindung.
11
Holzschnitt von Paul Gangolf.
Sexualaufklärung.
(Ein Beitrag zur Jugendethik.)
M eine Freundin, die Baronesse A. von S., sagte mal zu mir:
Als ich fünfzehn Jahre alt war, unternahm meine Mutter
das Wagnis, mich sexuell aufklären zu wollen. Dabei stellte
sich heraus, daß sie in manchem ganz falsch unterrichtet
war, vieles überhaupt nicht wußte. Die von ihr geplante
Aufklärung gestaltete sich also derart, daß ich ihre Un-
wissenheit korrigierte. —
Hier setzt die ganze herrlich grausame Satyre ein, der
wunderschöne Spaß, sich maßlos zu entrüsten. All die elter-
lich lehrhaften Ratschläge, in Klammern: Broschürenweis-
heiten, schrumpfen elend zusammen vor der erhabenen
Potenz der Erfahrung am eigenen Leibe. Denn jenes ist:
kraftlose unverständliche Phrasendreherei, dies aber: Läutet
rung und Verständnis.
Es wird hierbei vorausgesetzt, daß dem Kinde von An-
beginn seiner Existenz ein so großes Teil ethischer Kraft
eingeimpft werde (zunächst: Aesthetik überhaupt — ein-
begriffen: Aesthetik des menschlichen Körpers — dann
im Einzelnen: die Freude am Reinen und Schönen), daß
es unbeschadet und ungetrübten Auges die Klippe seiner
Entwicklung überschreiten kann. Hierzu gehört vor allem
eine Umgebung von einer Lebensart, die des Reinen voll.
Ich spreche zunächst von den Knaben. —
Es gibt Häuser, in denen die Kinder und jungen Leute
bis in die Mittagsstunden im Bett geduldet werden. (Ent-
schuldigung der Mutter: Der arme Junge — diese Ueber-
bürdung in der Schule — sie ahnen gar nicht —).
Das führt aber zunächst zu Trägheit, zweitens zu Lang-
weile. Schließlich greift Gedanke und Tun in die Kreuz-
und Quergänge des Geschlechts. Das wird zur Uebung —
die Folgen sind unabsehbalr. Dies aber ist das Schlimmste.
Das langsame kriechende Abstumpfen von Körper und
Geist, das ich an einem jungen hochtalentierten Menschen
beobachten mußte, ist unsäglich erbarmungswert. — Jüngst
traf ich ihn. Es war, als sei alles von ihm abgeschmolzen.
Das langblonde Haar lag ihm strohig um den Kopf, seine
Stimme klang hohl und zittrig, wie die eines Greises, seine
Bewegungen waren jäh und scheu, der ganze Körper zer-
brochen und zerrissen; was er spjrach, irr. Ein weher Glanz
in seinen Augen. —
13
So schlich er die Straßen hin — tot —, und von oben
lachte eine warme Frühlingssonne herab. —
Drum, Mütter — quousq'ue tandem? Fort mit dem
Mitleid — Cui bono? — Führt Eure Kinder in die Museen,
daß sie die menschliche Edelkeit des Menschen bewundern
lernen, die Schönheit ihrer Formen begreifen, ohne sie zu
betasten; die Musik ihrer Linien empfinden, ohne sie zu
suchen — wie ein Kind eine Uhr zerstört, ehe es ihr Werk
begriff.
Hier liegt die Höhe einer Erziehung.
Schickt Eure Kinder in die Natur, daß sie sehen, wie
aus Samen und empfangbereiter Erde das neue Grün sich
zeugt, wie das Weibchen einer Blüte den männlichen Blüten-
staub in sich verschließt, den eine Biene ihr zuträgt. Daß
sie verstehenden Auges erblicken, wie bis in die feinsten,
tiefsten Regungen der Natur Mann und Weib zueinander
drängen, um sich zu verjüngen. Daß sie so von Blume zu
Tier und von Tier zu Mensch aufwärtsblicken, um gereift
und rein den Urkern der großen Welt erschauernd zu
ahnen. Dann erst werden sie vor der Majestät des Wortes
„Liebe“ zurückbeben, und die letzten Heiligkeiten von Ehe
und Gott werden ihnen ein Stück innerster Religion geben.
Den Mädchen liegt dies Ahnende von Natur näher, Ihre
Seele ist tiefer Born — ihr seltnes Wort oft Offenbarung.
Dabei unbewußt. Das aber ist das Unsagbare, das einen
manches Mal so wohl durchströmt. Der Vollkommenheit
ihres Körpers gleich werden all ihre Handlungen — selbst
die kleinsten, unbedeutsamsten — so instinktiv sie sind, aus
tiefen Grübeleien heraus geboren. Ein Mädchen, das einem
Mann sich hingibt, weißt, daß es damit seine höchste Be-
rufung erfüllt, zugleich sein schönstes, edelstes Opfer.
(Straßentum schaltet aus; alle unwürdige Hingabe klassi-
fiziert ein scheußliches Gewürm, das wir von Herzen hassen
müssen!)
So haben wir für Mädchen weniger zu sagen. Knieen
wir vor ihnen, und von ihren feinen Seelen kein Wort
mehr, das — wenn es sie definierte — nur verdunkeln
könnte. (Lexikon. Definition — das heißt: Pietätlosigkeit.)
Also nicht Sexualaufklärung, sondern sanftes Leiten und
Verständnis und eine liebe gütige Stimme! —
Sincerus.
Zwei Gedichte
von Friedrich Hollaender.
A d j a.
Ueber alles Denken bist Du
mir gewesen. —
Wie Herbstnacht auf duftnasser
Wiese. Nur ich
kam Dir so fremd.
Weißt Du mich noch? —
Wie Syrinxsang und fernes Getön —
doch lieb, wie unendlich
verschwistert,
flössest Du mir entgegen.
Nur ich — verloren und dunkel —
nahm Dich, emporgeboren
aus Weh und Weh,
ratlos — fremd
in mich auf. —
An Frau J.
Fort — meilenweit weg sein,
einen Schimmer in den Augen —
wie von einem dunklen Kleid
um ein griechisches Weib!
Untergehn — tief entströmen,
ein Sinnchen im Hirn —
fein wie Glasgespinst —
wie von einem Brausen und Gären,
das man bis ins Mark spürt —
(o zartsüßes Klirren einer Silberglocke!)
Dann hoch — empor — aufschauen —
die Augen schließen müssen:
Edelheit — Licht!
Aphorismen.
Man liebt die Natur in der Vorstellung umsomehr,
So mehr man sie durch Kunst verunstaltet sieht.
Des Mannes Ideal ist Streben;
Des Weibes Ideal der Mann.
Etwas genial Geschaffenes befriedigt den
Schöpfer nie, weil es nicht durch Tätigkeit,
die allein zu befriedigen imstande ist, gefunden
wird, sondern blitzartig, unbewußt. H. Paul.
Sigbjörn Obstfelder.
(1866—1900)
Eine literarische Unterhaltung.
Mir kam vor kurzem ein schmaler Band Novellen in
die Hand, Kinder eines bisher wenig bekannten norwegi-
schen Dichters: Sigbjörn Obstfelder. Während des Lesens
überkam mich ein wunderliches Gefühl, halb Staunen, halb
Wehmut; ein Gefühl, wie wir es wohl als Kinder mochten
empfunden haben, wenn wir im dunklen Schlafzimmer lagen,
und nebenan jemand vorsichtig und linde einen jener alten
naiven Walzer der Biedermeierzeit spielte. Mit derselben
schmerzlichen Innigkeit nahm mich auch die Lektüre dieser
wenigen Novellen gefangen, weil ich unklar fühlte, daß jene
seltsamen, unwirklichen Gestalten, die wie Schattenbilder
an meinem Geist vorüberhuschten, weit mehr waren, als
bloße Romanfiguren . . . Hinter ihrem grauen gespenster-
haften Dasein entblößte sich die Seele ihres Schöpfers, der
ihnen sein Herzblut eingeimpft hatte, ohne sie jedoch lebens-
fähig zu machen, weil er es selbst nicht war. Und dies
war die große Tragödie des Menschen und des Künstlers
in Obstfelder! Ihm, der wie kein Zweiter künstlerisch
zu empfinden vermochte, dem eine seltene Farbenwirkung,
ein halbaufgegriffener Klang zum Erlebnis wurde, ihm hatte
das Schicksal das Höchste, das Wunderbarste des inspirierten
Menschen Vorbehalten: Das Selbstschaffen!
Sigbjörn Obstfelder war der Sänger der Dämmerung.
Er liebte es, sich gegen Abend in den entlegenen Vor-
städten Kristianias aufzuhalten, um auf die verworrenen
Geräusche der belebten Uferquais zu achten oder am Hori-
zont die Farbenmusik der fernen Bahnhöfe zu studieren.
Er liebte die seltenen Visionen seiner Träume und erfüllte
damit die kalte grelle Helle seiner Tage. So war er ganz
Nerv, ganz Stimmung und Empfindung. . . . Aber er litt
wie an einer inneren Krankheit an diesem unheimlichen
Aufnahmevermögen; er litt doppelt darunter, weil er sich
nicht von der Last der aufgenommenen Einwirkungen
befreien konnte, weil seine Kraft zu schwach und sen-
sibel war, um selbstschöpferisch tätig zu sein, um, wie
beispielsweise Guy de Maupassant, aus einer Reihe von
Visionen und psychischen Erlebnissen ein Kunstwerk
zu schaffen. So wurde für ihn jenes wunderbare
Gnadengeschenk aller großen Dichter eine Midasgabe, die
16
seine Kräfte wie ein heimtückisches Fieber zermürbte und
ihn, kaum vierunddreißigjährig, in cfte Arme des Todes
führte.
In Obstfelders Kunst lebt die überaus zarte Lyrik Jens.
P. Jakobsens und die mystische Sybolik des Belgiers Maeter-
linck. Betrachtet man ein Porträt des Frühverstorbenen,
so glaubt man plötzlich in dem schmalen bleichen Antlitz
mit den fiebrigen visionären Augen das ganze Leiden dieses
seltsamen großen Künstlers zu verstehen........
Jean Le Hogh.
Berliner Plakatkünstler.
(Schluß.)
Durch eine hohe Gage bei Kersten und Tuteur fest ange-
stellt, als trefflicher Lehrer in der Schule Reimann, haben
wir Deutsch alle schätzen gelernt; wenngleich er sich
in letzter Zeit in der Ausführung seiner Arbeiten ein wenig
vernachlässigt hat (übrigens ein Fehler, in den viele dieser
Kunstmaler verfallen, sobald sie sich eine einigermaßen
sichere Existenz verschafft haben). Aber trotzdem versteht
er es, sich auf dem laufenden zu erhalten. Ich möchte be-
merken, daß es hierin mit dem Künstler eigenartig bestellt
ist. Einmal sehen wir seine Arbeiten überall, an den An-
schlagsäulen, in Zeitungen usw. und der Meister hat alle
Hände voll zu tun, um den Anforderungen der Kunden ge-
recht zu werden, und dann wieder sehen und hören wir
monatelang nichts von ihm. — Er ist ausgestorben —
seine Art hat sich überlebt, ist unmodern geworden. So
weiß man nichts mehr von ihm — bis er dann eines Tages
wieder auftaucht; und das Spiel beginnt von neuem. Nur
wenigen gelingt es, immer gleichmäßig auf der Oberfläche zu
bleiben. Zu denen gehören u. a. auch Haiduk, Deutsch
und Leonard.
Robert L. Leonard, so lautet der schöne Name des
trefflichen Meisters, Plakatkünstlers, Karikaturisten und
Preistänzers. Ueber Leonard, den feschen, kleinen Gent,
könnte ich seitenlang schreiben. Aber der Platz ist be-
schränkt und ich darf nicht zu sehr vom Thema weichen.
So will ich’s denn kurz fassen: Leonard verfügt über ein
viel bedeutenderes Können als Deutsch und andere Herren.
Zu bedauern ist nur, daß bei weitem das Beste nicht an
17
die Oeffentlichkeit kommt. Das Feschste, Pikanteste und
Künstlerischste hängt an Wänden in seinem Atelier; das
weiß ich, denn ich war sein Schüler. Vielleicht ist es nicht
unbegründet, wenn man sagt: Der Schmiß, den Deutsch hat,
fehlt ihm. Aber Grundlage und Können sind vorhanden; und
das ist die Hauptsache. Aber etwas hat er zu eigen, was
allen anderen in so reichlichem Maße fehlt: Glänzende
Ideen.
Sind alle Ideen schon ausgepumpt, — er bringt etwas
Neues! Welch ein famoser Gedanke ist doch die Karikatur
der Woche auf dem Gaumont-Film. Trotz der fabelhaften
Schnelligkeit, mit der er immer originelle Sachen auf die
Tafel skizziert, ist kein Trick dabei. Nur durch etwas
schnelleres Kurbeln am Aufnahmeapparat wirkt das Ganze
noch hastiger und spaßiger. Aber daß er das alles
in Sekunden hinwirft, ohne sich vorher darin geübt
zu haben (?? — Bemerkung des Schriftleiters), ist schon
ein glänzender Beweis seines Genies. — Neben diesen
zeichnerischen Leistungen darf man die Tanzkunst nicht
vergessen. Nach meiner Ueberzeugung leidet sein Malver-
mögen doch etwas unter dieser Ablenkung. Andererseits
verschafft er sich durch den Ruf des unanfechtbaren Welt-
meisterschaftamateurtänzers (ein feines Wort!) einen Namen,
der auch seinem Zeichnerberuf zugutekommt.
Leonards Plakate waren zuerst nicht viel wert. Be-
sonders die Schrift ließ manches zu wünschen übrig. Aber
seit einem Jahr etwa hat er sich mächtig Tausgeputzt, und
das Plakat von der Redoute der farbigen Perücken lieferte
den Beweis, daß Leonard auch im Plakatwesen auf der
Höhe ist. —
Nachdem ich so von den besten Plakatkünstlem ge-
sprochen habe, bleibt für den Rest nicht mehr viel zu sagen.
Lehmann- Steglitz zeichnet sehr hübsch, sauber und
geschmackvoll. Einige seiner Plakate sind sogar recht gut.
Rolf N i c z k y gefällt mir gar nicht. Von seinen Plakaten
schweige ich besser. Und seine sonstigen Entwürfe bringen
weder Originelles noch Ausgeführtes. Eigenartig sind nur
seine sehr aristokratischen Typen, die ihm allerdings glän-
zend gelingen.
Stephan KrOtowski halte ich für die Konfektions-
branche am besten geeignet. Seine Entwürfe für Herrmann
Hoffmann finde ich recht gut und gelungen. Der hat auch
noch Eigenarten und seine Zeichnungen bringen Eleganz und
Schwung. In letzter Zeit hat er öfters Plakate angefertigt,
die man als allererstklassig bezeichnen darf. Der Mann hat
noch eine große Zukunft!
Leonhard Fries versucht, Deutsch zu imitieren, aber
es gelingt ihm nicht. Trotzdem zeichnet der Mann gut und
vor allem richtig bis ins kleinste Figürchen. Seine Arbeiten
sind nicht gerade originell, aber auch keineswegs langweilig;
schade, daß man so sehr wenig von ihm sieht Er scheint
nicht genug Kaufmann zu sein, um seine Werke an den
richtigen Mann zu bringen.
Joe-Loe versteht es im Gegensatz zu Fries sehr gut,
seine Arbeiten zu verkaufen. Dieser Joe-Loe gefällt mir in
keiner Weise. Seine Arbeiten zeugen weder von Geschmack
noch von Können. Damen versteht er ganz und gar nicht
zu zeichnen. Das werden immer schreckliche, völlig un-
proportionierte Gestalten. Seine Arbeiten hinterlassen über-
haupt keinen Eindruck. t
Paul Scheurich läßt selten etwas von sich sehen;
aber was man sieht, ist von zwerchfellerschütternder Komik
und voller Ironie.
Ernst Neumann arbeitet nur für Automobilfirmen.
Aber für diese Branche hat er nie erschöpfte Ideen. Seine
Zeichnungen haben Schwung und Eleganz, er hat guten
Geschmack und ist —- wie schon gesagt — für Entwürfe
von Automobilen am besten geeignet und erstklassig.
Louis Oppenheim ist gar nichts Besonderes. Seine
Plakate sind gut in der Technik, aber geschmacklos. Anzu-
erkennen sei seine Schrift, in der er wirklich Gutes leistet.
Somit bin ich am Ende meiner Betrachtungen angelangt.
Gar mancher müßte noch erwähnt werden: John Pape,
G. v. Finetti, E. Heilemann, Dely, Hajduk, der
hochoriginelle Johsteiner, K. Q. Richter, Korch,
E. L ü b b e r t u. a. m. Als Münchner Künstler einzig und
allein der großartige Ludwig Hohlwein; den Plakatmaler
Kunst, Hohlweins ebenbürtigsten Genossen, hat der Tod
vor kurzer Zeit im blühendsten Alter und mitten aus seinem
Wirken und Schaffen, an der Schwelle des Erfolges, dahin-
gerafft. — —
Auf jeden Fall lebt der fleißige Kunstmaler in recht
guten Verhältnissen. Aber ehe er sein Zeil erreicht hat,
ist eine dornenvolle Zeit durchzumachen. Gründliche Vor-
bildung, vor allem das Studium der allgemeinen Kunst vor
einer Spezialisierung; Liebe zum Beruf und ein wenig
Raffinement sind notwendig, um den Traum von der glück-
lichen Zukunft erfüllt zu sehen. Heinz Barger.
19
Seine Geschichte.
(Schluß.)
„Und jetzt kommt die eigentliche Tragödie, wenn sie
nicht so furchtbar alltäglich und selbstverständlich wäre.
Unsre Studien und unser Fleiß oder, um es offen zu sagen,
Strebertum war in den maßgebenden Kreisen nicht unbe-
merkt geblieben. Schon bald nach Absolvierung der Uni-
versität erhielten wir beide eine ehrenvolle Berufung als
Assistenzärzte zu einem sehr bekannten Dresdner Amt.
Doch diese Stellung brachte uns kein Glück.
Etwa ein Jahr mochten wir dort gewesen sein, als
in der Stadt eine furchtbare Diphteritis-Epidemie ausbrach.
Hunderte und Aberhunderte von Menschen wurden nach
den vor der Stadt gelegenen Isolierbaracken gebracht. Und
dann eröffnete juns eines Tages unser Vorgesetzter, daß unsre
Hilfe bei ihm überflüssig sei, daß wir aber uns sein unbe-
grenztes Vertrauen und Wohlwollen erhalten würden, wenn
wir uns als Hilfsärzte in den Isolierbaracken anstellen
ließen. >
Was sollten wir tun? Zwei verwaiste Beamtensöhne
ohne Vermögen in abhängiger Stellung?
Wir nahmen an.
Die Arbeit war nervenaufreibend, Kräfte verbrauchend,
fürchterlich anstrengend — aber lehrreich. — Immer neue
Ströme von Kranken überfüllten jedes Zimmer. Aus jedem
Auge, aus jedem Mund erscholl immer dieselbe angstvolle,
kindlich egoistische Frage entgegen: „Werde ich genesen?“
In der Krankheit wird der Mensch wieder zum Kind oder
— zum Tier.
Wir jungen Aerzte stellten alle unsere Kräfte in den
Dienst der gemeinsamen Sache. Abends sanken wir tod-
müde sofort ins Bett. Wir durften uns keinerlei Erholung
gönnen, durften die Baracken nicht verlassen. Gaben mit
offnem Herzen und frohem Mut unser teuerstes Gut, unsere
Gesundheit, der mörderischen Krankheit preis. Es wurde
uns übel gelohnt.
Schon war die Krankheit im Verebben, da wurden, ob
aus Mangel an Desinfektion oder sonstiger Unachtsamkeit,
ist nie aufgeklärt worden, wir beide fast gleichzeitig von ihr
befallen. Sie, die wir so erfolgreich bekämpft hatten, hielt
20
uns jetzt selber mit ihren Eisenarmen umpackt und for-
derte gebieterisch ihr Opfer.“
Ein Streichholz flammt jäh auf. Und, während er seine
Zigarette anzündet, kann ich, nur für wenige Sekunden sein
mir so bekanntes Gesicht noch einmal betrachten. Es ist
keine große Veränderung mit ihm vorgegangen. Ruhig und
ernst, wie im Schmerz versteinert, sieht es aus. Nur ein
vibrierendes Zucken der Nasenflügel und der unruhige Blick,
mit dem er den hastig ausgestoßenen ersten Rauchwolken
seiner Zigarette folgt, verrät mir seine innere Erregung.
Dann fuhr er, tonlos, mit einer rauhen Stimme, die
an eine zerbrochene Glocke erinnerte, fort.
„Nun, das Ende kannst du dir ja eigentlich denken.
Nicht aber meine Verzweiflung. Nicht aber diese Hoffnung,
die sich an jeden Strohhalm knüpft, und diese Angst, diese
furchtbaren Ahnungen und nicht zuletzt meine eigenen Kör-
perqualen. Anfänglich hatten wir in einem Zimmer gelegen,
waren aber bald trotz meiner Gegenanstrengungen getrennt
worden. Das war für mich, der ich selber Arzt war, die
Gewißheit.
Dennoch wurde mir die wirkliche Nachricht noch lange
nach seinem Tode verheimlicht.
|Doch als ich es dann schließlich erfuhr, war mein
Schmerz, meine Trauer, meine Wut unermeßlich. Mit einer
direkt tierischen Wut warf ich zuweilen meinen Pflege-
rinnen die unmöglichsten Gegenstände an den Kopf.
Doch, schreckliche Ironie des Schicksals, jetzt, wo mir
nichts, aber auch gar nichts mehr am Leben lag, und ich,
um möglichst bald zu enden, sogar des öfteren Selbstmord-
versuche machte, die aber immer vereitelt wurden, jetzt
genas ich zusehends.
Allmählich kam auch die Resignation des Rekonvaleszen-
ten über mich. Ich begann mich für anderes wieder zu inter-
essieren, ich wurde wieder Mensch, das heißt bis jetzt nur
ein halber, wieder Arzt.
Doch habe ich mich innerlich noch lange nicht abge-
funden. Und nur durch diese aus Höflichkeit, Arbeit und
Pflichttreue aufgeführte Mauer, welche wir Leben nennen,
dämme ich diesen großen, ungeheuren Schmerz zurück.
Doch manchmal bricht er wieder durch, durch diese
eisige Mauer, dieser ursprüngliche, natürliche Schmerz, der
in seiner Maßlosigkeit Bahnen betritt, die man Irrsinn und
Tobsucht nennt.
21
Nun, mein Freund, das ist die Geschichte eines halben,
unglücklichen Menschen, dem sein andres Ich genommen
ist, bevor er sein Leben begonnen hatte. Jeder Mensch hat
so ein zweites Ich, mag er es nun Vater, oder Mutter,
Schwester, oder Bruder, Gattin oder Kind nennen.
Mit drei raschen Schritten durchmaß er das Zimmer,
ging zu dem halberloschenen Kamin und feuerte ihn zu
heller Glut an. Dann wiarf er sich mir gegenüber in einen
der Sessel. Träumerisch verfolgten unsre Augen die opa-
lisierenden sich verwebenden und zerfließenden Zigaretten-
ringe, bis sie in dem Dunkel des Zimmers vergingen.
Ganz alltäglich, ganz alltäglich-----------
G ö t z A m u 1 e 11.
22
Schriftleitung: Rudolf Borsch.
Vertretung für Oesterreich-Ungarn:
Friedrich Hollaender, Prag.
Künstlerische Ausstattung: Hei-Bar.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Drittes Heft. Juni 1914. Erstes Jahr.
Vorspiel auf dem Kirchhof
von Sincerus.
(In der Mitte einer Gräberreihe. Vorn zwei Gräber neben-
einander. Links ein Wasserhahn, aus dem Frau Charlotte
Wegner eine grüne Gießkanne zu füllen bestrebt ist. Von
rechts kommt unterdes Baron Johannes von Glasklang,
auch eine grüne Gießkanne in der Hand.) (Es ist Abend.)
Johannes (indem er den Hut zieht):
Ja, ja — der Grabdienst, gnädige Frau —
Sie werden ein Lied zu singen wissen —
bringt Mißlichkeiten, Müh und Pein.
Darf ich Ihnen vielleicht behilflich sein —?
Ich seh Sie da täglich mit treuem Gewissen,
mit allzutreuem, dies Grab begießen, —
mich übermannt’s, so oft ich’s schau —
(er nimmt ihr die grüne Gießkanne ab und füllt sie).
Frau Wegner (verlegen):
Zu liebenswürdig, mein Herr . . . allein . . .
Sie sind so nett und dienstbeflissen,
und ich nehm es doch eigentlich nicht so genau
mit Pietät, und überhaupt
werde ich all die Sorgfalt vermissen,
wenn Sie mal nicht hier sind; denn hab ich nicht immer
dies liebe Verwohnen, dann bin ich töricht
und unbeholfen zum Weinen, schlimmer
als ein Kind.
3
Johannes:
Ja, Verehrteste, wie nun Frauen sind,
sie nehmen den Finger und wollen den Arm
und Herz und Hirn! Wir armen Männer
iind übel dran, daß Gott erbarm!
Sehen Sie — ich bin nun Kenner,
aber trotzdem tu ich auf Formen pfeifen,
Gilt’s, einer Frau unter die Arme zu greifen.
Frau Wegner:
ja, Sie haben Mut und Verstand, der schäumt,
dazu einen Körper so schlank und gelenkig,
das Herz auf dem rechten Fleck. Fast denk ich:
Sie sind der Mann, wie den Mann ich geträumt.
Denn sehn Sie —: mein Gatte, der wäscherne Lappen>
der Weißbierwitzler — Gott hab’ ihn selig,
mein Gatte, der hat mich grimmig enttäuscht,
denn, was ich von der Liebe geheischt,
war alles ihm, mir zu bieten, versagt. —
I h r Auge glüht mir so unverzagt,
Sie haben so ’was von Altreckenknappen —
Ihr Herz ist ein reines, so merk ich allmählig.
Johannes:
Zu gütig — gnädige Frau —, was Sie sagen —
ich gestehe, auch mir hat in all den Tagen,
in denen wir hier uns gießend finden,
das Herz bedeutend höher geschlagen;
und schwieg auch der Mund, der Blick konnte künden:
ich spürte schon eine gewisse Verwandtschaft
längst vor unserer ersten Bekanntschaft.
(Er beginnt jetzt, langsam ihr Grab zu gießen, während
sie mit seiner grünen Gießkanne beschäftigt ist. Im Vor-
beigehen liest er von dem Stein den Namen ab.)
„Alfredo Wegner — —“
Frau Wegner: Mein lieber Mann —!
Gott hab ihn selig! — Ja, dann und wann
steigt eine Schmerzlichkeit in mir hoch;
Erinnerungen und kleine Gedanken
Wollen aus meinem Innern nicht wanken,
und ob ich mich sträube, ob ich mich wehre,
sie drücken mich nieder, umringen mich sehre,
quälen mich und bohren ein Loch
in meine Seele —
(sein Grab gießend, liest sie): „Claudia Wendt . . .??“
4
Warum trägt Ihre Frau nicht auch Ihren Namen?
Ich wüßte nicht, wo man das anders kennt.
Johannes:
Gewiß, gnädige Frau, doch das wär’ nur der Rahmen
für ein Bild von traurig-süßer Verbindung,
für ein freieres Feuer von hellerem Licht.
Frau Wegner:
Aber Sie haben doch — ich begreife nicht —
sich mir ganz anders vorgestellt — —
Johannes:
Es ist das einfachste von der Welt.
Verstehen Sie nicht die hohe Verkündung?
Was sagen Namen? — Ist nicht Gefühl
menschlichen Ausdrucks höchstes Ziel?
Frau Wegner:
Also war sie soviel
als Ihre Geliebte?! Und Ihre Empfindung
Konnte für sie sich freier entfalten?
Johannes (fährt mit der Hand über die Augen)
fa. — Doch nun lassen wir diese Gestalten
toter Liebe, deren Gewalten,
ans zu erinnern, mir spukhaft scheinen;
lassen wir die Gefühle, die alten,
die verblassend schon in uns erkalten,
lassen wir sie bei den Leichensteinen,
bei den Toten und ihren Gebeinen,
Vielleicht, daß sie sich auch vereinen. —
Wir wollen nun aber nicht mehr weinen,
wollen uns bei den Händen halten,
Gemeinsames in uns verbinden,
nichts ergrübeln — nichts durchgründen,
nur eins fürs andere gleich empfinden.
Frau Wegner:
So wahr die Sprache, so rein der Klang,
ich fühl ein Schweben wie Gesang,
ich fühl’s in meinen Adern beben,
und meine Nerven spür ich bang
entgegensehnen neuem Leben.
Der Glaube wächst in mir gewaltig,
die Liebe ahn ich vielgestaltig.
Was ich gewünscht, herbeigebangt,
verheißt in herrlicher Bewegung
mir hier die ungewohnte Regung,
tiefinneren Glaubens Urerzeugnis.
Wonach ich ewig stumm verlangt,
hier wird es Wahrheit und Ereignis. —
Johannes:
Ich sehe Ihre Schultern zittern
und Ihren Körper dehnen sich,
die Nasenflügel inniglich
der großen Wonne Wärme wittern.
Frau W eg ner:
Ja, Sie verstehen all mein Sehnen,
und den kleinen Klang, der mich umsingt.
Johannes:
Wird Ihnen leicht und luftbeschwingt
oder kommt Ihnen ein Seufzen und Stöhnen
bei diesen Tönen?
Löst das Gefühl, das Sie durchdringt,
zerschmelzend sich in sanften Tränen
oder in Küssen?
Frau Wegner:
Wie könnt ich wissen,
was Sie wähnen?
Wie sollt ich wähnen,
was sich mir selbst in so ungewissen
Farben entringt?
Was sich in tiefster Seele vollbringt,
fand je ein Mensch Namen dafür?
Ist es das Große, vor dem wir erschauern?
Das Unendliche hinter den Mauern,
ewigen Rätsels verriegelte Tür?
Johannes:
Es ist das bange Suchen,
das wir verfluchen
und doch mit Füßen nicht treten.
Frau Wegner:
Es ist das ewige Müssen,
zu dem wir beten
ohne zu wissen.
Johannes:
Es ist des Bluts
singende Stimme.
Frau Wegner:
Ja, das ist’s. Wir hören sie im Traum.
6
Johannes:
Und im Traum löst sich eigenen Begehrens
unbewußte Erfüllung aus.
Frau Wegner:
Das sind mir dunkle Worte,
seltsame, schlimme —
noch ahn ich sie kaum —
Johannes:
Nicht wahr —, wie große riesenschwarze Vögel
mit weiten Schwingen rauschend daherziehn. —
(es wird unterdessen sehr rasch dunkel auf der Szene)
(Johannes’ Mund ist zu einem teuflischen Grinsen verzogen.)
Frau Wegner (mit einem Angstgefühl):
Es wird schon dunkel, Herr Baron,
der Abend ist dahingeronnen,
die Wärter werden die Tore schließen —
Johannes:
Lassen Sie sich’s nicht verdrießen
Allerschönste unter den Sonnen,
sehn Sie — von Leichen eingesponnen,
metidicrend, haben wir viel gewonnen.
Sagen Sie; merken Sie das nicht schon? —
Allerdings, wir vergaßen zu genießen —
Indessen —
Frau Wegner: Ich muß nun gehn —
Johannes: Warum?
Blicken Sie sich doch erst mal um,
wie romantisch die Stimmung ist,
wenn die Nacht den Kirchhof küßt.
(Ein leiser Regen knistert nieder.)
Frau Wegner:
Nun tröpfelt es schon — Gute Nacht —!
Johannes:
Wie schade,
Ich wüßte noch so eine schöne Promenade:
nämlich zwischen den Feldern R und Q
geht es immer ganz unheimlich zu.
Da wandeln zwischen den Gräbern Gestalten,
die ihre eigenen Köpfe in Händen halten,
ide sprechen ein launiges Zeug zusammen
und tanzen Cancan und speien Flammen.
Wie wär’s? Wenn es erlaubt zu fragen,
wolln wir uns mal in die Gegend wagen?
7
Seien Sie furchtlos und ohne Harm,
ich führe Sie schon mit starkem Arm. —
Es soll Ihnen da kein Leid geschehn.
Nun —?
Frau Wegner: Nein — nein! — (hastig): Auf Wie-
dersehn —! (Sie läuft schnell fort.)
Johannes (lacht höhnisch):
(Haha —! Die Dumme —, wie sie rennt,
als ob untern Füßen der Boden ihr brennt;
aber sie hängt doch in meinen Ketten,
und kein Engel wird sie erretten. (Der Wind heult.)
Da läuft sie hin durch Sturm und Nässe! —
(es blitzt; er ruft ihr laut nach):
Na, gute Nacht! — Ich weiß ja Ihre Adresse!! —
(Der Vorhang fällt rasch.)
Erlösung
von Friedrich HoT
Nun bin ich
Ganz tot von Dir.
Allüberall
Jagt, dreht
Ohnmächtig stumpf
Gedanke mich hin
1 a e n d e r.
Wie irres
Kreiselspiel.
Die Stunde gebar mich
Im tiefsten Innern.
Licht wurde.
Unendlichkeit
Und traumewige Erfüllung
Warfen mich tollhoch
Empor.
Wildeste Spannung
Krampfte mich wach.
Nun dreht und jagt
Ohnmächtig stumpfes
Kreiselspiel
Meine irren Gedanken
Hin.
Allüberall
Bin ich nun
Von Dir ganz
Tot.
8
Die erwachenden Rosen.
Für K. F.
Die Worte seien Dir ein leichter Hauch
Von fernen Tönen, die wir gerne hören.
Für mich sind sie zu viel, ein müder Strauch
Von weißen Rosen, die mir nicht gehören. —
Weiße Rosen blühen vor meinem Fenster, so weiß und
unberührt wie der Jungschnee, den die Sonne küßt und
tauen läßt, ehe er auch nur einen Tag die Wiesen hat
bedecken können. Weiße Rosen. Sie haben im Sommer ge-
blüht. Und nun ist Winter. Aber bald wird der Frühling
kommen und meine Rosen wecken, die dann der Sonne ent-
gegenblühen werden in seidigweißer Schönheit.
Mitten in sein Leben hatte sie gegriffen und ihn erfaßt.
Er hatte zwei Leben geführt. Ein Leben in der Wirklichkeit
und ein Traumleben hinter Illusionen, die ihn berauschten.
Dann schlug eine Welle alltäglichen Lebens in seinen Traum,
wie eine Meereswelle voller Tang in das mit Süßwasser ge-
füllte Bassin des am Strande spielenden Knaben schlägt und
das klare Wasser schmutzig und trübe macht. Und diese
überkommende Welle trüben, schlammigen Lebens ließ ihn,
der wie ein Schifflein auf klarem und ruhigem Wasser
schwamm, heftig schwanken, und endlich, vollgesogen mit
Schmutz und Schlamm, drohte er zu versinken. —
Da war sie plötzlich in seinem Leben. Ihm war, als sei
sein Leben in der Wirklichkeit nebelfern und verschwommen,
und es versank in einem Meer von Erinnerungen, und leise
nur tönten ferne Töne zu ihm wie das leise Gemurmel einer
fernen Brandung. Dann trat sie in sein Leben, und füllte
es aus, und seine Seele, eine Schale, war voll ihrer Persön-
lichkeit, ihrer leise betäubenden Haare, ihrer schmalen,
langen Hände und ihrer kalten Augen, deren Klugheit groß
war, sehr groß. Und dann hatte er alles gegeben, was er
hatte. Seine Seele hatte er ihr gegeben, seine symphonische
Seele. Und hatte alles gegeben und behielt nichts. Und
War doch glücklich! Und ihre Seele — die der Wind
küßt — hatte sich ihm erschlossen, verschämt, wie die
wunderkalten Narzissen ihren Blütenkelch der Sonne öffnen.
Er liebte sie. Wie man eine Mutter, eine frühverstorbene,
liebt. Und hatte ihr alles gegeben und behielt nichts, der
9
Arme. Und war doch reich! Und dann — er wußte es
ja — würde er ihre Liebe empfangen, ihre unermeßliche,
herrliche Liebe. . . . Und da wurde er ein armer Pierrot...
Pierrot mit süßen weißen Gewändern, Pierrot! ... ein
altes, altes Lied. Denn sie liebte einen anderen. Da ver-
blühte er. Verbrandete in seinem Schmerz. Warum? Und
seine frühe Liebe wurde vom wilden Sturm zerrissen. Weiß
nicht, ob sie wieder blühen wird, seine Seele. Wenn eine
andere Sonne ihre Blüte wachküssen wird. Sie wachte,
ihre Liebe hatte sie blühen machen, gewaltig und reif, und
soll immer blühen ... für einen anderen.
Der Frühling ist gekommen und meine weißen Rosen
haben geblüht. Doch eine Knospe wurde vom Sturm zer-
rissen und verging. Die andere wächst und blüht dem
großen Tagesgestirn entgegen. . . .
Jean-Jacques.
Elegie
von Georg Muthner.
für H.
Die andern können von sich ferne rücken,
Erinnrung werden lassen
oder gar vergessen,
was sie liebten.
Nur mein Blut kann nicht kühl werden
und Ruhe finden
und hält mich lang wach in der Nacht.
Gespenster toter Hoffnungen
stehn dicht um mich
und tun so als lebten sie noch.
10
Zwei Ausstellungen in Berlin.
1. Neue Sezession.
Gemäldeausstellungen und Künstlervereinigungen sind
wirklich keine Verkehrsvereine und Museen.
Kampfplätze, Schlachtfelder mit Toten und Verwundeten
wohl aber.
Eine Ausstellung, von deren politischen und polemischen
Betätigungen man gehört hat, verlor schon dadurch an Wert.
Was hier gezeigt wird, ist nur selten großes sieghaftes
lachen, selten nur elendeste Qual, selten nur verzweifelster
Kampf.
Viele Bilder begeistern; nur wenige erschüttern.
Nicht als Kritiker, doch wozu ist das nötig zu sagen,
spreche ich Worte.
Keine Erinnerung an Beate sollen diese Zeilen sein.
Wesentlich ist und hat zu sein: was übrig bleibt. Was
bleibt übrig? sagt und fragt Feirefiz.
Uebrig bleibt, komm Beate, setz dich zu mir und lasse
mich blaue Bäume und Wjälder in deinen Händen sehen.
Uebrig bleibt also: Morgner. Melzer. Schmidt - Rottluff.
Richter-Berlin-Friedenau. Laurencin.
Morgner, dessen Zeichnungen weit verinnerlicht den
Weg (die Bewegung) ahnen lassen. Vermuten lassen. Diese
Blätter, die nicht mehr schreien; winden sich in größter
Qual. Erschüttern. Greifen an das sogenannte Herz. Liegen
weitab. Zu diesem haben wir zu kommen: zu dem pro-
grammlosen Kampf, der noch nicht Revolution ist (oder:
doch schon?). — Der Geist, der überhaupt erst um seine Be-
rechtigung kämpft.
Melzer, nun Beate ... du kicherst? Lulus Beine ärgern
dich? Doch versprachst du mir, das Mirakel und den Katho-
lizismus, Tango und Schnepfendreck um Marie Laurencin zu
lassen. (Tango, Mirakel, — — und den Mond!)
Melzer, also läßt du mich über ihn sprechen, — —
Nein? . . . Gut! —
Nicht die Staffelei geht uns an. Die weit-wildwehende
Fahne des Schmidt-Rottluff bietet Blicke. Ahnungen. Glaube.
Hier ist der Wille so stark, daß — so stark, daß Beate
lacht. Lacht.
Leidenschaft, Temperament (als bürgerlich evtl, kon-
zessionierte Werte) reihen sich zusammen zu literarischen
Barrikaden, auf denen steht: Wert der Farbe.
11
So findet er unbewollt, bewußt Möglichkeiten der Be-
wegung. Der Bewegung in sich (im Rottluff).
Doch ist auch hier nicht „Kunst“-----
Nur steht ein Temperament wild aufgeregt fuchtelnd vor
uns. So lachen wir (Heilig).
Laurencin. Marie. Denkbar als die Geliebte des Picasso.
Des Schöpfers. Des Künstlers mit Wille und Kraft, Fähig-
keit und Kunst.
Das Mädchenhafte, Beate? ist Instinkt.
So muß es die Kultur in sich haben.
Denn es sind dies nicht Gegensätze.
Junges Mädchen; Marie Laurencin; Beate.
Das System des Richter-Berlin ist gestiftelt und nur
in höchsten Augenblicken wird es überwunden.
So das Porträt eines Polen.
Wenn das Pferdebild des Renoir (am Kurfürstendamm)
,gekonnt“ ist, so (kann Richter seinen Zirkus daneben-
hängen. — Lehrreich. —
Hier sind die Zusammenhänge aber vom Intellekt ge-
funden und so lehne ich dieses Bild ab.
Chaotisch plärrend ist Bengen. Dessen Pferdereiter nicht
zeitlos sind, vielmehr heutig dem Liebermann kitzeln dürften.
Ueber die Toten lachen wir. Als da sind: Kisling.
Stenner. Kubista. Dufy. Der Marmorhausdekorateur Cesar
Klein richtet Schaden an. Nicht durch sein Vorhandensein.
Durch seine Begabung aber. Die ähnlich dem Formtalent der
Berliner ist. Will sagen: dem zeichnenden Lyrismus der
— oih! wie beliebten Groteske.
Der Sturm des Herbstes war stärker. 1913 mein’ ich.
Da er uns Marc, Kandinsky, Kokoschka brachte.
Beate, nun ?
Der grünblaue Wald mit den bunten Tieren piekte in den
lächerlichen Abendhimmel.
2. Alfred Kubin.
Dieser stellt Zeichnungen aus.
Blätter, die so schreien, daß wir zweifeln.
Weiter aber, weiter;
Er, der Philosoph der Groteske, der nur jung ist, so
er jugendlich schafft.
Er, der das seltene zeigt, auf zwei Seelen zu springen.
Auch seine Phantasie, die das Grauen überschwimmt, durch-
brückt, dessen Phantasie losgelöst von Plänen nur ideellen
Einfällen hört.
Er, der Nichtmehrironiker hängt die Schwangere an den
Galgen.
Der verhaßte Rhythmus wird von der Konzentration
überwunden. Bis Kubin der Künstler sich verpflichtet meint,
ein Mensch das Chaos zu erreichen.
Da er der Romantik gehörte, erwuchs er von uns.
Er, der über Poe zum hübschen Ewers kam, weiter aber,
weiter Dostojewski uns sehr gut mit Bildern erschuf, steht
in Sansara ;e*in Mensch, jein Chaotiker, ein wissender Phantast.
Seine Originalität besteht in dem unerhörten Ausdruck
des Wollens.
Schaffend vertieft er sich. Sprung in das Groteske. Phi-
losophierend.
Kalt platzt er Körper, indem er Linien und Flächen auf
ihn konzentriert.
Bei alledem: Kubin ist nicht visionär und keine Revo-
lution.
So es die Aufgabe des Künstlers ist, das Chaos wieder-
zubringen, das der Intellekt zu ordnen suchte, bleibt übrig:
eine Seele, eine Phantasie, eine Begabung.
Doch sollte uns das nicht vergessen machen: ihn, Kubin,
den Ueberwinder des verhaßten Rhythmus. Dieser ist ein
Künstler, schon dadurch, daß sein selbst schafft.
Er, der diesem Genießen zwar kein Radikalist bleibt;
— Lebt im Pathos der Phantasie. Als menschlicher Mensch
— und kein Schmock.
Fei r efiz.
Kosmisches Ereignis.
Von Akmar Erich Günther.
Prasseln Finsternisse gegen Hirn,
Salzig spröde bröckelt das Gestirn:
Aufgetan zur leeren Sterbestunde
klafft der Tag;
Seine Wunde
rafft in Sturz und Schlag.
Sandige Vergessenheiten
Hügel ohne Gras; Gebeine
flattern in das Ungemeine.
Es gleiten
— fast entfärbte stille Herde —
letzte Schmetterlinge an die Erde.
Abschied.
von Jean Jacques.
Du fuhrst dahin. Der Abend blutete sein Lied.
Die Ebenen sangen korndurchwogte Hymnen
auf das letzte Licht.
Der Zug — o Schlange mit den vielen Wagen —
durchbraust den Weg aus Eisen.
Und Du bedauerst, was nun hinter Dir
ein nächster Tag erlebt.
Impression romaine.
von Jean Le Hogh.
Sybille Kuehn, der großen Geberdenreichen hinter Maske
und Schleier zu eigen.
Ich wandere mit träumender Geberde
Durch Borrominis Hain; von jedem Ast
Stürzt sich der reifen Früchte goldne Last
Wie Sapphos honiggelbes Haar zur Erde.
Der Aether flimmert fast perlmutterfarben,
Und drüben, wo mit silberweißem Kies
Das Meer sich dehnt gleich einem blauen Vließ
Sprühen mitunter blanke Perlengarben.
An dem von Lilien überblühten Grabe
Der Villa des Lucullus singt ein Knabe
Mit rotem Munde Verse des Ovid . . .
O Gott, gib angesichts der Endlichkeiten,
Daß diese Stunde, reich an Süßigkeiten,
Nicht wie ein seltner Traum vorüberflieht.
Kleiner Briefkasten.
Angebliche Jesta Nielsen: Warum melden Sie
sich gar nicht mehr? Wir hatten grade jetzt eine feste
Anstellung für Sie mit kostenloser Verpflegung und aller
Fürsorge.
Feirefiz: Ei wer tommt denn da?!:?
Friedrich Hollaender: Prag ist auch eine Stadt,
und die „Neue Jugend“ kein böhmisches Dorf.
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Porträtzeichnung
Erna Plachte
Weltuntergang.
Straßen hasten in wirren Kreisen um Säule und Turm.
Stürme werfen sich zwischen die Häuser, zerren alles Zer-
streute zusammen, bringen von jedem Ding mein Teil zu-
rück. Hinter mir zerfällt alles rasch zur Wüste und toten
Staffage. Es wirft mich vorwärts von Platz zu
Platz. Ich fühle mich schon Kosmos werden.
Da stürzt sich jäh Sturm auf Sturm. Ich umklammere
Dich. Du bist ja nicht mehr fremd, bist Ich. Ein
Wirbel reißt uns jäh empor zwischen letzten Fetzen von
Wolken. Zu höchster Steile spannt sich die Spirale über
allem Untergang der Welt. In das zerbröckelnde, verfallende
Graue unter uns jagen wir einen wilden Strahl. Eine kleine
Flamme zischt auf und verglüht rasch ohne Asche. Es
ist nicht oben und unten mehr. Kein Auge hebt über uns das
Lid. Kein Ding ist irgendwo, an dem wir erwachten. Welt
ging unter. Glühend sind wir einsam verschlungen in aller
Unendlichkeit.
Rudolf Bö r sch.
Fiametta.
Ich verstürme in tonlosen Wirbeln mich,
rase Flammenglanz um deinen Schritt.
Ach! Dein Blut ergießt in meine Adern Bläue.
Ach, dies unerhörte, neue
sich in andre Pflanzen!
Palmen stehen dicht in bronznen Kübeln.
Meine Sehnsucht ist zu enge Fessel,
wirbelt Blick in Blick \
wie Sonnentuberanzen.
O, wir sind zwei wilde Pflanzen,
eng umklammert, dicht verwittert und verwachsen,
Fühlst Du unsre Stämme brechen?
Licht verzagt in Wolkenfinsternissen
Sturm peitscht wilder unsre Blätter!
Nein, wir wollen keine Retter,
Wenn in letztem Kampf wir jäh verflammen.
Rudolf Börseh.
Kritisches Tagebuch.
1.
Der Dichter — umgewandten Blicks — erkennt, daß
ihm von Redaktionswegen zeitweis die Entscheidung über
bös und gut obliegt. Seine angebrannte Zigarette, die ihn
in die entlegenste Welt des Wachtraums zu entführen eben
nn Begriff war, wird von rücksichtslosen Fingern zerstört
und fortgeschmissen. Die Gedanken werden einzeln zu-
rückgeholt. Denn wo sind sie? Rede, Wachtraum. — Und
doch, lieber kein Erinnern. Wir sind zwei Welten.
O — Li —! Man sehnt sich nach den Bergen! Denn
— weiß der Teufel! — die Sonne kitzelt einen in die Höh.
Man ist nicht Bürger — man spräche sonst: „Der Mai ...“
Aber man ist Dichter. Zum Henker — wahrhaftig. Also
rurück.
Wo beginnen?? Sagen wir —
(Eh man wieder im andern Geleis ist!! O Li —!)
2.
Sagen wir —: Deutsches Künstlertheater. Hier trat
ein kleiner Rheinländer vor die Rampe, fand in irgendeinem
ermunternden Zuruf ein Recht des Verneigens. (Wie ich
nun einmal bin, packt mich grause Lust, das Publikum zu
kritisieren. Aber ich soll ja —
Man sah nämlich da Leute, also Leute, ... Ich soll ja
aber — Herrgott! — das Stück . . .
Gut. Zurück. Nämlich es heißt: „Schneider Wibbel“.
Historischer Ausschnitt ohne Anspruch, es zu sein. Ein
Beitrag zum Napoleonismus? Nein. Ein Kulturholzschnitt.
(Ein Kulturchenholzschnittchen.) Die personae, als da sich
tummeln: ein Schneider, Gattin, zwei Gehilfen, Freunde
und dergleichen —, laufen ganz nett und lustig daher,
reden ganz gut distanziert, sind am Ende ganz amüsant.
Hier ist wohl auch das Wesen und die bescheidene Absicht
des jungen Autors Hans Müller-Schlösser: il est amüsant,
parfaitement. Dabei etwas Sympathisches. Mitten drin im
schönsten Drauf-los-fabulieren, ganz ohne Wollen und
Suchen, taucht er ein Sekundchen unter die Oberfläche,
die Farce wird Satyre (Begräbnis-Bild), es wird was tieferes
gesagi. Augenblicklang zieht der Verfasser den linken Mund-
winkel hinunter. Drauf beide wieder in die Höh. Die
Satyre kippt um, wird Behaglichkeit, wie vorher.
17
Es gibt noch einen schwachen letzten Akt (schade!).
Hans Müller-Schlösser ist die Puste ausgegangen. Es gibt
einen üblichen Pointenschluß (schade; hätte M.-Sch. nicht
nötig. Hat eigentlich guten Geschmack —), also — wie
gesagt — einen Pointenschluß, das heißt: etwas, worauf
das Publikum noch schnell wartet, um in der nächsten
Sekunde befriedigt lächelnd zu den Garderoben zu hasten.
Die Aufführung erfreulich. Die Regie — lobenswerte
Ansätze Grunwalds zum Charakterisieren. Tiedke heftig
komisch („Tot sein ist schrecklich —“), Senta Söneland
ab 12 Uhr Lindenkabarett; zu nennen noch: Der Spieler
des Mölfes und die Bänkelsängerin Hopp-Majänn. Hans
Marrs heiteres Asthma. Punktum. Das Publikum verhielt
»ch sehr-------, man verlangte stürmisch . . ., das Deutsche
Künstlertheater hat jetzt sein . . ., ... ihm wirklich zu
wünschen war. So.
3.
O — Li! Nämlich es ist ein Verbrechen, mich mitten
im Frühling zum Kritisieren zu zwingen. Aber ich weiß,
was ich tu. Hinaus zum „Neuen See“. Im Boot lang aus-
gestreckt liegen, die Stangen eingezogen, Augen fest zu,
Sonnenwellen auf den Lidern. So durch alle Buchten hin-
durch. Kennst Du das? Libellen am Bootsrand (diese feinen,
graziösen Tiere!), ein Fähnchen am Steuer, Musik irgendwo
in der Luft —
Neulich so. Spürte ein Boot so traumhaft an dem
meinen vorübergleiten. Lag wer wie ich lang auf dem
Rücken.
Ich: „Ahoi!“
Stimme (ganz leise): „Gruß —“
Das war unendlich. —
4.
Man hat mich verdammt, hier Kritiken zu schreiben.
Es bleibt nichts übrig. Der Dichter reibt sich die Augen.
Dadurch erwacht er nämlich, das heißt — er dichtet nicht
mehr.
Erwähnenswürdig: Das Mirakel. Der Zirkus Busch ver-
leugnet die Clownerie seiner Berufung, reinigt sich, wird
Amphitheatron, wird Kathedrale. Wenn hier die Nonne
Megildis auf ihrem Lasterweg vorüberzieht, und wir mit-
fühlend, mitschauernd, mitergriffen Raum und Vergangen-
heit vergessen, liegt diese unsagbare Sinnentrückung in zwei
18
mal zwei Händen, die dies Werk schufen. Engelbert Humper-
dinck und Max Reinhardt. Es sind zwei Ewige. Damit wäre
schließlich alles gesagt. Man durfte es fühlen, um es zu
erleben. Das Mirakel ist ein ungeheuer Rausch. Das ganze
atmet heiligste Notwendigkeit. Geht hin — alle — alle, —
fühlt! Dies sei ein Wallfahrtsweg für die Einsamen.
5.
Was ich euch aber das nächste Mal im Genauesten
und Feinsten bespreche; ist die Musik von Engelbert Hum-
perdinck.
6.
Mehr gibt es nicht zu reden. Das ist wirklich vorteil-
haft. Wenn eine Stadt nur immer zwei Stücke gebiert, an
denen wahrhaftig ein Strahl Schönheit hängt, ist sie über-
reich.
7.
Am „Neuen See“ soll seit gestern ein Schwalbenpaar
sein Nest bauen. Sie sagen, es sei auf der kleinen Insel.
Sitz ich wirklich noch hier, Worte schmieren? Hinaus!
Sehen, ganz von fern zuschauen, wie die beiden kleinen
ihre Sommerhäuschen fertigen. Ich wette, der Schwalben-
mann trillert die herrlichsten Lieder und tut das meiste
beim Nestbau — Die Schwälbin — die liebe — sitzt glück-
selig und blinzelt das Männchen verliebt an. Und macht
sie dem rastlosen Gatten nicht damit das schönste Ge-
schenk??!
Ich muß doch gleich hin, es anschaun!
O — Li!--------
Friedrich Hollacnder.
Klabund.
Von Feirefiz.
Neben Alfred Lichtenstein wäre das Wedeenkelkind
Klabund zu nennen. Auch er; gleichfalls ist den Weg zum
neuen Stil gegangen. D. h.: Im Ringen um den (neuen)
Ausdruck haben sie Möglichkeiten des Chaos entdeckt.
Tausendfach gebärt es sich nun dortan. Zerebrale Kraft
der Dirnen und Accumulatoren reigen sich mit negerhafter
Groteske; verdrehen sich zu Windbeuteln und Ironisken.
Allein unsere Zeit ist von ihm analytisch gerissen. Die
gedanklichen Fernen sind gefühllos (übersentimental!).
19
Phantastik erwächst zu kreischem Grauen; zu Fragen;
iu Realismen; zum Schrei.
Der Ausdruck des Klabund ist dem Expressionismus des
Feininger (Lionel) verwandt: Transformation; Gestaltung,
Hierbei tritt naturgemäß realisierende Verkitschung ein;
die (eben) begründet ist: Klabund.
*
Wohingegen es sich zeigte; daß Klabund viel zu viel
zu essen hat. Denn er produziert: Lyrik, Groteskenbände,
Dramen usw. — —
Wenn er wieder hungert, soll er was von sich hören
lassen. Bis dahin soll er untern Strich gehen.
Drei Gedichte
von Bess Brenk-Kalischcr.
Schöpfung.
War einsam
Barg seine Träume in Nacht.
Und einmal zwang er sie zur Gestaltung.
Erkannte, wandte sich
Barg seine Träume in Nacht.
Du.
Wie fühlte ich mich tief,
Neige Du Deinen Kelch,
Dringe.
Die sieben zitternden Hüllen
Litt ich um Dich
Du.
Lu ci f e r.
Die Schrift erblich
Dies einzige Mal.
Lucifer drang in die Tiefe.
Nun trägt er durch Gestirne
Den Traum des doppelten Tages,
Die Abkunft des Sohnes,
Sein.
20
A «V -
Die Barmherzigkeit des Propheten.
Die Sonne brannte durch Dämpfe, die aus dem dröh-
nenden Berg gerissen braun verwehten. An einen schatten-
losen Felsen hingewurzelt, schlug Moses die Täler seiner
Erkenntnis und seines inbrünstigen Wissens von Gott in
steinerne Tafeln.
Und Gott schrie seine Gewalten gegen den Propheten,
daß er erzitterte. Aber er grub sich fest an den Felsen,
schleuderte seinen Eifer auf die Tafeln und band sich zu-
sammen. Krumm fuhr er in die Leidenschaftlichkeit seines
Willens nieder und bog seine Gedanken zu eisernen Riegeln.
Seine Kniee bluteten von den Steinen, auf die er sich
niederstieß, um anzubeten; die Wildheit seiner Liebe warf
ihn der Offenbarung hin, daß er Mund Gottes würde. Das
überfiel ihn wie Schrei Sterbender, unausweichlich.
So wurde er durch alles menschliche gerissen bis es
ihn fortnahm zu 'seinem Volke, daß er sich auftäte und
.seine Seele vor ihm blute.
Wo der letzte Fels sich abwarf in die Wüste, sah er
die gelben Zelte hocken; das Volk aber hatte sich das
Bildnis eines Stieres gegossen aus seinen Kostbarkeiten,
denn es hatte Moses vergessen.
Da ergrimmte Moses über seine Einsamkeit, sich preis-
zugeben den Tanzenden und seine Stille schwoll zornig
gegen die Singenden. Es riß ihn auf, da er ihre bunten
Kleider sah; sein Wille zersprang und er schmetterte die
Tafeln seines Glaubens an den Fels, daß der Schiefer ent-
blättert brach.
Aber als die Sonne grell auf das Gold des Stieres stach
und die Inbrunst der Gesänge sich klammerte an das Bild
und rang um kargen Sinn, erkannte Moses die Ungeduld
des Volkes, sich hinzugeben und fromm zu sein. Und als
die Frauen die nackten Arme gegen den Altar flehend
stießen, sah er ihre weinende Armut vor Gott sehr demütig
ausgebreitet.
Da erbarmte er sich der vielen Fremden und hob seine
Schwere zum Berg hinauf, um seinen zertrümmerten Gott
wieder zu suchen.
Aber er fand in dem verglimmenden Brand seiner Seele
nur noch Gesetze.
Akmar Erich Günther.
21
Das schwarze Revier.
Schwarz und ungeheuer recken sich trotzige Arbeiter-
silhouetten vor dem unruhigen Blenden großer Bogenlampen.
Und das monotone Geräusch der Fabriken, Hochöfen und
Bergwerke gibt den Hintergrund zu den Stahlgebilden ausWort
und Reim, die Paul Zechs Flugblatt „D a s schwarze
Revier“ (A. R. Meyer, Berlin-Wilmersdorf) enthält.
Man denkt zurück an Zolas Germinal. Zola war einst
durch sein Mitleid und die stürmische Kraft seines Dichter-
temperamentes hingerissen worden zu der breitströmenden
Wucht seines Epos, das, eine flammende Volksrede, alles
zeitgenössische Empfinden aufwirbeln sollte, ja schließlich
einen Idealstaat ermöglichen. So mußte Zola, trotz all seiner
künstlerischen Kraft, als Eroberer eines ungeheuerweiten
Neulandes, viele überlieferten Werte zerstören. Kunst und
Tendenz gärten wild durcheinander.
Heute hat sich das Bild verschoben. Das Milieu, das
früher selbstherrlich in den Mittelgrund trat, und, unge-
staltet, alle Gestaltung duröhbrach, ist nun Material ge-
worden, aus dem der Künstler sein Werk formt. So konnte
Paul Zech die Gedichte seines „schwarzen Reviers“ in die
knappe Form des Sonnets spannen. Denn hier ist die Ten-
denz verschwunden, die den Hörer zum Mitleid und zur
Empörung entflammen sollte, hier handelt es sich nur noch
darum, ein Kunstwerk möglichst hoch hinaufzurecken. Aber
wie veränderte sich dadurch die so harmonische Form des
Sonnets, in die vergangene Dichter ihre Liebe kleideten.
Kantige Klötze sind daraus geworden, hart und starr. Man
fühlt im Rhythmus der Verse die herbe Landschaft des
Ursprungs. Die vernichtende Schmucklosigkeit der Fabrik-
gebäude, der unbeugsame Trotz aufrührerischer Arbeiter-
gesichter und die Katastrophen, die wie ein Schicksal jäh
über die Menschen hereinbrechen, prägen sich in Verse
Paul Zechs aus und geben seinem Sonnet neue Monumen-
talität. Nicht das Mitleid hat diese Gedichte geboren, son-
dern das Erlebnis. Darum wirken sie so unmittelbar wahr
und doch so einheitlich gestaltet.
*
Inzwischen erschien im Verlag der weißen Bücher ein
neuer, umfangreicher Gedichtband Paul Zechs : „Die eiserne
Brücke“. Dies Buch ist eine schöne Erfüllung der Hoff-
nungen, die „das schwarze Revier“ erweckte.
Otto Erbe.
22
1 Schriftleitung: —
Rudolf Börsch u. jean Jacques.
Vertretung für Oesterreich-Ungarn:
Friedrich Hollaender, Prag.
Künstlerische Ausstattung: Hei-Bar.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Viertes Heft. Juli 1914. Erstes Jahr.
Dem Dichter Frank Wedekind!
Aufreizend und unheimlich leuchtet das zerklüftete dichte-
rische Antlitz Wedekinds mit der unwahrscheinlichen Grelle
einer Vision in den Trott des Alltags und weckt aus dem'
Halbschlaf.
Er ist Mahner und Prophet, der gehört werden will,
der immer wieder alle herbeiruft, sie zu erschüttern.
( . v • ■
Aus der Dissonanz von Kultur und Willkür, aus dem
Schmerz der Anspannung zwischen diesen beiden Polen
entspringt sein Werk. Weder im Zerreißen noch im Zu-
sammenguß findet er Erlösung. Der Kampf zwischen dem
kalten, klugen, berechnenden Menschen und den „wahren,
den schönen, wilden Tieren“ kehrt immer wieder. Aus
seinem Zirkus hetzt er sie in unsere raffinierte Zeit, die
nur noch die überreizten Sensationen gesteigerter Nerven-
anfälle kennt. In diesem Kampf ringt Mensch mit Mensch,
Blut spritzt, und Helden stehen auf.
Wedekind ist etwas anderes als nur eine geniale dichte-
rische Persönlichkeit, die sich und unsere Zeit zum Kunst-
werk zusammenreißt. Mehr als Flugzeug und Kino ist er
ein Stück des Heute, unzertrennlich mit ihm verschweißt.
Seine Helden, von der naturalistischen Bühne unend-
lich weit entfernt, stehen, grotesk und doch unwiderleglich,
dicht vor uns gleich monumentalen Marionetten. Sie haben
3
die Einfachheit und Ueberzeugungskraft von Paradigmen.
(Darum nicht zuletzt halte ich die Marionettenbühne für den
gegebenen Aufführungsort Wedekindscher Dramen; hier
kann jedenfalls nicht die Hysterie einer modernen, an Ibsen
geschulten Schauspielerin die grandiose Geschlossenheit der
Lulu in kleine Raffinements zersetzen.)
Stählern, wie seine Figuren als ungeheure, erschüt-
ternde Symbole unserer Zeit ragen, bauen sich die Gefüge
der Dramen Wedekinds auf. Es sind keine mühsam-klassi-
zistisch verknotete Handlungen. Ihre Notwendigkeit ruht
nicht in einer komplizierten Konstruktion, sondern allein
in der eigenen Schwere, die Geschehnis auf Geschehnis,
Akt auf Akt sich sicher zur Höhe türmen läßt.
Verwirrend und unheimlich ist das erste Aufleuchten
der Dramen Wedekinds. Tragik, Komik, Zynismus, Ironie
und Groteske stehen so dicht nebeneinander, daß es scheint,
als stritten sie vergeblich um die Kunst. Ein unruhiges
Flackern geht hierhin und dorthin. Aber aus dem Genie
dieses Dichters wächst es doch immer wieder zur Einheit
und Größe: Und die verzerrte Maske leuchtet starr und
grell auf über Widerspruch und Wirrsal.
Es mag mancherlei einzuwenden sein gegen das Ziel,
die Weltanschauung und die Dichtung Wedekinds; aber
es ist wichtiger, begeistert zu sein, daß ein Dichter endlich!
wieder wagt, eine Weltanschauung zu haben und für sie bis
zum äußersten zu kämpfen.
Heute zu sagen „meine Weltanschauung ist
wichtiger als meine Kunst“, heißt Heros sein.
Und Wedekind, :an dessen bisherigen Werkes Ende Sim-
s o n stolz und unerschütterlich steht, verharrt im Kampf,
trotzdem der Pöbel seine Lehre verhöhnt und der Neid
kleiner Literaten an ihr und seiner Dichtung mäkelnd
herumhackt.
Wenn auch der Philisterfürsten so viele sind, daß Simson
sie nie ausrotten kann, er bleibt der Stärkere und später
singt der Pöbel seine Lieder.
Rudolf Börseh.
4
i
FRANK W.EDEKIND ALS QARL HETMAN
Zeichnung von C. Manasse.
5
Frank Wedekind als Schauspieler.
Frank Wedekind als Schauspieler.
Dem Karl Hetman Wedekinds.
Er kommt, schwarz, auf die Bühne. Seine Augen sehen
geradeaus. Er hat die feindliche Ruhe eines, der sich
auch angegriffen wähnt. In ihm ist die größte Kraft: Der
Wille zum Glauben. So geht er, ein ganz Großer und doch
Kleiner, ein „Zwergriese“ durch sein Werk Hidallah.
*
„Sämtliche Prügel, die mir die Presse für meine Schau-
spielerei erteilt, gebe ich ungeschwächt und ungemindert an
den heutigen deutschen Schauspielerstand weiter, der sich
seit Jahren als ungeeignet erweist, die Werke der heute
in Deutschland aufstrebenden Dramatiker zur Geltung zu
bringen.“*) Seien wir ehrlich: Er vergißt Bassermann und
Wegener. (Nicht Moissi, den Sänger!) Da Wedekind noch
nicht so viel gespielt wurde, wie heute, war ihm, seinem
eigenen Schauspieler, das Auftreten eine Notwendigkeit: ein
Kampf. Und das ist es: Warum wird er nicht bewundert,
wenn er kämpft, wenn er, eine Anklage gegen achselzucken-
den Snobismus, ein Krieger, auf der Bühne steht; als einer,
der, vielleicht deswegen so verzweifelt kämpft, weil er fühlt,
wie wenig er sich geben kann? „Wedekind ist immer der-
selbe“, sagt man. Ist es nicht falsch, eine Erinnerung, eine
Voraussetzung, über die Impression an sich triumphieren
zu lassen? Wagner, Ibsen, Nietzsche: alle kämpften. Und
kämpft Wedekind einen Don Quixotte-Kampf ? Er kämpft
gegen eine andersgesinnte, nur leidlich verstehende Tages-
presse — es gibt Ausnahmen —, die ihm — womöglich —
einen Moissi entgegenhält. (Sie bekäme es fertig.) Gewiß:
Manches liegt Wedekind nicht: Warum spielt er den Oog
von Basan und nicht Simson? —
Man meint: Wedekind sei ein Rhetoriker; alle seine
Rollen sind voll doktrinärer Reden: Hidallah. Aber seien
wir offen: Wir lauschten gebannt einer klaren Stimme, die
das Wort, schon gesprochen, noch durch einen leisen Nachton
*) Wedekind, Glossarium. Georg Müller Verlag.
f i ;
runden will, wir hören eine suggestive Stimme voller Glau-
ben, voller Kraft: wir hören ihn; andere sehen wir.
♦ *
♦
Wedekind steht als Karl Hetman im Vorzimmer des
großen Saales, bei dem er seine Rede, seine selbstmörde-
rische Rede halten will; Fanny stürzt herein; es kann
beginnen. Da sehen wir, wie er, der Rhythmus des schrägen
Vorstoßes, seine Arme gegen Launhart steuert; alle seine
Muskeln beben; wir ahnen eine Anspannung ohnegleichen:
wir sehen ihn, den Willen und den Glauben, hinausstürzen.
Der Zirkusdirektor will ihn als Clown engagieren. Het-
man sitzt am Tisch; er hört das Anerbieten; seine Augen
starren irgendwohin; seine Hände krampfen sich ein Buch,
zerknittern es, lassen über sein Gesicht gleitend die Flut
seiner Verzweiflung, seiner Ohnmacht in den Saal
rauschen. —
Wir vergessen ihn nicht: Wedekind den Schauspieler.
Jean-Jacques.
Frühlingserwachen.
Gedanken eines Fünfzehnjährigen.
Ich halte Frühlingserwachen für das weitaus beste Stück
Wedekinds. Uebrigens will ich durchaus keine Kritik schrei-
ben, sondern nur meine Gedanken und Empfindungen dar-
legen. Ich glaube auch kaum, daß meine Ansichten in
irgendeiner Weise originell sein werden, aber ich habe sie
tief empfunden.
Am meisten hat mich immer die rührend - hilf-
lose und unsichere Person des Moritz Stiefel ge-
fesselt. Hier hat Wedekind in eigentümlich packen-
den und doch in technisch einfachen Zügen die Gestalt eines
aus dem Kindheitsschlaf erwachenden und nun mit staunen-
den Augen ins Leben blickenden Knaben gezeichnet. Und
wie wunderbar alle diese kleinen Einzelheiten sich zu einer
Einheit zusammenfügen, das kann nur der beurteilen, der sich
selbst einmal zwischen 14 und 15 Jahren beobachtend ans
Leben geklammert hat.
Eine Klippe ist dieses Alter für jeden.
Jedenfalls, dieses Wundern und Nicht-Fassen-Können und
Suchen und (schließlich Verzweifeln einer unverstandenen
und ungeleiteten Kindesseele hat Wedekind ergreifend ge-
7
staltet. Und daß das Einwirken der ersten unklaren Ge-
schlechtsregungen sowie die in jenen Zeiten besonders star-
ken ausschlaggebenden Schulpflichten, von denen Moritz sehr
abhängig ist, schließlich den wirklich tief veranlagten, aber
ohne die nötige Leitung in rein menschlichen Dingen auf-
gewachsenen Knaben in den Tod treiben, ist erschütternd
unabänderlich. Und wie rührend ist seine jedem jungen
Menschen schmerzliche und doch wieder aufbäumende Re-
signation vor seinem Tode: „Es hat etwas Beschämendes,
Mensch gewesen zu sein, ohne das Menschlichste kennen
gelernt zu haben.“
Weniger stark Umrissen scheint mir die Gestalt Melchiors.
Dieser frivole, glänzend talentierte Junge, der selbst die Ge-
schlechtsregungen nicht so intensiv und tief empfindet wie
der in seiner Art viel sensiblere Moritz, sondern sich über
sie, mit dem Bestreben, sie möglichst auszukosten, hinweg-
setzt; ist gleichsam verkürzt gesehen, etwas schief.
Die Ansicht, daß sich ein Jüngling, und zwar ein be-
gabter, in dieser Weise über die Probleme seines Lebens-
alters hinwegsetzen kann, und sie ohne tiefere innere Kämpfe
hinter sich wirft, ist zwar sehr idealistisch (Typus des
blondäugigen Siegfried + schnoddrigem Tauentzien-Schieber)
aber . . . aber (: . . Nur die Art, wie er Wendla in Besitz
nimmt und nachher doch nicht für die Folgen einer augen-
blicklichen Laune mit dem Leben büßen will, das ist nur
zu wahr. — *
Und, wie wunderbar zart und feinfühlig die ersten Szenen
— die Gespräche zwischen Melchior und Moritz — im Walde
sind! Melchior zunächst überlegen, geistreich, dann natür-
licher, schließlich voller Scham, die er hinter altklugen
Redensarten zu verstecken sucht, Moritz von Anfang an
schüchtern, schamhaft. Hier zieht ein Dichter ganz zart
und fein die letzten Hüllen von scheuen und verängsteten
Knabenseelen.......
Ich bin nicht alt genug, um Wendla verstehen zu können.
Das können nur junge Mädchen (aber keine teutschen) und
an ihnen ist es, ihre Gedanken und Empfindungen darüber
^auszusprechen.
Frühlingserwachen hat die schönsten und tiefsten Ge-
stalten aller Wedekindschen Dramen.
Ernst Reich.
8
Föhn-Nacht.
Von A. E. Günther.
Fahrt Nebelstreif um Bergkulisse,
stößt Sturm die Schatten der Kypressen;
Mondlicht braust über den See.
Aufschauend in verglasten Turmgelassen
hocken die Magier, kreischen Sprüche, deren
Worte flackernd stehn.
Und die Verzauberten in dem Orangengarten
sind fast verkauft, sich nicht mehr zu gehören,
weil Schreie eines unbekannten, harten
Willens in ihnen Geister aufzustehn beschwören.
Und dann beginnen sie den stillen Tanz der Irren,
um den verwehte Fledermäuse schwirren,
indes im Turm zu solchen Späßen,
die Alten lärmen mit den kupfernen Gefäßen.
Gebet.
Die Erde stieg rastlos aus dem Nebelzug, und mit leisem
laufendem Klingen schwangen schwere Töne laulend näher,
kaum hatte man sie gehört, waren sie schon weiter. Aber
immer neue stürzten heran, sie schwollen an und ab, auf
und nieder durch den Raum. —
Bald war jeder Ton verklungen und es kam einem so
vor, als ob die Natur ihren Rythmus von dem Getön hätte
verschlingen und mitreißen lassen; nichts regte sich und
klatschte man in die Hände, gab es einen hohlen Schall. —
Koloßähnlich starrten die Spitzen der Tannen auf, wie
riesige Tempel von nebelhaften Säulen getragen. Und dort
wo die Eckpfeiler zu stehen schienen, schwamm ein Christus-
bild vom Nebel in die Höhe gerissen. —
Leer war das Feld und verlassen die Straße, die sich
durch den Nebel dem Auge grau entzog, als ein Laut
den Bann zerstreute und die Stille durchbrach, denn unter
dem Kreuze klang’s: „Und vergib uns unsere Schuld, wie
auch wir vergeben unsern Schuldigem!“ —
Doch auch dieser Ruf verklang und bei jedem Sehnen
nach dem eben verhallten kam ein neuer, um auch gleich
wieder als alt zu verschwingen. Und so ging es fort, bis
die Natur ihren Schlaf gefunden hatte.
W. Hei nie.
9
Stimmungen.
Der Nebel rollte über die Häuser und überschüttete
die kahlen Bäume mit seinem feuchten Staube, der sich an
den Zweigen in Fetzen zerriß, um dann wieder zu einer
einzigen kugelnden Masse zusammenzufließen. Dies war
einige Tage vor dem Frühlingsanfang. —
In einer Stube hing an der Wand ein großer bunter
Kalender und an ihm sah man es geschrieben, wann das
Frühjahr wieder einsetzen würde. Noch saß man hinter be-
schlagenen Scheiben am bellenden Ofen und rang danach,
in sich die Schranke zu öffnen, welche eine freie Bewegung
draußen verlangte. Mancher versuchte es doch, aller Kampf
wurde gebrochen, und willenlos traten sie wieder in die
Stube, deren Licht sie gipsern umschloß. Es war Früh-
lingsstimmung. —
Bei allem diesem Druck, der auf den Menschen zu lasten
schien, hörte man bloß eine alte Frau, im Winkel hinterm
Ofen, eifrig Gebete hersagen, die nie zu enden schienen;
ganz gleichförmig, wie das Rauschen eines Baches
über kleine Steine fließt und dessen Laut auch nie heiser
ausklingt, so surrte der Faden des Gebetes durch die
Stube. —
Er paßte gar nicht hinein, und man konnte kaum ver-
stehen, wie er sich unter dieser Schwere fortbewegen konnte.
Dies hatten auch schon alle im Zimmer gefühlt, denn plötz-
lich sprach der Vater des Hauses zu der Frau hinterm Ofen:
„Mutter, willst Du jetzt nicht lieber still sein, spar Dir doch
besser das Gebet bis zur nächsten Wallfahrt auf.“ Nun
schwieg die Frau, der Druck wurde immer schwerer, doch
dachten alle an die nächste Wallfahrt; und dann war es
Frühling.....
Ein langer Zug zog wallend durch die grünen Felder in
schwerem Schritt; aber bald, wenn er näher herankam,
fragte man sich: „Wo ist denn der Ernst, wo die Festlich-
keit?“ Sie waren beide nicht da, denn unter dem Mantel
der Feier sich zu bewegen ohne zu wollen,, ist etwas Un-
freiwilliges, und genau wie man die gezwungene Schnür-
falte am Leibe der Frau durch die Kleider sieht, sio sah
man hier die Lust zur ausgelassenen Bewegung in jedem
Gesichte hervorleuchten. Man schien sich, während man
Gebete sprach, zu fragen und zu sagen: „Ist dies nicht
wieder wie in der dumpfen Stube? Dort mußten wir auch
10
sitzen ohne los zu kommen, und hier müssen wir Bewegun-
gen machen, die wir gar nicht wollen.“ —
Bald kam das erste Marienbild und alle knieten nieder
und beteten: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns,
auch in der Stunde unseres Todes. Amen!“
Auch hier gab es niemand, dessen Kraft so groß ge-
wesen wäre, das Tagewerk in seinem Geiste schwingen
zu lassen und so mußten sie weiterbeten, bis das vollendet
war, was sie nicht ändern konnten.
W. Heinle.
Manifest des Willens.
I.
Nach dem Winter, der die Jugend tiefinnerst keimen
sah, atmen wir; recken uns hochauf und reichen tausend
Hände der unterdrückten Siegern.
Unser Sein zu erleben, Werte zu schaffen und weiter
zu kommen, sind wir gezeugt worden.
Wir verhandeln nicht mehr in Schlagworten, und das
Leben der Literatur haben wir hinter uns.
Zu dem Erahnen und dem Willen der letzten großen
Dinge kommen wir nicht durch Geschrei, Pathos, subalterne!
Begeisterung, Religiosität; weder die Revolutionspose noch
die Geste der Weltmänner besteht mehr für uns.
Ernst und froh schreiten wir.
Wir wissen, daß wir in einer Welt leben, die wir durch
Verneinen nicht stürzen. —
Wir leben am Anfang einer großen Zeit, die den Men-
schen von Kranksein zur Iristinktgesundung führen wird
und weiter hoch hinauf wie wir es jetzt kaum ahnen.
Unsere verfaulte Welt, die weder Kunst genug besaß,
Menschliches zu schaffen, noch Größe und Liebe, die Natur
zu sehen, wird von uns wachgerufen und aufgerüttelt werden.
Wir werden scharf scheiden zwischen Intellekt und Seele,
wissend, daß Fleischliches seinen Geist hat.
Wir schauen den Menschen.
Wir ahnen den Gott.
Wir fanden unser Ich; und sind uns dessen bewußt.
Nicht denken wir an aktuelle Politik. Das Jugendliche in
uns ist nicht der Weg sondern die Bewegung.
Jede Halbheit sehen wir. Lachen. Nicht ist solches
11
Grausamkeit: der Hohn, der den Willen und den Glauben
kündet. —
Frei von Sentimentalität und Romantik sehen wir das
Große und Schöne in den Schöpfungen.
Menschen ragen wir in der Pracht der Tage und
Nächte.
Und wir wissen um die Kunst. Das wilde Erschüttern
einer Leidenschaft reißt uns fort. Und hingegeben sehen
wir die Künstler, über die ihr Werk hinaus wuchs.
Klein wähnen wir uns in den Augenblicken der größten
Erhebung, wenn wir zum Gotte finden, wenn wir um
die heiligste Stunde kämpfen.
Die Zeit treibt uns durch tiefste Läuterungen, die wir
nur überwinden, wenn wir stark und menschlich in Kämpfen
siegen.
Ein Sieg birgt für uns Verzweiflung. Doch niemals
ist diese für uns Tod; den Tod kennen wir nicht. Die
Schwadien unter uns können und dürfen nicht bestehen.
Doch sollten wir niemals den Kopf schütteln. — Zu
niemandem steigen wir hinab. Wir versuchen ihm unsere
Welt zu geben. Eine Welt, die er sich noch nicht erringen
konnte; weil er sich einsam glaubte ohne Freund.
Es gibt keinen, mit dem wir nichts anfangen könnten.
Jeden haben wir zu einem Instinkten Menschen zu machen.
Wer zurück fällt, taugt nichts.
Diesen wollen wir bekämpfen. Mit unserer jungen Kraft
wollen wir uns gegen Unfähigkeit und Schwäche stemmen.
Nur so werden wir jeden als Menschen vor uns haben,
und Masken und Fratzen sinken bestenfalls als über-
wunden zurück.
Wir wehren uns gegen unseren Feind: die Erinnerung.
Sie, den höchsten Moment jedes Erlebnisses zu einem Sou-
venir verarbeiten will, ihm Fort leben nur im Gedächtnis
gestattet, werden wir bald nicht mehr kennen. Und vor-
aussehend wird die Erinnerung kein Maßstab unserer Stun-
den sein.
Wir werden uns nicht im Erleben unserer Tage gehen
lassen und seicht genießen. Wir reißen unsere Kräfte zu-
sammen im Bewußtsein unserer Zeit. Wissend, daß wir1
für ein Werk leben, lieben wir dieses.
Und der Glaube an uns wächst. Wir trauen uns und
bauen groß unser Ich auf.
So werden wir andere Egozentren um uns anerkennen.
12
Aus der Gemeinschaft der Menschen wird der Beste als
Ueberwinder hervorgehen.
Die Leidenschaft wirft ihn hoch. Ein Mensch aus Blut
und Fleisch wird er uns mitreißen.
II.
Unser Wille zur Tat führt uns durch Kriege. Denn
dieses ist die Nurmöglichkeit des Lebens.
Wir haben den Mut, den Wahnsinn als Form anzu-
nehmen.
Doch: noch gibt es keine Form. Unser Wille schließt
jede Form in sich.
Der Anarchismus ist unser geringstes Gut.
Höher steht die Revolution, die die Kultur der Instinkte
in sich hat.
Unsere Ehrlichkeit wird der Schrecken des „Idealis-
mus“ werden.
Die Hingabe der Ehrlichkeit an die Pose und die Ge-
bärde hat schon zu viele Menschen als Unterlegene ge-
sehen.
Unsere Ehrlichkeit wird kein Ausverkauf der Leiden-
schaft sein, noch eine Gefühlsprostitution.
Wir werden sprechen. Wissend, daß wir redende Men-
schen sind, uns eine Sprache schaffen.
Mit Begriffen wissen wir nichts anzufangen. Wie wir
uns gegen jeglichen Militarismus auflehnen, empören wir
uns gegen alles Feststehende; gegen alles Nicht-in-Bewegung'-
Seiende.
Anarchisten, glauben wir an keine Werte des bürger-
lichen Intellektualismus.
Nur Erkämpftes ist für uns Wert.
Indem wir Glauben haben, gibt es kein Hoffen für uns.
In unserem Glauben liegt etwas, das mit dem Wortbegriff
„Optimismus“ nicht im Entferntesten gesagt sein kann.
Der feste Glaube an den Menschen schafft uns einen
neuen Umgang; ein neues Menschen zu einander.
Eine Gemeinschaft wird junge Menschen von einan-
der wissen machen.
Wir werden reif sein für sie, wenn die gesunde Kamerad-
schaft uns zur großen Liebe geführt haben wird.
Wenn junge Mädchen ihrer letzten Bestimmung bereit
sein werden.
Diese Gemeinschaft wird erst die Kraft zum Sein haben,
wenn wir uns, unserer Instinkte klar bewußt, beherrschen.
13
Wenn wir stark genug sind in unserem Glauben. Wlenn
unsere Freundschaft im höchsten Sinne Freunde schafft.
Die Liebe uns als das letzte zur Verbindung führt.
Die Liebe werden wir lernen, wenn uns der Wille zum
Leben unbefriedigt durch viele Arten des Verkehrs trieb;
wenn wir alle Unmöglichkeiten des Heutigen erlebt haben;
um die Ebene zu finden, die uns Wald und Heimat sein kann.
III.
Jedes Werk, jede Tat, jedes Leben ist das Ziel der
Vereinigung der zwei Menschen.
Ein Werk kann überhaupt nur denkbar sein als das
Eins werden zweier Menschen.
Die Form, der Stil, ist wesentlich begründet in der
Lebensart und Kultur der Schaffenden.
Das Werk kann erst relativ gewertet werden in seiner
Stellung zur Gemeinschaft; doch dürfen wir niemals ver-
gessen, wo heraus und woher das Werk entstanden ist?
Das hat uns das Wichtige zu sein: Das Einswerden der
zwei Menschen in einem Tun. Und nicht die möglichst
vorteilhafte Verwertung des Geschaffenen durch eine Or-
ganisation.
Wir werden die zersetzende Leidenschaft ertragen
können. Sie wird uns wertvoller sein als eine taktische
Praxis.
Der Schrei aus dem Blut wird ordnend uns befreien.
So werden wir zu einer Kunst kommen, die das Chaos
wiederschafft; die sich treu bleibt als unbedingte Notwen-
digkeit.
Die Not wird ringend gehärtet und gestählt dem Siege
nahe sein.
Wie wir die Natur als unfaßbare Einheit ahnen, werden
wir den Menschen als den Unendlichen sehen, dem jedes
Leben offensteht. Fritz Taendler.
Uebergang.
Von Wolf H e i n 1 e.
Scharfer Rahmen, Silberstreif,
Unten Tanz, gedreht im Reif.
Blechern eintönig Rasseln.
Menschen ziehn heraus.
Auf der Seite liegt der Kopf,
Melodien klingen leiser, Träume fliegen durch die Luft.
14
Sonnet
von Jean-Jacques.
Wir fühlen oft zu grelle Farben
In allen Dingen, welche sind,
Als wäre alles in uns wieder Kind:
Wie heiße Wünsche, welche starben,
Wie Frauen, die wir einst umwarben,
— Ihr Name ist ein Blumenwind —
Wie Tage, welche Feste sind,
Wie weite Felder voller Garben.
Es heben dann die weißen Hände
Die Blumen, die im Abend stehen,
Es fallen dann die letzten Wände,
Die nur die Trauer sind, als fände
Der Wille einen Weg zum Gehen:
Wir denken lächelnd an das Ende.
Dämmerung.
Der Regen fiel. Er fiel in langen lotrechten Strichen
und spann um die Staat ein dichtes graues Netz. Er rauschte
wie ein unterirdischer Strom, eintönig und andauernd. Es
hörte sich an wie eine sonderbare, traurige Melodie, die
gar kein Ende nahm.
Der Gedanke daran war beklemmend, peinigend, atem-
beraubend !
Im Hause duftete es nach Kränzen, geweihtem Qualm
und niedergebrannten Kerzen: soeben hatte man jemanden
hinausgetragen, in einem hübschen hellgrauen Sarg, auf
den der Regen wie gegen einen leeren Raum trommelte.
Man hätte meinen können, er wollte die Leidtragenden ver-
höhnen.
Die Tote war ein junges Mädchen. Ich hatte sie nie
gesehen; aber ihre Stimme war mir wohlbekannt. Sie war
zart und schwebend und hatte den Wohllaut des Windes,
wenn er über blühende Lupinenwiesen fliegt. Ich hörte
mit geschlossenen Augen zu, wenn sie unten sang: alte fran-
zösische Liebeslieder, traurig und süß.
Ihre Mutter sah ich mehrmals: eine schöne weißhaarige
Dame in schwarzer Seide.
Als man den blumenüberschwankten Sarg aus der Tür
hob, hatte ich sie Vergebens unter den Leidtragenden ge-
15
sucht. Sie iwar daheimgeblieben, vielleicht, um ihren Schmerz
vor der mitleidslosen Neugier Fremder zu verbergen.
Langsam begann es Abend zu werden. Die Dämmerung
strich mit grauen Eulenflügeln durch die Fenster, hinter
denen der Regen noch immer seine Netze spann.
Unfähig, mich der trostlosen Stimmung zu entreißen,
in die mich der welke Lilienduft, der Regen und die Abend-
dämmerung eingesponnen hatten, ließ ich meinen Gedanken
freien Lauf.
Sie stiegen die Treppe hinab bis in das erste Stock-
werk und öffneten die Tür. Der Duft der vielen Blumen
wurde hier sehr stark, fast betäubend.
In einem Zimmer waren die Vorhänge herabgelassen.
Ein blasses, entnervtes Licht herrschte hier. Es duftete
ächyver nach Essenzen, Wein und Chypre. Alle Möbel
waren in Gelb gehalten, Gelb mit Schwarz. Und viele
Spitzen. In ovalen Rahmen hingen die Bilder der Ver-
storbenen. —
In einer Ecke hinter dem gestickten japanischen Wand-
schirm stand ein zerwühltes Bett. Eine Frau in einem
schwarzen Seidenkleid lag darüber, die Hände in die Spitzen
gekrallt.
Ihr Gesicht war verzerrt und gelb; es schien uralt
zu sein, mit plötzlichen Runzeln auf der Stirn und in den
Mundwinkeln.
Manchmal stöhnte sie. Dann trommelte der Regen wie
rasend gegen sdie Fensterscheiben. |Er war jetzt ein wütendes,
boshaftes Tier.
Die Frau stöhnte wilder; sie stemmte die Ellenbogen
keuchend in die Kissen und warf den Kopf verzweifelt
zurück, daß die weißen Haare wie gespenstige eilfertige
Spinnen über die Kissen krochen. . . .
Da fuhr ich jählings aus meinen Träumereien auf und
sah mich verwirrt und fassungslos in dem halbdunklen
Zimmer um. Draußen hatte auch der Regen plötzlich inne-
gehalten, als wollte er gleich mir auf etwas lauschen, das
zu überraschend, zu sonderbar war, um sofort verstanden
zu werden.
Unter mir, im ersten Stock, hatte jemand angefangen,
Klavier zu spielen. . . . Nein, so kann man es nicht nennen:
es war ein Wüten auf dem Instrument, als schlüge ein Tier
mit breiten Tatzen zu.
Die Töne klatschten auf und spritzten gegen die Wände,
lö ’
prallten ab und zerplatzten wie Luftblasen. Andere sprangen
sich gegenseitig an und verbissen sich fauchend ineinander.
Wie man bei Nacht durch einen Blitz für einen Augen-
blick die nächste Umgebung erhellt sieht, so erblickte ich,
gleichsam in einem zweiten Gesicht, sekundenlang die scharf-
umrissene Gestalt der alten Dame vor mir, wie sie mit
ihren geballten Fäusten in das Instrument schlug, das sich
heulend und stöhnend zu wehren suchte und mit seinen
elfenbeinernen Tasten ihre Finger blutig riß. Sie lachte mit
wundgebissenen Lippen, während ihre weißen Haare in
einem wirren Knoten über die Schultern stürzten.
Dann verschwand die Vision.
Drunten raste das Klavier weiter. Während ich, unfähig
mich zu rühren, lauschte, fühlte ich, wie eine eiskalte Woge
mir zum Herzen stieg.
Der Lärm wurde immer wütender und steigerte sich
bis zur Extase. Es war keine Melodie, nur ein Chaos in-
einanderwirbelnder, wahnsinniger Ton folgen ohne Gesetz
und Rhythmus, wie ein Schwarm entfesselter Höllengeister.
Plötzlich brach es ab. Ganz plötzlich. Ein letzter
Tastenaufschlag stieß noch ein paar schrille, entsetzliche
Mißtöne hervor, die wie aufgescheuchtes Nachtgevögel durch
das stille Haus flatterten.
Draußen fiel der Regen. Er fiel in langen lotrechten
Strichen und rauschte seine traurige Melodie, die gar kein
Ende nahm. —
Jean Le H o g h.
Gespenstische Nacht.
von F. W. Wagner.
Sehr fette Vögel schwammen durch die Luft,
Die dickes Lachen aus den Schnäbeln gossen.
Das mischte sich mit dem verwesten Duft
Der toten Lust und floß in allen Gossen.
Da ließen wir die schwarzen Fahnen wehn,
Die man zerfetzte in den heißen Schlachten.
Da sangen lächelnd wir im Untergehn
Von jenen Letzten, die uns Freude brachten.
17
Theater.
Hidallah. lAufführung im Wedekind-Zyklus der Kammer-
spiele.
W e d e k i n d als Mittelpunkt; ein Fanal von glühenden
Willensräuschen. Ein qualvolles Aufbäumen. —
Dannegger war ein Morosini von aufreizender Leere;
er spielte diesen Humorschlauch hervorragend; er ließ uns,
ob seiner Bedeutungslosigkeit, die Hände falten; wir hätten
ihn zerreißen mögen. Tilly Wedekind als Fanny; herr-
liche Bewegungen und grenzenlose Hingabe; sie ist wirklich
schön. Nur noch: Else Bassermann in glänzender
Maske selbstbewußter Häßlichkeit. H err K r aus s war gut,
nur zu sehr im Vordergrund. Die Regie stand im Zeichen
einer in Hast erledigten Vollendung.
Ariadne auf Naxos. Schauspiel von Paul.Ernst. Kleines
Theater.
Auch ein Kämpfer des „Neoromantizismus“ (Wilhelm von
Scholz: Meröe;) ein Kämpfer, der zu achten ist, ein wirk-
licher Dichter. (Brauchte er sonst zu kämpfen?) Ariadne,
die Verkörperung der Liebe, der in der höchsten Vollen-
dung; Theseus’ wegen tötet sie ihren Vater; er kann ihr
zunächst nicht verzeihen: wenn es auch um seinetwillen
geschehen sei. Ariadne hat alles ertragen können; jetzt sieht
sie die Schwäche, das äußerliche Heldentum des Theseus,
ihr Traum, ihr Ideal zerfällt; sie haßt ihn, der ihr nicht
hat verzeihen können. Doch Theseus wird von der wütenden
Menge getötet. Sterbend erkennt er Ariadnes göttliche Liebe.
Und über allen der herrliche menschgewordene Dionysos,
eine wundervolle Gestalt voll der schönsten Hoheit und
Würde; er liebt Ariadne; durch ihn wird ihr Leben ein
göttliches Fest sein.
Hartan war ein ergreifender Drougott. Viel schwächer
waren als Theseus, Paul Bildt und die Ariadne Frl. Elms.
Ich nenne noch Lupu Pick als Greis in packend müden
Bewegungen. J.-J.
Salons.
Ausstellung Vinzent van Gogh im Kunst-
salon Cassirer, Berlin. — Ueberwacht und etwas müde gehe
ich frühmorgens zur Ausstellung. Meine Augen sehen die
Dinge der Straße heftiger, bedrängender als sonst. Alles
ist wie von scharfen Konturen Umrissen. Die Autos über
dem Potsdamer Platz durchdringen mein Gehirn. — In
Qassirers Salon hat man van Goghs ausgestellt, in sechs
18 ■'
Sälen vielleicht anderthalb hundert Bilder. Die Farben drän-
gen auf mich ein. Ihre Sonnen blenden mich. Unwahrschein-
lich grell und gelb leuchten die Sonnenblumen. Ueber der
heißen und hellen Landschaft Arles’ ist ein fast samtener,
tiefblauer Himmel gespannt. Jedes Ding auf diesen Bil-
dern strahlt in Farben von unerhörter Reinheit. Man fühlt
die Unersättlichkeit des bisher so monotonen Holländers,
der sich in einer kleinen Skala brauner Töne fast erschöpfte,
und an dem in Arles mit einmal das Wunder der leuchtenden
Landschaft geschah. Und man fühlt auch die Angst, nicht
fertig zu sein mit all den glühenden Farben, wenn der
Tod kommt, der immer dichter den unermüdlichen umschlich.
Es entstand in diesen drei Jahren in Arles und Auvers Bild
auf Bild eins nach dem anderen, (jedes wie eine Flamme einen
exstatischen Herzschlag des Malers kündend. Kein einmal
Aufatmen scheint zwischen diesen Bildern zu liegen. Sie
sind wie ein einziges atemloses Gedicht. Jedes ein geller,
erschütternder Schrei aus Einsamkeit und Kampf. — Aber
mitten darunter auf einem fast goldgelben Grund die Arle-
sienne mit ihrem heiligen, leidvollen Gesicht in erhabener
Ruhe, ein Augenblick des Anhaltens im Kampf mit den Din-
gen, ihnen alles zu entreißen, ein Augenblick der Versenkung
und des Gebetes. —
Hede von Trapp stellt Grajphik und Tuschzeich-
nungen im „Salon Neuner“ aus. Eine Künstlerin von un-
erhört kultivierter Sensibilität, die auf der Grenze von Natur
und Ornament kleine Blätter von der unwahrscheinlichen
Zartheit der Orchideen schafft. Sie liebt die Orchideen,
zeichnet und radiert sie in immer neuen Variationen. Ihren
farbigen Blättern gab sie die Töne dieser abenteuerlichen
Blumen, deren schweres betäubendes Gift ihre stärksten
Zeichnungen atmen ; ein Gift, das schon Beardsley kannte, und
das auch die gesteigertste Geste nicht über eine ästhetische
Pose hinauswachsen läßt. Eine Kunst, die nicht die Kraft
zur Extase hat, sondern in einer fast trainierten Hysterie
pretiös verzückt, die mit jedem Nerv nur noch genießen will,
die einen Tag sinnberückend blüht — und welkt.
Marc Chagall zeigt seine Bilder in den Ausstellungs-
räumen des „Sturm“. Auf sehr großen Leinwänden sieht
man exstatische Verzerrungen und naiv-groteske Erhebungen.
Sein Kubismus ist nicht mehr Theorie und Experiment,
sondern das diesem Künstler notwendige Ausdrucksmittel.
Von allen Seiten drängen spitze, eckige Formen in sein Ge-
19
hitn und schreien bunt auf. Nur ganz von fern im Erinnern
schimmern matt die Formen alltäglicher Dinge und dringen
leicht durch in den Rausch seines Bildes. Er ist ein Fakir.
Seine Gebäude haben die großen, geschlossenen Formen der
Moscheen. Seine Menschen und Tiere sind Heilige. Legen-
den und fromme Sagen berichtet sein exstatischer Pinsel.
Er ist der sehr erregte Träumer in der Wüste, der sich
nicht mehr erinnert, wie die Dinge sind, da er sie lange
nicht sah, und der nur nodli die Heiligkeit der Farbe und
Linie weiß. R. B.
Bücherbesprechungen.
Mynona. Rosa, die schöne Schutzmannsfrau. Verlag
der weißen Bücher, Leipzig. — Das neue dieser Grotesken:
Ihr Gerüst ist das Wort. Das Wort wird Schrulle, ko-
misch zusammengeknäult, und ist plötzlich wieder, dem
krausen Gewirr entwichen, ein ander Ding, ein Geschöpf
des Autors, steht in dem absonderlich hellen Licht der
Intellektualität unerschütterlich fest. Es ist dies eine uner-
hörte Steigerung fast allen bisherigen Grotesk-Dichtungen
gegenüber. Nicht mehr Held und Situation (o! H. H. E'r),
sondern das Wort! (Ein Musterbeispiel: das kopfstehe-
rische Pseudonym des Autors.) So wird es möglich, Held
und Fabel dem „Ueblichen“ in sehr auffallender Weise
zu nähern, oder ihm doch (durchs Wort hier unterstützt1)
den Charakter ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu wahren. —
Mynona kommt ohne Zweifel und nach eigenem Zugeben
irgendwie von Scheerbart her, nur daß dessen Klarheit
hier ganz aus der ungeheueren Wirklichkeit astralen Lebens
in die Absonderlichkeiten einer Art Hexensabbat verschoben
ist. Doch denke man bei Hexensabbat nicht an Geschich-
ten vom Gruseln. Das Gruseln lernt man von der „Rosa“
nicht. Nicht düster sind diese Geschichten, denn man sieht
die Kammern ihrer Verkleidungen; nur ist das Helle an
ihnen nicht wie bei Scheerbart das dichterische göttliche
Sonnenlicht, sondern ein künstliches, genährt nur durch den
menschlichen Intellekt. Darauf beruht der große Reiz dieser
Geschichten, der subtile Genuß für den Leser, und zu-
gleich die Begrenzung ihrer Bedeutung. Es sind keine
Wunder, die aus dem Ewigen kommen, sondern, Ge-
burten der Wunder wieder, bewundernswerte Harlekinaden.
Otto Erbe.
20
Ernst Balcke. Gedichte. Reuß und Pollak, Verlag,
Berlin. —
Zwei verschlang der See, einen Dichter und einen, der
es hätte werden können.
Georg Heym ist ein Lebender — auch nach dem Tode.
Ernst Balcke war ein Sterbender — auch im Leben. Denn
seine Sinne waren herbstlich schwer, und scheidende Abend-
sonne glomm in seinen Liedern. Er war keiner von den
Stürmenden, Führern im Kampfe. Seine Muse hatte die
großen großen sehnenden Augen eines Todbereiten. Er
glitt über die Spiegelfläche und sah stets die schwarzen
Wasser, die in Tiefen brodeln. Das schreckte ihn. Machte
sein Herz weh fand müde. Er ahnte die Welt, er fürchtete
ihren Streitplatz und suchte nach Frieden. Vielleicht, wenn
sich die Nebel des Ungeschauten zerteilt hätten, wäre er
ein leuchtender Recke geworden. Vielleicht! — Vielleicht
hätte das Leben mit tausend und tausend Schlägen zer-
mürbt, was es so jäh zerbrach.
Wenig ist uns geblieben: eine Frage, keine Antwort;
eine Verheißung, keine Erfüllung. Otto Laender.
Leonhard Frank. Die Räuberbande, Roman. Georg
Müller, Verlag, München.
In Würzburg haben eine Anzahl vierzehnjähriger Knaben
eine Räuberbande gegründet: die Stadt wollen sie ein-
äschern. Ihre Nächte sind voll Träume, abenteuerlicher
Kämpfe, in ihren Augen glänzt der Wille zu unsagbar großen
Taten. Sie geben sich die Namen der Helden Karl Mays.
Gestalten von romantischer Eigenart: der bleiche Kapitän,
die rote Wolke, Falkenauge und der Schreiber, der Zärtling
der Bande. Später zerstampft das Leben ihre Pläne; jeder
lernt etwas. Die Hauptperson des Romanes, Old-Shatter-
hand übt alle möglichen Handwerke aus und wird Künstler.
Ein Fremder hat ihn erweckt hierzu, und als er nun sein
Künstlertum fühlt, da wirft er den alten Old-Shatterhandl
dem Tod in die Fänge, und er lebt in der Gestalt des Frem-
den weiter. —
Ein Buch voll tiefsten Verstehens, voll Liebe zu den
Kinderträumen, die im iSommer unseres Lebens sterben,
ein Buch voller einfacher Hingabe. Wer seine Kindheit ge-
liebt hat, der lese dieses Werk, die Gabe eines, der lächelnd
und weinend, seine Jugend, die Jugend aller, alles Unfaßbare^
Unmögliche, und doch Herrliche enier geträumten Romantik
besingt. J. - J.
21
Neue Bücher.
Eine Aufführung bedeutet bereits eine Empfehlung, ohne eine aus-
führliche Besprechung auszuschließen.
Henri Bergson, Das Lachen. Eugen Diederichs Verlag.
. Munkepunkes Tanzplaketten bei A. R. Meyer, Berlin-
Wilmersdorf.
Guilleaume Apollinaire, Zone ebda.
Peter Baum, Kammermusik, Hyperion Verlag, Berlin.
Paul Scheerbart, Glasarchitektur. Sturm-Verlag, Berlin.
Egmont Seyerlen, Die schmerzliche Scham, S. Fischer,
Verlag, Berlin.
Alfred Wolffenstein, Die Gottlosen Jahre, Gedichte,
ebenda. /
Max Herrmann-Neiße, Sie und die Stadt. Gedichte, ebda.
Störer, Epigramme, Reuß & Pollack, Berlin.
Rembrandts Handzeichnungen, Freise Verlag Parchim i. M.
James Ensor. Ludwig Ey Hannover.
Zeitschriften.
Licht und Schatten. Wochenschrift, Jahrgang 4.
Wiecker Bote, Herausgeber Oskar Kauehl. Jahrgang 1.
Der Sturm, Halbmonatsschrift. Herausgeber Herwarth
Waiden. Jahrgang 4.
Von der in dieser Nummer erschienenen Zeichnung:
„Wedekind als Carl Hetman“ sind Sonderdrucke herge-
stellt worden:
1. 100 auf einfachem Papier ä 0,50 M. und
2. 100 auf Büttenkarton, handschriftlich signiert äl,00M.
Die Bilder sind nur durch den Verlag zu beziehen.
Reuß & Pollack, die Expedition der „Neuen Jugend“,
verlegt ihre Geschäfts- und Ausstellungsräume in diesem
Monat nach Berlin W, Kurfürstendamm 220.
Sämtliche Zusendungen sind nur zu rich-
ten: An die Redaktion der „Neuen Jugend“, Berlin-Char-
lottenburg 4, Mommsenstraße 11. (Telephon: Amt Stein-
platz 9166.) Uneingeforderte Manuskripte sind mit Rück-
porto, zu versehen. — Redaktionsschluß: am 20. jed. Monats.
Heft vier des „Anfang“ ist soeben erschienen und enthält
- Erörterungen über die Zukunft der freideutschen Jugend.
Abonnements der „Neuen Jugend“: Vierteljährlich M. 1,00,
halbjährlich M. 2,00, jährlich M. 4,00, die Einzelnummer
40 Pfennige. Zu beziehen durch die Buchhandlungen,
die Post und den Verlag. —
22
-----Schriftleitung: =
Rudolf Börsch u. Jean Jacques.
Vertretung für Oesterreich-Ungarn:
Friedrich Hollaender, Prag.
Künstlerische Ausstattung: Hei-Bar.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
Fünftes Heft. August 1914. Erstes Jahr.
Heldenverhöhnung.
Das Heldentum ist heute bei Wertheim zu haben. Es ist
Massenartikel geworden. Einer fliegt, Kopf nach unten. Die
Stadtbahn bringt die Menschheit nach Johannisthal. Und
jeder rühmt sich (als wäre es seine Tat) des Artistenstück-
chens eines belanglosen Franzosen: „Wie herrlich ist doch
unsere Kultur!“
Daß man für einen Groschen fünf Untergrundstationen
in ein paar Minuten durchrast, ist bequem und heroisch.
Das liebe Herz schlägt höher in der Brust: „Wie herrlich
ist doch unsere Kultur!“
Man braucht keine Wunder mehr. Man erklärt sie. Alles
macht die Maschine. Der Wille stirbt. Man hat nur an-
zukurbeln. Es wimmelt von Helden. Ihre Verehrung ist
eine Frage der Kollegialität. In Monistenbünden preist man
diese rätsellose Zeit: „Wie herrlich ist doch unsere Kultur!“
Alles übersetzt man in die eine Ebene. Raum und
Körper sieht man nicht mehr. Man fand das Schema, und
an den Schatten mißt man die Dinge.
Wenn sich die beleidigte Natur gegen diesen Unfug
kehrt, ein Riesenschiff in den Grund reißt, eine Stadt ver-
brennt, ein Land im Erdbeben verwüstet und Helden for-
dert — welche Tat gebiert dann diese Raserei? — Die
3
Erschütterten vergessen das Ungeheuere. Man hat es ja
bequem; telegraphiert Funken, alarmiert die Feuerweh.,
das Schauerliche wird erklärt, verfilmt, Kommissionen fassen
Beschlüsse und den Untergegangenen setzt man das Denk-
mal: „Wie herrlich ist doch unsere Kultur!“
Es gibt keine Fürsten mehr, die ihr Volk entflammen,
mit sich reißen in Krieg und Untergang. Die Propheten
starben, zu denen die Menge mit Ehrfurcht sah. Heute ist
ja jeder Held. Was geschieht, wird Allgemeingut. Jeder
nimmt Ruhm und Vorteil der Tat für sich in Anspruch.
Und die wenigen, die priesterlieh und wahrhaft heroisch
um Kunst und Vollendung ringen, sind den heutigen Helden
esoterische Aestheten oder Sonderlinge. Wer heute sein
Leben wagt, weiß nichts um Aufopferung, um das heroische
Alleinstehen am äußersten Punkt. Denn er tut aller Tat.
Sein Leichtsinn betäubt ihn mit billiger Hoffnung. Und
die gerühmte Gesundheit des Sports und der neuen Maschine
kann den lächerlichen Hohn dieses Heldentums auf die ein-
same Größe eines Führers nicht verbergen.
Es ist kein Raum mehr gelassen für Gott und Taten.
Unterirdisch, in jeder kleinsten, freien Ecke windet sich
Hysterisches in Krämpfen. Verführend schön ist dieses irre
Leuchten. Bald ist die ganze Zeit verfault und reif genug,
daß der Eroberer komme und verwüste.
Rudolf Börseh.
Krieg.
Alle Straßen sind mit Blut beglitzt.
Gierig lecken vieler Hunde Münder.
Bajonette lüstern hochgespitzt.
Witternd recken sich die Zwanzigpfünder.
ln den Nächten drohte der Komet.
Ueber Städten platzen die Granaten.
Trommeln, Trommeln wird weitergeweht.
Braungeplättet liegen alle Saaten.
Hermann Plagge.
4
Jüngstes Gericht
(Nach einem alten Holzschnitt)
Tot weste ich lange;
enge Höhle bannte Geruch,
feucht vermoderte Leichentuch,
Totenkopf und Schlange.
Erde brach; ein fahler
Abend wetterleuchtet über kahler
Landschaft; plärrt Posaune? — Schief
flattert Engel, der die Toten rief.
Weh, Geheul aus allen Wänden
wird sein Bellen nimmer enden,
bis ein böses Aug, auf uns gerichtet,
uns vernichtet!
A. E. Günther.
Den Freunden.
Unser Leben läßt uns Kämpfer einer Reihe wissen.
Wir brauchen nicht die Kette zum Zusammenhalt.
Das Wissen vom Freunde wird uns siegreicher
Glaube sein.
Nicht ist das „Leben“ von der „Kunst“ zu trennen. —
Nicht kämpfen wir für dieses oder jenes. —
Unser Sein ist Aufstieg.
Unsere Aufgabe: helfen.
Sehen wir: die Menschen untereinander in ihren Ge-
sprächen, in ihrer Not und ihrer Unklarheit sind das
Kümmerlichste.
Das Große kann erst sein, das zwischen ihnen fließt,
das in ihnen ist; das mit tiefster Kraft zum Werke ge-
formt und gebändigt wird. Zum Werke, das Leben heißt:
zur Tat.
(Kein Zweifeln; Fragen: was ist das: Werk? —)
(Denn es ist nicht mit dem Lächeln über unsrer Hände
Tun Urteil und Meinung gesprochen. Wir sehen das Ar-
beiten, das Wirken und Formen der Menschen. Und vom
Notsein der „Arbeit“ sind wir überzeugt.
Unsere Arbeit, die irgendwie die „geistigere“ zu sein
sich ei nt, ist Wert dann, wenn wir durch die „Idee“
Werk tun.)
Denn solches heißt Wert und Leben: Sein der Idee.
Dann (vielleicht!) sind wir Idealisten; glaubend, daß das
Wertvolle immer die Idee ist.
Unsagbare Idee menschlichen Wollens.
Und dies ist das Letzte: Das Reifen zur Frucht.
* *
Und der Mensch sucht nach Pfaden, sein Leben zu
„gestalten“. Man diskutiert über „praktische Durchführung
der Idee“.
O! Einmal war Scharfsinn — Intellekt.
Dann ersoff alles in Druckerschwärze.
Jetzt leben Großhirne, die Selterwasserdionysier zu
schlachten. Cliqüen blühen im Rausche der „Persönlich-
keit“. (Denn dieses ist ihnen Existenz: Buntschillernde
Seiten zu zeigen.)
W i r aber sprechen. Ihr dreht Euch vor Angst, die
Seiten zu lange zu zeigen.
Wir tanzen aus Begierde. Und dieser Tanz ist Froh-
sein. Rausch.
Solche Ekstase ist reine Heiligkeit; vom Mensch-Sein.
Wir erfassen das Glühen. — —
(Und doch sind wir durch Euch?)
Fritz Taendler.
Das Blut der Sonne bringt den Vögeln Tod.
Die Sonne stirbt wie ein Herz, das bricht —
Ihr heiliges Blut dringt ungehemmt
Aus des Himmels Schale und überschwemmt
Das weite Luftmeer.
Die Vögel regen die Schwingen schwer —
Von ihren Federn tropft es rot —
Oh! Gnade ihnen und ihrer Not:
Das Blut der Sonne bringt den Vögeln Tod.
Jean Le Hogh.
6'
Der Tod des Einsiedlers
Es war um die Zeit, da Bäume ganz groß sind mit
ihrem Laube und nachts ganz ausgefüllt; vor Sommer-
dürre war der Boden glatt. Starr überhängender Wipfel
Umrisse brannten in Sylvesters Hirn; das vertrocknete und
stieß rastlos zurück: den Stuhl, die Helle und die gebor-
stene Platte des Tisches. Sylvesters Füße wurden der rost-
braunen Erde feind und bekümmert über seine Strenge, die
ihre Müdigkeit immer wieder aufhob und niederstieß, ver-
weigerten sie sich ihm.
Darum machte er in sich zu und ließ in sich die Kühle
seiner furchtlosen Ruhe rinnen; sein Sinn war rieselnd wie
Empfindung eines Greises und ihm um und um bekannt.
So verbrachte er den Tag, der fast roh überall mit seiner
Hitze niederfiel.
Aber am Abend, der Schicht um Schicht die helle Schwere
abhob, bis Nacht den Himmel nackt machte, faßte der
Schlaflose seinen Leib fest an und trug ihn auf die Wiese.
Ueber die knisterte der Mondschein beinahe winterlich hin
und im runden und gesättigten Schatten einer einsamen
Kastanie brachte Sylvester sich an wie eine Bank zum Ruhen.
Er zweifelte nicht daran, daß er um dieser Stunde willen
seit Jahren aller Rede entrückt gelebt hatte, und daß seine
Einsamkeit dies bedeutete: allein sterben zu lernen wie
ein zurückgelassenes Kamel in der Wüste.
So versammelte er den Sinn der langen und ihm ganz
zu eigen gegebenen Zeit in sich. Wie stumme Tiere, die
im halben Licht zur Wasserstelle ungehört vorwärts fallen,
erschienen ihm Erinnerungen an Tage, da ihm Gott zu sehen
gefehlt hatte wie ein Glied und Augenblicke gestaltloser
Erregung, da er alle Ziele verbunden und erlangt glaubte.
--------Es mochte nun so sein, daß dem Abend nicht ge-
lungen war, heiße Bedrängnis des Tages ganz abzutun, und
Schauer aufgelöster Schwüle noch umhertrieben; denn Syl-
vester fühlte nächtliche Erlösung weichen und wurde von
Beängstigung leise und tödlich angerührt.
Darum beeilte er sich, vom Bewußtsein kurzer Frist ge-
schärft, alle Hüllen über den Empfindungen zu durchstoßen.
— Sieh, Schleier rissen und er fiel in sich hinab wie in
einen Brunnen; die Verantwortlichkeit des neuen Augen-
blicks wehte ihn kalt an.
7
Nun in dem Brunnen sah er sich wie einen Armen, dessen
geringe Habe zerstiickt und verstreut ist. Er schüttelte!
sich hin und her, um fdie Trümmer zusammenzuschweißen,
aber seine Dinge berührten sich fremd und waren sich nicht
zugetan genug, um zu verwachsen.
Das machte ihn wirrer als betrübt, denn er hatte sich
sein Leben so errichtet, daß er ohne die Eindringlichkeit
des Fremden die Fruchtbarkeit seines gepflegten Sinnes ern-
ten wollte; nun ward er gewahr, daß er verdorrt war
wie ein ausgetrockneter Teich, dessen Grund zerfällt vor
Dürre. !
Und erwachte daran, daß die 'Menschen hinter dem!
Rande seines Alleinseins, die er allem Aeuß;erlichem hinge-
worfen glaubte, mit der unaufhaltsamen Bewegung ihrer
Aeußerung Ströme waren, die ihr Leben zu einem ergebenen
Tal machten.
Dies Erwachen war wie Fieber und seine Gedanken
wurden vor Schmerz zu klein, um solche Landschaft zu
betrachten, in sich kummervoll hingestreut, verlor er den
Zusammenhang meiner Gefühle und wurde von dem Zufall
seines Todes überwältigt.
Während (die Kastanie immer zudringlicher die Schwärze
ihres /Schattens auf ihn warf, und die Wiese und der Wald
die Inbrunst ihres nächtlichen Lebens unbesorgt erhoben,
starb Sylvester wie ein Tier unbewußt und keinem Sinne
zugewandt.
— lEine Kastanie fiel dumpf und wollüstig vom Baum
und eine Eule kam schlafweich herangeflogen.
— /Die Mitternacht blühte Innigkeit.
Am andern Morgen aber kamen Einer oder Zwei, die
begruben meinen Leib mit Frömmigkeit.
A. E. G ü n t h e r.
8
Der Fichtenwald.
Fichten schlenderten sicli rastlos empor zu ihren kleinen
Wipfeln; wie Springbrunnen auf ihrer Höhe verharrend
trotz des Falles, waren sie Stoß nach oben. Zwischen ihrer
schweigsamen Erregung ging Valentin gebückt, scheu vor
ihrer heftigen Tätigkeit.
Er hatte die große Stadt aus seinem Leben ausgeschnit-
ten; er wollte ihren Umkreis forttun, der, erfüllt von eil-
fertigen Gemeinschaften, den Losgelösten schreckte. Umher-
getrieben zwischen lauten Wagen, schrillenden Bahnhöfen
und leisen traumbereiten Autos, hatte er es vermißt, be-
stimmt zu sein, wie diese alle waren. Er hatte begonnen,
sich zu fürchten vor den gewalttätigen Straßen, die den
Zwecklosen immer fortstießen.
Darum überlistete der Vertriebene einen Morgen und
einen Bahnhof, und schlich sich ein in einen Zug, den
er überwand, daß er ihn mitnahm.
Endlich wurde der Zug seiner müde, und stellte ihn
hinaus auf einen verödeten Bahnsteig; kleine Stadt emp-
fing ihn willig.
Er liebte sie und die krauswolligen Eichengehölze um-
her und die Hügel, hinter denen die Sonne nackt und
schamlos unterging. Er liebte das Tal, in dem die Mäh-
maschinen wie Elefanten weideten, und den selten schreien-
den Bahndamm und die Telegraphenstangen, die einsam
wanderten.
Aber vor dem Fichtenwalde fürchtete sich Valentin.
Es half nichts, daß er jeden Tag hinaufging um ihm
gut zuzureden. Felsen am Luganersee — Schrei über uns;
ein Vogel zieht, und seine Schwingen schwanken vor dem
Winde! —, und Meere, die in graden Zeilen flachen Strand
anliefen, und die Ebenen, die sich keinem Winde versperrten,
hatten so maßloses nicht geweissagt wie diese hageren
Bäume.
Zu kleinen Wipfeln warfen Fichten rastlosen Stamm
hinauf, der rostbraun und verdorrt war von der Eile empor-
zufahren; toten Zweigen gelang es nicht, seine Hast zu
begleiten; sie blieben verbrannt zurück.
Da erschrak Valentin und sah sich als einen Schreien-
den, der über den erstorbenen Boden floh; seine Erkennt-
nis tat ihm Gewalt an, daß er wußte: dies war sein Leben,
— eine Flucht vor der Heftigkeit seiner Wahrnehmung, der
9
er preisgegeben war wie der Geile seiner Gier, und die
ihn vor sieh herstieß durch die farblose Stadt, Landschaft
und viele Menschen, bis er, aufgerissen, in sich die wenigen
Worte fand, die er niederzuschreiben berufen war.
A. E. Günther.
Jean Arthur Rimbaud.
„O douceurs, 6 monde, 6 musique!“
Rimbaud. Les Illuminations.
I.
Rimbauds Werk ist reich und schön »selten und gefährlich,
wie eine Orchidee, wie die Digitalis, die er beschreibt, Blüten
einer bilderreichen Jugend, die schon, als er dichtete, die
Sehnsucht seiner Erinnerung war. Er ist Musiker. „Ein
Musiker, der etwas wie den Schlüssel der Liebe gefunden
hat.“ Seine Dichtung ist chaotische Musik, Aufbrausen über
die Schönheiten einer niegeahnten Welt von buntschimmern-
den Ereignissen, Anbetung der tausend Gefahren und Ge-
walten harmonischen Unglücks und Versinken vor der Glut
der eigenen Phantasie: „Je suis maitre de silence.“
Und doch hat er Furcht vor dem Schweigen. Die Stille
um ihn ballt sich in wilde Dissonanzen, deren Auflösung
nur er kennt, in Fantasmagorien, deren Herrschaft in seiner
Jugend und in der Gewalt seiner Anbetung liegt. Es ist ihm,
als habe er, der Meister, plötzlich nicht mehr die Gewalt
alles aufzuhalten, was er selbst heraufbeschworen hat. Es
ist das angenehme Gefühl plötzlicher Machtlosigkeit, er wird
sich seiner Jugend bewußt: „Je ne pourrai jamais envoye
Famour par la fenetre.“
II.
Diesen Gegensatz seiner Musik zum Gefühl seines
Schweigens deutet er um in eins, in das Gefühl einer weh-
mütigen Trauer um einen unwiederbringlichen Verlust von
Dingen, die er nie besaß : „La musique savante manque ä
notre desir.“
III.
Das Bewußtsein seiner inneren, machtvollen Zerrissen-
heit verstummt vor seiner Anbetung: Durch seine Sinne*
10
schwimmen die aufgelösten Haare einer schönen Frau, wie
Seerosen, die (über weißen Marmor zugleiten scheinen: „Wie
ein Gott mit gewaltigen blauen Augen und Gliedern aus
Schnee, so locken das Meer und der Himmel die jungen
starken Rosen auf die Marmorterassen.“
Seine Anbetung ist das Verstummen. Wir sind er-
schüttert, wenn er sehnend ruft: „O saisons, 6 chäteaüx!“
Er liebt nicht den Frühling oder den Winter. Seine
Liebe umfaßt die gemeinsame Schönheit aller Wesen. Die
Jahreszeiten in ihrer Vollendung sind ihm ebenso Sehn-
sucht, wie die schweigenden Schlösser, die schlummern.
Ein schöner Morgen ist ihm wie ein guter Vorsatz, wie
Güte einer Mutter: „Une bonne pensee de matin.“
IV.
Er weiß, daß dies nur vorübergehende Augenblicke tat-
sächlicher Ruhe sind. Wie ihm das Schweigen Musik ist,
ist ihm das Anschaun der iDinge, wie eine blutige Wunde
am Leib seiner Verzweiflung. Er resigniert, glühend. Ganz
leise klingt ein Lächeln, eine Ironie über die Gewißheit
seiner Bestimmung: „Je suis reellement d’outre-tombe.“
V.
Manchmal aber sind seine Wünsche bescheiden, fast
sicher vor Zufriedenheit; er fühlt sich geduldig, wenn er,
wie von fernher, seine Leiden betrachtet:
„Peut-etre un soir m’attend
Oü je boirai tranquille
En quelque bonne ville
Et mourrai plus content
Puisque je suis patient.“
Das sind seltene Augenblicke zufriedener Resignation.
Sein Ziel ist groß. Er findet keine Erklärung, er klammert
sich an weites und Großes, und liebt die Ewigkeit in der
Bewegung:
„Die Ewigkeit? Das ist das Meer,
Das mit der Sonne ging.“
VI.
Sein Himmel ist schwarz und er trauert weinend. Er hat
gekämpft und alle Farben gekannt und die letzte ist grau
in grau, die Farbe letzten Schmerzes: „Die Nebel ballen
sich über dem Meer, das aus einer weiten Ewigkeit heißer
Tränen geschaffen wird.“
Jean-Jacques.
11
Drei Gedichte.
Gefühle des Balles (Harlekin).
Wie ischau ich nur die Farben der Kostüme?
Könnt ich das gelbe an mich drücken!
Ein Duft steigt auf zur Galerie.
Wie schön ist der verstrickte, ungestüme
Tanz aller Masken! Nie war der Saal so hell —
Als ob der Mond hier schiene!
Ach, jener Mond, jenes Licht —
Wie fang ich für mich nur die Strahlen?
Lebe ,ich denn ?
Wahnsinniger fSpeer, der mich im Traum erstach!
Schon wanken die Bohlen,
Bald werden die Wellen
Den Leichnam verspülen . . .
Noch tsitzt du, rittlings, bunt,
Halb komisch in den Qualen.
O, meine Fittiche schlugen
Sich wund an jedem Tor!
Mein Herz! Aber ich laß Dich nicht!
Jeder ,Mmid dort von viel zu viel Lockendem spricht
Was willst Du ewig zu den Menschen unten!
Mein Herz! Ich halt Dich fest!
Um ,Dieh nur sind blaß meine Backen,
All meine Tränen Dich netzten,
Daß Du Dich nicht von mir wendest!
Mein Herz! Du bleibst!
Und wenn Du mit dem letzten
Trompetenschrei verendest!
Lied vor dem Tode.
Warum, p Tod, erläßt Du nicht das Sterben?
Mußt Du die Rosen denn,
Das milde Feld,
Hier jedes Grün um mich erst blasser färben,
Eh ,Du herankomm.st, langsam, schmerzliche Nacht?
Dürft ich doch ungetrübt
Mit Dir gehn,
Goldenen Auges von lauter Erdenpracht!
12
Geburt und Vollendung der Sonne.
Die .Welt war da, ein Schlund in sich verkrochen,
Brütender ,Alp des Schlafs.
Was .irre Sterne eingefangen hielt:
Waren es Wipfel lautlosen Baums?
Waren es Bauten ungeheurer Spur?
Da schäumte Geifer, Blut brach dampfend vor,
Die Dunkelheit riß sich inmitten auf,
Ein Schrei des Alls — purpurn und rosenrot!
O höchstes Weh!
Dran ich mich halten kann, ist gar nichts außer mir?
Glorreich aus dem Verderben,
Da war er schon emporgetaucht — Urvogel!
Langsam begann er in sein Blau zu steigen,
Unendlich Feuerschwingen rührend.
Tot sah das Chaos nach.
Ist unsre lErde nun aus Licht,
Klingende Berge . . . wieder wieder lauschend —
Zwar wendet er den Kopf zurück, hernieder
Barmherzig oft zum mütterlichen Grauen,
Stürzt auf uns ein das Meer der dumpfen Nacht.
Doch ferner wird schon seine Frühlingsstunde,
Flammender, fürchterlicher stürmt sein Flug,
Und kürzer werden seine nächtigen Abschiedsblicke.
Einmal wird er die Finsternis verfallen lassen,
Und unser goldner Tag wird ewig sein.
Carlos.
13
Gloriole.
Zu immer fernerem Gestirn entleuchtet mir Dein Sein.
Du lä|ßt mich stürzen. Sausend die Luft mein Kleid.
O, Deiner Gloriole Ewigkeit
ist für des letzten Wunders Kostbarkeit
erblüht und schon bereit.
Ich aber steige in die Nebel jener Jahreszeit,
wohin vom liditen Glanze Deiner Sfere
nur noch ein irres Flimmern findet.
Es ist nicht Weiser mehr dem, der erblindet,
und zitternd tastet nach dem Bord der schwarzen Fähre.
Rudolf Börseh.
Zwei Gedichte
Vertreibung.
Als man die Türen vor mir schloß,
Ging ich zu mir und ging in mich,
Wo schwarzes Blut von den Wänden floß.
Das Hungertier heulte fürchterlich.
Ich jagte in mir selbst umher,
Zerbarst meine Wände, die Flamme lohte.
Ich setzte mich ans wilde Meer
Und lauschte nach dem Tode.
Herbst.
Erloschen meine Tänze?
Blüht nicht mehr dein süßer Ton?
Sieh, alle alle Kränze
Verdorrten. Es herbstet schon.
In den zerfallnen Alleen
Schleicht müder Greise Schar.
Die Wolkenfahnen wehen
Um den zerstörten Altar.
F. W.Wagner.
j
14
FRITZ MELCHIOR.
ZEICHNUNG.
Schon allein die Tatsache ...
I.
Martha ging zwei Wochen mit Erwin. Sie war Modell,
er Schriftsteller. Sie war irgendwoher, wußte nur von ihrer
Mutter, die im „Weißen Rößl'“ Kellnerin war. Er war
Sohn von Hausbesitzern, beendigte seine Schulen und
schrieb nun.
Einmal gingen sie in die Weinstube. Dort betrank sich
Martha, wurde ausgelassen, machte Schweinereien mit
Gästen, kotzte. — Daraufhin ging Erwin mit ihr in den
Park. Dort wurde sie nüchtern. Da frug er sie: „Warum
bist du eigentlich so dreckig, so gar nicht taktvoll!“
Sie schmollte. Dann sagte sie: „Als junges Mädchen
war ich sehr schüchtern, o, ich weiß noch — —“ und er-
zählte von ihrem ersten Schatz, dem Karl, der Metzger war
und der sie einmal beim Wurstmachen fragte, ob sie denn
immer Jungfrau bleiben wolle — und der dabei recht blöd
lachte — und daß sie dabei rot wurde. — — —
Dann wandte sie den Kopf zu Erwin, rief: „Aber jetzt, —
jetzt —!?“
Erwin sah unmutig ins klare Blau, aber er fühlte Schuld
in sich. — — —
Dann küßten sie sich.--------
Den langen Justus mochte man nirgends. Immer wenn
er eine Gesellschaft verließ, atmeten die Zurückgebliebenen
auf.
II.
Justus war häßlich, frech und spöttisch. Sein Gesicht war
nie rasiert, seine Kleidung unordentlich, verschlampt.
Der Herr Kunstmaler Zeisig war sein Landsmann. Wenn
sich die beiden auf der Straße trafen, duzten sie sich und
schieden, nachdem Zeisig Justus eingeladen hatte, einmal,
zu kommen. Und einmal kam Justus. ,Eir bat um Geld. Zeisig
gab ihm. Da kam Justus abermals. Er wurde liebenswürdig
empfangen. Zeisig hatte Besuch. „Geh in die Küche“,
sagte er zu Justus, frug: „Brauchst Du Geld?“ Dabei
sah er Justus von der Seite an und verzog ein ganz klein
wenig die Mundwinkel. Da drehte sich Justus um, sah
ihm in die Augen und sagte: „Nein mir graut, siehst du!“
Dann ging er. Seitdem kam Justus nie mehr zu Zeisig. —
16
III.
Heute war Bruno traurig. Ganz zusammengesunken saß
er hinter seinem Glas.
Er dachte an Grete.
Sie hatte schon mehrere Tage kein Geld mehr gebracht;
darauf hatte er sie geschlagen.
Da lief sie ihm davon, kam nimmer.
„Ich sollte nicht so grob gewesen sein — es ist wahr,
sie ist auch runzlig, ja----------
Plötzlich stand Grete da, setzte sich zu ihm, trank aus
seinem Glas.
„Ich hab jetzt Arbeit genommen!“ brummte er über
die Achsel weg.
„Du?!“
„Eines muß doch.“
„Freilich . . . aber . . . Du!!?“
„Es ist ja wahr, Du bist ja auch schon runzlig, nicht
mehr gerade anziehend!“
Das traf sie. Wie ein Schlag. Ein Stich. Sie goß ihm
ihm das Bier ins Gesicht, schrie, lief weg. Er ihr nach.
Der Wirt schlug Lärm.
Da waren sie auf der Straße. Wurden verhaftet. —
Eine große Menge Gaffer folgte — wie bei einem Grab-
gang. —
Oskar Graf.
Der Künstler Richard Strauß.
Auftakt.
Indem wir einen Gott verkünden, müssen wir
Götzen vernichten und ihre Diener zu ihm ^rziehn.
Diener, das sind Menschen, die glauben wollen; den anderen,
denen das Göttliche nur Beitrag ist, müssen wir beiträg-
liches verständlich machen. Das heißt: ihrem Geist ent-
sprechend Feinheiten übergehen und das Gut der Ober-
fläche abheben.
1. Beiträgliches verständlich.
Was nicht überhaupt Musik in sich trägt, steht unter
dem Vieh. Kein denkendes Wesen weiß ich (sei es Hund1
und Vogel), das nicht Musik gleich einem feinen Duft in
sich verschlösse.
Was nicht ernstes Musizieren im Herzen hat, ist dem
höchsten Tempel ein Fremdes. Somit ist dem Pöbel der
17
Musik sein Recht nicht abgesprochen. Dies ist Kommiß-
brot — das nahrhafte, leicht verdauliche. Die Geschmacks-
nerven haben keine Schattierungen auseinanderzuhalten, die
Farbe ist: farblos, der Duft: Geruch. Es fehlt auch die An-
lage und die Möglichkeit. Aber auch sie hören die Werke
eines Gottes. Was gingen uns nun diese an? Warum
schweigen wir nicht, verleugnen sie nicht?
Weil sie Steine werfen. Diese, in deren Händen der
Stein eine unpassende Waffe ist; die selbst des Steines un-
würdig sind.
Das kämpfende ICH muß dem angegriffenen DU geistig
das Wasser reichen, die Schulter berühren können. Ihm
entgegen — aber auf der gleichen Stufe stehen.
Das Bild eines Gottes, den wir auf hoch erhobenen Armen
tragen, vor Pöbelwahn und entehrenden Steinwürfen zu
bewahren, ist uns Gläubigen (das heißt: Dienern) heilige
Pflicht.
Betrachtet drum —: Gilbertianer, Kolloaner und Ihr alle,
die Ihr der „leichtgeschürzten Muse (!)“ den Hof macht, be-
trachtet drum das Antlitz unseres Gottes Richard Strauß, be-
haltet iEurem -Urteil die Herzensfreudigkeit seines Musizierens
und, was Ihr an Walzern und Melodik eben noch versteht.
Im übrigen: versucht, den Stein, den Ihr werft, in der
Beleuchtung Eurer hilflosen Einfalt zu erblicken —, und'
— seltsam, einem Bumerang ähnlich deucht er Euch in
gleichem Schwünge zu den Schleuderern zurückzukehren.
Wer ihn Euch aber zu warf — schien es Euch nicht „die
Vernunft“ zu sein! Ihr ist die Waffe berechtigt.
2. Verkündung.
Ins Horn gestoßen!! Herauf Wachträumer! Zaudernde
(Ahnende!) — rüttelt Euch empor. Ins Horn gestoßen!
In Reih und Glied! Wir wollen kämpfen für ihn — für
unseren Gott. Seht — dort: strahlend läßt er sich über
uns nieder, deckt mit den Falten seines unendlichen Mantels
uns alle, die er ergriff. Blickt — die Sonne liegt auf seinem
Schwert und blitzt und flimmert darin — und in seinem
Schild der Diamant spiegelt alle Farben — ist unversehrt.
Jeder Steinwurf schuf neue Glätte, neue Verheißung. Prü-
fung machte ihn hart. Seine Augen glänzen. In den Zei-
tungen, diesen Schmierblättern, stand: er ist fünfzig Jahre.
Aber — wir wissen, daß er jünger ist, ganz junges Leben
atmet, einer, dem kein Erdentum mehr streift. Euch Dummen
und Neidern zum Trotz: ein Ewigjunger.
18 '
3. Die Erklärung.
Was den Alten einst eine Farbe, empfindet er im Heute
als tausend schillernde Nüancen, und die Klänge, die er
ersinnt, sind Spiele von urtausend Spiegellichtern und Kalei-
doskopen —; sein Gewand schillert und glitzert wie tau-
besprengt. All das aus den Tiefen heraufentwickelt.
Ein Wort bedeutet ihm mehr, als den Ton C oder gis
daraufzukleben, wo die traditionelle Unkompliziertheit eine
Viertelnote malte, hüpft heut ein Sechszehntel, das logisch
entwickelt und fein ergrübelt ist.
Für den Alltag ist dies Spielerei — (wenn es überhaupt
bemerkt ist). Dem Hinhorcher aber entgeht kein feinstes
Pünktchen.
An Richard Strauß ist alles elektrisch, seine Musik den
Nervenströmungen unserer Zeit angepaßt, den Aufreizungen
unserer Sinne innerst verwandt. Der Ausdruck ist verfeinert,
in einem Gesicht sind Millionen neue verästelte Muskeln
entdeckt worden; das ist es. Senkt Euch hinein. Eine (an
sich) harmlose Achtzehntelpause ist bei ihm Kulturdokument.
4. Das Erlebnis.
Königliches Opernhaus. Berlin. Sontag 12 Uhr. Matinee.
Heiliges Raunen im Raum. Alle fühlen: dies ist unwieder-
bringlich. Am Pult: Richard Straußi. Eben verrauschte
Symphonia domestica. Man spürte eine Löwenpratze uner-
bittliche Wunden schlagen. Man erlebte den subtilen Witz
eines unerhört Feinsinnigen. — Man wirft einen Blick
aufs Programm . . .; wie . . .? Wie . . .?? Moz. . .?
Anklopfen. Man sieht eine* hagere Gestalt die Musiker
wie an Fäden ziehen. (Seidenfäden — ganz dünne — die
auf das leiseste kaum geahnte Zucken reagieren.)
G-moll Symphonie von Mozart. Man ist erfüllt von leiden-
schaftlicher Ehrfurcht. Das Orchester klingt zum Weinen'
schön. Man weiß plötzlich nicht mehr — wo man ist. Der
ganze Opernsaal sinkt zusammen. Und während wir die
Augen schließen, steigt eine ganz andere Welt herauf. Die
melancholische Heiterkeit und der spaßige Ernst des längst
erstorbenen Rokoko.
A u s k 1 a n g.
Ein Mann geht durch den Grunewald. Für ihn lebt der
See, spricht zu ihm. Aus Erde und Grün steigt ihm wohl
Verständliches herauf. — Was ihm die Natur gewährt, gibt
er uns ehrlich und in seiner Sprache weiter. Denn das ist
End und Anfang eines wahren Künstlers: die Ehrlichkeit.
Friedrich Holländer.
Salons.
Eine kleine Anzahl von Bildern des Henri Matisse
ist im Salon Gurlitt zu sehen. Es ist erstaunlich wie
rasch dieser Künstler aus der heftigen Debatte um Wert
oder Unwert in jene klassische Nähe der Impressionisten1
gerückt ist, wo Ehrfurcht vor der Größe die Kritik in
engste Grenzen der Sachlichkeit spannt. Das Neue wirkt
nicht mehr als Bluff, sondern als Ziel der Entwicklung und
man erkennt das malerische fErlebnis, den Wert, den das
Beschränken auf Farbenfläche und Umriß hatte, und man
erkennt den Ausgangspunkt Neuerer. Die ursprüngliche und
selbstverständliche Architektonik Cezannes ist hier bereits/
zu einem Ziel geführt. Die Dissonanz der Farben klingt
zur Harmonie zusammen. Und aus der Reihe der wenigen
kleinen Bilder hier (es fehlen vor allem jene wichtigen großen
dekorativen wie der „Tanz“ und die „Musik“) leuchtet das
große Antlitz eines Schöpferischen auf.
C a s s i r e r stellt in seinem Salon verschiedene aus. Man-
ches, das man schon kannte: Den „Mord“ Cezannes (er
hing auf der vorigen Sezession am Kurfürstendamm). Die
wilde düstere Einsamkeit, in der nur die beiden Fleischer-
arme der Mörderin und der dolchgehobene Arm und flat-
ternde Rock des Mörders brutal aufleuchten, birgt alle die
Schauder einer dantesken Höllen’andschaft. Erschütternd und
elend verlassen greift der nacktgraue Arm der Ermordeten,
rinnt ihr blondes Haar nach vorn. Vion Cezanne gibt es
noch einige Aquarelle von der Wunderzartheit des Eben-
begonnenseins und eine späte fast ganz in Traum gelöste
Landschaft. Von Pissaro hängt der „Place du Theatre fran-
gais“ dort. Fast aus der Vogelperspektive sieht man auf
das Durcheinander der Omnibusse, Fußgänger und Wagen,
die mit solcher Sicherheit gesetzt sind, daß man an die
Notwendigkeit der Reihenfolge glauben muß. Renoir ist
gut vertreten, auch Pascin mit Mädchenakten, deren rührende
Frivolität man kennt. Liebermann wirkt ziemlich langweilig
mit seinen unvermeidlichen Strandbildern (Feuilletons aus
der Sommerfrische). Trübner hat sein ewig-gleiches Leim-
grün, Slevogt ein sehr schlechtes Reiterbild. Feigl ist ein
Neuer, der vielleicht Talent hat.
20
Bücherbesprechungen.
Paul Scheerbart. Glasarchitektur. Verlag Der
Sturm, perlin. — Paul Scheerbart ist mit gutem Recht schon
lange unzufrieden mit unserem Stern. Aber er begnügt sich
nicht, die bedeutend besseren Verhältnisse anderer Sterne
uns verlockend zu schildern, er macht auch Vorschläge zur
erfreulicheren Gestaltung dieses. Die vielen, die zum Unter-
schied von ihm im Gestern statt im Morgen leben, halten
ihn darum für einen Phantasten, den man nicht ernst nehmen
braucht. Aber dieser Dichter ist (bei Gott!) ernsthafter
und wirklicher als Börsenspekulationen und Sturzflüge. Seine
Schuld ist es nicht, daß wir, statt heute schon in Glashäusern
zu wohnen, in steinernen Höhlen auf Licht und Buntheit
warten. Ich kann nicht mehr tun, als seinem neuen Buche
„Glasarchitektur“ wie auch all den früheren möglichst viele
einsichtige Leser zu wünschen, auf daß sich die Zustände
bald bessern. —
Peter Baum. Kammermusik. Hyperionverlag.
Berlin. Eine Folge ganz belangloser Geschehnisse ist der
Faden, an dem Peter Baum Gespräche und Szenen aufreiht.
So bekommt sein Buch jenes schwerelose Schwingende, das
leicht wie eine Arabeske im Raume schwebt. Der feinen
und klugen Kultur des Rokoko ist dieser abgewandte
Träumer innerst verwandt. Die Freude am Genießen (nicht
aus Snobismus, sondern aus Verständnis und Verehrung)
am gutgeführten Gespräch, an der geistvoll erfundenen Anek-
dote ließ Peter Baum in unserer Zeit, wo man Rokoko
und Liebesgetändel grundlos zu identifizieren pflegt, diesen
Roman schreiben, der ganz gesättigt ist, von künstlerischer
Kultur, in sich ruhender Kraft und Zartheit. R. B.
ÜÜIJI !•' L J T F.i 1 | ' i 1 i : ! i
Henri Bergson, Das Lachen. Eugen Diederichs
Jena. Bergson ist nur selten von gallisch-spitzer Findigkeit.
Seine Gewissenhaftigkeit ist fast „deutsch“ und seine Unter-
suchungen über die komischen Formen, die Situations-, Wort-
und Charakterkomik sind so tief, umfassend und so neu teil-
weise, daß man eigentlich Grundsatz um Grundsatz aus
diesem glänzenden Buch abdrucken sollte. Bergson findet
stets die geheimste Feder, das Innerlichste, und das leich-
teste zugleich: Das Ei des Columbus. Er findet unmittelbar
wichtige Zusammenhänge zwischen dem Lachen und dessen
Bedeutung für das soziale Leben. Das Lachen, meint Henri
Bergson, ist wie Schaum auf immer wieder entstehenden
21
Wellen: „Und auch salzhaltig ist Was Lachen, und es
schäumt und ist lustig wie $chaum. Und der Philosoph,
der ein paar Tropfen sammelt, um zu kosten, mag wohl
bisweilen in seiner kleinen Menge dieses Stoffes sein gut
Teil Bitterkeit finden.“ — Die Uebersetzung der Herren
Julius Franken-Berger und Walter Fränzel ist musterhaft.
J.-J..
Rembrandts Handzeichnungen. Band 1: Rijks-
prentenkabinet zu Amsterdam. Band II: Königl. Kupfer-
stichkabinett zu Berlin. Verlag Hermann Freise Parchim i. M.
— Rembrandts Handzeichnungen sollen in dieser verhältnis-
mäßig sehr billigen Ausgabe, gut reproduziert und vollstän-
dig, erscheinen. Ihr zum Geleit möge hier die unsterbliche
Strophe Baudelaires in Stefan Georges Uebertragung stehen:
„Rembrandt: trauriges siechhaus voll murmelnder stimmen
Und mit einem großen kruzifix nur geschmückt-
Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen —
Und jählings von einem winterstrahle durchzückt.“
Neue Bücher.
Eine Aufführung bedeutet bereits eine Empfehlung, ohne eine aus-
führliche Besprechung auszuschließen.
Rimbaud: Les Illuminations. Mercure de France, Paris.
Rimbaud: La Saison en enfer. ebda.
Arno Nadel: Um dieses Alles. Georg Müller Verlag,
München.
O. Panizza: Visionen der Dämmerung. Ebda.
Scheerbart: Das graue Tuch. Ebda.
Handbuch der Kunstwissenschaft. Herausgegeben von
F. Burger. Akademische Verlagsgesellschaft Athnaion,
Berlin-Babelsberg. Lieferung 1—15.
Erich Mühsam: Wüste, Krater, Wolken. Paul Cassirer
Verlag, Berlin.
George A. Goldschlag: Gedichte. Paul Baumann Ver-
lag, Charlottenburg.
Zeitschriften.
Die .weißen Blätter. Monatsschrift. Herausgeber E. E.
Schwabach.
Wiecker Bote. Monatsschrift. Herausgeber Oskar
Kanehl. Besonders empfohlen wird das konfiszierte Heft
11/12 (zu beziehen durch den Staatsanwalt).
Kritische Rundschau. Halbmonatsschrift. Herausgeber
H. L. Held.
Licht und Schatten. Wochenschrift.
2(2
Herausgeber und künstlerischer
Leiter dieser Nummer:
Heinz Barger. / Schriftleiter:
: i. V. Walther Heidmann. :
Vertretung f. Oesterreich-Ungarn:
Friedrich Hollaender, Prag.
Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe gestattet.
DER KRIEGS-SONDERAUSGABE ERSTES HEFT.
Der Krieg und die Jugend.
Die Menschen, die einen Verfall, wie den des römischen
Reiches, aus der Jugend heraus jetzt neuerlich fürchteten,
können nun wieder in jedem Jüngling die Jugend sehen,
eine Generation würdig der 70/71-Kämpfer. Sie sind über-
rascht und können es sein, welch eine Wendung eintrat,
und sie werden für die Zukunft geheilt sein von ihrer leicht-
fertigen Gewohnheit aus den jung-modischen Attributen der
Jugend und aus den jung-schnellen Worten auf den tieferen
Gehalt, auf das Gemüt, den Charakter, die körperliche Kon-
stitution zu schließen. Nichts war natürlicher als dieser
scheinbare Verfall. Die jetzige junge Generation kam nach
einem Kriege zur Welt und zwar so lange nach ihm (in
den neunziger Jahren), daß ihnen der Krieg nicht ein wie
aus den Augen gehendes Bild, ein wie aus den Ohren
gehender Schall war, wie er es heute schon dem fünfjährigen
Kinde ist, sondern er war der Generation lediglich eine
schlechte, trockene Erzählung der Pädagogen, die sich in
3
den Jahren rund um Christi Geburt zu lange aufhielten, um
zu dem uns Naheliegendsten, Letzten zu kommen. Zu lange,
um einen Bismarck oder den riesigen actus der »Deutschen-
Reich«-Gründung mit in der Erinnerung glühenden Augen
einer vor unerhörten Spannung fiebernden Jugend vor Augen
zu bringen. So mag es aber (das sei vorausgenommen)
nach dem Kriege werden, schon während dessen sein. Der
Lehrer schöpft seinen Stoff aus den Tagesereignissen, er
kann wuchtig und spannend erzählen und schildern; der
Schüler wird gemäß der Zeit, in der er lebt, immer ein bene
praeparatum pectus sein. Das Erleben ist die Hauptsache,
denn nie hat es einen Jungen nach dem Herzen Gottes
gegeben, der sich allein mit den Erzählungen und Erinne-
rungen der Eltern und Verwandten zufrieden gegeben hätte.
Jeder muß erst erleben. Und durch Schaden wird er klug,
durch Erleben reift er, so auch mit dem größten Schaden
und dem größten Erlebnis: dem Krieg. Seltener, als man
denkt, findet sich historisches Verständnis bei der Jugend.
Jetzt wurde das Jahr 1914 das historisch für alle Zeit be-
deutsamste. Da sieht man klar, wie nun die Wirkung auf
die Jugend ist. Sie erlebt die Zeit und wird immer unter
ihrem Eindruck stehen. Und der Pädagoge findet für das
wichtigste Fundament jeder Weltanschauung, der Historie,
den fruchtbarsten Boden (man denke nur an die möglichen
interessantesten Vergleiche zwischen den Schlachten in
vorigen Kriegen und denen im jetzigen.) So ist dieser
Krieg in positiver und negativer Weise der Jugend von
Nutzen. Er macht ihr das größte moralische Geschenk und
reinigt sie von den Befürchtungen und dem Mißtrauen, das
man ihr entgegenbrachte. Denn mit den U/g Millionen
Kriegsfreiwilligen, mit der freiwilligen Rekrutierung der
Streitkräfte aus den Allerjüngsten, hob sich die Jugend
strahlend in den Sitz der »Männer« beanspruchenden Vor-
fahren. Die Jugend ist heute schnell fertig mit der Tat
gewesen. Es mit dem Wort zu sein, ist das Privileg ihres
herrlichen Temperaments. Und das wird ihm gegönnt, wenn
man auch Taten sieht. So wird der Krieg ihnen, den
jungen Mitkämpfern, den Vorrang vor Anderen und Aelteren
in späterer Zeit sichern. Nur möge unsere Generation es
verstehen, der kommenden wirksam den Kampf um lange
4
Gehabtes, Erhaltenes und — vor allem — lange Geliebtes,
den Kampf um das Land der Kindheit und des Heimats-
gefühls, um das Vaterland, zu schildern, Haß und Liebe zu
Völkern den Heranwachsenden einzuimpfen und zu ihnen
ein Fluidum ihrer in dieser großen Zeit gehabten Gefühle
übergehen zu lassen, damit auch nicht einmal die äußer-
lichen, täuschenden Anzeichen der Verweichlichung bei der
künftigen Generation Platz greifen, sondern damit sich das
Schwert in ihrer Hand ebenso groß ausnähme, wie heute,
wenn sie — was mit dem jetzigen Krieg endgültig verhütet
sein möge — gezwungen wäre, es zu ziehen. So befällt
von diesem Jahre ab die Menschen Ernst und die Jugend
reift zu Männern. Sie war verkannt, denn sie zeigte sich
nur in Worten und neigte schon in jungen Jahren zur
Kritik. Doch, wie wir an das menschlich Größte, wie wir
an Goethe, Beethoven, Bismarck keine Kritik legen, so gab
es bei der Jugend diesmal zum Allergewaltigsten keine
andere Stellungnahme, als das Darbieten der eigenen Person.
So möge die junge Brust, die freiwillig vor Monaten ihren
Schmuck und Rock ablegte, um den einfacheren und härteren
Rock des Soldaten anzulegen, durch den schönsten Schmuck
des Eisenkreuzes zu ihrem Recht kommen, und das junge
Herz, das für uns nicht auf dem Felde blutete, wird später
alle Schönheiten des Lebens wie Geschenke und neuen
Lebensodem empfinden.
Otto Erich Schmidt. *)
*) Von dem gleichen Verfasser erschien soeben ein Buch im Ver-
lag der „Weißen Bücher" Leipzig.
5
Krieg und Individualismus.
Individualismus fordert Verantwortlichkeit; das Individuum
nimmt initiativ Stellung zur Sozietät. Eine höhere Organi-
sation ist nur auf dieser Grundlage möglich Unser geistiges
Wesen baut sich auf dem individualistischen Prinzip auf.
Der Krieg stellt an unser Volk organisatorische Forde-
rungen, die in ihrer Mehrzahl nicht individualistisch erfüllt
werden können.
Die Generation, die an diesem Kriege zunächst be-
teiligt ist, besteht eine Kraftprobe, der die wenigsten ohne
massensuggestive Einstellung gewachsen sein werden. Es
hat überrascht, wie schnell dieses nicht unbedenkliche Mittel
auch von den ausgearbeiteten Individualisten angeeignet
werden konnte. Es wird eine spannende Frage sein, wie
es nach dem Kriege gelingen wird, eine geistige Tendenz
wieder zur Geltung zu bringen, deren Entstehung so viel
Mühe gekostet hat und die so schnell aufgegeben wurde.
Es ist eine Aufgabe des Teiles der Jugend, der nicht
in so hohem Maße wie die im Felde Stehenden vom Krieg
beansprucht wird, den Prozeß der Individualisierung nicht
einer Reaktion verfallen zu lassen.
Man bedenke, daß der, dem nicht äußerste, ihm
oktroyierte Leistung abgefordert wird, keine
Entschuldigung hat, wenn er Geistiges versäumt.
Darum keine neurotischen Kriegsfreiwilligen! (Es gibt
auch eine Flucht in den Krieg!) Keine patriotischen
Suggestionen; (das ist nicht schwer, so lange sie uns in
so brutaler Form geboten werden, wie in den Straßen und
Cafes von Berlin!), — vor allem aber keine oppositionellen
Suggestionen (welche, hinter dem Herde, nur schäbig sind).
A. E. Günther.
6
1914.
JANUS WETTERHAHN.
_____^
Schlicht Kreuz aus Holz.
Er ritt einen Falben gegen den Wind.
Ich liebte ihn sehr.
Ich härmte mir meine Augen blind.
Er kam nicht mehr.
Sein Blick war blau, sein Haar war blond.
Und er war stolz.
Sie gruben sein Grab vor Feindesfront. —
Schlicht Kreuz aus Holz.
O. H. Friet.
Verse
von Rolf-Günther Kramm.
Die Nächte sind jetzt so seltsam rot,
So bleich und erstorben die Tage . . .
Der Glocken Läuten, einst still und fromm,
Jetzt tönt es wie Totenklage.
Von Nebel und Rauch sind die Lüfte schwer,
Sie drücken auf Haus und Stube,
Und irgendwo kommt dumpf ein Dröhnen her,
Als schaufle man dort eine Grube.
Auf einsamen Wegen, allein und bleich,
Geh'n Frauen mit müder Gebärde,
Schwarz ist ihr Kleid, ihr Haupt gesenkt,
Ihr Blick irrt umflort zur Erde.
Es geht ein Ungeheuer um,
Das will die Welt verschlingen . . .
Am Himmel drohte ein Komet,
Und eherne Stimmen klingen —
Im Wind und rufen zum Kampfe auf —
Es gilt ein gewaltiges Wagen . . .
Oh still, mein Herz: Kanonenton!
Der Feind, der Feind ist geschlagen!
Für einen Freund im Felde.
Es waren noch einmal Tage
Voll Sonne und leichtem Wind,
Als wir noch ohne Klage,
Noch fern der verzehrenden Plage
Die Wege gewandelt sind.
Dann kamen die wilden Stürme
Aus der Erde tiefstem Schoß,
Zerschlugen die hohen Türme,
Zerwirbelten das Gewürme
Und rissen dich von mir los.
Wo treibst du nun, reisiger Streiter,
Mutig, ein Held, im Orkan?
Ich bete für dich — der Bereiter
Der Schicksale sei dein Begleiter,
Dich, schützend, stets zu umfahn.
Friedrich W. Wagner.
Krieg.*’
Alle Straßen sind mit Blut beglitzt.
Gierig lecken vieler Hunde Münder.
Bajonette lüstern hochgespitzt.
Witternd recken sich die Zwanzigpfünder.
In den Nächten drohte der Komet.
Ueber Städten platzten die Granaten.
Trommeln, Trommeln wird weitergeweht.
Braungeplättet liegen alle Saaten.
Hermann Plagge.
*) Der noch unveröffentlichten 5. Nummer »Neue Jugend« entnommen.
Die Kunst schreit nach Brot.
Nicht alles ist groß, was uns dieser Krieg brachte, und
nicht alle haben es verstanden den Anforderungen dieser Zeit
gerecht zu werden. —
Am wenigsten leider die Künstler, sondern gerade sie
begingen den größten Fehler.
Maler, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, alle —
Daß in den Tagen der allgemeinen wirtschaftlichen Mut-
losigkeit gerade die Künstler mit Sorge in die Zukunft blickten,
verdachte ihnen kein Mensch, daß sie heute die Hilfe an-
nehmen, die man ihnen bietet, verdenkt ihnen noch weniger
jemand.
Aber daß sie ein lautes Klagen begannen, ver-
denkt man ihnen mit Recht.
All dieses hysterische Jammern und die Aufrufe hätten
unterbleiben müssen, denn sie schlagen dem Ansehen der
Künstler Wunden, die schwer zu heilen sein werden.
Wer in ruhigen Zeiten besondere Gesetze für sich in
Anspruch nahm, wer jeden Eingriff in seine Rechte ab wehrte
und sich immer außerhalb der Allgemeinheit stellte, durfte
nicht nach Brot jammern.
Die Folgen werden nicht ausbleiben.
Die Bürger werden in Zukunft die Künstler und ihre
Forderung, mit eigenem Maß gemessen zu werden, noch
weniger ernst nehmen als zuvor und ihre frühere achtungs-
volle Entrüstung über die Künstler wird sich in Gering-
schätzung wandeln. —
Und das Bittere ist: Die Bürger haben Recht, denn die
Künstler haben es am Wichtigsten, an der Selbstachtung fehlen
lassen.
Sie hätten hungern sollen, wie sie’s zuvor ja auch
taten und sie hätten endlich schweigen lernen sollen.
Walter Heidmann.
10
Kriegsfreiwillige Dichter.
Wie maßen sie mit klugen Händen
die Zirkel und Parabeln unsrer Qual,
und unser Schmerz und Stürmen war vor ihnen
wie klare Hebel blinkender Maschinen.
Sie fingen Weichheit an und wußten nicht zu enden;
sie waren selbst zu weich für ihren Stahl; —
es kam der Krieg; im Taumel nacktester Gefühle
verrieten sie die schmerzliche und arbeitsame Kühle.
Sie flohen an die Front, sich zu verlieren,
doch vor dem hellen Schrei von jungen Offizieren
hielt ihre Hoffnung kaum mehr stand,
für das zu sterben, was sie nicht mehr überwand.
Ihr ganz verlornen halben Mutes
schon taub der Stimme ungeklärten Blutes
und noch nicht stark genug, sie zu entbehren,
zu tun, was Einsamkeiten eines Hirnes lehren. —
So harren sie, bis sie die platzende Granate
diskret verhüllt, das keiner mehr errate
welche schmerzensvollen, müden Narren
sie, die heldenhaften, lauten, waren.
A. E. Günther.
11
Die Psalmen des Krieges.
Gott Krieg sang:
S ü n d f 1 u t:
Ich kam in den Regenwolken.
Sturm war mein Atem, und Blitz mein Auge.
Ich sah Euch, Menschenvölker, und weinte.
Meine Tränen rannen, in Strömen stürtzten sie erdwärts,
und es ward die große Flut.
Die Menschen kauerten auf den Felsen und schrieen.
Es ging ein großes Sterben durch die Welt.
Da die Welt aber gereinigt war, ließ ich meine blauen
Augen strahlen und setzte den glitzernden Bogen
auf mein Haupt: das Zeichen des Friedens und der
Eintracht.
Geschlechter, die kamen, nannten jene Flut — Sündflut, und
sie nannten sie mit Schrecken.
Geschlechter, die kamen, hörten von jener Flut, und sie
hörten von ihr mit Grauen.
Geschlechter, die kamen, lasen von jener Flut, und sie
lasen von ihr mit Staunen.
Doch Ihr, Geschlechter dieser Tage, Ihr, sähet, hörtet und
laset nicht von ihr.
Euer Gang wurde fest und steif, Euer Blick hart und kalt,
Eure Herzen waren aus Eisen und Stahl.
Liebe hieß Euch Kinderspiel, Propheten schaltet Ihr Narren.
Glaube war ein duftiges Sommerkleid, das schneller blich,
denn Blumenrot. Euer Glaube war allein Eure
Größe. Und sehet, diesen Glauben kam ich, Euch
zu nehmen.
Ich setzte mein Horn an die Lippen und sprang auf meinen
schwarzen Hengst.
Ritt durch das Land, als der Himmel mit blutigen Fingern
die einsamen Pappeln am Wegrand umkrallte, und
das Schweigen war mein Lied, die Einsamkeit mein
dröhnender Herold.
12
Mein Horn aber tönte gell und schrill, wie der Schrei des
Greif, der mit grauen Flügeln hinter meinem Odem
jagte, und den sie Pest fluchen.
Wiederum komme ich mit den Regenwolken. Die Menschen
beten zu mir:
Gott —, schütteln die Faust nach mir: Krieg. —
Und ich bin weder Gott noch Krieg. Sie wissen nicht, daß
ich nichts bin, wenn sie nichts sind. Darum bin
ich so ganz Gewalt, Kraft, Natur.
Sie sagen, ich hätte zwei Augen, das eine: Krieg, böse
und wild, das andere: Gott, gut und still.
Sie irren, eines ist es, man hat es Seele geheißen.
Sie können es nicht sehen, weiße Nebelschwaden bargen
mein Antlitz.
Jetzt aber reiße ich den Schleier von meinem Haupte und
sprenge über die Heide.
Wo mein Horn gellt, weinen Frauen und jagen Männer sich
Mord in die Brust.
Wo mein Roß wiehert, dampft die Erde Blut.
Es läuten die Glocken mich durchs Land: Krieg!
Sehet, so bin ich wieder zu Euch gekommen, die Ihr praßtet
und prachtet.
Ich kam in den Regenwolken, Sturm war mein Atem, und
Blitz mein Auge.
Der Tod ist mein Troßbube und Blut mein Banner.
Schließet die Tore und lauschet mit Angst in Euren Betten.
Eine neue Flut wird über Euch hereinbrechen — eine Sündflut.
Klammert Euch an die Felsen, und sie werden bersten.
Keine Arche wird Euch bergen, keine Taube Euren
Oelzweig tragen.
Sie dienten Euch, weil Ihr glaubtet. An wen glaubt Ihr nun?
Ihr glaubt an mich, der ich gewaltiger bin denn der Antichrist.
Ihr sprechet wahr, denn ich bin mehr denn Antichrist und
Uebermensch.
Ich bin der Widermensch und ich lebe solange Ihr lebt und
siege über Euch, da Ihr mich nicht besiegt.
Jetzt ist Zeit, Gerichtstag zu halten. Wie schwer werdet
Ihr mich tragen; denn Ihr habt mich leicht befunden.
Ich bringe Haß und nicht Frieden. Ich werde ihn nicht
bringen, es sei, daß Ihr ihn bringt.
Kein Tag ist zu sehen, Finster lähmt die Sinne.
Ein großes Sterben geht durch die Welt, —-----------------
Heiho, ich und mein Horn.
13
Ich bin es, der Krieg.
Sehet Ihr im trüben Nebeldunst der schwankenden Lichter
Menschenschatten und hört Ihr nächstens dumpfes
Geschrei gehetzter Massen, so wisset: Ich bin es,
der Krieg.
Sehet Ihr Bogen mit stechender Schwärze von Hand zu
Hand fliegen,, zerfetzt zu Boden fallen und dahin
geweht werden am anderen Tage, so wisset: Ich
bin es, der Krieg.
Sehet Ihr Eure Brüder mit Rosen geschmückt von dannen
ziehn und preßt nach Tagen ein verwelktes Blatt
an Eure Lippen, so wisset: Ich bin es, der Krieg.
Sehet Ihr junges Leben mit frohem Sang in Dämmerfernen
enteilen, und sehet Ihr junges Leben mit zerschmet-
terten Gliedern und lichtlosen Augen bleich auf der
Bahre heimkommen, so wisset: Ich bin es, der Krieg.
Sehet Ihr grauhaarige Menschen bettelnd ihre Straßen ziehn,
so wisset: Ich bin es, der Krieg.
Höret Ihr Mütter weinen, so wisset: Ich bin es, der Krieg.
Höret jedoch taufrisches Lachen blondgelockter Kinder, so
wisset: Ich bin ich nicht, aber der Friede.
Otto Laender.
Verantwortlich für den Inhalt: J. V. Walther Heidmann, Charlottenburg.
Expedition: Reuss & Pollack, Berlin W., Kurfürstendamm 220.
Druck: William Becker, Berlin SO., Köpenicker Str. 32.
Die Zeichnung ist handkoloriert d. Kolorieranstalt H. Silwar, Berlin W57
1“
NEUE JUGEND
MONATSSCHRIFT
HERAUSGEBER HEINZ BARGER SCHRIFTLEITER WIELAND HEREFELDE
SIEBTES HEFT JULI ERSTES JAHR
AN DEN FRIEDEN.
O süßester Traum der streicht wie Sommer lind!
Doch bald mußt du wohl mehr sein als ein Ahnen.
Da blüht er auf wie kleinster Duft von Wind.
Ein Engel durch der Leichen Schlucht sich bahnend.
Dein Tag —: er wölbt! Die Stadt birst vor Geläut.
Der Sonne Fluß erbraust in jeder Straße.
Gemäuer hoch sprießt goldener StrahWEfeu.
Fanfarenmünder Halleluja blasen.
Das Blutgefild verbaut zu weichem Beet,
Zu Wald und See mit Stern und Wolk darein.
Millionen Toter schwarze Fahne weht
Breit auf vom Grund. Zerpeitschte Lüfte Schrein.
Wird sich ein Blitz zum Mord im Abend zücken! ?
Nein. Menschen wallen Heilige im Chor.
Auf Promenaden mögt ihr Frauen pflücken.
Ein Bund von Freunden tritt im Platz hervor.
Ihr —: laßt uns gern vom ewigen Frieden reden!
Ja, wissend sehr, daß er Gestalt gewinnt
Noch süßester Traum nur. Unsere Hände jäten
Das Unkraut aus, das jenen Weg bespinnt.
Ertön o Wort, das gleich zur Tat gerinnt!
Das Wort muß wirken! Also laßt uns reden! !
Johannes R. Becher
L
123
DIE JUGENDBEWEGUNG
VOR DER GEISTIGEN ENTSCHEIDUNG®
Wenn man die geistige Lage eines Volkes dadurch auf der Karte markieren
könnte, daß man die Höhepunkte, die Stellen der größten Intensität und der
ursprünglichsten Geborenheit miteinander verbände, wenn es möglich wäre,
Wetterkarten des Geistes herzustellen, die auf die Altersklassen bezogen
wären: so zweifelt niemand daran, daß die dichtesten Linienbündel über die
jugendlichenMänner laufen würden. Hier, wo der Wille zum Nicht*Relativen
am stärksten ist, wo die ungehemmte Geistigkeit noch kümmernislos her*
vorbrodelt, hier ist der eigentliche Sitz des geistigen Menschentypus. Nachher
beginnt der große Aufsaugungsprozeß, den die bürgerliche Gesellschaft unter*
nimmt. Die geistigen Werke werden das Opfer ihrer eignen Interessant*
heit und ihre Schöpfer das Opfer des bürgerlichen Bildungsdranges. So
ziehen sie fort in Scharen von der Berufung zum Beruf, zum Intensiven,
zum Extensiven, von der Höhe zur Breite, von den Wenigen zu den Vielen,
von den Geistigen zu den Intellektuellen. Und wenn man nun suchen geht
in den älteren Altersklassen, zwischen 30 und 70, dann verklingt die rufende
Stimme echolos im leerenRaum: kaum hier und danoch ein jugendlicher Mann.
Kaum ein einziger und sein Eigentum. Alles ist enteignet und verpfändet.
Wo ist die Rettung . . . ? Wie kann man die Besten vor ihrem Untergange
bewahren, der in dem Aufstieg zur bürgerlichen Höhe liegt? — Man mache
ihnen die Urheimat erträglich,* man dulde nicht weiter, daß sie einsamer sind
als sie sein wollen. Man schließe ein Defensivbündnis zu ihrem Schutz. Die
Front wird immer breit genug gehalten sein.
.. . Zu wem reden wir also? Wer ist das Volk, das am Fuße unserer
Hügel kauert? Sind es die Greise, die den Vorduft der Grüfte in den
Haaren tragen? Sind es die wohlbestallten Bürger mit dem gesicherten
Leben und den festen Überzeugungen? —'Von allen diesen ist nichts zu er*
warten, und keiner von uns denkt an sie, wenn er spricht. Aber wir reden auch
nicht zu den Oppositeuren von Beruf und den Wichtigtuern des Kontrastes.
Wir reden zur Jugend.
Denn dorthin redete jeder bisher, der im Aufrausch des Geistes lebte.
Aber nicht zu der beliebigen Jugend. Nicht zu der, die schon weiß, was aus
ihr wird, nicht zu den Bürgern unter ihr, sondern zu der wagemutigen, die
sich bewegt.
®Mit Erlaubnis des Verfassers abgedruckt aus »Die Intellektuellen und die Geistigen«,- vgl.
Anzeige auf dem Umschlag. Der Herausgeber.
124
Wir reden zur Jugendbewegung.
Gehört es nicht zu den Schicksalen allerbester Art, die eine Jugend erleben
kann: daß man vor ihr nicht zurückhalten braucht mit den Stürmen des
Geistes, vor denen schon Heraklit von Ephesus erbebte? Ist es nicht wun-
dervoll, daß es Lauschende gibt in jenem jungen Geschlecht, zu denen man
Glauben hat, daß sie nie versagen? Aufgeregte und Horchende, die die
Ohren nicht zurückziehen, wenn man von seinem Besten und Schlimmsten
redet! . . .
Wir wissen freilich: der öffentliche Zustand der heutigen Jugendbewegung
ist wenig hoffnungsvoll. Sie hat sich bewegt, jetzt liegt sie auf einem toten
Punkte. Aber die baldigste Zeit wird den neuen Aufschwung bringen.
Die heutige Jugendschaft verdankt ihre Vegetation einer wohldüngenden
PoppeUFeigheit. Diese ruht etwa in der Wortserie: »innerliches Ver^
stehen«, »Erleben«, »empfinden«, »letztes Geheimnis«. — Man könnte
wohl sagen: wenn es diese Worte nicht gäbe und es nicht Situationen gäbe,
die sich hinter ihnen verbärgen, so gäbe es auch das ganze Schrifttum der
heutigen Jugendschaft nicht. <Hierbei sind selbstverständlich ausgenommen
Dinge wie: »Freie Schulgemeinde«, »Anfang«, »Aufbruch«.) Sie allein
sind es, die die schlimmste Lage der Jugendbewegung beschönigen können:
ihr Behagen an sich selbst. Ihre wohligeTanzlust< . . . ohne die harte Proble-
matik des Tanzes!), ihre spielerische Romantik < . . . ohne den Ernst des
schöpferischen Spieles), ihr Singen und Sagen < . . . ohne die aufrührende
Wucht von Dichtertum).
Die eine Feigheit, in deren Dienst jene Wortserie steht, gilt dem Eros.
Es ist nicht verwunderlich, daß ein Lebensvorgang wie die Jugendbewegung
in den Tatsachen seines Liebeslebens verwegener, absonderlicher und neuer
sein mußte, als die bürgerliche Gesellschaft, der zum Trotz sie entstand.
Ja, wer könnte es überhaupt erwarten, daß irgend etwas bei ihr in diesen
Dingen ortsüblich wäre? Wer dies tut, verurteilt den Lebensgehalt der
Jugendbewegung zur Durchschnittlichkeit. Aber nie selbst weiß er sehr
wohl, daß es nicht so ist.
Sie kennt heute das Wie und das Wo, sie weiß, daß man wissen muß,
um hier in sauberen Gewändern zu gehen. Und sie weiß, daß man ein
anderes Leben führen muß, als die Gesellschaft der Alten, wenn man mehr
sein will als sie. Aber wie kann man sich besser vor solchen Konsequenzen
bewahren, wie kann man besser dem Behagen fröhnen, als dadurch, daß
man unkontrollierbar »erlebt«, »tiefe Gefühle hat«, »mit dem Gemüte
begreift« und »innerlich mit sich fertig wird«?Ein Mensch, der sich, — dem
125
Tintenfische gleich — in die Trübheit der eigenen Säfte einhüllte, ist freilich
unangreifbar, — aber er Schlucht auch selber die Trübheit auf, und das
ernste Gesicht des Eros ersteht niemals in ihm.
Die zweite Feigheit, die durch jene Wortserie und ihre Abkömmlinge
gedeckt wird, geht auf die Geisteshaltung selbst. — Wer dem Geiste ver-
fiel, ist in Lebensgefahr. Die geistigen Menschentypen haben einen Dorn
im Innern, der sie jeden Augenblick zum Wahnsinn aufpeitschen kann. Die
Intellektuellen schützen sich durch jenen Prozeß, den wir eben durchgegangen
sind. Die jetzige Jugendschaft findet Schutz im »Gemüt«. Durch unkontrolliert
bare vorgeblich »tiefe« Erlebnisse, durch das berühmte »innere Fühlen«
wird die Giftigkeit des geistigen Bisses gelindert. Die heilige Erkrankung
des Tiertypus Mensch am Geist wird wie ein gewöhnlicher Schnupfen be-
handelt. Mit Gemüt gegen den Verstand vergehen heißt — in fast allen
Fällen — vor der eigenen Gesetzlichkeit des Geistes fliehen.
Wir wollen einmal vorübergehend alles, was diese Jugend heute noch
schreibt und denkt und singt, ernster nehmen als alles, was alle Professoren
über den Krieg gesagt haben <was immerhin ein recht erhebliches Opfer
des Intellektes bedeutet). Aber wir nehmen es nur deshalb ernster, weil
hier Keime ruhen, die aufschießen können, und weil es Jugend ist. Alter
gelte vorläufig als Einwand. Dies alles aber kann nur dann geschehen,
wenn es wirklich Keime sind, wenn wirklich der Ernst dieser Seligkeit,
die wir ihr wünschen, schon in ihr steckt. Einer Seligkeit, die weder auf
dem Umwege der Intellektuellen noch auf dem Wege des Gemütes erreicht
werden kann, sondern allein durch den Geist und durch den Eros. Latini*
tät wollen wir von dieser Jugend — gegen »Germantik«. Talmud gegen
Talmi! Einen Instinkt für die Mittel wollen wir bei dieser Jugend, den
Geruch dafür, daß man nicht wahllos gegen und für eine Sache sein darf.
Man darf gegen Wissenschaft sein: aber nicht als Naturmensch mit Roh-
kost, sondern mindestens als Forscher. »Kalter Intellektualismus« — dieses
Wort sollte ein für allemal verboten sein, denn Kälte ist fast immer ein
Vorzug und Intellekt erst recht. Man darf gegen Aufklärung sein: aber
nicht als Mucker/ und man darf nicht für Aufklärung sein als liberaler
Bourgeois. Man darf gegen Religion sein: aber nicht als »Monist«,- und
man darf für Religion sein — aber auch nicht als Monist. Man darf für
Kunst sein: wenn man die Distanz vor den süßen Gefühlen wahrt und
mindestens so gut denken kann wie Sokrates. Man darf Antisemit sein,
aber nur als Jude. Man darf gegen Gustav Wyneken »sein«, aber nur:-
wenn man Seinesgleichen ist. Hans Blüher
12Ö
■
FRAGE.
Verehrungswürdig schöner Mond,
Dies trage ich dir vor:
Unter den Tapfersten, unter den Stürmenden
Wirft sich die Mine zerschmetternd empor.
Kannst du nicht helfen?
Über zerfleischte Armeen der Ungestalt
Höher streckt sich der trauerlose Wald,
Mögen die Heere einander verheeren,
Wald schüttelt sich, möchte verbrennen.
Ohne Dämmerschein verschwärzt sich die Jahrhundertnacht.
O ihr vertempelten Kirchen, ferne des Himmels ungeborenem Ostrot
: der Menschwerdung des Menschen,
Wann blüht es blau
Über Blutwolken dahin?
Albert Ehrenstein
128
PHANTASIE.
Der dicke Kopf blüht auf in Regenbogenfarben —
von Negern schrillt es wütend durch die Nächte,-
Es fahren Wagen schreiend mit den Flammengarben
auf sanften Brücken und zergleiten dampfend.
Das Hochgericht speit seinen Aasduft wilder,
so Trommeln quiken über Land und Stadt.
Aus unseren Ohren johlen die verruchten Bilder
als Schemen tanzend, schöngewellt und matt.
Im Schlafrock gröhlt der alte Oberpriester
und zeigt der Schenkel volle Tostatur.
Aus Menagerien knattern scheugewordene Biester.
Der Zeylonlöwe hebt die Hand zum Schwur.
So hingeschlagen auf den fetten Tischen,
wo Ölstrom läuft, rührt uns der tote Mann.
Sein Hirn ist Glas, sein Bein zischt aus den Nischen —
ein Papagei zieht sich die schönen Hosen an.
Er träumt vom Strand, wo in Mangrovebäumen
der Affe purzelt und die Seekuh bellt.
Ein Stern hat glotzend unsere Nacht erhellt
aus der die Meere wie Champagner schäumen.
Es riß der Strick am Leib der Aequatoren!
Ein Heer von Professoren wankend brach
wie tausend Häuser einem Weibe nach,
der Schweiß steht kichernd auf entseelten Poren.
Richard Huelsenbeck
129
DER MALIK
Fortsetzung*) <dem blauen Reiter Franz Marc)
Mein Rüben, lebe wohl! Der Rücken Meines Dromedars dient Mir als Pult, dir
noch einen frommen Abschiedsgruß zu senden.Oben am Himmel glüht gezückt
der gebogene, goldene Monddolch. Wir werden den Prinzen von Moskau
aus seiner Gefangenschaft befreien, so wahr Ich Jussuf Abigail der Malik bin.
Das waren die letzten Worte, die der Basileus von Theben seinem Halb-
bruder, dem blauen Reiter Marc von Cana schrieb. Seitdem schimmerten
seine Augen bunt wie der Fluß, an dem seine Stadt lag. Nachts verbrachte
er in seinem Lieblingsgarten, reihte die roten Beeren der Astrantsträucher
auf Schnüre oder bog wie ein Kind die Stengel der Pusteblumen wilder
Wiesen zu Ringen und fertigte Ketten an. Lauter Spielerei. Osman holte
dann den lächelnden Kaisernoch vor Sonnenaufgang in den Palast zurück, weil
er einmal einen Stadtalten zu einem Stadtalten flüstern hörte von desMaliks
plötzlicher Verblödung. Aber des Kaisers strahlendes Gesicht bürgte für seine
Unbrüchigkeit. Für ihn regierte schon der Herzog von Leipzig, sich an das hohe
Amt zu gewöhnen, das ihm der Basileus in seiner Abwesenheit, in der Zeit
seiner großen Wallfahrt übertrug. Daß kindliches Spiel »schlummern« be-
deute, äußerte der hohe Freund seinem feinen Gast. Und er müsse viel, viel
schlummern vor seiner Reise, deren Sonne nicht untergehen dürfe. Nicht oft
genug konnte Jussuf seinen treuen Neger befragen, ob er wohl <der Malik)
dem feinen Gast gefalle? Über das Wasser des Brunnens seines Schlaf-
gemachs neigte sich Jussuf Abigail oft heimlich auf Zehen, um manchmal
enttäuscht zu brüten. Aber gläubig hingen seine Gedanken an dem Pilger-
zuge, den er noch im selbigen Monat am Siebten des El Aschura zu unter-
nehmen gedachte. Osman, der unersetzliche schwarze Knecht, verkürzte dem
Kaiser die Zeit, indem er ihn belustigte, einen Kosaken nach dem andern,
die sich ihnen auf der Wanderung feindlich in den Weg stellen würden,
auffraß. Jedesmal eilte dann der Kaiser durch die Vorräume und Gemächer
seines Hauses, den Hans Adalbert zu holen,- so, daß er ihn oft in seinen
Regierungsgeschäften störte. Der Herzog von Leipzig schrieb dann von der
Spiellust seines thebetanischen, kaiserlichen Freundes ganz ergriffen dem
Kardinal von Ostreich. Der Malik ist mir der liebste Freund, den ich je
besessen habe, darum bitte ich Eure Eminenz Ihren Einfluß geltend zu
machen, den Malik an seiner todbringenden Expedition zu hindern. Der
östreichische Kardinal warnte dann einige Male vergebens den Malik in
• Jede Fortsetzung ist in sich geschlossen. »Der Malik« erschien bisher in der »Aktion«.
130
seiner Sorge um ihn. Aber Abigail Jussuf antwortete dem Kardinal, indem
er ihm die wundervolle Geschichte David und Jonathans in alttestamenta-
rischen Buchstaben aufzeichnete, die aussahen wie lauter Harfen. Ergriffen
von der Treue des asiatischen Herrschers, sandte Carl große Geldspenden
für die fromme Reise. Damit war der Punkt erfüllt, den der junge, diploma-
tische Herzog, der Vizekaiser von Thehen im Auge hielt/ der hegte keinen
Zweifel an Ahigails Entschluß und er litt unsäglich unter der Tatsache, daß
dem kaiserlichen Unternehmen ausreichende Barschaft fehle.Jussuf jedoch war
heimlich enttäuscht, daß sich der Herzog mit der Reise nun über die kalte
Schneeebene zufrieden zeigte! Seinem teueren Halbbruder hätte er jeden Ein-
spruch in diesem Kriegszuge als Unterschätzung seiner Kraft übel genommen,
auch dieLiebesvenus von Siam, die er einst den Siamesen raubte, vertraute
dem goldnen Stern seiner Wallfahrt. Es versammelten sich die Häuptlinge
Stambul, Memed, Asser, Mär, Calmus, Mordercheii, Gäd und Salomein vor
dem Palast und schlugen auf ihren Kriegstrommeln eine Musik, die die schlum-
mernde Stadt auf weckte. Auf ihre Dächer stiegen die Einwohner Thebens,
sangen des Kaisers Namen, daß er anschwoll zu einem Konzert. Der Kaiser
bestieg mit verhülltem Angesicht sein mächtig Tier, das Ossman führte bis vor
die Tore der Stadt. Aber als die sich schlossen, wandelte Jussuf Abigail, der
kaiserliche Häuptling barfuß zwischen seinen Häuptlingen, bis sie an den Fluß
Abba kamen. Dort wusch sich die fromme Karawane den Staub von den
Zehen. Marc von Cana, desMaliks teurer Halbbruder trafgerade in Theben
ein, als Jussuf die Stadt verlassen hatte. In des Basileus Gemach saßen die bei-
den Fürsten Rüben Marc der blaue Reiter und der Herzog am liebsten und
sprachen von dem kleinen Kaiser, der das große Theben morgens aus einer
Schachtel nahm und es abends von seinem Ossman wieder hineinlegen ließ.
Rüben war gemessener und milder,- und gleichmäßiger pochte sein Emirherz,
als das seines Bruders Jussuf. Auch äußerlich war Rüben von hohem
Wuchs und stiller zärtlicher Majestät und gewaltiger, sonniger Schönheit.
Seine Augen vom Brauholz der süßen Baumrinde. Und immer wieder
erfreute es den Emir wie der junge Herzog das Spielherz seines Bruders
verehrte. Die Leute im Palast erzählten Rüben, der Herzog sei immer um
Abigail gewesen, als ob er ihn umspülte wie eine Insel. Solche Erzählungen
trösteten den canaanitisdien Fürsten, denn er glaubte, sein Bruder habe
einsam vor seiner Wallfahrt gelebt. Eine ihm unerklärliche Ahnung weis-
sagte ihm, daß er und sein Jussuf sich niemehr Wiedersehen würden.
{Fortsetzung folgt)
Else Lasker-Schüler
WOLF DIETRICH,
ERZBISCHOF VON SALZBURG.
An Abendhimmels Saum ein Rötelbraun ,•
Wie schmerzliche Wonnen der Erinnerung
Ist sein getrübter Gürtel anzuschaun/
Und drüber selig Grün, so jugendjung.
Es strahlt ein Stern, wie ein verklärter Sinn,-
Das Wiesenweidi verdustet in Dämmernissen.
Leuchtkäfer schwimmen übers Zerfließen hin,
Die nichts von den leuchtenden Augen der Vorzeit wissen.
Dort Hohensalzburg, matt, wie ein sterbender Schwan.
Da droben standen der Tale Priestergebieter
Mit römischem Fürstenpurpur angetan,
Nicht nur der Seelen — auch der Leiber Hüter
Im lauschigen Haremsgarten von Mirabell,
Wo greise Vasen brennen von Blumengüssen.
Zum Schloß Hellbrunn galoppieren mächtge Alleen,
Wie schwarze Sklaven grünseidene Schirme tragend.
Was huscht drunter weg durch die würzige Nacht der Feen?
WolfDietrich entführt eine Braut vom Altar, wildwagend.
Ein Renaissance^Kerl, über die Spießer gepflanzt!
Wie des Wagens Laternen glühn seine Augen heiß. —
Ein Glühwurm übers Abendzerfließen tanzt,
Der nichts von den leuchtenden Augen der Vorzeit weiß.
Franz Held f 1908
*32
AN DIANA.
Das weich in mir geduckte Tier du krauest,
Es heben seidne Krallen meine Lider,
Um hehren Knöchelbug schnellt rosa Zungenband-
Diana ! — lächelnder Schnee im Steppenbrand,
Streif deine nordlichtklaren Härten nieder,
Opal du in den Schauern dieser Rhythmen frauest:
»Milchgrün Getaste Tulpen gell zerschneiden:
Du — Glanz, Hauch, Strand. O Wiehern meiner loderen Flut!
Sprühet mir silbern Erwachen ihr Brüste gleißender Firn!
Dein Schirling*Haar, vielsüßgescheckter Zicklein Näh' umweht
Mit schillernden Dolchen nähre <gefräßig schon zirpet das Blut,
Die Möwen pfeilen) meiner Augen honigfromm rankendes Licht.
Um deiner Lenden Vließ soll kreisen pochender Falke mit stählernem Flügel,
Jauchzende Granate will ich aufwühlen deiner Lippen Purpurbeet!
Ich möchte deines Leibes Dom durchgülden wie Flötenton die abendlichen
Hügel,
Den Krokus meiner Tränen weben in dein himmelblau gelöstes Angesicht.
Dann dunkler Nachen ruht mein Atem im Mondesspiegel deiner Stirn,
Ein weißes Füllen unsre Seelen an stillem Horizonte weiden.
Wieland Herzfelde
133
STRINDBERG
Man muß die Worte nur in ihrer vollen Geltung nehmen, dann genügt es, von Strindberg
zu sagen, daß er ein besonderer Mensch war, der die Ehrlichkeit und die Kunst besaß, sich
so zu geben, wie er war. Drei überaus seltene Dinge sind das aber: eigenes Leben, Be*
kenntnis zur eigenen Person und Originalität der Gestaltung.
Überblicken wir sein Leben, seinen Werdegang, seine Stufen, so finden wir Unruhe, Fort-
gehen, Unzufriedenheit, Qual, Sehnsucht. Aber es waren nicht bloß äußere Dinge, die
ihm verleideten,-von sich selber wollte er immer fortgehen, und so ist es kein Wunder,
daß er immer zu sich kam, immer mehr zu sich kam,- daß er zugleich Feuerwerk und
Feuerkern, daß sein Fortgehen sein Bleiben, der Aufruhr sein Wesen war.
Da er sich immer betrachtete, immer auf der Wanderschalt war, immer einen Strindberg
hinter sich und einen vor sich sah, mußte zweierlei für seine Lebensart bezeichnend wer-
den: der Rationalismus als geistige Form und der Dualismus als geistiger Inhalt.
Form und Inhalt können in einem ringenden, zur Einheit ringenden Menschen nicht ge-
trennt bleiben: seine Weltanschauung war sein Leben. Er kämpfte in sich den Streit zwischen
Denken und Trieb, zwischen Geist und Natur / und diesen nämlichen Widerstreit sah er
in der Welt.
Der männliche Geist und die weibliche Natur: das waren für ihn die beiden Urprinzipien.
Liebe, Geschlechtstrieb, Enthusiasmus, Jugend, Volk, alles, was in die Sphäre des Gefühls
fällt: das bedeutete ihm das Unreife, den Abfall, das Schmutzige, den Rest frühen, abergläubi-
schen Meinens.Die Triebhaften, Schwärmerischen, Weiblichen verfolgen den Intellekt als ihren
Feind,- denn sie merken wohl in ihrem aus Respekt, Angst und Wut gemischten Gefühl,
daß der Geist der starke, gebietende Ordner der Natur ist. Sie aber lieben das Unordent-
liche und bäumen sich dagegen auf, bloßes Rohmaterial zu sein.
Und doch ist die Natur nichts anderes als Stoff für den Geist. Alles scheinbar bloß Ma-
terielle bezieht sich auf Geistwerden,-im sogenannt Unorganischen sind gestaltende Kräfte
am Werk,- Seele ist abgefallener, müd gewordener, zerfallener und darum in den Kot ge-
fallener Geist, und so, wie es abwärts geht, geht es aufwärts: der Stoff will zur Form,
das Unorganische zum Kristall, der Trieb zum Geist empor.
Darum bezieht sich auch alles auf den Geist,-unsere kausale Naturerklärung ist eine geist-
lose. Sie muß ergänzt und gedeutet werden durch die teleologische. Alles in der Natur wie
in der Geschichte wie im Einzelleben hat noch eine Bedeutung, einen besonderen Sinn,
eine Beziehung auf den Geist.
Das Kennzeichnende für Strindberg aber ist, daß er sich daraus keine bequeme Weltan-
schauung, keine Beruhigung, kein Sofakissen, nichts für Herz und Gemüt und gewiß nichts
ölig Pastorales machte: da sein eigenes Wesen Geist der Unruhe und Bohren war, lebten
in ihm Ironie, Versuchung und Teufelei. All sein Denken war schließlich doch nur ein
Spielen mit Gedanken, ein Experimentieren mit Standpunkten, ein Erproben von Ansich-
ten : »Experimentierend«, sagt er, stellte er sich »auf den Standpunkt eines Gläubigen«.
Nur daß sein Spielen fast nie etwas Spielerisches an sich hatte, fast immer wild, unheimlich,
zerstörend war und sich gern an den Grenzen der Verzweiflung und der Krankheit be-
wegte. Denn es gibt ja für ihn keine reinliche Scheidung der zwei Urgewalten: sein Dualis-
mus ist Pessimismus/ seine Qual ist, daß der Geist von der Sinnlichkeit umfangen ist, und
daß dem Gott der Teufel, dem Sinn der Welt der Unsinn und die Höllenplage zur Seite steht.
*35
Unser Geist hat den Gott gedichtet,- aber er vermag ni<ht Gott zu sein, und der Ewige
verbirgt si<h. Wir sind Menschentiere und möchten unser Fleisch in blutige Fetzen reißen
weil wir Höheres wissen, als wir sind.
»Warum zeugt man uns wie Tiere,
Uns von Götterstamm und Menschenart?
Braucht der Geist ein andres Kleid nicht
Als das hier aus Blut und Schmutz?«
So schwankt er, im Leben, im Traum, in der Lehre, im Dichten: bald ist er der harte
Menschenzüchter, bald der Gepeinigte, der von der Weltordnung, vom Gott-Teufel als
Erzieher gezüchtigt wird/ bald schreit er auf: »Alles ist berechtigt außer mir!«, bald neigt
er sich liebend erbarmungsvoll zu den Menschen und klagt für alle Schlechtigkeit das Welt-
regiment, »die Verwaltung«, an. Andere Pessimisten schon haben ihr böses, leidendes
Denken an ihr äußeres und inneres Leben angeknüpft/ er aber muß weiter gehen: er zieht
rasche, sprunghafte Schlüsse aus einzelnen Vorfällen und Zufälligkeiten nicht nur, sondern
wahrhaft aus Halluzinationen. Auch andere haben in Bildern gesprochen und haben grauen-
hafte Bilder gefunden / er aber erlebt diese Bilder als leibhafte Wirklichkeit, und wenn er
etwa sagt: »Zwei Wesen lenken meine Geschidce: das eine gibt mir alles, was ich wünsche,
das andere steht dabei und streicht Schmutz auf die Gabe«, so erlebt er das genau so stark
mit allen Nerven und Sinnen, wie ein schmatzendes Kind das Butterbrot, das die Mutter
ihm geschmiert hat. Ja, so ist es: mit dem Leid und dem Ekel zusammen hat er nicht bloß
geschlafen, sie sind ihm Speise und Trank gewesen.
Auch er war nicht allzeit ohne Trost, weil er sonst nicht hätte leben können, und er hat
nach allen Verzerrungen und Krämpfen immer wieder sanft und freundlich mit den Menschen
gelebt. Sein Trost war dann eben, daß er gewahrte, wie zwischen der starken Logik des
Denkens und der Logik der Geschehnisse ein Zusammenhang, wie hinter allem Zwiespalt
eine unergründliche, aber manchmal hell scheinende Einheit war. Die Logik war ihm dann
Tröster und Gott, der ihn auch mit den Menschen, selbst mit den kleinen, dummen, bösen,
und mit der Kausalität und Determination der Natur versöhnen konnte. Denn schließlich
sagte ihm die Logik, daß die Bösen eben wegen ihrer Bosheit sehr arm seien, und daß es
ihnen eine Erlösung sein müsse, um ihre Bosheit zu wissen und zu erkennen, daß sie gar
nicht schuld an ihrer widerwärtigen Trübung seien.
Das war sein Trost für die Welt, die er sehen und ertragen mußte. Für sich selber hatte
der adlige Mann einen hochmütigeren, und sein Stolz gestattete ihm nicht, sich mit der
Unentrinnbarkeit ererbter Natur zu entschuldigen: sich nahm er ganz alttestamentarisch
wie einen Hiob oder ganz mythisch wie einen Herakles. Von dem Christus, der das Leid
der Welt auf sich genommen, ließ er sich fast noch öfter und stärker abstoßen als anziehen:
er, Strindberg, war einer, der selber leiden wollte, und woran leidet man stärker als an den
eigenen Sünden? Das war doch noch nicht der Rechte, der Christus, der selber sündlos blieb
und für die andern litt / er, Strindberg, war der Antichrist, der leidende Sünder, der wie
eine zündende Rakete flammend aus dem Tier, das er war, zu dem Gott, der er war, empor-
stieg und mit all seiner Hölle gen Himmel fuhr.
Gustav Landauer
136
CHAGALL
Ein kosmis Aes Kind lebt unter uns. Marc Chagall. Der Mär Aenprinz mit absoluter Farbe.
Die Farbe ist sein HimmelreiA, seine Erde. NoA niemand hat so siAer und gütig in
seinem ReiAe der Farbe geherrsAt. Wo sie aufblutet, ist alles zum besten bestellt/ denn
im Grunde ist jede starke Empfindung, sAon wegen ihrer EAAeit, gut. Selten, aber gut.
Chagalls Farbe ist Urfarbe: die Güte im Kosmos. Er, ein Russe, erklärt siA die Weltseele
ganz märAenhaft. Aus dem Gefühl hervor. Er will den Dingen auf den Grund sehn. Sie
sind aber Dinge, keine Rätsel. EigentliA hatte er sie in der Hand: sogar im Kopf. Und
zwar beim WaAsein. Er träumt niAt, Chagall, sondern erzählt uns seine MärAen.
Chagall hat die Kindheit in Vaters Kramladen zugebraAt. Die Wage hüpft und saust in
seiner Einbildung noA immer auf und ab. Er wiegt seine Farben gar behutsam/ würzt mit
Gelb, pfeffert mit Rot. Mit Lila züngelt er das GleiAgewiAt aus. Und mit was für
Lilas! Die gibts nur bei seines Vaters Sohn. Seine WagsAalen können hüpfen, das muß
man ihm lassen. Auf einem Bilde halten si A Samowar und grüner Mann das Gegengewi At.
Der Samowar ist sAwarz und weiß, er steht weit vorn und ist sAwerer als der Grünuni-
formierte, obsAon er Tropfen aus dem Spund verliert. Der Gensdarm siehts und ärgert
siA. Das GleiAgewiAt stellt er aber niAt her, der grüne Gensdarm: im Gegenteil, seine
Tellermütze fliegt ihm, wie eine emporges Anelite WagsAale, blau vom Kopf weg, auf und
davon. Wo sie Chagalls Auge soeben erhasAt, stellt er das künstlerisAe GleiAgewiAt
her. Ein sAnurriger Einfall im Hirn des Bemützten mag das Hexenstücklein vollbraAt
haben. Auf dem TisA tanzen Männlein und Weiblein, klein wie Spielzeug, umher. Sie
hätten auf einer Wage Platz, so winzig sind sie. Dann wäre ja eine Art MärAensAaukel
auA dabei! Wehr wohl mehr wiegt, der Tanzmann oder die Tanzmaid? Die Musik maAt
der Samowar: denn es siedet drin rum. Wie gewiAtig noA immer die Tropfen herunter-
sickern. Aus dem Brummsamowar. Also ein Brummsamowar gegen einen BrummsAädel:
im gleiAen Bilde. Eine Wage! FolgliA noAmals die Frage: wer wiegt wohl mehr?
Immer noA das gleiAe Bild: im Hintergrund ein Fenster mit ReAteA-Einteilung. DurA
das Fenster, oder besser im Fenster zu sehn: der Mond mit seinen blauen Bedeutungen
und silbernen Beweisen. Ein Baum ganz aus Sternen. Blumen sind zu LiebliAkeiten ge»
wordne Sterne. Dann kommt (noA immer im Fenster): eine BeleuAtung der NaAt mit
Kometen und Raketen. Als ÜberrasAungsstüA: sAweifende Wunder. Ferner: ein Haus,
eigentliA das Haus. Mit einem Auge. Alles das im Fenster zu sehn, in SAubfäAem, wie
in Vaters Kramladen, eingeteilt. Das ganze Fenster somit ein SArank mit SAiebekästAen.
Einmal malt Chagall Ae Bude aus der Vaterzeit. Wiederum ein MärAenladen. Alles
sehr genau ausgewogen. Wundervoll durAsiebt. Wer kann über die Farben beriAtenl
Alle Samtigkeiten der Welt verbinden siA bunt und gaukeln hervor. Wenn wir noA vom
blauen Gensdarm und dem Samowar spreAen, so bewundern wir das NaAtsAwarz mit
seinen SAneemögliAkeiten im Kessel. WelAe Mondinnigkeiten auf dem sAwarzen Kes-
sel! Und Ae blaue Wahrheit im ganzen Bild! Ja, sie ist da, überall hin verteilt, wie es mit
der Wahrheit sein soll. Und auA kann. Sie ist vorhanden!
Oft gibts bei Chagall eine reine Struwelpeter-Romantik. Ein blauer Jüngling brüstet
siA mit einem Knopf an seinem RoA: er hält ihn für einen Orden. Das tut er mit der
137
Rediten. In der Linken hat er eine Zigarre. Die Stellung ist allerdings zweideutig. Um was
handelt sichs? Analyse der kindlichen Seele: Freud?
Der Kopf des »Blauen« ist vom Körper abgetrennt. Im Hirn gibts noch ein andres Lust»
gefühl als in den Freude empfindenden Fingern. Der Kopf ist diesmal bloß ein Rüde zur
Flasche. Sie schwebt dem fliegenden Kopf entgegen. Die Klöße auf dem Tisch neigen auch
dazu, verspeist zu werden. Auch sie streben, der Flasche nach, dem Munde zu. Auf dem
Tisch liegt überdies ein Untier: halb Hund, halb Fisch.
Wir haben ein zweites Bild beschrieben. Bevor wir weiter wollen: ein paar »kunsthisto-
rische Oberflüssigkeiten«.
Chagall erinnert oft an die toskanischen Primitiven: Auch die wegwippenden Gliedmaßen
stammen aus Arnoland. Abgesehen von den, aus Überall herkommenden Heiligen, mit ihrem
Kopf unterm Arm, gibts in Florenz tatsächlich für sich wirkende, abgeschnittne Füße oder
Hände. Zumal bei Beato Angelico. Der hat einmal einen ganzen Kranz solcher Glieder
gemalt. Wir meinen seine Verspottung Christi. Da sind um den Heiland, eine speiende
Fratze, ein Arm mit Rute, eine Hand mit Essigschwamm usw., alles im Amputationszu»
stand aufgestellt und angebracht.
In Siena reitet der Condottiere Riccio auf Massa Marittima los. Simone Martini hat ihn
gelb und grau in die Nacht hineingemalt. Das perspektivlose Reiterbild ist noch mittelalter-
licher Expressionismus: für lange so etwas zum letztenmal! Die Schwierigkeiten, die den
Reiter erwarten, um durch Stakete mit Stacheldrahthindernissen <freilich gabs damals keine)
hindurchzukommen, wirken futuristisch. Ebenso das kleine Festungswerk und die Zelte in
der Schwarzblau-Nacht. Dieses Visionäre, das damals von Toskana Abschied nahm, ist
in Rußland durch Chagall wieder unter die Menschen gekommen. Nun ist allerdings Cha-
gall nicht kriegerisch, sondern idyllisch. Oberhaupt ganz anders. Man kann jedoch sagen
erneut. Denn so ein in die Nachthineingeglaubtsein, das Unperspektivische durch ein In-
den-Traumziehn tauchte bereits einmal unter uns auf. Damals in Toskana!
Beim Russen von heute ists ein Karren mit gelben Rädern, der uns seine herrlichste Vision
vor die Sinne faltert. Zwei Sonnen in der Nacht! Der weiße Schimmel zieht das Fuhrwerk.
Der wolkenweiße Schimmel ist eine Stute. Ihr Füllen wird bereits im Mutterleib sichtbar.
Verkrümmt, wie eine Sichel, mit den Füßen nach oben, liegt es ungeboren unterm Mutter-
herzen. Vielleicht sehn es die zwei Bauernkinder am untern Rand des Bildes. Ein blaues
Rind liegt im Leiterwagen mit gelben Rädern und schmiegt sich an die blauschwarze Nacht.
Die Nacht ist vielleicht auch schwanger! Das Tier soll wohl geschlachtet werden, um in die
höhere Nacht einzugehn. Es schläft, es träumt blau. Armes Rind, also zur Schlachtbank?
Sehr traurig! Es wird in die blaue Wahrheit hineinnächtigen. Das liebe Tier! Der Kutscher
ist unheimlich. Wie nur ein'Mensch sein kann. Er ist eine Vision vom Mond. Mit einer
Mondphase im Genick. Er zieht dahin wie der Mond. Ein vermenschter Mond neben uns.
O, der Kutscher mit der durchsichtigen Rotjadce und der trächtigen Wolkenstute! Ein Weib
zieht, steigt dem Fuhrwerk nach. Sie schreitet im lila Rhythmus der Nacht gar leicht dahin.
Und sie trägt dabei ein schweres Kalb. Auch zum Schlächter? Sie scheint das Kalb zu lie-
ben, sie hats wie ein Kind, oder ihre liebste Habe, um die Schultern genommen. Sie blickt
zurück. Auch Lots Weib blieb stehn und blickte sich um. Diese Bäuerin wird dafür immer
auf der Erde bleiben, denn sie sieht bis ans Ende der Nacht. Schrecklich viel kann sie be-
deuten. Vielleicht bloß den Totengang eines Kalbes, Ist das so wenig? Vielleicht kommt
das Kalb gar nicht zum Schlächter.
138
Dieses Weib habe ich in einem frühem Leben bereits gesehn. In Umbrien, bei Perugia,
oder im Mugello/ Giotto hat ihr den Schritt über Gras abgelauscht. Dann gingen alle seine
Bauern so einfach und leicht aus Selbstverständlichkeit. Hundert Jahre später war sie die
Magd der Judith bei Sandro Botticelli. Unwissend wie heute als russische Bäuerin. Ent-
weder sind beide die Gleiche, oder verwandt. Man muß nur ein wenig tief atmend nach-
denken, dann erinnert man sich. Also Verwandtheiten über Weltteile hinaus, durch Jahr-
hunderte hindurch! Marc Chagall: welch ein herrlicher Regenbogen durch die Nacht ge-
spannt!
Als Mann im Mond können wir Chagall sehn. Er schwebt mit Gießkanne und Stern-
augen auf dem Kleid, als solcher, über die Kuppeln orthodoxer Kirchen dahin. Eine ge-
träumte Eselin steht da als Wahrzeichen künftig sanfter Zeiten / denn Zwillinge, der erste
Halbmensch und das beste Vieh hängen an der Eselin Eutern. Rußland wird keine Wölfin
haben, die das Stadtgründer-Zwillingspaar säugt. Chagall ist voll von wundervollem
sarmatischen Bauerntum.
Chagall kommt aus Paris. Das Pyramidale der Großhauptstadt sieht er durch das Fen-
ster. Der Eiffelturm ist bloß ein Eisenobelysk neben den astralen Riesenkristalltetraedern
an den Seineufem. Nur Chagall kann sie sehn: er ist ein Sonntagskind. Die Werktäglinge
müssen sich mit dem Eiffelturm begnügen. Chagall ist ein Januskopf: er sieht zugleich
Paris und blickt davon weg. Folglich ein Hirn mit zwei Gesichtern. Er bricht sich durch,
ins Gegenwärtige, und hängt ab vom Obergegenwärtigen. Sein Tier schleicht oft auf dem
Fensterbrett umher. Halb Schleichkatze, halb Menschenantlitz. Nachts verkriecht sie sich
zumeist in Chagalls Schädelstube und fängt an behaglichst darin zu schnurren. Dann
schnarcht Chagall für die Anwesenden. Seine silberblaue Bauernmaus schlüpft dabei aus
dem Kopf und knistert im Winkelgerümpel herum. Seine Gemütswürmchen schwirren
glühend aus. Seine Sorgenspinne kennt das Hirngespinst des Tages und klebt nachts darin,
entweder im Fensterrahmen oder imGegitter des Eiffelturms. Bis der Mond zu hoch kommt.
Chagall hat das siamesische Zwillingspaar gemalt. Er versteht sich auf Dopplungen.
Goldne Stanniolsonnen gehn über vierfachen Purpurhorizonten auf. Bäume aus Mond-
schein blühen lila Geheimnisse in die Nacht. Sie werden blaue Ruhefrucht tragen. Chagall
hat seine ganz eigne Nacht.
Theodor Däubler
139
DIE MÄDCHEN SINGEN:
(RAINER MARIA RILKE)
Verwehend.
WERNER RICHARD HEyMANN
140
141
MITTEILUNGEN
Johannes R. Becher: „An Europa„Verbrüderung“, Gedichte. (Kurt Wolff Verlag).
Motto: aus Hans Blüher: »Die Intellektuellen und die Geistigen«. Der Gegentypus ver-
wendet die Idee anders. Und zwar politisdi. Er tritt aus dem Erlebnis des ideelich-Reinen
brüsk heraus und wird Prophet. Er kündet der Welt an, daß sie weder gut noch böse sei,
sondern verbesserungswürdig. Er kündet ihr an: ni<ht Handwerker, Gelehrte, Unter-
haltungskünstler und sonstige Intellektuelle haben in der Welt zu herrsdien — von den
Kapitalisten ganz zu schweigen — sondern die Geistigen. Das heißt Die, denen das ur-
sprüngliche Erlebnis der Idee noch jeden Tag lebendig ist. Er setzt dem bisherigen Typ
des Politikers seinen eigenen entgegen: seine Politik geht nicht auf mäßige Veränderung
des gerade vorhandenen Staates, sondern auf grundsätzliche Neuschöpfung aus der Idee
des besten Staates aus. Gegenüber dem bürgerlichenLiberalismus setzt er platonischen Radi-
kalismus.
»An Europa« und »Verbrüderung« sind Parallelen zu Bechers früheren Bänden »Verfall
und Triumph« <Hyperion-Verlag>. In jenen beiden Bänden handelt es sich um das Indivi-
duum Becher. Der Verfall der Seele und des Leibes wird darin gebeichtet, bis das eigene
Wort zur kasteienden Geißel wird, bis im Zustande letzter Erniedrigung aufflaggt der
Triumph: Die Bejahung aller Erscheinung in der Gewißheit ihrer Gottverwandtschaft.
Becher verweilte nicht länger beim Idi-Problem. An dessen Stelle trat das Problem der
Gattung Mensch. Sogleich wieder ergibt sich: Verfall des gegenwärtigen Europas,
Triumph der kommenden Verbrüderung. Kraft der basaltklaren Vorstellung des
utopischen, des liebenden Menschen, <in »Triumph und Verfall« unter höllischem Blutver-
lust gerissen aus den Schlacken lässigen Fleisches) unternimmt es Becher, aus den Morästen
der Gegenwart ein verklärtes Europa: Utopien zu kristallisieren. Ihm gelingt — wem vor
ihm? — die Verschweißung nacktester Wirklichkeit mit der Fata morgana seiner Sehnsüchte.
Seine eigene, angefochtene, nie harmonische Leiblichkeit projeziert er in die umgestaltete,
taumelnde Gemeinschaft der Völker Europas: Tempels, darin Verrat, Grauen und Fäulnis
kulminieren! Und wer Verfall und Triumph« mit dem Pathos der Jugend, der Inbrunst des
Mönches, dem Fanatismus des Märtyrers die Erlösung des Ichs gesungen, verkündet
heute: Verbrüderung. Bejahend alles: Sonne, Ehrgeiz, Arbeit, Tuberkulose. Er verdammt
keine, propagiert jede Existenz. Nur die Beziehungen sind ihm des Hasses und der Liebe wert.
Denn Becher ist kein Poet, gebärend ewige Sprach-Kreaturen aus irdischer Liebe, kein
Prediger, werbend für die Erkenntnisse problematischen Geistes. Er ist Verkünder. Probleme
sind für ihn nicht da, um gelöst, sondern nur um bejaht oder verneint zu werden. Seine Intui-
tion gibt ihm Hoffnung, nicht Erkenntnis. Seine Pietät gilt nicht sich, nicht den Dingen, dem
Nichts, dem Leid, dem Weibe, der Wahrheit. Sie gilt der Dynamik, dem Geschehen, der
Befruchtung, der Wandlung. Nicht überreden — reizen, erschüttern, foltern will er die Men-
schen, so wie sie und alle Erscheinungen ihn.
Phänomen der Empfänglichkeit, reagieren seine Sinne vorurteilslos, unparteiisch, kennen
daher die Begriffe schön und häßlich nicht. Bedrängung bedeutet ihm die Welt. Dennoch:
ausgesprochen männlich von Temperament, wird er nicht passiv, elegisch, betrachtend,
distanziert: Impressionist. Es ist aggressiv. Seine Produktion entspringt der Hefe des
142
Blutes, dem Motor des Verstandes, sie dient nicht der Erotik der Netzhaut, dem Kodak
des Gedächtnisses, dem Barometer der Nerven. Zwar lebt seine Dichtung von Eindrücken,
Bildern, fast niemals von Visionen. Aber die Dinge sind ihm nur Relationen seiner künst-
lerischen Absichten, also wandelbaren Sinnes. Er ist Expressionist, Da aber auch die Worte
für ihn keine unwandelbare Seele haben, ist er kein Lyriker. Seine Ebene ist die Syntax.
Auf ihr vollbringt er — Napoleon —• die unerhörtesten Manöver, strategischen Exzentrics.
Seine Strophen sind keine architektonischen Gebilde, sondern Kompagnien, rasende, zer-
störende, polternde — musizierende, Fahnen schwenkende, flügelebsdiwingte.
Nichts kann ihn verletzen außer Indifferenz, Stumpfheit, gereifte Geste. Sie stören den
ungeheuren Optimismus seiner Arbeit.
Mich begeistert dieser Optimismus. Heute, da die Devise heist: »Es ist noch gar kein Ende
abzusehen.« Becher ist gläubig. Sodom ist ihm kein Weltuntergang. Seine Arbeit gilt der
Menschlichkeit/ heute, da die Götter unangefochten das Eisen wachsen lassen.
Wieland Herzfelde
Laut Meldung der „B. Z. am Mittag" <15. Mai 1915, No. 113) hatte der englische Minister
Sir Edward Grey eine Unterredung mit einem neutralen Berichterstatter, aus der wir
folgende Bruchstücke entnehmen:
Im Konjunktiv des neutralen Berichterstatters: Serbiens und Belgiens Wiederherstellung
seien die einzigen Kriegsziele Englands. . . . Grey spreche von zwei Methoden zur Bei-
legung internationaler Unstimmigkeiten, von schiedsgerichtlicher Verhandlung und Krieg.
Die zweite Methode, der Krieg, habe hinsichtlich des Zwecks einen völligen Zusammenbruch
erlitten. . . . England habe förmlich und kategorisch erklärt, unter keinen Umständen an
einem Eroberungskrieg gegen Deutschland teilnehmen zu wollen. Aber Deutschland habe
verlangt, England solle die Neutralität unter jeder Bedingung garantieren, gleichgültig,
was die deutschen Diplomaten auf dem Festlande unternähmen. . . . Nur Deutschland sei
auf einen großen Angriffskrieg vorbereitet gewesen, was die späteren Ereignisse bewiesen.
In der direkten Rede Greys:
»Beim Ausbruch des Krieges antwortete Frankreich auf unsere Frage wegen Respektierung
der belgischen Neutralität bejahend. Deutschland verweigerte eine Anwort und durchbrach
wenige Stunden später das Bollwerk. . . . Deutschland soll die Grundsätze, zu denen sich
überall die Freunde der Freiheit bekennen, auch seinerseits anerkennen. Man gebe den
Völkern Europas die wirkliche Freiheit. . . . Keiner wünscht den Frieden ernstlicher als
wir, aber einen Frieden, der Recht schafft und die Achtung vor dem Völkerrecht wieder
einsetzt. . . . An solchen Wahnsinn, das freie und einige Deutschland zu zerstören, haben
wir nie gedacht. , . . Wir wünschen dem deutschen Volke eine Freiheit, wie wir sie selbst
genießen, und wie sie die andern Nationen Europas wünschen. HatdieMenschlichkeit
{Menschheit. D. Red.) aus diesem Kriege nicht gelernt, künftige Kriege zu
vermeiden,dannwarderganzeKampfvergebens. DerKriegist. . .allmäh-
lich so fürchterlich geworden, daß er ein unmögliches Mittel der Politik
dar stellt, {beide Sätze gesperrt. D. Red.) .... Viele Deutsche meinen, ihre Kultur sei so
groß, daß sie der ganzen übrigen Welt aufgezwungen werden muß. Viele maßgebende
Preußen können sich daher vorläufig nur eine n Frieden denken, einen FriedenvonEise^i,
der den übrigen Völkern von dem übermächtigen Deutschland diktiert wird. Sie können
und wollen nicht verstehen, daß freie Männer und freie Nationen lieber sterben wollen, als
sich solchen Grundsätzen unterwerfen. . , .«
143
MITTEILUNG DER REDAKTION.
Das am ersten September erscheinende neunte Heft wird
RUDOLF BÖRSCH t
gewidmet sein, der, zwanzigjährig, als dienstpflichtiger Soldat Anfang 1915
vor Przemysl starb. Als Leiter der »Neuen Jugend« hat er mit größter Liebe
gewirkt.
Die Rudolf Börsch^Nummer wird beweisen, wer das Bajonett dem Leben
vorzog. Seine Freunde betrauern ihn und Europa.
ImWinter sollen Autorenabende in Berlin, München etc. veranstaltet werden.
Die Redaktion der Zeitschrift leitet außerdem:
JDIE PUBLIKATIONEN UM DIE
»NEUE JUGEND«'
deren erste die Abzüge der beiden Zeichnungen dieser Nummer sind,* von
Georg Grosz handschriftlich gezeichnet, auf Japanpapier abgezogen für 5.—M.
nur direkt vom Verlag zu beziehen.
MITTEILUNG DES VERLAGES.
Die Halbjahrsabonnenten seien hiermit gebeten, ihr Abonnement umgehend
zu erneuern. Alle, die der »Neuen Jugend« durch Besprechungen oder an-
dere Unterstützungen zu dienen beabsichtigen, werden gebeten, dies dem
Verlag mitzuteilen. Interessenten und Freunde gebrauchen am besten bei-
liegende Bestellkarte. <Das Inhaltsverzeichnis des ersten Halbjahres er-
scheint in der nächsten Nummer.)
Verantwortlich für den gesamten Inhalt: Helmut Herzfeld, ßerlin^Charlottenburg. — Verlag: Neue Jugend,
Berlin und Leipzig. — Gedruckt in der Hof-Budi- und «-Steindruckerei von Dietsdi *3D Brückner in Weimar.
144
—
NEUE BÜCHER.
(Anführung bedeutet bereits Empfehlung, ohne ausführliche Besprechung auszuschließen.)
Joh.R. Becher.....An Europa. Verbrüderung. <Kurt Wolff, Leipzig)
Ehrenstein........Der Mensch schreit. (Kurt Wolff, Leipzig)
Theodor Däubler . . Nordlicht. 3 Bände. <Georg Müller, München)
Hesperien. <Georg Müller, München)
Das Sternenkind. <Insel-Verlag)
Der sternhelle Weg. <Hellerauer Verlag)
Mit silberner Sichel. <Hellerauer Verlag)
Schmitt...........Drei Essays über Däublers »Nordlicht« <G. Müller)
Carl Sternheim. . . . Tabula rasa. <Kurt Wolff, Leipzig)
Kasimir Edschmid. . Das rasende Leben, <Kurt Wolff, Leipzig)
Franz Werfel......Einander. <Kurt Wolff, Leipzig)
Georg Trakl.......Sebastian im Traum. (Kurt Wolff, Leipzig)
Das Ziel. Aufrufe zu tätigem Geist. (Georg Müller, München)
Ernst Joel........Die Jugend vor der sozialen Frage. (Eugen Diederichs)
Fr. Bauermeister .. Vom Klassenkampf der Jugend. (Eugen Diederichs)
Wilhelmine Mohr. . Königinnen. (Exp. Verlag Neue Jugend)
Ferd. Hardekopf .. Lesestüdc. (Band I der Aktions*Bücherei)
Die Schriften der Forum-Gesellschaft. (Forum-Verlag)
Gerhart Hauptmann Der Narr in Christo Emanuel Quint (S. Fischer, Berlin)
Jouve..............Vous etas des hommes (Ed. Nouvelle Revue Fran*
gaise, Paris)
Georg Heym.........Der Dieb (Kurt Wolff, Leipzig)
Rudolf J. Schmied . . Carlos und Nicolas. 2 Bände. (Erich Reiß, Berlin)
Martin Buber.......Vom Geist des Judentums. (Kurt Wolff, Leipzig)
ZEITSCHRIFTEN.
Die weißen Blätter.. (Rascher <cD Co., Zürich)
Die Aktion...........(Verlag Die Aktion)
Der Aufbruch .... (Eugen Diederichs)1!
Das Zeitecho.......(Graphik*Verlag)
Der Jude...........(R. Löwit)
Die Fackel.........(Verlag Die Fackel)
demain......: . . . . (C. H. Jeheber, Genf)
Sirius ............(Sirius*Verlag, Zürich)
Internat. Rundschau (Orell Füßli, Zürich)
Der Sturm..........(Verlag Der Sturm, Berlin W)
14 5
NACHWORT.
Nach eineinhalbjähriger Unterbrechung veröffentlichen wir das
siebte Heft der »Neuen Jugend« mit der Erklärung, daß der
Inhalt der früher erschienenen Nummern unsern jetzigen Absichten
nicht entspricht. Wir übernehmen lediglich den Titel der »Neuen
Jugend« und die darin enthaltene Tendenz: die Arbeit junger Dichter,
Intellektueller, Zeichner und Musiker zu veröffentlichen. Wir wollen
eintreten für alle, die in der Öffentlichkeit auf Opposition und
Verständnislosigkeit stoßen, vor allem aber für die Jüngsten, die
noch keinen Platz in der heutigen Literatur gefunden haben. Da
wir auf kulturhistorische, philosophische und politische Beiträge den**
selben Wert legen wie auf künstlerische, bedeutet die »Neue Jugend«
die Fortführung der Ideen, die einerseits der » Neuen Kunst« und der
zweiten Zeitschrift des ehemaligen Verfags Bachmair,andrerseits dem
»Forum«, dem »Aufbruch« und dem »Anfang« zugrunde lagen.
Unsern früheren Standpunkt, ein rein literarisches Blatt der
Jüngsten zu sein, verwerfen wir: es ist an der Zeit, daß alle
Geistigen vereint ihrem äußersten Feinde entgegentreten!
Zunächst wird Künstlerisches im Inhalt unserer Zeitschrift aller**
dings überwiegen: Wir leben im Zeitalter der Bekanntmachungen....
Alle freiheitlich Gesinnten <Expressionisten, die Anhänger der
Jugendbewegung . . .) sollen in der »Neuen Jugend« zu Worte
kommen. DieGrenzen unsererPublikation werden nur bestimmt durch
die Tendenz, die tüchtige Zensur, den Umfang des Heftes und unser
vorläufiges Unvermögen, Beiträge zu honorieren. <Gegen den Vor**
wurf, junge Menschen auszunutzen, indem wir ihre Arbeiten nicht
bezahlen, möchten wir uns im voraus sichern: Sobald es uns er**
möglicht wird, zahlen wir Honorare.)
Durch private Interessen, seien es politische oder finanzielle, lassen
wir uns nicht beeinflussen. Ebensowenig durch die Stellungnahme
der Öffentlichkeit. Polemik mit Redaktionen führen wir nicht.
Alle europäischen Künstler und Intellektuellen, die nicht greisenhaft,
nüchtern und unterwürfig sind, bitten wir um ihre Mitarbeit und
Wirksamkeit. DIE »NEUE JUGEND«
146
NEUE JUGEND
MONATSSCHRIFT
HERAUSGEBER: HEINZ BARGER / SCHRIFTLEITER: WIELAND HERZFELDE
ACHTES HEFT AUGUST ERSTES JAHR
DEM GEDÄCHTNIS DER TÄNZERIN
ANGELIQUE HOLOPAINEN.
Über der stahlgrellen Straffung von tausend entflammten Gelenken,
o wie liegt im Tanz ihr zweckloser Bizeps da kühl wie ein sänftiger Hund.
Und alle die andern, die Muskeln, entzündete Sehnen schwenken
Lächeln hinauf nach der Demut, die verzückt an dem slavischen Mund.
Und da befällt mich die wütende Angst, in diesen verzückten Posen
sei nicht mehr Angelique, die hebt, wenn der Metro schrillt,
die wie ein Dolchstoß süß sich erhob und den Ansturm verfaulter Leprosen,
den zischenden Geifer zurückschlug und als glänzenden Schild
einzig den Ordinat trug der Pflegerin über den kindlichen Brüsten.
Apachenpriffe zerrissen, Türme durchschwammen das Wetter, wie ein Blinkfeuer
schlug Sacre Coeur
zerspiegelte Blitze hinein in die Stadt und unter der Donner verdunkelten Lüstern
hing ihre madonnige Demut geneigt im Dächermeer.
Und nun ist mir die einzige Lösung, während in blinden Extasen
ihrer Schenkel Bogen, ihre Brust ins Unermeßliche rollt:
Der silberne Brand dieser Lippen, in dessen verrauschenden Phasen
ein Monat der Liebe sich schaukelt bei Passy in Abend und Gold.
1913 Kasimir Edschmid
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DER STEREOGRAPH
oder
Die kinetisdie Automodellierung.
Professor Abnossah Pschorr ist meinen zahllosen <o?> Lesern längst kein Fremder mehr: er hat
ja, wie Sie sich erinnern werden, den »Ferntaster« erfunden, der jetzt im Kriege sicherlich das aus-
schlaggebende Moment spielen würde, wenn er bereits eingeführt worden wäre. Die Regierungen
haben unrecht daran getan, die (allerdings sehr erheblichen) Kosten zu scheuen. Da Pschorr leider
neutral ist, läßt er sein Ferngetast feiern. Der Krieg ist vielleicht bloß das Symptom einiger noch
nicht anerkannter Erfindungen.
Deshalb hören Sie zu! Dem Pschorr ist es gelungen, das Getast, also diejenigen Schwingungen,
welche die Empfindung des Getasts erregen, ähnlich wie Licht- und andere Strahlen durch Linsen
zu schicken, die natürlich nicht aus Glas, sondern aus einem eigentümlich elastischen, chemisch sehr
kompliziert zusammengesetzten Material bestehen,dessen Formel zunächstFabrikgeheimnis bleibt/
eine Art gläsernes Gummi.
Während es sich beim Ferntaster darum handelt, das Getast, sozusagen auf Drähten, in die
Ferne zu leiten, bleiben die Gegenstände des Getasts hier an ihrer Stelle,- sie werden durch den
Stereographen an einer bestimmten anderen Stelle in einer plastischen Masse, einer besonders
präparierten Art Ton, lediglich kopiert und zwar eben plastisch, in derjenigen Größe, die von der
Größe der Linse abhängig ist — also analog zur Photographie wird hier........geplastikt.
Abnossah Pschorr hatte die Güte, mich in folgende Details einzuweihen. Er wies auf einen Glas-
sturz von der Größe eines Familienteekessels: Darin ist die Tastmasse, in der sich die Eindrücke
plastisch widerspiegeln.
Ich sagte: Aber Herr Professor, ich sehe nicht das Geringste. Wie sollten Sie, bester Herr, gab
er zur Antwort und lächelte sein geistreichstes Gerhart-Hauptmann-Lächeln/ (übrigens, da er bald
berühmter werden wird, wird dann G. H. ein Abnossah-Lächeln verzapfen! !>. Wie sollten Sie,
lächelte Pschorr: Die Masse ist unterm Glassturz zwar vorhanden, aber in Gasform. Sie gerinnt
erst durch die Einwirkungen der Taststrahlen, die ich durch die Linse auf das Gas konzentriere,
zu plastischen Gebilden,- es scheint zauberhaft, ist aber ganz natürlich. Das Getast hat, wie das
Gesicht, sein Plus und sein Minus, sein Licht gleichsam und seine Finsternis, seine Dichte und
Dünne, seine Kompaktheit und Dissipation. Und ähnlich wie die photographische Platte, um auch
die zartesten Lichteindrücke aufzunehmen, verfinstert werden muß: ähnlich muß die Tonmasse
gleichsam vernichtet werden, verflüchtigt, um auch für die minimalsten Tastunterschiede sensibel
zu bleiben.
Professor Abnossah Pschorr holte sodann die Linse herbei,- sie war merkwürdig klein, in Kaut-
schuk gefaßt, sah aus wie eine zwiebelartigeTaschenuhr, aus sehr glibbriger Gallerte, von trübster
(molkiger) Durchsichtigkeit. Abnossah, in der Hand diese Linse, erkundigte sich, was ich modelliert
zu haben wünschte. Ich fragte, ob ich auf die Stabilität der Gegenstände Rücksicht nehmen solle.
Im Gegenteil! sagte er triumphierend: Je beweglicher, desto interessanter! Damit wies er auf die
Straße, wo gerade Fahnen flatterten, Tiere, Menschen, Wagen aller Gattungen bunt durch einander
wirbelten. Ich staunte, daß dies alles in Miniatur unterm Glassturz plastisch in beweglichster Leben-
digkeit zu wiederholen sein sollte.
Abnossah sagte: Denken Sie nach! Materie ist durchaus nichts als lauter Wiederholung. Lauter
Variation desselben Themas, das eben allerdings in seiner eigentlichen Originalität, also im
Schöpfer, im Schaffenden, im Produzenten verborgen bleibt und, sowie es sich auch nur leise äußert,
sofort in diesen allegorischen Variationen ausfällt, nicht wahr?
Ich sagte: Jawohl, Herr Professor!
I48
Er fuhr fort: Daher auch die Sage vom Doppelgänger und ähnliches Gelumpe, das man Leuten
wie (jetzt folgten Namen wie H. H. E.., usw.) gern zum Apportieren hinwirft. Kurzum, alles spiegelt,
alles tönt wieder, alles nimmt gegenseitig Duft von einander an: Ist es Ihnen wirklich entgangen,
daß Haeckel, ich will nicht sagen wonach schmekt? Riecht Ostwald nicht nach v. Harnack? Duftet
Sombart nicht leise nach Ludwig XIV.? nach Schönheit, Glück und Reichtum? Sieht Hauptmann
nicht aus wie Goethe dividiert durchS. Fischer? Das Original offenbart sich immer nur in Reflexen,
Echos, Nachdüften und -Geschmäcken. Und so, mein Lieber, kennen wir nur einen Tastreflex.
Einen Spiegel des Getasts, der das verborgene Original im Hin- und Widerdruck symbolisch
zu erkennen gibt,- nicht wahr ?
Ich sagte: Gewiß, Herr Geheimrat!
Ach was, Geheimrat, schimpfte er, verschonen Sie mich mit diesem Spießbürgertum. Wir werden
uns duzen.
Ich sagte: Du Abnossah, das mit dem Getast erkläre mir noch gründlicher!
Ja, Wilhelm, gab er zur Antwort, paß Obacht! Es ist der Empfindende von Materie wie von
seinem Spiegel, seinem Echo, seinem Widerspiel in jedem erdenklichen Betracht, gleichsam um-
geben wie von einer einzigen differenzierten Reflexion seiner eignen, unsinnenfälligen Projektion/
nicht wahr, Wilhelm?
Tausendmal ja, mein lieber Abnossah!
Obendrein aber noch, mein Wilhelm, ist dieser Reflex in sich gegenseitig, in sich kontrastierend,
er betrifft den Empfindenden z. B. licht und dunkel,-warm und kalt,- männlich und weiblich,- fester
und flüchtiger,- plus und minus,- er betrifft ihn eben mit einem Unterschied, immer wesentlich
mit einem Unterschied!!
Warum, Abnosserl?
Ja, Wilhelmele, das will ich dir sagen: Der Empfindende, dieses Urwunder, dieses Allerwelts-
original ist zwar in sich identisch, simpel, absolut, einzig und allein, er ist inwendig in sich die rein-
konzentrierte bunte Fülle, die Vollwesenheit und Vollqualität aller Welt, allein er ist dieses doch
eben lebendig, d. h. es drängt ihn, aus seiner zusammengepreßten Unermeßlichkeit, zu deren
unterschiedener Vergegenständlichung,- und Unterschiedenheit ist gerade die Bedingung seiner
ganzen........Selbstwahrnehmung, seiner Reflexion auf sich selbst.
Abnossah, das ist klarer als der Himmel!
II n'y a, Wilhelm, que l'esprit qui sente l'esprit. Die meisten Menschen versagen hier. Man ist
schon einzig damit, schon Unmensch, wenn man hier versteht.
Abnossah, wier siezen uns wieder aus gegenseitiger Hochschätzung.
Herr Doktor, ich bleibe Ihr wohlaffektionierter Professer Pschorr. Ohne Unterschied emp-
findet kein Empfindender, denkt kein Denkender, handelt kein Handelnder. Der Unterschied
ist geradezu das Material des Schaffenden. Er soll also wissen, daß Differenz, und sei es die aller-
leiseste, sei es der Schatten des Schattens, immer wesentlich ein Chaos, eine gähnende, trennende
Kluft ist, und daß er springlebendig zu sein habe, wenn er mit Unterschieden verkehren will / aber
mit was anderm kann er nicht verkehren / he?
Nee, Herr Professor!
Daher also gibt es keine simple Materie, sondern Materie contra Materie, ihren Unter-
schied, ohne welchen nichts dem Wahrnehmenden erscheinen, sichtbar, in unserm Falle tast-
bar werden kann. Hören Sie?
Ja!
Gewissermaßen demnach ist die Welt, speziell Materie, doppelt vorhanden, und davon profitiert
eben der Empfindende — besonders wenn er der Erfindende ist!
Bravo! Mynona
149
SANG AN VICENZA
Der Sterne Andacht fugt sich Bogenhahnen,
Der Sterne Sehnsucht ewige Gebäude.
Gestirnenliebe will den Schöpfer ahnen
Und fordert eine Stadt für Kindesfreude.
Nur einer Güte sei die Welt entglommen!
Hebt Sternenzuversicht, schafft Wunscherfullung:
Im Erdenwohl ist Gott zur Welt gekommen,
Durch Menschen hofft die Sonne auf Enthüllung. #
Vermöchte doch ein Sang den Weg zu türmen.
Dann dürften Sterne in sich selbst versinken.
Das Atmen überholte uns in Stürmen,
Und überm Weltwind müßte Friede winken.
Das Lied wird still das Sterngerüst vollbringen:
Gestirne mögen ewig höher schweben.
Die Welt begeistert sich auf Seelenschwingen:
Ein Bauherr kann die Sonnenwucht erheben.
Der Sterne Inbrunst wird sich stumm bekunden:
Ein einfaches Gebäude ist genug,-
In schlichten Bogen bleibt die Welt verbunden,
Die Gänge kreuzen sich verwandt und klug.
In Marmor kann sich kalt das All erhalten:
Die Ewigkeit verwaltet hier ein Haus.
Sein Giebel überwindet Sternenspalten,
Ein Tor besänftigte das Urgebraus.
Wir werden uns vereinfacht wiederfinden!
In jedes Fenster ziehn Gestirne ein.
In voller Schlichtheit soll sich alles binden,
Das Weltgebäude ist geklärt und rein.
Das größte Kunstwerk hat sich wahr vollendet.
Das Haus wird von der Sternenwelt bewohnt.
Wir haben es dem Baugesetz gespendet,
In dem der Geist über Gestirnen thront.
*
In die Rotonda ist ein stolzer Stern gezogen.
Er wohnt im Kuppelraum und hält die Menge fern.
Er kam über die Seele arglos angeflogen,
Und drang in unserm Wesen immer auf den Kern.
Dann hat Palladio ernst den Bauherrn ausgewogen,
Und seiner Hand entglühte abermals der Stern.
Tritt ein ins Heiligtum, bedenk die keuschen Tritte,
Du kommst zu dir, das Große trifft dich aus der Mitte.
Der Seele Freiheit sind die hehren Sternenmaße,
Der Geist der Ebenbürtigkeit beschließt den Kreis.
Der Wirkungen Vollendetheit verlangt die Straße,
In ihrem Abschluß liegt der Bündigkeit Beweis.
Die Strenge hebt sich auf in einem Brunnenspaße: *
Genuß und Tugend halten Bürger im Geleis.
Das ist die Stadt, in der die Männer offen sprechen,
Berechnet bleiben und mit keiner Eignung brechen.
Ihr nennt Vicenza nüchtern, unbekehrte Schwärmer!
Paläste von Palladio stehn für Sterne da.
Dem Geist in der Musik sind die Erfinder Lärmer:
Wer Wahres sagt ist wachsam allem Anfang nah.
So werdet einfacher, vollendeter und ärmer,
So mancher schwelgte, weil er nie Vicenza sah!
Palladios Kunst hat uns Natur zurückgegeben,
So kommt, gelingt es euch dabei zurückzubeben.
Vicenza kann die Sterne über Tag erhalten:
Die Himmelsbahnen gehn in Meisterbogen auf.
Gestirne wollen klar unter den Geistern walten:
Hier wartet man, im Himmel wirken sie zuhauf.
Palladio kann uns unsichtbar die Welt verwalten,
Denn nach Vicenza mündet jeder Schicksalslauf.
Ihr mögt euch kühn nach Künstlersicherheiten richten,
Ein klares Werk beherrscht die unbedingten Pflichten.
In einer Säule ist der Sternenplan verdichtet,
Auf ihre Reinheit war das Tugendmaß gestellt.
Aus einem Kuppelraum sei Ewigkeit belichtet,
In sich, nicht durch die Sonne, wird der Bau erhellt.
Was klar erscheint hat sich bestimmt und schon gerichtet,
Dem wahren Werk gelingt durch seinen Wert die Welt.
Vernimm, daß Maße einer Leichtigkeit entstammen,
Zur Ebenbürtigkeit mag dich der Bau entflammen.
Palladios Wissen konnte keinen Turm beweisen:
Wer in das Innre schaut, erscheint im Dasein weit.
Das Sterngerüst vereinfacht sich in strengen Kreisen:
Der Übergang ist knapp, und die Erfüllung breit.
Das Wunder wird die Ruhe der bewußten Reisen,
Dem kreisenden Geheimnis sei der Bau geweiht.
Vergiß den Turm, die Nacht muß sich nach innen kehren,
Die Stille die du bist wird nie ein Sturm versehren.
Wir Sonnenbringer können zu Gestirnen schreiten,
Ein Stern ist in Vicenza unter uns erwacht.
Wir wollen bloß den Glauben, der uns holt, begleiten,
So werden wir zur eignen Wirklichkeit gebracht,-
Ich will mich für die Selbsterkernung vorbereiten,
Der Einfalt räum dich ein: Hier steht sie überdacht.
Palladio, deine Hand! Ich will mich männlich fassen,
Der Macht, die du gestaltest, würdig überlassen.
Tritt ein im Tempelhaus, wo Sterne menschlich sprechen.
Sie schufen dich und haben sich zu dir befugt.
Es wird kein Werden ihre Sätze unterbrechen,
Sie sind und was sie aultun hat sich selbst genügt.
Der Bau gelang, kein Einwand kann dich kurz bestechen.
Die Tatsache bleibt starkgefaßt und ungerügt.
Wir dürfen in der Stille mit Gestirnen wandeln,
Die Ruhe aber schafft des Menschen kühnes Handeln.
Ich seh Gestalten unter Bogen stehen:
Wer hätte sie von ihrem Platz getrennt?
Die letzte Regung ist ihr Nievergehen:
Wo bleibt der Laut, der ihre Herkunft nennt?
Es taut, damit die Bilder sich bekleiden,
Am Tage stehn sie ratlos da und nackt.
Dann kommt der Mond, damit die Träume leiden:
Die Nacht hat ihren Marmorarm gepackt.
In Wind geschieht der Steingebilde Stille.
Die Stelle bleibt vom Wittern unberührt.
Die Werke sind ein hingegebner Wille,-
Uns wird eine Enthüllung vorgeführt.
Der kalte Marmor kann die Wahrheit sagen:
Die Mächte überragt das starre Maß.
Wer mag die Eintracht der Gestirne tragen?
Wer kam, der alles Eigentum vergaß?
Wird nie ein Stern die Steingestalten stören?
Ist noch kein Irrtum über dir geschehn?
Kann ein Komet die Wirklichkeit betören,
Wird nicht der Wahnsinn unsre Welt verwehn?
Das Dasein liegt im eignen Schreck enthalten.
Die Wahrheit bleibt in unsrer Angst verhallt.
Wir können sie vereinfacht erst entfalten:
Ein Schrei und unsre Welt hat sich verhallt!
In einem Hause stimmen die Gesetze:
Es brause ungeahnt der Welt voraus.
Auf einmal packt der Bau die Sternenhetze,
Und Ruhe hält das angstvolle Gebraus.
Der Bauherr trat im Machtgewand zutage:
Er bringt den Sternenheeren ihren Sinn.
Sie waren lange die gewagte Frage:
Die Stimme in Vicenza spricht: Ich bin.
Theodor Däubler
GEORG GROSZ.
Manchmal spielen bunte Tränen
In seinen äschernen Augen.
Aber immer begegnen ihm Toten wagen,
Die verscheuchen seine Libellen.
Br ist abergläubig ~
— Ward unter einem bösen Stern geboren —
Seine Schrift regnet,
Seine Zeichnung: Trüber Buchstabe.
Wie lange im Fluß gelegen
Blähen seine Menschen sich auf,
Mysteriöse Verlorene mit Quabbenmäulern
Und verfaulten Seelen.
Fünf träumende Totenfahrer
Sind seine silbernen Finger
Aber nirgendwo ein Licht im verirrten Märchen
Und doch ist er ein Kind,
Der Held aus dem Lederstrumpf/
Mit dem Indianerstamm auf Duzfuß.
Sonst haßt er alle Menschen,
Sie bringen ihm Unglück.
Aber Georg Groß liebt sein Mißgeschick
Wie einen anhänglichen Feind.
Und seine Traurigkeit ist dyonisisch,
Schwarzer Champagner seine Klage.
Kein Mensch weiß, wo er herkam/
Ich weiß, wo er landet.
Er ist ein Meer mit verhängtem Mond,
Sein Gott ist nur scheintot.
Else Lasker-Schüler
154
<
GEORG GROSZ / ZEICHNUNG
■ft*®
CARLO MENSE / MADONNA
DER MALIK
Fortsetzung*) <dem blauen Reiter Franz Marc).
Das kleine Pilgerheer unter Jussuf Abigail hatte fast das Tal vonlrsahab erreicht,
als die wilden Juden und ihr Kaiser ein Wolkengebild auf sich zukommen sahen
von dem Gipfel der Berge herab. Hs waren einige tausend Jünglinge der Alt-
hebräerstadt, die Jussuf ihrer eingebissenen Väter wegen haßte. Deren Söhne
aber säumten ihres Maliks Bild mit ihren goldenen Träumen und liebten den
Kaiserschelm, der einmal im Jahr seinem Neger die Krone aufs wollige Haar
setzte, Sich Selbst zu einem Seiner Untertanen machte. Diese Freigebigkeit hatte
das junge Herz von Irsahab erobert. Und in keinem Haus der Althebräerstadt
wurde nicht einer der Brüder vom Vater gemieden. Es geschah, daß Väter ihren
fanatischen Söhnen, und hatten sie zehn an der Zahl, den Einlaß ihres Hauses
verschlossen. Davon hörte erst Abigail, als die Knaben sich von Ihm und den
Häuptlingen getrennt hatten. Ihr Anführer schritt dem stürmenden Zuge voran
und es berührte den Malik wohltuend die Andacht seiner Redeweise. Als der
Kaiser ihn fragte wie er heiße, nannte er sich Zwi ben Zwi, und der kaiserliche
Häuptling betrachtete seinen Anstand mit Wohlgefallen. Und er ließ sich von den
glücklichen Irsahabanern vom Rücken seines Kamels heben, daß er wieder vom
Flusse Abba aus bestiegen hatte, und beschenkte jeden der Knaben mit einem
Schmetterling seiner bunten Augen und hinderte die Jubelnden nicht, Ihn ein Stück
durch das Sandmeer zu begleiten.
Der edle Fürst Rüben Marc von Cana saß wieder in seinem Lande und der
Herzog von Leipzig regierte in Jussufs Lieblingsstadt. Endlich empfing diese eine
kurze Nachricht ihres Maliks:
Theben, meine süße Braut. Die Häuptlinge, mein Leib, meine Spielgefährten sind
alle durch die Schmerzen der großen Kälte des Zarenreiches erkrankt. Nicht einen
Gruß sendet die Goldmutter auf die frostigen Ebenen zum Willkomm zur Erde.
Mir aber schlägt das Herz für den Freund und wärmt mein Blut. Einsam in Be*
gleitung Meines treuen Ossmans, dem statt der spitzgefeilten Zähne, Eiszapfen
aus dem Maule hängen, ziehe ich weiter über Moskau nach Metscherskoje den
Prinzen Sascha aus seiner schweren, achtjährigen Haft zu überführen nach Tiba.
Der Malik wurde von der Zarewna in Audienz empfangen/ in ihren ernsten
Kaiserinnenhänden lagen Jussufs Liebesgedichte in weißem Brokat. Vom Glücks*
stern der sanften Großfrau von Rußland geleitet, erreichte der Malik nach kurzen Ge*
pflogenheiten mit der Justiz die Aushändigung seines unschuldigen, himmlischen
Spielgefährten, aber der starb am Abend noch in seiner schmachvollen Zelle in
* »Der Malik« erschien vor 1. Juli 1916 in der »Aktion«.
157
den Armen des erschütterten Freundes. Abigail Jussuf sprach so lange er lebte
nie seines Liebesgefährten Namen aus, ohne sich zu besternen. — Bewacht von
einer Anzahl Kosaken im obersten Gewölbe des russischen Towers zuMetschers*
koje fand der Malik den Freund. Der gefangene, heilige Feldherr richtete sich
sterbend von seinem Lager auf, als er Jussuf erblichte und rügte ihn zärtlich besorgt
seiner Unvernunft. Aber ein verblutendes Morgenrot überzog zum letzten Male
das wundervolle Antlitz Saschas, und Jussuf Abigail, der weinende Malik, schämte
sich über den kleinen Splitter Gefahr, der er sich ausgesetzt hatte neben der be-
drohten ehernen Geduld seines liebsten Gespielen, dessen Glieder zum Gerippe
abgemagert waren,- in seinen Lungen fraß der Bazill.
In der Nacht noch ließ ihn der Malik einbalsamieren. »Tüsa goya min enti Tiba«
waren die letzten Worte des sterbenden thebetanischen Kambyses/ Jussuf trug
ihn Selbst mit dem schwarzen Knecht in einem Sarge auf den Schultern über die
Ebene nach der alten Zarenstadt,- von dort schlossen sich die aufgetauten wilden
Juden dem frommen Totenzuge an. Als die Leute in Theben ihren Malik und
seine Häuptlinge kommen sahen, hißten sie schmeichelnde Trauerfahnen auf ihren
Dächern, warfen sich zu Boden und verhüllten ihre Gesichte,- die Totenweiber
klagten dreißig Tage und Nächte und Südraben flogen über die Stadt, die sangen
die Melodien gottalter Psalme. Jussuf Abigail saß im Palast und weinte. Seine
Häuptlinge vermochten ihn nicht zu trösten, auch schlug er launisch die Einladung
des Ramsenith von Gibon aus, der eine Vorliebe für den spielerischen Jussuf
empfand. Dieser schöne, eitle König fühlte sich persönlich von der kurzen Art der
Absage getroffen und kündigte dem Malik die freundschaftlichen Beziehungen seines
Landes, darin sich Abigail der künstlerischen Bestrebungen wegen gerne auf hielt.
Diese kleine Ursache gab Anlaß zu einem späteren Kriege. Den Kaiser verlangte
es nur nach Rüben, seinem teuren Halbbruder, der aber war in seiner Abwesenheit
in die Schlacht gezogen, mit den Ariern gegen die Romanen und Slaven und
Britten. Daß er ihm, dem kaiserlichen Bruder das antun konnte,- Jussuf nahm in
seinem kaiserlichen Egoismus das Rüsten seines Bruders fast persönlich auf, darüber
vermochte der verlassene Malik sich nicht zu trösten. Den heiligen Leib seines
himmlischen Freundes bestattete er im Königsgewölbe bei Theben, und das thebe-
tanische Volk fürchtete um die Gesundheit seines Kaisers, der sich selten noch
unter sie auf den Straßen oder auf den Plätzen mischte, sich nicht einmal mehr
beschauen ließ in seinen Gärten. Um die Abendzeit wandelte Jussuf manchmal
dicht verschleiert durch die Gänge der Vorräume seiner Gemächer. Er war tief
mit sich im Gespräch, oft hörten die Neger ihn fluchen wie die Baumfäller im
Walde, und die Wände des Palastes wankten dann wie beim Erdbeben. Rubens
Weib, die Mareia, beschuldete er ungerechterweise, eiferte wider ihre weiße Ab*
.58
stammung, die seinen stolzen, friedliebenden Bruder veranlaßte, mit den abend-
ländischen Völkern zu kämpfen,- vergaß, daß sein starkwilliger Rüben einen ebenso
selbstständigen wie edlen Eigenwillen besäße. Am vierten Tage nadi der Brot-
ernte erhielt Jussuf Abigail eine rührende Botschaft seines fürstlichen Bruders aus
dem Kriege. Seine Anschuldigungen vergessend, entsandte der Malik Treiber nach
Cana, die dem Weibe Rubens mit Geschenken beladene Kamele führen mußten
und der Emirin die Kunde brachten, daß der Fürst sich auf dem Wege zur Heimat
befände. Zu gleicher Zeit wurden aus dem arischen Heere Soldaten gewählt und
ausgerüstet zur Reise nach dem ägyptischen Theben, den Malik Abigail Jussuf,
der des Bumerang Werfens gefürchtetster Krieger war, gegen die Indier ins Feld
zu werben.
Die Hirten, die Abigail zu seines Bruders Weibe gesandt hatte, ihr die Freuden^
botschaft zu bringen, daß Rüben auf Cana zuschreite, erzählten bei ihrer Rückkehr
den Leuten Thebens, daß sie abendländische Krieger gesehen hätten an den Gold^
feldern singend vorbeimarschieren auflrsahab zu und daß man ihre Helme sicher
schon von der großen Kuppel des Palastes aus glitzern sehen müsse. Die älteren
Leute gedachten des Kampfes, den sie unter der Anführung des noch damaligen
Prinzen Jussuf gegen eine Arierschar erfahren mußten. Umschlungen auf einem
Weizenfelde sah ein verwundeter Thebetaner die beiden Fürsten der feindlichen
Heere im silbernen Brote stehn und sich inbrünstig küssen. Durch Theben aber
tönte die Siegeskunde, der Prinz habe die Christenhunde in die Flucht geschlagen.
In Wirklichkeit jedoch hatten sich die beiden verliebten Anführer ihrer Heere ge-
einigt. — Dem Herzog von Leipzig war schon in den ersten Tagen seiner Vice-
regentschaft dieses Kriegsgeheimnis zu Ohren gekommen,- nicht die ungeheure
Begebenheit erboste ihn, aber die Leichtfertigkeit, mit der dieser arische Giselner,
dessen Herz in Thebens Sonne süß geworden war, seinen schwärmerischen kaiser-
lichen Freund verlassen konnte. Der herzogliche Hans Adalbert, der es sich zur
Aufgabe anheischte, alle Erdteile mit einander zu verbrüdern, eine internationale
Welt schon im Interesse der Kunst zu schaffen, bemühte sich in seiner klugen,
liebevollen Weise die beträchtige Anzahl der älteren Menschen von der Vereini-
gung der Jehovaniter für den Malik wieder zu gewinnen. Die waren vermutlich
von den Vätern der Irsahabaner aufgestachelt worden,- es schien dem diploma-
tischen Stellvertreter des Throns von Theben gelungen zu sein, einen Aufruhr
von Jussuf Abigail fern zu halten. Der hatte seinen kleinen Bruder Bulus nun
bei sich in seiner Stadt und lehrte ihn jeden einzelnen Menschen seines blauenTheben
zu lieben, die er mal regieren sollte nach seines Malikherzens frommer Fackel.
CFortsetzung folgt)
Else Lasker-Schüler
159
AN DEN KNABEN ELIS.
Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft,
Dieses ist dein Untergang.
Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.
Laß, wenn deine Stirne leise blutet,
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.
Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voller purpurner Trauben hängt,
Und du regst die Arme schöner im Blau.
Ein Dornbusch tönt,
Wo deine mondenen Augen sind.
O, wie lange bist, Elis, du verstorben.
Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,
Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,
Das letzte Gold verfallner Sterne.
Georg Trakl (f)
lÖO
AN NIOBE.
Das Geblök des blinden Stieres
Irrend im Kerker aus schwarzem Blut,
Der Harmonika regenzerfaserte Kehle,
Knirschende Beute des eignen Schemenlurchgetieres,
Totes Kind, das in hoffender Mutter noch ruht,
Winselndes Rinnsal pflanzenverstummter Seele,
Lästernder Öde wolkenzerrissenes Weh:
Schrei und Seufzer suchen dich, o Niobe.
Wo du hinblickst, Tränen wie Gebete blauen,
Deines Haares Traube spendet letzten Rausch auf schwankendem Schafott,
Wer dich liebet, weiß in wurmzerfressnem Leib noch Gott,-
Abend sät dein Lied auf sturmgeschändete Auen.
Violett säumst du die Wolkenwand der Sorge,
Wenn der Mast bricht, wärmt dein Schoß die See,-
Weihrauch, taut dein Hauch das gelbe Eis der Morgue,
O, dein Name süßt das Welken, Niobe.
Hörst du meine harten Tränen schlagen auf die dumpfen Steine?
Hörst in meines Herzens unmeßbaren Schluchten schluchzen du den Quell der Qual ?
O, so rühr7 an meine Wimpern, daß ich samtne Früchte weine,-
Eine die Sturzbäche meiner Klage zu mondblauem Gleiten durch welliges Tal:
Dort werden Blumen wie auf Gräbern schlafen: mit weißen Augen träumende Herde,
Ich werde küssen deiner Lippen Sonnenuntergang und schwarze Erde.
Alpenrosenleuchtend, schuldlos wie ein todgetroffnes Reh,
Sehen sie in deinen Armen mich verbluten, Niobe.
Wieland Herzfelde
161
AN EINEN BURSCHENSCHAFTER.
VEREHRTER KOMMILITONE1 In den beiden Mai-Heften der »Burschenschaftlichen Blätter« er-
örtern Sie anläßlich einer kritischen Besprechung der »Wartenden Hochschule« die Frage: Wie ist
eine neue studentische Gemeinsamkeit auf dem Fundament des Geistigen als absoluten Wertes
und der sozialen Verpflichtung möglich? Ihr schöner Ausruf: »Fort mit trennendem konventionellen
Formelkram! Fort mit allem, was der Rechtfertigung aus dem Geiste entbehrt!« umschreibe auch die
Grundstimmung meiner Antwort, zu der ich mich herzlich gedrängt fühle und deren Abdruck in
dem Organ der Deutschen Burschenschaft mich wie eine frohe Gewähr für die Ernsthaftigkeit jener
Forderung berührt.
Es sei zunächst, um unsere Aussprache deutlich genug aus dem Bereich bloß taktischer und prak-
tischer Verhandlungen herauszuheben, dies an den Anfang gestellt: Wenn Sie als Burschenschafter
sich mit fieistudentischen Erlebnissen und Erfordernissen auseinandersetzen, und wenn ich als
Freistudent zu einer burschenschaftlichen Öffentlichkeit sprechen darf, so ist dies ebensowenig ein
Zeichen irgendwelcher gut gemeinten Burgfriedlichkeit, wie es etwa unsere freistudentischen Be-
mühungen um das Gedächtnis Ludolf Wienbargs und der Urburschenschaft sind. Vielmehr wäre
im Gegenteil jeder aufrichtige gedankliche Streit zwischen uns eher ein Zeichen einer gemeinsamen
Teilnahme und inneren Verwandtschaft, als jenes Kirchhofsschweigen, das zwischen unsern Gruppen
bisher meist waltete.-----
In freistudentischen Traditionen aufgewachsen, gelangte ich, je mehr mir die geistige Aufgabe
der Hochschule zum grundlegenden Erlebnis einer studentischen Gemeinschaft wurde, zu immer
schärferer Kritik des Vorgefundenen Freistudententums bis zu dem Grade, daß mir von offiziellen
Vertretern unseres Verbandes das Recht, mich »Freistudent« zu nennen, abgesprochen wurde. Ganz
ähnlich, wie Sie davon reden, daß die Deutsche Burschenschaft, wie eine jede Korporation alten
Schlages, einer Neuorientierung bedürfe und vor einer Entscheidung stehe, — so fordere ich un-
sere Abkehr von einer Freien Studentenschaft des üblichen gewerkschaftlichen Typus, eine Hin-
wendung zu jenem Bilde einer studentischen Gemeinschaft, welche die Arbeit ihrer Glieder auf-
baut auf der gemeinsam gesetzten, freiwillig anerkannten Idee der Universität, wie sie uns Fichte
erschlossen hat und deren schöpferische Kraft in der religiösen Gebundenheit von Geist und Tat,
Erkenntnis und Erfüllung, Wahrheit und Verwirklichung, Akademie und Staat verbürgt ist.
Nunmehr gestatten Sie mir, auf eine merkwürdige und sehr fruchtbar zu verwertende Tatsache
aufmerksem zu machen, — übrigens mit dem Vorbehalt, daß ich sie hier nur ganz abgekürzt und
deshalb ein wenig vergröbert vortragen muß. Es besteht in unsern Bemühungen nämlich eine
Analogie derart, daß Sie — inhaltlich — besonders auf die Ideen der freideutschen Jugend und
einer reinen Jugendkultur hinweisen, an welchen teilzunehmen Ihnen eine entscheidende Lebens-
frage der Deutschen Burschenschaft erscheint/ ferner, daß Sie — formal — eine Einigung der Gei-
stigen in der Studentenschaft nur in losem Bunde, offener Umfassung gewährt sehen, hiermit aus
dem ausschließlich Korporativen herausdrängen in eine größere Weite, und so in Ihrem Streben
nach einer studentischen Gemeinsamkeit, einer lebendigen Einheit, dem urburschenschaftlichen
und freistudentischen Ideal einer wahrhaften civitas academica eng verwandt sind. Auf der andern
Seite steht jener Kreis von Freistudenten, der sich zum Teil aus der Freideutschen Jugend her-
leitet und welchem »Jugendkultur« das Zeichen eines ganzen, innig erlebten Gedankenkreises be-
deutet. Diese jungen Freistudenten, von ihren Altmitgliedern vielfach wie Abtrünnige behan-
delt, dennoch stetig wachsend, suchen sich in einen lebhaften geistigen Zusammenhang zur alten
Burschenschaft und ihren großen Lehrern zu stellen, und gehen im Formalen den Weg von der
vielfach nur illusionären, in Wahrheit höchst zerfallenen civitas zurück zum Korporativen, zur
Herauslösung aus der Masse, zur fraternitas, — wie das besonders kräftig in Erich Mohrs Arbeit
»Von der studentischen Gemeinschaft«, ferner auch in meiner Zeichnung einer Jugendgemeinschaft
1Ö2
in der »Jugend vor der sozialen Frage«, aber auch in entsprechenden praktischen Verwirklichungen
in die Erscheinung getreten ist.
Ohne daß wir heute errechnen können, wie unsere Zukunft aussieht: — ich glaube, daß da, wo
zwei Strömungen wie die eben gekennzeichneten sich kreuzen und durchdringen, Fruchtbarkeit
entstehen muß. Diese nur zu erhoffende Fruchtbarkeit können wir nicht anders vorbereiten, als
daß wir — jede Neuerung bei uns selbst beginnend — zu immer wachsenderem Verständnis unserer
Herkunft und Gegenwart zu gelangen suchen und damit vielleicht zunächst in wenigen Einzelnen
unter uns Engeren die Synthese zu vollziehen, die später möglicherweise Teil und Erbe einer
ganzen Studenten-Generation werden mag.
Wenn wir nun bei jener neuen studentischen Gemeinschaft zuerst an Freistudenten denken, so
tun wir das keineswegs, weil wir von vornherein von deren größerer Eignung so fest überzeugt
sind, sondern wir tun es aus dem gleichen Grunde, aus welchem Sie, verehrter Kommilitone, sich
an Burschenschafter wenden, nämlich weil jedem von uns seine Kameraden am nächsten stehen.
Uns, die wir wahrlich schärfste Selbstkritik geübt haben, deshalb einer oberflächlichen Negie-
rung des Waffenstudententums zu zeihen, wäre ungerecht. Mohr sagt ausdrücklich nach Anführung
eines wichtigen akademischen Kriteriums: »Hiermit ist der Typus Student verbürgt, mag er...
FreistudentoderBurschenschaftersein.«Ichselbst spreche von der erstrebten studentischen
Gemeinschaft, als von einer nicht mißzuverstehenden Absage »an alle . . .Korporationen und
Antikorporationen, die ihre Arbeit zur Erhöhung des Lebensgefühls . . . zur Reaktion und
persönlichen Entladung unternehmen«. — Wenn Sie daher <durchaus mit Recht) daran erinnern,
daß die irrationalen Werte, daß auch das Brodeln und Gären in der heutigen Burschenschaft zwar
von Außenstehenden schwerlich gesehen werden kann, doch darum nicht weniger da ist, so bitten
wir unsererseits, unsere Forderungen und Lebensäußerungen nicht mit dem verwirrenden
Maßstabe eines von uns längst verworfenen Alt-Freistudententums zu messen. Wir haben längst
aufgeräumt mit dem völlig fiktiven Vertretungsprinzip, wir verwerfen ja auch grade den Mangel
an Leitung, Zucht, Gliederung, Staffelung und Stetigkeit, wie er bislang in vielen freistudentischen
Organisationen herrschend war. Uns liegt nichts an der umfangreichen Ziffer, und wir haben
nicht im geringsten den vergeblichen Ehrgeiz, die »großen, trägen Massen« zu erschüttern. Daraus
erklärt sich auch, daß wir unsere »Akademischen Kundgebungen« gar nicht an die ganzeStudenten-
schaft oder etwa an die Nichtinkorporierten richteten, sondern auf die erste Seite die Widmung
schrieben: »Den Kameraden«, womit wir zuvörderst unsere persönlichen Gefährten meinten, im
weiteren Sinne aber jeden uns Unbekannten, dennoch Verwandten, der diesen noch werdenden
neuen Typus Student darstellt, »mag er Freistudent oder Burschenschafter sein«.
Möchten sich durch diese Feststellungen auch Ihre Zweifel an der Erfüllbarkeit unseres Willens
ein wenig mindern. Möchte man uns Jungfreistudenten vor allem fürder nicht mehr mit dem
Schuldkonto der Alten belasten, mit welchen wir selber schon Abrechnung gehalten haben. Be-
denken Sie auch, daß, wie Sie sich doch durch Ihre Lebensformen mit mehr Erdenschwere begabt
und besser vor Utopien gefeit finden, so auch wir in der sozialen Arbeit einen gewissen Erfahrungs-
fonds von der Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit der Menschenseele und den Verwickelungen
und seltsamen Konstellationen der Umstände gesammelt haben. Wenn wir also trotzdem von
der Wartenden Hochschule sprechen, so ist das nicht ein liebenswürdiger Einfall und eine freund-
liche Lockung, sondern ein realer Plan, an dessen finanzieller Durchführung zurzeit nicht weniger
gearbeitet wird als an seiner geistigen.
Damit komme ich schließlich zu den Fragen: Was wird aus der Freien Studentenschaft? und:
Wie finden wir einen Weg zueinander?
Ich antworte: Es ist zunächst eine Sorge zweiten Ranges, ob die von uns gezeichneten Gemein-
schaften sich nach dem Kriege Freie Studentenschaften oder sonstwie nennen. Falls es nicht sein
soll: wir sind auf diesen Namen, wie überhaupt auf Namen nicht erpicht. Solche Gemeinschaften
werden ja nicht durch irgendein Aushängeschild existent, vielmehr durch die einfache Tatsache,
daß eine Anzahl junger Männer heute da ist, die so und nicht anders zu leben gewillt sind und
163
den Anfang dazu schon gemacht haben. Ob wir dabei vielen zu korporativ, zu symbolisch, zu
akademisch, zu sozialistisch, zu aristokratisch, zu persönlich oder zu sachlich erscheinen werden,
das muß uns verhältnismäßig gleichgültig sein, Wir werden durchaus nicht an der Straßenbiegung
stehen und uns warnen lassen, werden auch nicht große Ermunterungsreden für noch Zögernde
halten, sondern wir werden sehr mit uns selbst und unserm Ziel beschäftigt den Aufbruch wagen
und unsern Weg gehen. Möge man uns aber nicht Gleichgültigkeit gegenüber den großen Scharen
unserer Kommilitonen vorwerfen. Nein,- allein wir glauben, daß es aufrechter und wirksamer für
die Sache der wahren Hochschule gehandelt sei, zu allererst mit sich selbst Ernst zu machen, an-
statt von den Unüberzeugten Gesinnungen und Taten zu verlangen, deren Dasein sich bei uns
bisher noch kaum bewies.
Dies also scheint mir ursprünglicher und selbstverständlicher zu sein als die fragwürdige Abhal-
tung der herrlichsten Vortragsabende zur Einführung des wahren akademischen Lebens. Und wenn
Sie, lieber Kommilitone, sagen, wir alle müssen einsehen lernen, »daß jede Tat ihren Wert in sich
hat, als unmittelbare Bezogenheit auf Gott«, so ist das ganz die gleiche, uns jeglicher Angst um
Zukunft und »Fortschritt« enthebende Anschauung, welche ich in der »Wartenden Hochschule«
in die Worte faßte: »es muß sich erweisen, ob wir nicht selber dem Idol der Entwickelung oder
des Fortschritts ergeben sind, die Wohlfahrt irgendeiner späteren ungekannten Generation be-
sorgen, ein wenig aufgespielt und unbescheiden uns für das Jahr 2015 abmühen, anstatt allein
darauf bedacht zu sein, das Heil unserer Seele zu retten.« Oder, nochmals in Ihren Worten:
»Nicht Ideologie der Zukunft — Realisierung der Persönlichkeit!«
Wie aber soll — das ist die zweite Frage — uns der Zusammenhang der geistig Bewegten unter
den Studenten dauernd bewußt und lebendig werden? Sehr richtig antworten Sie: »Mit Zeitschriften,
negierender Kritik, gelegentlichen Aufrufen, Petitionen erreicht man nichts.« Wir brauchen eine
große akademische Heimstätte, eine hoch im Lande liegende Burg des Geistes, einen Treffpunkt,
Wallfahrtsort und Kampfplatz der Jugend, an welchem sie in lebendigste Fühlung mit ihren
Meistern gerät. Das ist die Neue Hochschule, wie sie nach dem Kriege erstehen wird. Das ist der
lose, dennoch lebendige Bund der Kräfte ohne Traditionen und Symbole wie Sie und ich ihn er-
sehnen, über den Verbänden stehend, dennoch innig gesammelt, arbeitsam und suchend dem Geiste
hingegeben, die Bewegtesten aus allen Universitäten, Gruppen, Freundschaftskreisen, Bruderschaften
zu festlichen Wochen scharend: »immer deutlicher sich des Gegensatzes zwischen dem Alten und
Neuen bewußt zu werden, jung und jugendlich zu leben, das Handwerk fahren zu lassen und die
Kunst zu ergreifen, das Unschöne in Wort und Tat an sich und andern nicht zu dulden, ihr Ohr
dem Wehen des nahen Geistes nicht zu schließen und weder gedankenlos noch leichtfertig dahin-
lebend, noch schwermütig brütend, die Blüten des Lebens und der Wissenschaft mit jugendlicher
Unschuld und Heiterkeit zu pflücken«. <Wienbarg>
Kommilitone, wenn wir uns nun mehr noch als zuvor verstehen, wenn wir diesen schaffenden
Bund wollen, so lassen Sie uns unserm Willen einen gelöbnishaften Ausdruck geben. Das nächste
Jahr bringt uns die 100jährige Wiederkehr des Wartburgfestes. Lassen Sie uns, einen Burschen-
schafter und Freistudenten die »Rede, gehalten am Feuer auf den Wartenberge am Abend des
18. Oktober 1817 von L. Rödiger, der Philosophie Beflissenen« als einen Gruß an Deutschlands
akademische Jugend gemeinsam heraussenden. Besser können wir unsere Ehrfurcht vor dem, was
war und unsere Bereitschaft zu dem, was durch uns sein soll, nicht bezeugen, als wenn wir unsere
Fackeln an jenem Wartburg-Feuer entzünden und den alten Worten einen neuen Sinn geben:
»Die Form mag man zerbrechen, — der Geist lebt in uns allen.«
In dieser Gesinnung reicht Ihnen die Hand
Ihr Kommilitone
Ernst Joel
164
MITTEILUNGEN.
Notiz für Archäologen: Eine noch Immer nicht ausgestorbene Rasse der Eisenzeit. In der Deut«
sehen Hochschulzeitung Heft 21/zz, Wien, den 20. Brachmond <Juni> 1916, ist in einem Artikel
Professor Förster und der Übernationalismus von Major a. D. Kreßmann zu lesen:
»Das Wort Übernationalismus ist erfunden worden von dem jetzt in Bern lebenden Schriftsteller
Hermann Hesse. Er sagt von sich selbst, daß er den Frieden höher schätzt als den Krieg und Friedens«
arbeit schöner und wertvoller findet als Kriegsarbeit. So wird er sich wohl selbst zu den sogenann«
ten Pazifisten zählen und in Herrn Förster einen Gesinnungsgenossen besitzen.
Wie ist es nun möglich, als Deutscher angesichts dieses Krieges, der in uns Deutschen alle edlen
Seiten unseres Gemütes zur Entflammung, alle Tüchtigkeit zur Entfaltung bringt, den Blick in un«
sere Zukunft erweitert, unser einheitliches Nationalbewußtsein geklärt und dazu angespornt hat,
einen kulturellen und zivilisatorischen Beruf zur Förderung der ganzen Menschheit in Freiheit,
Gesittung, Veredlung, nicht nur als eine ernste und schwere Aufgabe auf uns zu nehmen, son«
dern derselben mit allen Kräften zu dienen — wie ist es nur für einen Deutschen möglich, frage
ich, inmitten dieses unendlich großen und für unser Volk erhebenden und erhabenen Krieges ganz
kaltherzig auszusprechen, daß die Friedensarbeit schöner und wertvoller sei als die Kriegsarbeit?«
Welches prähistorische Museum sichert sich das Vorkaufsrecht auf die Leiche des Herrn Kreß-
mann schon zu Lebzeiten? E. J. Gumhel
Bildnis - Ausstellung der V. G.B. vom Roten Kreuz für die Kolonien, Berlin, Pariserplatz 4.
Unter ihre Bildnisse, photographischen Abzüge und Reproduktionen schreiben die hervorragen»
sten Persönlichkeiten Deutschlands und der Mittelmächte Aussprüche, von denen wir die bedeut-
samsten folgen lassen:
Seine Kaiserliche Hoheit, der Deutsche Kronprinz,Wilhelm von Hohenzollern, äußert: »Der Hieb
ist die beste Parade.«—Sein hoher Bruder,Oskar von Hohenzollern, Prinz von Preußen: »Wer Gott
vertraut und dabei immer feste um sich haut, der hat auf keinen Sand gebaut« <Märkischer Reiter»
Spruch).—Seine Hoheit, Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg: »Die Unabhängigkeit des deut»
schenVolkes fordert ein umfassendes,schwertgesichertes Kolonialreich.«—Seine Hoheit, der Herzog
von Anhalt: »Fürchte Gott und befolge seine Befehle.« — Seine Excellenz, Freiherr von Pletten-
berg: »Hurra!« — Graf von Schwerin-Läwitz: »Treu, wahr, friedliebend und kriegstüchtig, das
ist deutsch.« — Graf von Westarp, M. D. R.: »Mehr sein als scheinen.« — Graf Nikolaus zu
Dohna, Kommandant S. M. S. „Möwe“: »Tod allen Flaumachern.« — General der Infanterie
Freiherr von Hazai: »Aufhalten, aushalten, behalten, durchhalten, erhalten, verhalten, nur nicht
innehalten.« — Staatsminister Dr.Sydow: »Excelsior.« — Seine Excellenz Staatsminister von
Breitenbach: »Voll Dampf voran.« — Seine Excellenz, Vizeadmiral Souchon: »Drauf und
durch.« — Seine Excellenz, Generaloberst von Kluck: »Mögen sie hassen, wenn sie nur fürch-
ten.« — Dr. Ludwig Hans, M.D.R.: »Recht geht vor Macht.« — Admiral von Müller, Chef des
Marinekabinetts: »Erst die Pflichten, dann dieRechte.« — KammergerichtspräsidentWilhelm Hein-
roth: »Ohne Recht keine Macht, ohne Macht kein Recht.« — Excellenz, Staatsminister von
Loebell: »Der König in Preußen voran, Preußen in Deutschland voran, Deutschland in der Welt
voran.« <Fürst Bülow, 16. 1. 1904.) — General der Artillerie von Scholz: »Allzeit freudig drauf
mit Gott!« — General der Infanterie von Beseler: »Mit Gott wollen wir Taten tun, er wird
unsere Feinde untertreten.« — Major Bassermann, M. D. R.: »Durch Not und Tod zum deut-
schen Sieg, Ein stärkres Reich aus blutigem Krieg.« — Excellenz, Staatsminister von Feilitzsch:
»Durch!« — Dr. Georg Örtel, M. D. R.: »Schwert und Pflug, Krone und Kreuz.« — Professor
C. Schillings: »Deutsch-Ostafrika bleibt Deutsch-Ostafrika.« — Georg Voß, Konservator der
Kunstdenkmäler Thüringens: »Um die Schrecken des Krieges schneller zu beendigen, darf selbst
das köstlichste alte Bauwerk geopfert werden.« — Thassilo von Scheffer: »Der Krieg hat uns
endlich wieder einen Enthusiasmus gebracht, sorgen wir, daß er uns erhalten bleibe.« — Frau
Elise von Delbrück: »Große Zeiten durchlebt, und dabei großen Persönlichkeiten nahe gestanden
zu haben, ist eine Gnade von Gott.« W. H.
Georg Trakl: „Sebastian im Traum* (Kurt Wolff Verlag).
Des Knaben Trauer wird hervorgerufen durch unerfüllt gebliebenen Schönheitswunsch. Doch
trennt er Ursache und Wirkung nicht und liebt so seine Trauer.
Georg Trakl, lebend in Salzburgs Immergrün der Vergangenheit, dichtet des Knabentums schmerz-
hafte Süße. Wissend die Sterblichkeit jeder Erscheinung, jeder Blüte, Sonne, Frucht, Fäulnis und
Saat, wird Verzückung ihm Blick und Träne, unsterblich das Lächeln, Lust, Geste und Tun.
Nie wird der Geburt glasblaues Weh ihm getrübt und gebleicht von der ätzenden Zeit, von des
Augenblicks Schleierwald, nie umnebelt vom Ziel. Weglos sind seine Wälder, ohne Häfen das
Meer und der Mensch ohne Wohnung,- doch lautlos ziehn ihre Bahnen die Sterne, edel und weiß,
kein Schwanken macht sie dem Menschen nahbar.
Georg Trakl verbirgt sich nicht den Gestirnen, die stechend und bitter den Schwachen verscheuchen
in die Höhlen, wo Begriffe, Systeme, Erfahrung, Ordnung das »Leben« erträglich machen, ~
die Menschen nicht. Er gibt sich preis dem hypnotischen Willen, zu welchem Erdengeruch und
Sterneis verschmelzen. Schlafwandler, öffnet sich ihm der Sarg des Unerfüllten, drin Schimmel
blüht auf geöffneten Lippen der Urnacht, wo Phosphor verklärt das Aas der Brüste Marias. Es
starrt seine Seele in die Stürme der Einsamkeit: wohlriechendes Harz aus geblichenen Masten,
entströmt seine Dichtung wächsernem Herzen. Wir fühlen sein Wort wie den maßlosen Blick
einer Leiche,- schwarze Verlockung ins Grab die Berührung versagender Hände. Der Knabe Elis
ist der tote Bruder des totgeborenen Engels Georg Trakl. Ihn küssend schaudert er zurück vor
eigner Bestimmung unwirklichem Doppelgänger. Vor allem Geliebten schaudert sein früheres Leben.
Ja: irdisches Leben, die bleierne Fata Morgana Edens, tönt herrisch und hart in den süßesten,
mattesten Seufzern aller Zerschellten. Blumen und Düfte und zärtliche Liebe sind, um die gefräßi-
gen Särge grinsen zu machen. Aber Flüche, Mord/^Wahnsinn und berstende Adern zeugen, daß
göttlich der Mensch und niemals zu töten ist.
Dieser Dichter ertrug nicht die fatamorganaschwangere Erdenwüste: mit unendlicher Süße, einer
Sprache gleich farbigen Quellen der Unterwelt, umwarben seine Gedichte, seine gedichtete Prosa
<Rubine und Perlen aus der Seele blutschweißgerötetem See> seine große Geliebte: den Tod. Er
fand ihn im Kriege.
Doch nahm der Tod ihn nicht als Sklaven, gleich jenen, die, stets als Sklaven, den eifersüchtigen
Kampf um die Gunst der Erde führen, des Todes häßlicher Feindin, der fetten Braut für Händ-
ler und Maschinen. Erhörung, nicht Vereitlung war der Tod ihm: er war ein Mensch und konnte
darum »unter Menschen« nicht mehr leben.
Wieland Herzfelde
Verantwortlich für den gesamten Inhalt: Helmut Herzfeld, ßerlin-Charlottenburg. — Verlag: Neue Jugend, Berlin
und Leipzig. — Gedruckt in der Hof-Buch» und »Steindruckerei von Dietsch '3D Brückner in Weimar.
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NEUE JUGEND
MONATSSCHRIFT
HERAUSGEBER: HEINZ BARGER / SCHRIFTLEITER: WIELAND HERZFELDE
HEFT NEUN SEPTEMBER ERSTES JAHR
WIDMUNGEN.
1.
ALS ICH SCHWEIGEND BRÜTETE.
Als ich schweigend brütete,
Von meinen Gedichten nicht loskam, erwägend, verweilend,
Erhob sich vor mir ein Gespenst unheimlichen Anblicks,
Furchtbar in Schönheit, Alter und Macht,
Geist von Dichtern alter Lande,
Als werfe es auf mich seine Augen wie Flamme,
Und mit dem Finger auf viele unsterbliche Dichtungen deutend,
Mit drohender Stimme Was singst du? sprach es,
Weißt du nicht, daß es für zeitüberdauernde Sänger ein Thema nur gibt?
Und das ist das Thema des Kriegs, das Glück der Schlachten,
Die Zeugung vollkommner Soldaten.
Sei’s drum, gab ich zur Antwort,
Ich, hoffärtger Schatten, singe auch Krieg, langem und großem als je einer war,
Angehoben in meinem Buch mit wechselndem Glück, mit Flucht, Vormarsch und
Rückzug, vertagtem und schwankendem Sieg,
{Sicherm doch, dünkt mich oder so gut wie sicherm, am Ende,) das Schlachtfeld
die Welt,
Um Leben und Tod, um den LEIB und um die ewige SEELE,
Siehe, auch ich bin gekommen im Singen des Schlachtgesangs,
Ich vor allen bringe tapfre Soldaten hervor.
167
2.
AN EINEN HISTORIKER.
Du, der Geschwundenes feiert,
Der das Äußre erforscht hat, die Oberflächen der Rassen, das Leben, das sich zur
Schau gestellt hat,
Der vom Menschen gehandelt hat als Geschöpf von Politik, Gemengen, Herrschern
und Priestern,
Ich, Sasse der Alleghanyberge, der von ihm handelt wie er an sich ist, im eigenen
Recht,
Den Puls des Lebens drückend, das sich selten zur Schau gestellt hat <die große
Pracht des Menschen in sich,)
Sänger der Persönlichkeit, zeichnend, was erst noch kommen soll, ich entwerfe die
Geschichte der Zukunft.
3-
DEN STAATEN.
Den Staaten oder einem von ihnen, oder jeglicher Stadt in den Staaten: Wider-
steht viel, gehorcht wenig,
Einmal fragloser Gehorsam, zumal völlig geknechtet,
Einmal völlig geknechtet erlangt kein Volk oder Staat, keine Stadt dieser Erde
je ihre Freiheit wieder.
4-
AN EINE SÄNGERIN.
Da, nimm dies Geschenk,
Ich hab es für einen Helden bewahrt, Mann der Rede, oder General,
Für einen, der der guten alten Sache diente, der großen Idee, dem Fortschritt und
der Freiheit des Menschengeschlechts,
Einem tapfern Despotentrotzer, kühnem Empörer,
Und nun seh ich, was ich bewahrte, ist dein just ebenso gut wie ihrer.
Walt Whitman
Deutsch von Gustav Landauer
168
DIE ALTE GESCHICHTE.
Es war einmal ein junger Dichter namens Eduard, der lebte in einem Palaste. Und
in ihm war nichts als Sehnsucht. Seine Diener aber brachten ihm Schinkensemmeln
mit Kaffee. Sehr traurig war der junge Dichter, und seine Sehnsucht ging von
einem Zimmer in das andere. Herrliche Bilder konnte er sich vorgaukeln, und das
junge Mädchen, das er liebte und haßte: Kunigunde!
Doch wenn sein junger Leib, der sich sehnte, einen Schritt vorwärts tat, die ge*
schaute Gestalt zu umarmen, schwand alles, und seine Lippen, die nach einem
Kusse lechzten und glühten, sie sanken kümmerlich zusammen, und sein Kopf
fiel schulterwärts . . . und er war wieder allein mit seinen Zimmern, Dienern und
Schinkensemmeln. Da haderte der junge Dichter mit Gott und seinem Palaste
und weinte über sie die Tage und Nächte, daß sie ihm nicht geben wollten, wo*
nach er flammte . . . und hätte am liebsten die Wände geküßt und die Bäume
seines Gartens umarmt: so sehnte er sich. Und er vergoß sieben Tränenströme.
Und er wollte nichts essen und zerfleischte sich das Gesicht und die lieben Hände
und raufte sein Haar und zerriß seine Gedichte und lag wie ein Toter da auf
seinen Teppichen.
Sandte der liebe Gott zu ihm in den Traum eine ausgezeichnete Fee, und die
sprach: Was gibst du deinem Körper Wunden und üble Farben? Sieh, sei wieder
brav und ruhig, und Gott wird dein Haar streicheln, und dein Haupt soll liegen
in dem Schoße deines jungen Mädchens. Da sprach der junge Dichter: Ich will ja
gern an den lieben Gott und meinen Palast glauben, aber warum ward ich so
schwer geschlagen? Es ist ja wahr, ich habe vor sieben Jahren, zehn Monaten und
drei Tagen beinahe eine Ameise zertreten!
Küßte die ausgezeichnete Fee dem jungen Dichter langen Schlaf an und tat von
seinem Leibe die Wunden und üblen Farben, nahm von seinen Händen die Be*
trübtheit. . . und als er erwachte, da taten sich alle seine Zimmer auf und strahlten,
und sein Haupt lag gebettet in den Schoß des jungen Mädchens, und sie streichelte
seine Haare und küßte ihn und klebte seine Gedichte wieder zusammen.
Glaubt ihr das? Ich nämlich glaube es auch nicht! Sondern, als von dem jungen
Dichter der Schlaf trat, da stand zu seinen Häupten ein Freund und wies ihm
eine Kritik, in der Eduard niederträchtigerweise gelobt wurde, ein Briefträger
feierte seinen Einzug mit einer Drucksorte, laut der sich Kunigunde mit Archan*
gelus Lardschneider, jenem niederträchtigen Kritiker, verheiratet hatte, und eine
jähe Drahtung zwang ihn, die Premiere seines letzten Stückes abzusitzen, des
Schiffahrtsaktiendramas »Eduard und Kunigunde«, das ihm vom Lesen her übel
bekannt war. Und zu Füßen seines Bettes stand ein Diener, in der Hand haltend
eine Tasse Kaffee mit Senf.
Albert Ehrenstein
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ICH VERLANGE EIN REITERSTANDBILD.
Gebt mir's! Gebt mir mein Reiterstandbild! Zögert nidit länger! Sonst fresse ich
euch auf — und ich habe bewiesen, daß ich's kann. Ihr kennt meine Taten. Brau®
dien die andern Kerle Reiterstandbilder? Gestern erst stopfte ich das <zäh sakrale)
Fleisch der Kaiserin Tun®Teeh von Topfnachtien in ihr eignes Gedärm und ver®
speiste es als Mettwurst: warum also länger warten? Soll ich auch noch den Pro®
fessor Witzlamopski®Tor%emüll <als Vomitiv) schlingen? Ich habe genug gegessen,
bin satt. Setzt mir jetzt ein Reiterstandbild! Eiserne Mynonas will ich,* und schämen
solltet ihr euch, daß ich euch erst mahnen muß.
Mit mir steht es nicht einfach so, daß ich nichts getan hätte als, wie Gerhart
Hauptmann sich schmeicheln mag, gelebt und geliebet. Ne! Ich tat etwas, das nie
in eines Menschen Gedanken kommt: ich nieste, ich nieste meine Menschheit aus,*
das, das, das, das könnt ihr nicht. Ihr weisen Esel! Ihr impotenten Korrekteriche!
Ihr alten Männer, die ihr mir in der würdigsten Haltung mit ernstem Antlitz die
Hand drücken wollt: ich brate mir euer ernstes Antlitz und esse euch die würdigen
Hände auf. Ich weine auch nie über den Tod heilig ernster Menschen oder gar
Professoren,* meine Tränen kommen von dem Lachen, das midi sofort erschüt®
tert, wenn ich sie und ihre <leicht gemästet und mit Äpfeln gefüllt ganz schmack®
haften) Damen trauern sehe. Ich bin wie die Musik <sdhon deswegen verdiene ich
mein Reiterstandbild): sie weiß nicht, was Trauer ist, ist durch und durch selig
und löst allen Ernst, welchen der Mensch gern in sie steckt, mit himmlischer Leich®
tigkeit in ihr konstantes Lachen auf, das so spiegelglatt ist, daß es nicht die merk®
lidhste Welle mehr wirft und die dummen Burschen und selbst die klügsten alten
Damen ruhig glauben läßt, es sei nicht vorhanden, und die Musik sei ernst wie
ein Mensch.
Du aber seiest wie Niobe, sagst du mir, du weinst und behauptest, du habest
keine Tränen mehr, du nennst mich hartherzig. Ich aber finde dich herzig, ich lecke
dir die Tränen von deinen weichen warmen Wangen, esse dich auf,- ich früh®
stücke dich und freue mich heißhungrig auf mein Reiterstandbild. Gut bronziert im
lustigen Galopp auf Schloßplätzen über euren Jammer zu sprengen, diese Aus®
sicht läßt mich in hellen Jubel ausbrechen, so daß ich gleich einige Männerchen auf®
fresse, die in der Tat nach ihrer eignen Aussage beträchtlich mehr Haltung als
Geist haben: sie haben genau die Haltung von allerlei Dummbarten und Apfel®
Schnitzlern,* den Geist werden sie nie aufgeben, sie haben keinen,* und sobald ich
sie verdaue, wird aus ihrer Haltung halt Dung. Sie fragen mich, Frau Meier,
weshalb ich alle Augenblicke Menschen esse? Statt der Antwort, auf die Sie ge-
spannt sind, röste ich mir Ihr rechtes Hinterviertel und lache darüber, daß wir beide
schneiden: Sie Grimassen,* ich das Gegenstück Ihrer sauren Miene.
170
Ach, eines Tages. Auch ich hieß Karl <Karl der Kleine, Charlepetit), ich dachte
noch nicht an Reiterstandbilder und Kannibalismus,- ich habe meinen Otto Ernst
gelesen, ohne ihn im geringsten scherzhaft zu finden, obgleich er das gern wollte
<heute, als Floh des Dionysos, ist er sehr spaßig, knickt ihn nicht gleich! !>. Ach,
eines Tages: ich kreißte gleichsam — nicht bloß wie Frau Apotheker Hildebrandt
mit langem S —,- Lottchen, kennen Sie das Gefühl, wie wenn Herman der Cherus-
ker sich Ihnen in ehelicher Absicht nähere? Es war mir, Lottchen, als ob etwas
unerhört Robustes, Lottchen, mich durchdränge und ganz mit sich überwältigte
und ausfüllte. Seitdem bin ich weg,- ich wurde zu meiner eignen Mama, Lotte,
und gebar mich — was sage ich! — warf mich mit einem übertierisch*übermensch*
liehen Wohlgefühl in ein Leben, einen Leib, den nichts Übles mehr anfechten
kann. Lottchen, seitdem wurde meine Nahrung lauter Menschenfleisch. Zuerst
dachten sie, ich sei ihresgleichen,-sie versuchten ihre gewöhnlichen Zuchtmittel:
Irrenhaus, Gymnasium, consilium abeundi, Todesstrafe, den hohen Orden vom
Schwarzen Peter, mit dem der sterbliche Adel verbunden ist,- Universität, Frauen-
arbeit, Kunstakademie, Einzelhaft, Galgen, Taufe und andre Wasserheilanstalten.
Ich, Lottchen, schritt durch die Mauern ihrer Gefängnisse wie durch zarten Nebel/
ich blieb trotz der Taufe der lustigste Menschenfresser mit unverbesserlich froh*
lichem Gewissen,- ich ignorierte die weise Ignoranz, die sie für Wissenschaft, und
die fleißige Impotenz, die sie für Kunst halten,- ich grinste den Scharfrichter, der
mir den Kopf, Lottchen, abschnitt, sofort mit einem neuen an und fraß diesen
Stumpfrichter vor den Glotzaugen ihrer Justiz <die ich just nicht just finde) auf,-
ich fraß Exzellenz v....ke, die mich hindern wollte, bis auf das Bruchband auf.
Ganze Armeen, die sie gegen mich schickten, konnten mir nicht das geringste
anhaben, ich bin unverwundbar wie die Luft, ja, noch unverletzlicher: und die
Leute sehen sich zum erstenmal einer wahrhaft überlegenen Macht sinnlich gegen*
über, keiner natürlichen, sondern einer persönlichen. Lottchen, ich bin nicht der
liebe Gott, sonst würde ich doch kein Reiterstandbild verlangen!
Jetzt stelle ich das Ultimatum: entweder wird mir binnen 1 */* Tagen mein Reiter*
Standbild zu setzen begonnen, dem dann in kurz bemeßnen Fristen überall
eiserne Mynonas <auf den Hufen) zu folgen haben / oder ich mache die gesamte
Menschheit <mit alleiniger Ausnahme derer, die es bereits sind, wie z. B. Herr
Jüngling Pusserl) zu meinen Exkrementen.
Sie meinen, Frau Dr. Wischei, daß ich nur spaße, weil ich doch überhaupt so
»drollig« sei? Sie huldigen der Ansicht des Rindviehs, daß der Ernst dem Spaß
überlegen sei, meine Dame: ich schärfe Ihnen ein, der Spaß ist der geborne Men*
schenfresser des Ernstes. Haltet also die Schnauzen und setzt mir in düsterstem
Ernst stillschweigend mein Reiterstandbild,- sonst holt euch derjenige Tod, wel*
eher schlimmer als jeder ernsthafte ist, der lachende.
Mynona
171
AUS »HESPERIEN«.
Die Grenze unsrer Welt, das unermeßne Schweigen
Ersetzt den Schatten neben uns in großer Nacht.
Es setzt sich hin zu dir, kann sich noch näher neigen,
Wann fühlst du seinen Hauch? Er ist zu leicht und sacht.
Auf einmal wissen wir: Man kann noch tiefer steigen:
Erst unterm Schweigen ist der gute Mensch erwacht.
Du überläßt dich deiner Einsamkeiten Stufen,
Da wird dich niemand wecken oder tiefer rufen.
Man weiß im Grund, was uns die Sterne einst verhießen,
Ihr bleibt ein unerfüllter Ruf nach der Geburt.
Du mußtest dich aus Zufall in dich selbst ergießen,
Nun lebst du, doch von fremden Führungen umspurt.
Bedenkt, ihr Menschen, ob ihr recht mit euch verfuhrt?
Die Sterne haben ewge Richtungen gewiesen:
Geduld. Wozu so rasch den Schrei ins Ich erkiesen!
Mir ward ein altes Land für meinen Blick beschieden.
Die Völker haben hier bereits ihr Werk vollstreckt.
Nun bringt die Tat der Seele unverlornen Frieden:
Ideen werden unter Skeptikern erweckt.
Der Reife hat den kleinen Einfall stets vermieden
Und in sich selbst die Weltvermittlungen entdeckt.
Es zeigt der Zweck des Geistes unerfüllte Lehren,
Das Denkmal liegt vor uns: wir müssen es verehren.
Du bist zu kalt, um leidenschaftlich Krieg zu führen,
Zu klug, um einen Sinn der Dinge einzusehn,-
Doch kann dich jede Angst und keusche Freude rühren,
Und hilfreich wirst du jedem gern entgegengehn.
Doch auch des Ringens große Würde sollst du spüren,-
Bald wird der Feind vor dir als dein Gespiele stehn.
Oft ward ein Feldzug ohne Blutverlust gewonnen,
Des Geistes volle Herrschaft hat dereinst begonnen.
Es soll sich jeder Mensch zur Andachtsnacht bekennen.
Wie alt wir sind: der letzte Stern hat uns erreicht!
Nun wißt, wie hoch eure Bestimmungen erbrennen:
Man findet schwer den Weg: für dich ist er zu leicht.
Und doch, auf einmal werden wir uns ganz erkennen,
Dann siehst du bloß, wie alle Leistung selbst erbleicht.
Die Welt ist unsre Arbeit, die der Mensch erwählte,
Als er aus Zweifel seine Möglichkeiten zählte.
Von Sternen ward den Wesen Weisung zugesprochen,
Der Kern zur großen Umgeburt ins All versenkt.
Wir horchten, mußten an das gleiche Schweigen pochen:
Bevor wir zu uns kamen, wurden wir gelenkt.
Doch endlich ist die volle Welt hervorgebrochen:
Der Mensch hat sie den Dingen ahnungslos geschenkt.
Die Sterne fingen an die Ewigkeit zu singen,
Du hörtest sie, als wir die Liebe keusch empfingen.
Die Liebe ist zu unsrer Welt herabgestiegen.
Wir waren arglos, als sie plötzlich zu uns kam.
Da kannten wir den Wind und sahen Wolken fliegen,
Ein Weib, das sich auf einmal anmutvoll benahm.
Wir schauten in den Wald und auf sein Wipfelwiegen,
Da hüllte sich die Frau ins Haar und stumme Scham.
Ich witterte den Sternen froh und ernst entgegen :
Zur eigenen Geburt ist uns am Kind gelegen.
Erkämpfe dich in deinen schlichten Vatersorgen,
Daß man sich kennen lernt, verdankt man seinem Sohn.
Die Plage hält die Lebensantworten verborgen,
Sie bricht die Hoffart und verschmäht den Siegerlohn.
Der Ehrgeiz flieht: du hoffst auf ein bescheidnes Morgen,
Du wirst für dich genug, denn sieh, du kennst dich schon.
Es kann der Mensch sich auf sein altes Maß verlassen,
Den Adel haben wir: fast keiner mag ihn fassen.
Theodor Däubler
EWIGE WEHMUT.
Wie flammen im Tal die Kerzen der Freude!
Der Mond schaut nieder in sanftem Leide.
Er weiß, daß die Lichter, wie lind sie audi blinken,
Verlöschen müssen gar bald und verwinken.
Ob reifem Tal die Wolken sich steifen
In immer dräu'nderem Wetterstreifen,-
Fern kreischt ein Pfau,- der Wasserfall
Harft weiß durch die Schlucht mit dunklem Schall.
Es wallt durchs Tal von Pappelsäulen,
Der Mond schaut in ewiger Wehmut aufs Weilen —
Die Wölklein, die ihn begrüßen kommen,
Sind blaß vor Zagen weitergeschwommen.
Die Säulen träumen von Größe und Dauer —*
Den Mond überrieseln Tränenschauer!
Er weiß, daß die stolzesten Säulen splittern ~
Jäh schwertfegt es von fernen Gewittern.
Auch meine Säulen kamen ins Wanken!
Auch meine Lichter verloschen und stanken!
Ohnmächtig schau ich herab, wie der Mond,
Verwundert, daß drunten Leben noch wohnt.
Ich kann die Tiefe nicht mehr fassen ~
Gequältes Begehren, feiges Hassen!
Dem Neumond gleich, vor dem All in Demut
Mich krümmend, zerfließ ich in ewiger Wehmut!
Franz Held (f)
17 4
KLÄNGE AUS UTOPIA
Sie dringen langsam schon heran, bald gleiten
Sie milde Stöße auf und ab im Blut.
Die Adern tönen, Netz gespannter Saiten.
Moorsee der Cellos zwischen Bergen ruht.
Darob die Inseln der Gestirne hängen.
Verweste Tiere blühn in Wäldern auf.
Es steigen Prozessionen nieder in Gesängen
Der Fluß beleuchtet seinen schwarzen Lauf.
O Mutterstadt im freien Morgenraum!
Es Hügeln Fenster an den Häuserfronten.
Aus jedem Platz erwächst ein Brunnenbaum.
Veranden segeln mondbeflaggte Gondeln.
Sie künden Männer an, elastisch schwingen
Die durch der Straßen ewig blaue Schlucht.
Ja —: Frauen schreitende! Mit Palmenfingern.
Geöffnet weit wie Kelche süßester Frucht.
Und Freunde strahlen an dem Tor zusammen,
Wie hymnisch schallt purpurner Lippen Braus.
Nicht Söhne mehr, die ihre Väter rammen.
Umarmte ziehen, Sonnen, sie nachhaus.
Zu weichestem Park verschmölzen die Gefilde.
Die Armen schweben buntere Falter dort.
Goldhimmel sickert durch der Wolken Filter
Den Völkern zu. Lang dröhnender Akkord.
Johannes R. Becher
DER MALIK
(Fortsetzung•> <dem blauen Reiter Franz Marc).
Abigail Jussufs zweite Stadt, die Er nach Rubens Weibe Mareia benamet hatte,
beabsichtigte Abigail nach Seinem Sterben selbständig zu der Kaiserstadt Seines
treuen, hochverehrten Dichterfreundes Daniel Jesus zu erheben, der gegenwärtig
schon dort Seines kaiserlichen Gefährten Thron vertrat. Jussuf Abigails dritte
Stadt aber, die Goldstadt Irsahab, sollte, nach der Väter Aussterben, Tibas
Tempelvorstadt werden, Zebaoth geweiht dem Gottjüngling, den Jussuf inbrün-
stig anbetete.—Die Knaben von Irsahab, die die arischen Ritter auf ihre Tore zu-
kommen sahen, bewaffneten sich und zogen ihnen entgegen im Glauben, die
hellen Krieger kämen feindlich wider Jussuf Abigail. Aber Zwi ben Zwi, der
Oberbefehlshaber der jungen Irsahabaner, der schon einmal die Knaben durch
die Wüste zu ihrem Malik gebracht hatte, erkannte, daß es sich um einen freund*
schaftlichen Besuch handele, die abendländische Regierung ein persönliches An-
liegen durch seine Ritter an den thebetanischen Kaiser zu stellen gedenke und
Männer der Kunst zu diesem Zwecke, Abigails Neigungen zu schmeicheln, wohl-
weislich erwählt hatte. Und die tapferen Juden von Irsahab verbargen ihre Waffen
und bewillkommneten die fremden Krieger, die ihre Zeremonien erwiderten.
Zwi lud sie ein in das Haus seines Vaters mitten in der Stadt im Interesse Abi*
gails. Zwis Eltern beide, Tamm und Miene, waren fromme Leute/ sein Vater
hatte sein Herz mit dem Lesen der Tora bereichert, aber Miene lehrte ihrem
Sohne das feierliche Schreiten, daß er immer nur wandele, wohin auch, zum Altar.
Es war das einzige Elternpaar in Irsahab, das den Bestrebungen ihres Sohnes
kein Hindernis in den Weg stellte. Am Abend lagerten die müden Arier zwi*
sehen den Freunden Zwis in festlicher Laune im kühlen Vorhof seines Eltern*
hauses und tranken von dem Trunk, den Miene aus Mais und Zimtstauden zu
bereiten verstand. Zwi, der Gastgeber, mußte den abendländischen Soldaten von
dem Malik erzählen, von seinen Taten, seinen Hoffnungen und seinen Lieblings*
beschäftigungen. Dieser feine Sohn Tamms und der Miene hatte sein ganzes
Leben hindurch nichts anderes getrieben wie den Malik von Tiba studiert, und
schon dem jugendlichen Prinzen Jussuf führte er, von Diesem ungeahnt, Sein blaues
Tagebuch. Zwi kannte also Jussuf Abigail wie ein Astronom sein nächstes Stern*
bild. Später stellte sich auch der Urheber der rätselhaften Schreiben heraus, die
immer dann an den Malik gelangten, wenn er der Warnung bedurfte. Diese zar*
ten, aber willensstarken Äußerungen, die den jähen Basileus von einem zu un*
bedachten Schritt bewahren sollten, kamen also von dem Sohn des Tamm und
der Miene. — Welchen Zauber alte Heldensagen auf Abigail Jussuf ausübten, da*
von konnte Zwi der Irsahabaner einiges den lauschenden Soldaten erzählen. Ob sich
* »Der Malik« erschien vor i. Juli 1916 in der »Aktion«.
I76
der Malik aber wohl bewegen ließ, auf sei*
ten der Verbündeten Mächte gegen die an-
deren Länder zu ziehen, darüber verwei*
gerteZwi, vielleicht aus Anstand der thebe*
tanischen Antwort nicht zuvorzukommen,
seine Meinung. Auch die Ritter vermieden,
an die strenge irsahabanische Anhänger*
Schaft jede weitere Frage zu richten, wie sie
auf Abigails günstigen Entschluß wirken
könnten. Doch als die abendländische Bot*
schaft sich wieder unterwegs befand, auf
Theben zuschritt, einigten sich die künst*
’ *A rt 2) ^er‘S(^en Krieger untereinander, Abigail
Jussuf einen Streich zu spielen, der Sein
buntesHerz erobern würde. Wieland Herz*
felde, dem jüngsten der dichtenden Kürassiere, der den Plan ausgehäckt, saßen zwei
leuchtende blaue Schelme im Gesicht, denen man nie böse sein konnte ,* das wußte er.
Dieser kecke Herzschelm pflegte den Kaiser von Theben kurzweg »der Jussuf« zu
nennen. »Was meint Ihr, wenn wir uns dem Jussuf als seine Lieblingsgestalten alter
Sagen repräsentierten?« Daß es sich in Theben um einen gänzlich wilden Kaiser
handele, der sogar seine Ungelehrsamkeit als besondere Bevorzugung feiern ließ, sie
ab und zu als Vorbild der gelehrten Goldstadt Irsahab langbärtigen Vätern unter
die schlaffen, ungeschmückten Nasen zur Beriechung hielt, hatten die Abendländer
aus den begeisterten Erzählungen Zwis geschöpft. Und die Soldaten fürchteten in
dem Wagnis ihrer launigen Kriegslist keinerlei Gefahr. Ihren Kameraden Wieland,
den auferstandenen Roland von Berlin, trugen sie abwechselnd auf ihren Schul*
tern wie einen Sieger ungehindert durch die singenden sieben Säulen in die bekränzte
Stadt Theben. DennZwi, der treue Anhänger aus Irsahab, hatte dem Malik verkün*
den lassen, daß die Ritter die Gastfreundschaft seines Elternhauses genossen hätten
und in kriegsfreundlicher Absicht auf Theben zuschritten, Ihn, den großen Basileus,
zum Kampf gegen die indischen Stämme zu gewinnen. Jussuf Abigail hatte sich
schon in seiner frühsten Jugend geübt im Wurf des Bumrangs, und es bemäch*
tigte sich in jedem Feindesheer eine Furcht, wenn man des Maliks sichelförmige
Holzwaffe über die Köpfe sausen hörte, bis sie den Gehaßten traf. Oft flog der
besiegte abgerissene Rumpf geschnellt vom stumpfgebogenen Holzmond durch die
Lüfte vor Abigails Füße. Aber Er, der liebende, knabenhafte Kaiser litt unter der
Sicherheit seiner Urwaffe, oft schluchzte er noch lange seinem siegreichen Wurfe
nach. Die Häuptlinge wußten schon, wenn Ossman, der ewige Knecht, sie, die
wilden Juden, beim Sonnenaufgang in das Gemach ihres Maliks rief, Ihn zu trösten.
— Eine Weile bevor die Arier die süße Stadt erreicht hatten, hing Bulus, des
Kaisers zwölfjähriger Bruder, Sich schmeichelnd an Ismael, des auserlesenen Negers
177
greisen Oheim. Der ehrwürdige, alte Palastdiener hatte den kaiserlichen Groß-
knaben wie einen Enkel lieb, und Bulus Herz schaukelte gern an der starken
Rippe lauschiger Geborgenheit des Nachtsomalis, dessen Haupt fast die Breite
der Palmenkrone überbot. Dem jungen Mir plagten wieder nationale Fragen des
Palastes. Ganze Tage hatte er in einer Kammer im Erdgeschoß zugebracht, in
alten, eingebauten Schränken nach abendländischen Kleidungsstücken gekramt.
Er fand dann endlich einen Ulanenhelm, der sein halbes Gesichtchen verschwinden
ließ, und einen verrosteten Säbel, den er sich an seinem Perlgurt befestigte, und
in ein Paar grauen Lederhandschuhen, die von dem Leipziger Herzog herrührten,
ertranken nun seine Kinderhände. Inständig bat Bulus seinen alten Freund Ismael,
legte seinem Namen Koserei um den Hals. Ismaelmemed versprach dem gelieb-
ten, kleinen Mir auf seines Bruders Sohn den Ossman zu wirken, wenn er am
Morgen dem kaiserlichen Herren die Nasensmaragden einschraube und mit Per-
len sein Haar schmücke, Abigail anzuraten, beim Empfang der abendländischen
Krieger, abendländische Tracht anzulegen. Bulus schämte sich aller weichen
Zierde, und in den goldverbrämten Mänteln und Ohrgehang und Muschel-
gürteln seines regierenden Bruders und der Häuptlinge, und der Kleider aller
Männer und Jünglinge des Morgenlandes empfand der kleine kaiserliche Aufleh-
nende beschämende Schwäche. Der greise Ismael teilte des Knaben Sympathie
für die Sitten des Abendlandes, da er an seinen Weinen gerochen hatte in der
Zeit, als der heitere Vicemalik, der Maltzahner von Leipzig, in Theben regierte.
Der hatte sich in Fässern den Rebensaft aus dem Mosellande kommen lassen und
betreute den friedvollen Ismael mit dem Abzapfen des Weins. Die verbotene,
pochende Beere war beider Privatgeheimnis und einzige Sünde gewesen wider
die Gesetze des Morgens. Wenn nun alle schliefen im Palast, schlich sich der
unverbesserliche Somalizecher in das unterirdische Gewölbe des großen Vorraums
und zechte manchmal bis zum Morgen vom verbotenen Inhalt der noch lagernden
Fässer. — Vor dem Fenster des Malikgemachs zwischen hohen, feinen Gräsern
saß Bulus auf den gepolsterten Schultern des treuen, alten Freundes, das Erwachen
des Basileus zu erwarten. Der lag gebogen wie die Mondsichel auf seiner Kissen
schwerer Wolkenseide. Er war nach durchwachter Nacht im lebhaften Gespräch
mit seinen wilden Juden fest eingeschlummert. Stambul seines Bruderhäuptlings
Rat vermißte Jussuf schwer bei der Beratung der Art der Ablehnung seiner Stel-
lungnahme an dem Weltkrieg. Abigail Jussuf war fest entschlossen, unter keiner Be-
dingung sich an dieser Menschenschlacht zu beteiligen. Auch fühlte der Kaiser irgend
eine spielerische Verwandtschaft mit dem König der schwarzen Berge, der den Frie-
den hatte herbeiführen wollen aus väterlicher Liebe für sein Volk und darum auch
aus väterlichem Verständnis für die fremden Völker. Diese Meinung teilte Morder-
chei'Theodorio, des Maliks zweiter Großhäuptling, der Sohn seines Turiner Vaters.
Ein Weinberg auf Rollen bewegte sich dieser wilde Jude ungeheuer süß vor dem
Thron Thebens und stark in der Blume. Abigail verehrte ihn unbändig. Dieser
178
Morderchei' Theodorio und Calmus Je-
zowa, ein Mann mit gütigen Priesteraugen
und milder Freudigkeit, waren die letzten
der Häuptlinge, die denMalik in der Frühe
verließen. Gad, Asser, Memed und Salo-
mein wandelten schon kurz nach Mitter-
nacht auf Raten JussufAbigails heim. Asser
trug eine Verwundung durch einen Dorn
der Rose auf der Wange, die den Kaiser im
Anblick der Schönheit Assers störte. Den
herrlichen Jüngling beschenkte der Malik
mit Haarperlen und allergold Damast. Nur
daß Assers Herz am Wesen der Frauen
hing, verargte vielfach die Freude des Kai-
sers an seinem Häuptling. Denn Jussuf
Abigail verbarg seine Abneigung gegen
alles Weib, schon als Prinz von Theben,
nie. Und die geraubte Venus von Siam be-
trachtete er nur wie ein unvergleichliches
Kunstwerk. »An dem Kultus, den der Ma-
lik um seine Mondfrau baut,« so nannten
die Menschen in Theben die siamesische
Venus, »wird sie zu Alabaster werden.« Gad hatte Verständnis für des Kaisers
Abneigung gegen Eva,-trotzdem gerade das Himbeerträumerische in Jussuf, die
Farbe der Prinzessinnenseele, ihn entzückte, und er durchschaute Seinen Kaiser,
wagte die Beeren der Sträucher Seiner Seele zu pflücken. Manchmal begleitete
er Ihn alleine auf den Hügel der Stadt,- dort betete Jussuf Abigail so gern zu Gott.
Die großen Vögel setzten sich dann zu Ihm. Sie verstanden die abgebrochenen,
wilden Laute Seines Flehens. Er selbst ein goldener Geier unter ihnen. Am Abend
aber begleiteten den Kaiser außer Gad noch seine beiden jüngsten Gespielen,
die Häuptlinge Memed und Salomein auf eine Wiese, die hinter dem Garten
des Palastes lag. Memed legte sich immer einen Kranz ins Haar, und Salomein,
Jussufs treuster Häuptling, trug in seinen dunklen Augen dem Malik ewig sein
blaues Herz schwärmerisch entgegen. Seiner Stirne Mitten schmückte ein Stern.
Die vier hohen Menschen spielten sorglos wieder Spiele ihrer Kindheit. Auf Bret-
tern, kreuz und quer gelegt, schaukelten sie auf und nieder und übten sich im
Bogen und Pfeil, die sie selbst aus Bambusrohren schnitzten.
Else Lasker-Schüler
(Fortsetzung folgt)
17 9
HYMNUS
AN MEINE BRIEFMARKENSAMMLUNG.
Spaliere bunt!
Glaskantige Sonnenflecken!
Menagerie verbrämter Meteoren!
Aus euren in Kristall gemauerten Motoren
Mumien des Tanzes ihre Fühler strecken.
Ihr, stummen Kraters herbstzeitlose Fahnen,
Leuchtende Spinnengewebe dünengebleichter Masten,
Von kindreich goldkarrierten Planen
Schäumt Orgelglanz magnetisch trunkner Tasten.
In Marmoröden lallen morgendlich Oasen.
Schalmeien Geblaue, lichter Hain,
Dunkler, sterneschwangrer Wein.
Auf Bronzehügeln Raubtieraugen grasen.
O Qual des Loderwuchses grader Beete,
O grüner Vorstadt hartgeschnitzter Saum,
Verklärtes Stammeln irdenster Trompete,
Ihr fügt euch reinlich im verheißnen Raum:
Wo sich der Duft gepreßter Blumen bräunt,
Granit und Nebel ihre Inbrunst tauschen
In Regens friedvoll violettem Rauschen,
Und zahme Vöglein schaun den aufgelösten Freund.
Ihr Marken, angeschwemmt aus sdhlangensüßfen Zonen!
Muscheln, gereiht auf elfenbeinernem Grund!
Eure glitzernden Grotten im Krauslande thronen,
Altäre hauchverschränktem Falterbund.
Wieland Herzfelde
l8o
DAisy,
asiatische Puppe Du,
Chateau von Mohnsamen und Gin,
Parabel ist Deiner Sprache Sinn,
kein Sommer wird Deiner froh.
Aus Wimpern, nachtschattensüß und schwer,
züngeln Schlangenzungenspitzen /
wen die Zaubersteine der Iris ritzen,
des Hände werden vor Sehnsucht leer.
Weich wie Schlaf, weich wie Neuschnee ist Deine Haut.
Wer weiß, ob ein Kuß ihren Schlaf durchdringt,
wie tief im Neuschnee des Leibes versinkt,
wer, Daisy, Deinem Spiel sich vertraut:
Grausamer, herrischer, mooszarter Magd
zu letzen mit Blutgischt rot und weiß
ihrer Liebe meerkühl Perlmuttgehäus,
das sie nicht zu öffnen wagt.
Wieland Herzfelde
HEINRICH MARIA DAVRINGHAUSEN.
— Wie er daherkommt —
Trojanisdier, junger Priester
Auf grahaltem Holzgefäß.
Zwei Nachtschatten schlaftrinken
In seinem Mahagonikopf;
Seine Lippen küßte ein Gottmädchen hold.
— Wie er gefalten aufstrebt —
Immer tragen seine Schultern
Ehrfürchtigen Samt.
Seine Füße schreiten
Nur über gepflegte Wege;
Stolperten nie über Gestrüpp.
— Wie er gottverhalten ist —
Aus jedem Bild, das er malt,
Blickt allfarbig der Schöpfer.
Else Lasker-Schüler
l82
MONDNACHT.
Mondnacht, du silbrige, kitschige,
Ich bin alkoholisch erregt,-
Und der Schuh des ewigen Juden knarrt fortwährend da vor mir.
Der Mond rund verwest in milchigem Weiß.
Verflucht!
Oh ursachenloses Träumen,-
Fistelnd.
Die Irrenanstalt schläft traumlos.
Bucklige Brücken, über die ich gehe,
Wackeln mit den Eisenzäunen.
Laternen winken---------
Hick! —:
Besoffenes Vieh treibt Fleck an Fleck wildgröhlend —
Vaterlandsliebende Lieder flattern,
Einer kotzt Bier: Platsch — !
Ich gehe —
Zwischen Ankersteinbaukästen fließen Kanäle aus Milch —
Träume:
-.Auf Terrassen aber,
<— Die »Renellos« segeln in Wintergartennächte,
Hoch an Sternenhimmeln hängende, taumelnde Trapeze —>
Auf Terrassen aber, sitzt die Nischanova, meine Geliebte.
Und säuft Sekt —
Verflucht!!!
Und viele Onkels sind bei ihr,
Die patschen ihre Kniee, die runden.
183
Olga Nischanova, du Indianerskulptur!!!!
Olga, deine Schenkel, die weißen, milchigen, samtenen, patsdit irgend ein dicker
Onkel.
Der Schuh des ewigen Juden knarrt fortwährend da vor mir.
Zigarette her! Dünne Ariston!
Bläuliche, wolkenzerflatternde!
Und Mädchen wie Olga gehen mit strammen, breiten Rücken.
Olga, deine Laster brennen wie Kohlenfeuer in mir —
Und Mädchen gehen mit strammen Soldaten dahinten.
Und der Schuh des ewigen Juden vollführt auf meinen Nerven einen Negertanz.
:Sah ein Knab' ein Röslein stehn.
George Grosz
184
MITTEILUNGEN.
Theodor Daubier, „Hesperien“, Georg Müller Verlag 1915.
Erschöpfendes Verständnis für Däubler zu vermitteln und zu erwecken, ist mir unmöglich: Sein
Werk ist unerschöpflich, mit unsern menschlichen Maßstäben nicht meßbar: es handelt sich bei
Däubler nicht um die höchstdenkbare Begabung sich auszudrücken/ er ist zu umfassend, als daß
man ihn Genie <entfaltetsten Gipfel des quantitativen Menschentypus) nennen könnte: er ist das
hingebungsvolle Mundstück kosmischer Offenbarung, Träger von Geheimnissen des Ursprungs,
die, sein Bewußtsein übertönend, ihn zu ihrem urbestimmten Verkünder machen. Es ist, als ob er
von sonnennäherem Sterne Erkenntnisse geholt, die zu versprachlichen ihm allein möglich, die
zu verstehen <d. h. darüber nicht mehr denken zu müssen) selbst ihm wohl nicht möglich ist.
Unter Däublers Büchern: »Das Nordlicht«, »Hesperien«, »Der sternhelle Weg«, »Mit silber-
ner Sichel«, »Das Sternenkind«, »Wir wollen nicht verweilen«, »Der neue Standpunkt«, »Hymne
an Italien«, »Lucidarium in arte musicae« ist »Hesperien« das nahbarste in Form und Korn»
Position, dennoch keinem nachstehend an Unbedingtheit des Themas und seiner Bewältigung. Es
gibt nur ein Thema für ihn: Religion! Sehen, Erleben, Lieben alles Seins als Mitteilung einer gött-
lichen) Einheit,-Wollen, Handeln, Dürsten und Ringen als Werben um Bestimmung, um die ^gött-
liche) Einheit.
Da der Horizont der Sprache Däublers sie von ihren tropischsten Blustmöglichkeiten bis zu den
kristallisiertesten Abstrakten des Nordens umfaßt, findet man in »Hesperien« die prophetische
Deutung so unterschiedlicher Erscheinungen wie Mandelbaum und Obelisk, wie Sternenbild und
Zeitung, Ätna und Cafe,- erfährt die Neubelebung solch versteinerter Begriffe wie Zufall, Liebe,
Ehrgeiz, Adel, Ewigkeit, Gott, Eile, Wirklichkeit, Ekstase, Abschied.
Die Pole Blut und Hirn, Sinn und Logik, Affekt und Tat sind in Däubler so rein vorhanden,
daß sie sich nicht reiben, sondern eine geistige Hochspannung erzeugen, die bei jeder Berührung
mit der konkreten wie der ideellen Welt sich hemmungslos entlädt: produktiv wird. In »Hespe-
rien« sind die entsprechenden Ebenen dieser Polarität, das historische und das südeuro-
päische Italien. Däublers Symphonie zeugt von der unerhörten Tatsache, daß man, ungeteilt,
ohne Zwiespalt, ohne Betäubung die Bedeutung des Vesuvs für tausend Generationen seiner
Umwohner und gleichzeitig seine Silhouette am Abendhimmel erleben kann. Theodor Däubler
vermag sich über die Zeit zu erheben, ohne sich ihrer Wirkungen zu entheben. Er kann Gott sein,
ohne die Erde zu verleugnen.
Wieland Herzfelde
Die Galerie Hans Goltz Neue Kunst, München, Briennerstraße 8, eröffnete Mitte August ihre
vierte Gesamtausstellung. Mit wenigen Ausnahmen stellt diese Ausstellung, welche 139 Werke
zeigt, eine Kundgebung deutscher Expressionisten dar. Bei der Eröffnung hielt der Berliner Künst-
ler Hans Richter, der mit 9 Werken in der Ausstellung vertreten ist, einen Vortrag über den
Willen der Neuen Kunst, welcher großen Beifall fand. Die Ausstellung, welche bis Oktober ge-
öffnet bleibt, erzielte bereits am Eröffnungstage namhafte Verkäufe. Ein Katalog mit 31 Abbil-
dungen und einem Vorwort ist zum Preise von M. 1.— durch die Galerie zu beziehen.
Fritz Freiherr von Ostini (Biedermeier mit ei), Redakteur der Münchener Kunst- und Wochen-
schrift »Jugend« schreibt in der Abendausgabe der »Münchener Neuesten Nachrichten« vom
16. August 1916 über die Expressionistenausstellung bei H. Goltz unter anderem folgende be-
merkenswerte Auslassungen: »Die Ausstellung, die gegenwärtig im ersten Stockwerk der Kunst-
handlung »Neue Kunst« im Luitpoldblock zusammengebracht ist, will ganz offenbar eine Demon-
stration sein und uns vor allem sagen, daß die Hoffnung eitel war, die Schrecken dieses Krieges
und die Schändlichkeiten unserer Feinde würden die hier vertretene Gruppe jüngerer Maler aus
dem Einfluß der französischen Charlatans Picasso und Matisse, der Väter des Expressionismus
und Kubismus, und etlicher Russen, die hier vor dem Kriege ihr Unwesen trieben, zu der Besin-
nung auf deutsche Art zurückführen. Nein! Der Kubismus entwickelt sich lustig weiter zu immer
bizarrerer und unleidlicherer Art, Expressionismus und »Futurismus« treiben nach wie vor ihre
Blüten, und die Phrase behält die Herrschaft.... Man kann himmelweit von jedem Chauvinis-
mus weg und der Überzeugung sein, der jetzt entfachte Völkerhaß dürfe uns nicht abhalten, künftig,
wie vorher, das Gute auch in der Kultur der uns feindlich gesinnten Völker anzuerkennen und zu
185
verwerten — aber man wird doch gegen das Unterfangen protestieren dürfen, daß just heute, wäh-
rend unsere Kultur von jenen Völkern auf dem ganzen Erdkreise besudelt und verlästert wird,
eine solche Kundgebung zugunsten der ausgefallensten und kritiklosesten Ausländerei statt-
findet \ ... . Kubistische oder expressionistische Dinge, wie sie hier zum Teil sich offenbaren, kann
auch ein Stümper machen und kann sie auch mit irgendeiner klangvollen Redensart verteidigen.
Und es ist sehr schwer, solches frech sich gebende Unvermögen von dem irregeleiteten wahren
Talent zu unterscheiden. Das ist vielleicht das Traurigste und Schädlichste an dieser ganzen Be-
wegung und das, was ihr eine über das Verständliche hinausgehende Dauer und Verbreitung ge-
sichert hat: daß eben hier jeder mittun kann, wenn ihm nur alle Hemmungen fehlen! Zu dem be-
scheidensten Kitschbildchen alten Stils gehört mehr Arbeit und Können, als zu jenen expressioni-
stischen Farbenorgien und Formtollheiten und zu den kubististischen Linealkünsten ....
W.H.
„demain“, pages et documents. Geneve. 1916. Nr. 1—7. Directeur Henri Guilbeaux editeur
J.-H. Jeheber.
Die Zeitschrift »demain« kämpft für den Frieden! In französischer Sprache unterrichtet sie dar-
über, daß es auch andere Dokumente als z. B. Ultimata oder die in Belgien gefundenen Enthül-
lungen gibt, »demain« kompromittiert die »große Presse«, dient denen, die den Regierungen nicht
dienen. — Um dieses Kampfes für die menschliche Freiheit willen, möchten wir eine »demain«-
Lichtreklame Unter den Linden wirken lassen. — Inhalt des 7. Heftes: Henri Guilbeaux f Propos
actuels (Guerre ä la guerre — Combats futurs ■— Presse et Journalistes — Symptömes — Cen-
sure). Jacques Mesnil / Notes dun psychiatre (le „boche“ Croce). Raffin-Dugens / La minorite
socialiste parlamentaire francaise. Louis-P. Lochner / »Une meileure Allemagne«. Marcel Le-
barbier et Rene Bourgerie / Poemes de guerre. Faits, Documents et Gloses.
Cabaret Voltaire. Künstlerische und literarische Beiträge, gesammelt und herausgegeben von Hugo
Ball. Inhalt: Hugo Ball, Ankündigung/Das Carousselpferd Johann/Cabaret. Tristan Tzara,
L’amiral cherche une maison ä louer. Max Oppenheimer, Zeichnung. Pablo Picasso, dessin.
Guillaume Apollinaire, Arbre. Emmy Hennings, Gesang zur Dämmerung/ Morphin f Puppen /
Die vielleicht letzte Flucht. Wassilij Kandinsky, Blick und Blitz /Sehen. F. T. Marinetti, Futu-
ristische Dichtungen. O. Van Rees, Papierbild. Blaise Cendrars, Crepitements. M. Slodki, Holz-
schnitt. Hans Arp, Teppich/Papierbild. Francesco Cangiullo, Futuristische Dichtung. „Dada“,
Dialog von Huelsenbeck und Tzara. L. Modegliani, Porträt. Jacob van Hoddis, Hymne. M. Janco,
Affiche. Tristan Tzara, II fait soirlLa revue Dada. Richard Huelsenbeck, Der Idiot.
W. H.
REDAKTIONELLES:
Autorenabend der „Neuen Jugend“. Es werden im kommenden Herbst und Winter eine An-
zahl Vortragsabende von den Autoren der »Neuen Jugend« veranstaltet. Es sollen aus eigenen Ar-
beiten lesen: Theodor Däubler, Johannes R. Becher, Albert Ehrenstein, Georg Grosz, Else Lasker-
Schüler, Ferdinand Hardekopf, Wieland Herzfelde usw., sowie namhafte Führer der Jugend-
bewegung, unter ihnen Gustav Landauer, Ernst Joel, Hans Blüher und einige Mitarbeiter des
»Anfangs« und des »Aufbruchs«. Die Abende werden in Berlin und in München stattfinden und
von Wieland Herzfelde geleitet. Der erste Autorenabend der »Neuen Jugend« wird am Mitt-
woch, den 13. September, in Berlin, Kurfürstendamm Z3Z, Graphisches Kabinett, stattfinden. Es lesen:
Joh. R. Becher, Theodor Däubler, Albert Ehrenstein, George Grosz und Wieland Herzfelde. Ado
von Bernt liest Dichtungen des 1908 gestorbenen Dichters Franz Held.
Auf Japan abgezogen und von
den Autoren signiert.
Die Publikationen um die »Neue Jugend«:
Nr. 1. George Grosz, »Deutsches Straßenbild«...5.— M.^
Nr. 2. George Grosz, »Die Goldgräber« .........5. — M.
Nr. 3. Carlo Mense, »Madonna«..................8. — M.
Nr. 4. George Grosz, Akt-Zeichnung...............8.— M.
Nr. •}. George Grosz, »Friedvolle Rheinlandschaft« .. 5.— M.
Der fast ausschließlich künstlerische Inhalt dieses Heftes ist bedingt durch den Mangel an gleich-
wertigen kritischen oder philosophischen Einsendungen. — Die kommenden Nummern werden
wie die früheren wieder ganzseitige graphische Reproduktionen enthalten. Das Aufführungs-
recht der Komposition im Juliheft ist Vorbehalten.
Verantwortlich für den gesamten Inhalt: Helmut Herzfeld, ßerlin-Charlottenburg. — Verlag: Neue Jugend, Berlin
und Leipzig. — Gedruckt in der Hof-Buch- und -Steindruckerei von Dietsch *30 Brückner in Weimar.
Neue Jugend
MONATSSCHRIFT
HERAUSGEBER: HEINZ BARGER
SCHRIFTLEITUNG: WIELAND HERZFELDE
HEFT ZEHN OKTOBER ERSTES JAHR
THEODOR DÄUBLER» SONDERHEFT
ODE AN FLORENZ.
Mi ritrovai per una selva oscura.
Dante, Inf.1,2
Die Wolken fliegen in den Wald hernieder.
Die Wälder steigen zu den Wolken auf.
Das Tal erschüttern wunderbare Lieder:
Die Bäche nehmen ihren leisen Lauf.
Es soll noch auf den Höhen Wölfe geben,
Den Fuchs bestimmt: Auf einmal fehlt ein Huhn!
Die Schafe können doch zufrieden leben,
Der Hund genügt. Die Hirten mögen ruhn.
Zum Raubschloß grüßt der Wanderer hinüber.
Er kann wie Pilger sicher weiterziehn.
Er kriegt vom Wind am Kamme Nasenstüber,
Wenn schon die Städter in die Berge fliehn.
Die Tannen schreiten oben stark von dannen.
Der Ölbaum bleibt und macht die Täler still,
Die Berge sollen ihren Paß bemannen:
Dem Tal gelingt ein ewiger April.
*
Du sollst vergnügt durch diese Wälder kommen.
Die Straßen führen breit den Berg entlang.
Marienkirchen sprechen zu den Frommen.
Der Heide wählt den sanften Piniengang.
l&J
Da gibt es wunderschöne gelbe Blumen,
Zufriedne Falter, groß wie eine Hand,
Den Herzensjubel vögelvoller Krumen,
In Luft und Flur die Huld vom Tuskerland.
Kastanienwälder klimmen zu den Eichen.
Sie wallen über Kuppen weit hinan.
Die Eidien können bleich ein Tal erreichen,
Dann halten sie die ölbäume im Bann.
Solang die Blätter unaussetzlich rauschen,
Sind alle Bäche zitterhaft und zart.
Wo ölbestände stille Sonne brauchen,
Erwacht der Fluß zu seiner sanften Fahrt.
*
Zypressen stehen da als hohe Pforte.
In silberner Verschwendung tagt Florenz.
Du stehst vor Gottes vorgeträumtem Worte,
In deiner Welt mit einem ernsten Lenz.
Zypressen stehen da als große Pforte:
Sie führen auf den Bergen hoch zum Herrn.
Zypressen stehn vor jedem Felsenorte
Und weisen abends auf den ersten Stern.
Das ist Hesperien. Herrlich. Gottbegnadet.
Das schöne Land mit dem Zypressensaum,
Wo jede Stadt in Goldergüssen badet,
Und jeden Baum beweht ein Silber träum.
Die Seelenheimat unter milden Schleiern
Mit blauen Augen sieht dich sonnig an.
Das Weingelände frägt nach Hochzeitsfeiern,
Sein stiller Engel hält mich sacht im Bann.
*
Wie endlos übersilbert sind die Lehnen,
Die kahlen Gipfel blau im Tagesgrau!
Erfaßt die Wolken großes Talersehnen,
So wundert sich die lila Sonnenau.
Die Burgen staunen mit Zypressenwarten,
Daß sich der Wind in Waldschluchten verirrt.
Doch Wonne bringt er in den Rosengarten,
Den schutzbereit ein Bienenschwarm umschwirrt.
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Besonnen können Pinien uns erheitern.
Schon eine überwaldet ihren Hain.
Die SommerhofFnung wird den Sinn erweitern,
Wo Bäume sich der Sonnenwohltat weihn.
Der Ölbaum findet immer die Zypresse.
Der schwarze Traum. Die Silberwirklichkeit.
Das Leben sehnt sieb nach Olivenblässe:
Zu weiser Zärtlichkeit bist du bereit.
*
Piu che salir non posson gli ochi miei.
Dante, Purg. IV, 8 7
Wie lebhaft sehen meine Augen milde Sonnen,
Florenz und seine perlenhaften Leisigkeiten.
Ich bin der Einfalt seiner Türme wohlgesonnen/
Der Ölbaum soll mich zu der Marmorherkunft leiten,
Aus der Florenz die bleiche Vornehmheit gewonnen.
Ich will im März die grauen Steinbrüdie beschreiten.
Dort ist der Ölgehänge Silbertraum erglommen,
Bevor Florenz den Menschen in den Sinn gekommen.
Wie traurig seltne Traumgebilde zu mir sprechen,
Die Bogenbrüchen führen zu verzüchten Gassen,
• Wo Laubenerker aus den steilen Wänden brechen,
Zypressen den Entschluß an Gott zu glauben fassen
Und schwarzgigantisch in den Himmeltiger stechen,
Um spät die Marmorherrlichkeiten zu verlassen.
Du kannst dich lange zwischen den Palästen halten,
Bis die Zypressen ganz allein das Land verwalten.
Zypressen, unsrer Blumenhaine guten Wächtern,
Sind Bienenschwärme wie Kometen zugeflogen/
Nun schützen beide Gut und Kinder von Geschlechtern,
Die gegen Frone mit dem Volk ins Feld gezogen.
Oliven bleiben lieber bei den stillen Pächtern,
Die Pinien aber stehen bei dem Schloß in freiem Bogen.
Die Villa scheint sich an die frohe Stadt zu lehnen
Und doch nach Himmel und dem holden Land zu sehnen.
Florenz ist ein Geschenk aus weißen Marmorhänden.
Florenz ist die Beseligung in einem Garten.
189
Sein Zauber, Zufall unter sternenden Geländen,
Beherzt des Landes Fröhlichkeit mit herben Warten.
Vom Lenz die Lyrik rankt sich hodi an lieben Wänden,
Und Eidechsen beäugeln uns im Blau der Scharten.
Florenz erbringt des Alten wunderbarste Nähe:
Dir wird, als ob dir Gutes vielzuviel geschehe.
Der Arno schlummert in Florenz auf Steinterrassen /
Wie stille Spiegelträume schlafen drinnen Kähne,
Die kampfbereiten Bürgerhäuser stehn im Nassen
Und morsche Türme zeigen ihre Weifenzähne.
Dein Wähnen wird das Bleichgebirge fern erfassen,
Die Hügel überbürdet ihre Silbermähne.
Der Hauch der Schneegefilde war in Glut gekommen:
Die kalte Marmoreinfachheit ist fromm erglommen.
Am Machthausplatze stehen offne Brückenbogen:
Durch diese Pforten sollte Volksbegeistrung fluten.
Wenn sich der hohe Rat der Stadt zurückgezogen,
Begann das Tagereignis auf dem Markt zu gluten.
Die fetten Tauben sind verängstigt aufgeflogen.
Florenz' Geschick entschieden kommende Minuten.
Sie waren da. Man hat des Bauern Gut erhalten/
Der Bürgersinn wird seine Landschaft ausgestalten,
Das Stadthaupt schenkte Marmorbildern Prachtgemächer.
Die Niobiden sollten still und kostbar wohnen.
Apollo überblickt die wohlbepflanzten Dächer.
Diana findest du beim Teich der Anemonen.
Die Wangen von Vulkan behauchen Pinienfächer,
Minerva soll bei den Zypressen schweigsam thronen.
Die Silberweiher überträumen bleiche Schwäne/
Ein Ölbaum schützt Odysseus' zartbemooste Kähne.
Nun hat auch Bacchus den gesunden Schlaf gefunden.
Er schlürft im Herbst den Sonnensaft aus reichen Schalen,
Und muntre Knaben sagen ihm die großen Kunden.
Er seufzt vielleicht: doch er vergißt die langen Qualen.
Das alte Schlummern kann dem guten Gotte munden.
Bald weiß er nichts. Wer träumte noch von Bacchanalen?
Der Seele Hellas war die Arnostadt beschieden.
Die Götter sprach ich wohl. Sie schienen mir zufrieden.
Che questa e si, a udir, cosa nova.
Dante, Purg. XIII, 145
Wer sah die Heiligen im schlichten Ernst vereisen?
Sie senkten bloß die Wimper in die Litaneien.
Zu Marmor wurden ihre leidgebornen Weisen:
Verschweigt die edle Haltung ihr entsetztes Schreien?
Die Heiligen stehn da, ihr Himmelsein zu fühlen,
Und senden ihren Saum den betenden Betastern.
Der Hauch der Ewigkeit beginnt ihr Haupt zu kühlen,
Doch blüht ihr Walten noch im Ebenbild der Astern.
Noch ist kein Heiliger zu kaltem Stein geworden,
Doch leise treten die Geweihten in ihr Schweigen.
Das Lispeln überweist der Mund den letzten Orden:
Kartäuser machen sich ein Stummwerden zu eigen.
Zypressen dürfen sie beim Heimgange begleiten.
Das arme Gras entsagt sich selbst unter Sandalen.
In Marmor strahlen noch die alten Heiligkeiten.
Was tritt zurück? Es enden alte Menschenqualen.
*
Die schlichten Heiligen sind weiße Marmorträume/
Sie stehen urverzückt auf ihren weiten Brücken.
Die letzten Weltgebete übermurmeln Schäume
Und stets gebückt umschleicht sie Bettelvolk auf Krücken.
Dann später überzündeln sie die warmen Schwalben
Und Kähne bringen laute Kinder, stumme Frauen.
Schon kommt der Abend mit den Schminken und den Salben:
Als jüngstes Gleichnis ist dann alles zu erschauen.
Das Gluten scheint den Augen und dem Munde näher.
Die Menschen werden stumm und alt wie Flammen.
Was sagen auf den Brücken die verkrümmten Seher?
Wir wissen, daß die Seelen einem Sang entstammen.
Die armen Heiligen sind weiße Marmorträume.
Die ersten Lichter überflimmern ihre Brücken.
Die besten Weltgebete übermurmeln Schäume.
Im Geist gestützt erscheint das Bettelvolk auf Krücken.
*
191
Im Lorbeerhain ist eine Heilige verschwunden.
Die marmornen Ekstasen hält sich Moos verborgen.
Mit Flechten lindern sie den Schmerz der Wunden.
Die Seele dämmert strahlend aus dem ewgen Morgen.
Der Fromme mag die Bildruinen noch betasten.
Mit seinen Fingern nach dem offnen Herzen suchen.
Doch findet er mit beiden Händen feuchte Quasten,-
Vielleicht ein Tier, das ihm versucht entsetzt zu fluchen.
Wir sollen vor den eignen Heiligen erschrecken.
Noch steht bei uns die Steingemeinde groß im Bogen.
Doch bloß um sich geheim in Hecken zu verstecken:
Aus unsern Kreisen sind sie längst schon weggezogen.
Im Lorbeerhain ist eine Heilige verschwunden.
Die nasse Einsamkeit gefällt den Nachtigallen.
Was klagt ihr Klang? Er sagt von zugetanen Wunden:
Er naht aus unerklärlich strahlenden Kristallen.
*
Vor einem kleinen Obstbaum betet eine Waise:
»Du guter Baum vernimm das Flehen und das Klagen,
Denn wenn ich schlafen muß, da wird es Nacht und leise,
Da können deine Blätter meine Wünsche sagen.
Dem Winde und den Sternen magst du sie erzählen,
Und kommt der Mond, so kann auch er die Bitten hören
Und frag ihn dann, warum mich seine Hände quälen:
Ich schlaf so gerne, sag, er soll mich nimmer stören.«
Die Waise hat ein Reis gepfropft, um dran zu glauben,
Es wird einmal die besten blauen Pflaumen tragen.
Wenn nur kein Wind kommt, um die Blüten wegzurauben,
Wie leuchtend können Pflaumen in das Blaue ragen.
Das Reis gedeiht. Vielleicht durch Pflege und Gebete.
Es wächst hinan. Die Händchen mögens noch erreichen.
Das Kind umhegt den Baum, errichtet kleine Beete
Und muß sogar bei Nacht einmal ins Gärtchen schleichen.
»Perfetta vita ed alto merto inciela Donna piü su.«
Dante, Parad. III, 97
Unter blauen Bäumen oder Silberträumen
Geistern bleidie Schwäne: oder sind es Kähne?
Alles wird ein Schleiern, Tau und auch Verschäumern
Jedes Antlitz kommt mit einer seltnen Mähne,
Denn Gestalten treten halbbesinnbar näher/
Die Gewänder scheinen weitverflockte Strähne.
Wunderhaft! Es kommen abgeschiedne Seher
Feierlich und fromm in diesem Hain zusammen.
Felsen gehen auf. Gibt es weise Aufersteher?
Zieht sies zueinander, wie im Wind die Flammen?
Lispeln sie? Ich kann die Silben nicht vernehmen.
Schwebt ihr Schritt, so dürften sie von Müttern stammen.
Atme Sacht, um ihr Entwallen nicht zu lähmen.
Meine Sehnsucht sei behutsam unter Seelen.
Halte dich zurück, sie scheinen sich zu schämen.
Warten sie? Es dürfte keine Seele fehlen.
Welche schwebt? Viele gehn. Einge stehn im Grabe.
Scheu! Als hätten sie noch etwas zu verhehlen.
Ihre Scham ist ihre allerreichste Habe.
Wissen sie etwas? Sie scheinen viel zu wittern.
Kann ich fragen? Endlich naht mir blaß ein Knabe.
Wie des ölgeblätters zartes Winderzittern,
Hör ich eine Stimme: dort gewahrt dich Dante,
Scham erfaßt mich: könnte ich zusammenknittern.
Was geschieht? Es überstrahlt mich der Gesandte.
Sprachlos kann der Blick sich hin zum Geiste wenden.
Half der Knabe, daß mein Herz sich so ermannte?
Wähnte ich, es würde mich das Antlitz blenden,
Hofft ich blinzelnd, die Erscheinung zu ertragen?
Weiß es nimmer! Ich empfange reiche Spenden.
Wagen darf ichs wieder, ganz mich wach zu sagen.
Dante stand bei mir. Der Gute. Er der Meister.
Leib und Seele können alt im Geiste tagen.
193
Rhythmen, werdet flinker. Rasch der Ansatz: dreister!
Dante hat euch ernsthaft nidcend aufgenommen.
Hymnen, kündet die Gemeinschaft großer Geister.
Frühlingsblüten sind aus unserm Traum erklommen.
Kann ich mich der Flammensprache sacht besinnen?
Unter edle Dichter bin ich fromm gekommen.
Feurig werden ihre Lieder ewig minnen.
Einsam geht Petrarca zwischen Lorbeerhainen,
Und der Lorbeer träumt von blühendem Beginnen.
Pinien wollen sich in die Vollendung recken.
Sind es Pinien? Ein verzückter Traum von Linien.
Oden, die Petrarcas Sehnsüchten erwecken.
Immer noch der schöne Fluchtversuch der Pinien,
Einfälle Boccaccios stehn am Weg als Myrten.
Kostbar überwimpeln uns Gerankglyzinien.
Ach, mir wirds, als ob mich Bienen lieb umschwirrten.
Tasso, deine Sprache! Blätter oder Speere?
Blätter! Dort am Sorgenteiche lagern Hirten:
Tasso, hoch, zypressenhoch ist deine Ehre.
Tasso, komme mit Ariost versöhnt ins Freie.
Blumen seines Ruhmes gluten auf als Lehre.
Leiht dem Haine eurer Heimat seine Weihe.
Schleierhaft erscheint Florenz im Sprachenbilde.
Bleiche Seher schauen es in ewger Reihe.
Ihre Armut bringt Unendlichkeit und Milde.
Meistens Greise, liegen sie bei nackten Kindern
Und erträumen ihre himmlischen Gefilde.
Die Verzückung weilt bei goldgehörnten Rindern,
Ihr Beschluß enttaucht dem Weltvisionenstrome
Und erdenkt das Haupt von Meeresüberwindern.
Ein Florenz erscheint mit urgeträumtem Dome.
MARC CHAGALL/AQUARELL
Reproduziert mit Erlaubnis von Herrn Herwarth Waiden, dem Herausgeber des »Sturms«.)
HEINRICH MARIA DAVRINGHAUSEN/DER VERLORENE SOHN
HEINRICH MARIA DAVRINGHAUSEN/VISION DES VERLORENEN SOHNES
GEORGES SEURAT/ ZEICHNUNG ZU »LA GRANDE CHATTE«
(Reproduziert mit Erlaubnis von Herrn Professor van de Velde.)
GEORGES SEURAT
Ein sehr großer Mann ist geworden: Georges Seurat. Zuerst gipfelte er seine V isio-
nen in romantischem Schwarzweiß zusammen. Er setzte dabei ungewohnte Ton-
werte fest. Dann kam er auf den Divisionismus, den er eigentlich schuf, begründete.
Er war sogar Pointillist, der einzig mögliche. Seine Tat ist auf Heftig silberndes,
auf Totgold, auf sachtes Platin gestimmt. Seurat ist der allermetallischste Maler.
Er schuf manches ganz ungeheure Bild. Im Hintergrund, überm Fluß, große
Trommeln: die Gasometer von Paris. Schlote geometrisieren unsre Anspannungen
vor der Landschaft. Die Menschen, wie in eine Priesterlichkeit gedrängt, in ein
Indertum geengt, stumm, grundsätzlich, gleichmäßig, im Zylinderstil gefestigt, sehr
selbstverständlich verteilt. Also der Vorkubismus war rund. Trommel und Zy-
linder wollten herrschen. Die Schatten auf der »grande jatte« leben mit. Man
denke sich, wenn Blei flüchtig werden könnte, so säh es beim Zusammenwolken
etwa so aus. Schatten und Grimassen steigen uns nach. Aber auch Affen gibt es
auf dem Rasen. Man denke: in den Straßen von Paris! Sie sind wie Arabesken
mit Handlung da, denn sie sind Hände mit Bewußtheit. Was ein in Stil einge-
schraubter Mensch abwirft, springt im Tier umher. Aber das Licht ist ganz wahr*
haftig. Es ist da und steht fest, nicht gefroren, das wäre falsch: angehalten? kann
sein! Jedenfalls ist das seine Darstellung. Halt, die Luft ist auch dabei! der Atem
hat das Licht angehalten.
»Lechahut«: elektrisches Licht, messinghaftes Glänzen. Aus geometrischen Glas-
stürzen glimmt es ins Bild. Aus Glastulpen dunstet es milchig violett heraus,
immer das Licht. Die Menschen hopsen oben auf dem Podium, zu dritt, zu viert,
wie für den Abend fertiggegossen. Rüllen im Tüll, der sich bei den Beinschwin^
gerinnen metallisiert ausnimmt. Teufelshörner, Teufelsschwänze zucken, züngeln
aus dem Lärmgebrodel, sind aber Schärpen oder Schleifen. Die Hände sind ge-
sternt. Sind Hände Sternenwerk? Auch Matthias Grünewald vermutet so. Die
Spieler im Orchester sind unter der Metallglocke der täglichen Blechinstrumente wie
eingekapselt, zusammengekoppelt, mechanisiert. Zwar spielen sie Cello,Geigen und
Flöte, aber das Blech ist im Licht, in der Luft. Aber die Hände, die leben noch,
zucken, bleiben nervisch. Sie sind schön. Im Zirkus, Sprünge in Zink, Sätze in Zinn,
ausgeführt von Menschen. Alles bei elektrischem Licht. Hervorrollender Expression
nismus, hinaustaumelnde Futuristenspirale bei selbstgesprenkeltem, lebhaft ge^
pudertem elektrischem Licht. Jedes Metall bekommt seine Davonflugform. Das
Schattenhaftestewirddabei skulptural erhaschbar:Boccioni kann seine Wirbelgebilde
in Stahl hämmern lassen, seine Fliegerergipflungen mit Aluminium decken lassen.
Das hat Seurat getan.
199
VAN GOGH
Das starke Temperament der großen Epoche war ein Sonnenanbeter: Vinzenz
van Gogh. Ein durchaus religiöser Mensch, aber ein Kind im Glauben an Felder,
Bäume, Farben, Hitze, lebendige Südlichkeiten. Ganz ein Kind unsrer materia-
listisch befangnen Zeit. Was brach ihn, brachte ihn zum Wahnsinn ? Daß es nicht ge-
lingen kann, Ekstase, die in der eignen Seele entbunden ist, hinauszutragen in eine
Umgebung der Anschauung,- oder besser, sie in Pflanze und Staude hineinzugeheim-
nissen. Er wäre gesund gewesen, wenn er sich in visionäre Farbenmetaphysik ver-
stiegen hätte, nun aber krampfte er sich an Bäume, verschwärmte sein Erleuchtetsein
über Gemäuer und Gegipfel, starrte festgebännt in die Mittagssonne, verlangte
Seele, die er übermächtig inne hatte, von draußen, vom Unbeseelten und Unseligen.
Die Gegenstände sollten sprechen, wo Schweigen ihre Natur war: schreien, ihm,
dem Genialsten, ihr Wort verkünden,- doch nicht, um zu beruhigen, sondern um ihn
zum Echo zu machen. Der Mensch das vielseitige Echo der Dinge! Dieses Auf-
denkopfstellen der Hierarchie in der Schöpfung wurde zum pantheistischen
Wahnsinn. Daran starb van Gogh. Eine große Natur sollte zugrunde gehn. So
mußte es einmal kommen. Van Gogh aber ist der erste Expressionist. Wir gehn
heute naturgemäßere Wege. Unsre Voraussetzung ist der Mensch. Er ist der
Herrschende,- deshalb hat das Riesentemperament van Gogh nicht geradewegs
beeinflußt. Es ist unglaublich, wieviel von Technischem von Optik, Wissenschaft,
Materie damals gesprochen wurde. Es war eine Besessenheit. Eine grundbedingte,
schöpferische. Im Vergleich zu jeder andern Kunst brachte aber das große Frank-
reich des vorigen Jahrhunderts gerade ein Geistiges.
200
GEORGE GROSZ / FRIEDVOLLE RHEINLANDSCHAFT
ALPENGLÜHN
Wie selig doch auch mitten im Leide mir ist.
Hölderlin
Purpurkummer blutet aus dem Dunkel meiner Stummheit. Ich kann um keine Auskunft
fragen! Ich habe niemanden, um die Gedanken meiner Nacht von Mund zu Mund klar
herauszusagen. Sie können ihre Wahrheit bloß in mir erwägen.
Ruhe, dunkle Ruhe, hält die Stunde meiner Jugend fern umschlungen. Will kein Ge»
witter die erhitzten Augenblicke schwer durch wölken? Ich habe Leidenschaften: doch halten
sie sich hinter Furchthängen und selbstgewollten Einsamkeitsgrotten dumpf verkrochen.
Vorbei!—Und ohne Schrei,— vorbei sind alle Weigerungen, das Geheimnis leiser Ein»
gebung rein und geweiht zu halten. Nun aber fangen Leute an, von fern heranzurauschen:
Glühende Gefühle berücken sich im Traumesraum. Ich horche nicht, ich schaue: Vergangen»
heiten! Die Schmerzen — Schnee, die Leiden — Eis, die ganze Kindheit ein zerbrockter
Gletscher: Allerhand verwandte Flammen entstrahlen mir. Ich kenne sie, sie entschim»
mern uns, kühl entschmerzt, über mich hinweg! Die Nacht entstrahlt/ ich seh ihre Stadt.
Die Türme züngeln grün in das Gesicht. Unsre Urbekümmernisse, die herrlichsten Ver»
bergungen erglühn! Der Wahn erwacht, er wallt und wandert scharlachblaß durch starre
Purpurschluchten. Nun kann ich Flug auf Flug über erstrahlende Erfahrungsgrade wagen.
Die Sprache starrt mich Wandelbaren an. Ich kann ekstatisch ihre Wahrheiten erraten:
Ich walle, falle nun von Satz zu Satz. Ich stürze nicht: ich stürze bloß die Anschauung,
indem ich aus der Sprache mein festgebanntes Ich verlaute. Da ist sie ja: Die Sprache!
Erjag jedes Ja! Verfall ohne Angst auf jeden Einfall!
Halt! was sie hat! Schalte, wenn sie fabelnd schallt. Bloß dort, wo sie zerprallt — rasch halt!
*
Drohende Deutungen durchdämmern das Dunkel: Und ich versuche des Gefunkels blu»
tende Furchen in einem Schlund der Furcht zu verschlucken. Flimmerndes Feuer durch»
schwirrt die zerklüfteten Finsternisbrüche: Klaffende Rundungen mit schwellenden Lippen
erregen mich. Und die sehnen sich an meine Absichten heran, denn ich fing an, nach ihnen
auszuschaun! Ein silbernes Fiebern überrieselt meine Einbildung, daß ich fühle. Wuch»
tige Glutschnuppen schütteln ihren vollen Dunkelaussturz an Funkelblut über Saaten er»
wachter und wachsender Scharlachgarben. Die winzigen Verwirrungen meiner Einblicke in
meinen unbekannten Flammentanz wirbeln immer silberner in dieses empfindliche Finster»
nis »Vermissen. Schmerzenssterne stechen in meine skeptische Ansicht, daß man sich in
solchem Wirrwarr nimmer wieder finden wird. Nichtig wird es mir. Weh zu empfinden
und mich nicht selbst zu verlieren! Da schwirren wieder Liebe, weiche Leiden an meine
achtsame Hartnäckigkeit, nicht verwehn zu wollen, heran! Stets wilder, stets weiblicher
wird dieses Wippen wechselnder Firlefanzer. Was klärt sich da? Mein schwächster Wille
beschattet eine kalte Gestalt, die mich aber in mich selbst zurück winkt. Kann ich noch
wachsam bleiben? Ich möchte sie erfassen, doch andre Erscheinungen erschimmern sich
und sie: Sie selbst verbleicht. Aus aller Nacht, als wäre es aus Wand auf Wand, langt
eine wachsende Gewalt in meinen Angstkreis. Ganz kalt und immer schmerzlicher und
silberner umringeln mich die Greifgebärden blasser Flammenquallen und Betastungs»
202
anfänge. Ein weiter Einblick reißt mich auf: Ich weiß: Das ist der Mond, der Mond, der
unterm Sehdunkel blutete, erdämmerte.
Nun ist er da! Aus weißem Leid geschweißt, entbeißt er sich aus Purpurblutungen der
dunklen Mutter. Ich schreie fast: Der zweite Mond! Die Toten, die der ausgestorbene
Mond entfleischt, zu Knochen kurz verbrockt hat, entrollen ihre bleiche Wiederkunft.
Gespenster entseelen die Finsternis und frieren an mich, den silberlich Fiebernden, das
Nichts zerschwirrend, heran. Verlorne Flocken von Hervorgeschleierten beschleichen
bereits meine leichenbleichen Leibesüberbleibsel. Unendliche Segel überhissen mich, mich,
den in alle die Gefährlichkeiten Hinausgerißnen! Vorstellungen, so schaumgrau wieWetter*
wölken vor dem Vollmond, verwirbeln meine Entsinnungen, wo Mund und Nase waren.
Bin ich entseelt? Ersticken will ich nicht: Und doch, der Mond, der ewige Mond hat mich
Verwehbaren in sich versogen. Ich sterbe nicht, wir sterben nicht, denn Sterbesilber bin
ich selber!
Der zweite Mond! Ein Schrei, der mich in das Bewußtsein meiner Dunkelheiten reißt!
Schwarze Nacht, schwarze Nacht, ich taste mich aus der Angst an kalten Angriffen
der Nacht hinan bis in die Klarheit über meine Lage. Die Nacht ist schwarz! Im Schwär=
zen fange ich an, mich ganz zu fassen!
Wie kalt mir war! Ich traue schwarzen Hauchen, die fast an meine Haut anstarren.
Ich wage zu wandeln.
Ich schaue auf: Draußen gleißt es eisig: Weiß und bleich. Die Berge sind mit Schnee
bedeckt. Dem schnellen Nebelwechsel trotzt ein blaß entflammtes goldgefromes Ei mit
dem Mond zum Kern. Es scheint das Meer von einem zweiten Meere überschwemmt
zu werden. Wie lange, schlangenlange Wolken, schlagen Wogen immer wieder an den
Strand an. Unendlich breite Wanderwasserfälle jagen reihenweise auf den weiten bleL
chen Sand. Gewitterahnungen erwachen noch in einigen fiebernden Meeresstrichen. Und
doch ist diese Lebendigkeit schreckreidier, sterbensähnlicher, als alles Stille.
Die Silberschwingungen des Wassers auf dem Strand zerringeln wieAhnungen desWahn»
witzes, der, wo er sich heranmacht, sich selbst zuWitzverschnörklungen zwingt. Mir winkt
der Wind, mich schlingt das Licht, den Frierenden in sichtbarer Vereinsamung, begierig ein.
Lebendiges Dunkel umdrängt mich: Das nächtliche Abenteuer verändert sich wieder! Den
hellen Sterbenseindruck verstellt bereits eine wimmelnde, schwärzliche Menschenmenge.
Tausende von grauen Leuten durchzacken, zerfasern die einfältig strahlende Nacht.
— Es soll sofort eine Mondfinsternis beginnen!
Also das vermag die Phantasie. Mein Wille, wirst du die Inzucht selbstverliebter Nei*
gungen bezwingen? Vernunft, du bist voll Dunkel. Erfunkle nun in mir! Ich habe ja die
Nacht, zu lang fast, vor allen Tagesansprüchen bewahrt, doch will ich nimmer die Panik
vor heiligem Alpenglühn vermissen. Das strahlt mich blaß, kristallhaft an.
Und ich Versuchs mit der Vernunft!
Erinnern kann ich mich: Da kam ein Herbst!
Die Flammen wallten langsam durch die Halden.
Das Grün versprühte und verflüchtigte sich über Flüsse, über Hügel. Die Fluten wurden
dunkel. Die Pinien und Olivenbäume rahmten gelbe Weggehege ein. Zuerst entloderte
das Gold der hohen Berge. Der Waldesscharlach brach aus manchem Tal und faßte alle
wilden Reben und Kastanien. Schon rostete der Wein: Da packte mich die Angst vor
solchem Sterbensanfang. Es bluteten die Fluren: Ich hatte Furcht! Die Sommerwollust,
203
gestern noch in Tausenden von sonnenroten oder augenblauen Trauben, in Abertausenden,
nun gärte sie in braunen Fässern, und da begeisterte des Jahres Feuerüberschwang die Wäl*
der und der Bäche Pappelpfade,daß sie in ihrer Flammennacktheit erstrahlten! Die roten
Rätsel und das Sterben hagrer Pflanzen standen da und schauten eines heidnischen Jahres
Flammenbestattung! Des Waldes alter Sang begann von seinem Anfang viel zu sagen.
Die Blätter raschelten, bevor sie starben. In klarer Starrheit sahen uns die Waldesväter:
Fast wie Patriarchen! Sie ahnten, daß es bald gar kalt und eisig werden müsse. Da sah
ich strahlend ein: Aus meiner Heimat stammt bereits der Nordschein: Der Herbst erklärt
den roten Wahn der Wesen. Wir werden wandern, — stets herbstlicher: Uns selber immer
ähnlicher, beginnen wir verweltlicht zu verderben. Wir werben um den Herbst. Das Sterben
stirbt. Es dämmern und verschwenden sich die Seelen. Dann ballt das Eis sich über uns
zusammen: — wer weiß, wer weiß?— Wir fallen und verfallen: Der alte Wahn, der uns
erfaßt, wird wallen — wallen!
*
Dantes Stadt Dis ist Furchterfunkeln. Der Abgrund erfaßt ihn phantastisch, da deucht
ihm die Finsternis, Dis. Der Dichter bezwingt sich: Da prallt alle Wand sie zurück in
sich selber. Drum hörst du nicht die Höllen dröhnen: Im Trichter aber erhaschen sich brül»
lende Übel: Da weiß das Ganze, was leibhaftig zerspalten, gewissenlos handelte.
Dante, die Lichter der Finsternis gaben dir Macht für ein Flammengedachtes, wo Sterne
und Mond, selbst die Sonne, dir, dem Dichter, gehorsam erstrahlen. Dante verrate: Was
soll dieser Mond? Der Mond der Verstorbenen wurde geboren: Des Todes Gebot ist
vollendet!
Warum hat ihn niemand erkannt? Er schlummert in uns: Wir suchen ihn wandernd:
Wir wandeln uns selbst. Die Nacht der Erbarmung ist da: Sie strahlt und erwartet uns
alle!
Der Nordschein verneint die Vernichtung: Da hat Nein auf Nein,-selbst unendlich ver»
neint, seinen Schein. Ich weiß, ich weiß, der Weltschein: Ich erbliche mein Geschieh, aus
meinem Wesen entweih es sich, um diesen Willen verwebt es sich. Den Totenmond fordre
ich, das Nordlicht gebiert ihn. Der Erde entweicht ihr Leib, die Finsternis verbleicht.
Der Sonne Vorboten versprachen den Sohn des schuldlosen Weibes. So hat die Erde,
ohne Sonnenempfängnis, das totendurchlodernde Wort geboren.
Es sagte Asien: Eine Jungfrau hat empfangen. Es strahlt die Nacht: Begeisterung hat
uns erlöst.
Des Wortes Hoheit verkündet sich in Sonnen. Die Sterne glühn, daß die dunkeln Krumen
glühn. Der Mann ist der Stammhalter der Daseinsentflammung, das Weib ist das Leid
und das heile Verweilen. Der Held ist der Fels, das Weib ist das Wasser. Der Herr ist
die Tat, und das Weib ist die Reinheit. Der Wanderer ist der Wunsch, das Weib die Ge»
burt. Gott war und das Weib bleibt. Der Geist wird und das Weib ist. Der Sohn stirbt,
und das Weib sei erlöst!
*
Das Weib ist die Nacht, und wir strahlen, entstrahlen.
204
SCHWÄBISCHE MADONNA.
Ich glaube fest an Gott und an die ewige Gnade!
Jungfrau Marie, auch Didi, oh Mutter, liebt mein Herz.
Du bist in mir ein Traum und eine Wehmutslade:
Voll Demut lege ich vor Dich die Furcht, den Schmerz.
Jungfrau Marie, der Tau der Ähren ist Dein Schleier.
Die blonden Felder sind Dein goldnes Sonnenhaar.
Die Liebe meiner Mutter Deine Weihnachtsfeier,
Und meine Unschuld, Mutter, ist Dein Weihaltar.
Jungfrau Marie, ein Mittagsfeld ist Deine Stirne.
Dein Auge mein Verstand, der jeden Wunsch durchschaut.
Die Brauen sind ein Adler über hohem Firne:
Aus Deinem Mund erlauschte ich den Mutterlaut.
Jungfrau Marie, die Bauern hier im Tal sind Schwaben.
Aus Deiner Kehle klingt ein Heimatwort so wohl.
Der Blütenwald ist nur die frömmste unsrer Gaben,
Von Deinem Halsband jedes Dorf ein Karneol.
Jungfrau Marie, der Heimat Schutz sind Deine Hände.
Dein Herz ist die Vergebung meiner schweren Schuld.
Und Deine Schultern sind des Juras steile Wände,
Denn fern von fremden Menschen fühl ich Deine Huld!
Wenn ich im Tal zerknirscht, bald für das Übel büße
Und liebe Gott und meinen Nächsten so wie nie,
Jungfrau Marie, dann fühl ich Deine heiligen Füße.
Und grüße Dich: ich liebe Dich, Jungfrau Marie!
205
DIE APOKALYPSE.
Mein Grab ist keine Pyramide,
Mein Grab ist ein Vulkan!
Das Nordlicht strahlt aus meinem Liede,
Schon ist die Nacht mir untertan!
Verdrießlich wird mir dieser Friede,
Der Freiheit opfre ich den Wahn!
Die Künstlichkeit, durch die wir uns erhalten,
Den Ararat, wird meine Glut zerspalten!
Der Adam wird zum Grab getragen,
Und übrig bleibt sein Weltinstinkt.
Der baut sich auf aus tausend Marmorsagen:
Ich selbst, ein Schatten, der zur Arbeit hinkt,
Vermag bloß um den Ahnen tief zu klagen,
Da er durch mich, im Schacht, um Fassung ringt.
Das Grab, das er sich aufbaut, ist sein Glaube,
Daß ihm Vergänglichkeit sein Urbild nimmer raube!
Ich fühle, stolzer Erdenvater,
Dein Leid, das die Gesetze sprengt:
Ein Drama denkst Du im Theater,
Das tausendstufig Dich umdrängt.
Du atmest Freiheit aus dem Krater,
Der furchtbar sich zusammenengt:
Auf Deine Grabesruhe trachte zu verzichten,
Dann wird Dein Herzensstern die Welt belichten!
Ich selber bin ein Freiheitsfunke,
Das Gleichgewicht ertrag ich nicht!
Hinweg mit dem Erfahrungsprunke,
Ich leiste auf mein Grab Verzicht!
Die Gnade schäumt im Urgluttrunke,
Als Übermaß ins Weltgericht.
Doch das will ich mit meinem Schatten halten,
Ich träume Euch, befreite Erdgewalten!
Mein Grab ist keine Pyramide,
Mein Grab ist ein Vulkan.
Mein Hirn ist eine Funkenschmiede,
Das Werk der Umkehr sei getan!
Kein Friede klingt aus meinem Liede,
Mein Wollen ist ein Weltorkan.
Mein Atmen schaffe klare Taggestalten,
Die kaum erschaut, den Ararat zerspalten!
DER BAUM.
Es spielt der Wind mit vielen tausend nassen Blättern,
Und alle winken immer wieder anderm Wind,
Und Waldeswalzer höre ich im Schatten schmettern.
Auch meine Weisen singen, weil sie windwild sind!
Und viele Lieder wimmeln, wie die winzigen Bienen,
Um jeden Trieb, der sich der Blumenglut besinnt.
Der Mut zu werben ist mir Sterblichsten erschienen:
Auf lauter Zweigen taut mein Urerkünden auf,
Und seiner will Vernunft, wie Bienen, sich bedienen.
Es horcht der Wind. Denn um zu horchen, harrt sein Lauf.
Im Baum erlauscht, als Traumhauch, er sein lautes Rauschen.
Drum lauscht: Es überbrausen Meere sich zu Häuf!
Es will, als Baum, die Erde sich am Baum berauschen.
Und was im Traum geschieht, wird auch ein eigner Traum,
Denn Träume können uns samt Träumlichem belauschen!
Verrunzle Dich in mir, Du Traum von meinem Baum!
In meiner Ruhe nisten schon die Sehnsuchtslieder,
Singt doch die Stille durch die Wurzeln bis zum Saum.
Die Wurzeln greifen fern in die Ergebung nieder!
Wie ist die Stille tief! So tief wie sie entsddief!
Doch in der Krone gibt der Baum den Norden wieder.
Er folgt dem Wind. Er wird was ihn als Baum berief.
Er stürzt die Liebe in die witternden Geschicke.
Er wirbt um sich und wirkt als Traum urbaumhaft tief.
Du Baum, ich weiß, wie ich als Dickicht mich bestricke.
Du bist von Liebe übervoll, ja liebestoll!
Du liebst, oh Baum, was ich als Du in mir erblicke.
Und »Du«, nur »Dus«, erlausch ich, wo ich rufen soll.
Das Dunkel aller Ruhe kennt das Du der Dinge!
Drum ist die Welt so holder Wonneworte voll.
Oh Sonne, horche wie ich in der Krone singe:
Der hohe Norden strotzt von mordendem Verstand,
Das Land aber hat Gold für Sternenschmetterlinge.
Ihr Dünkelwichte, Dinge im Vernunftgewand,
Es wickelt Euer Himmelswink Euch aus den Wicken,
Die Schlingen fallen ab: es nagt der Fragebrand.
Es schlagen Wagnisschlangen auf zu Weltgeschicken!
Der Urwald leuditet in das holde Weltenwohl:
Es glaubt der Baum! Und lauter Witterwipfel nicken!
Der Baum umwurzelt seiner Ruhe Wesenspol.
Er schützt die Nester, schirmt das Schmerzens-Ich der Tiere.
Denn jedes Blatt ist großer Duldung Erdsymbol.
So wirkt, daß nimmer sich ein Wirkungswink verliere!
Die Tiere aber sind schon mehr als Wimmerwind.
Sie irren sich ja nicht. Sie schwirren um das Ihre.
Entwirrt Euch schier! Das Winzigste ist weltgesinnt!
Und horcht in Eurem Baum aufs Morgen freier Meere.
Du große Sonne, wie genau ein Tag verrinnt!
Der Baum ist hoch. Er füllt schon seine Wesensehre.
Und über ihm begeistert sich ein Sternenkind
Und lauscht aus Leidenschaft der Werdenschwere.
Wie viele Rehe weinend schon gefallen sind!
Oh Sternenkind, bewahre ihre Seelenträne
Und mache uns im Wandel harmlos und gelind!
Der Wesen Schüchternheit, die ich im Wechsel wähne,
War einst ein Blatt, ein Tier, das man zu Tod gehetzt:
Und alles Land entflammt als eine Wahnsinnsmähne.
Im Namen der Verzweifelten, Welt, sei entsetzt!
Birg, Erde, jeden Todesschrei in Lichtgebeten:
Im Baumes-Namen, säume nicht! Es glüht das »Jetzt«!
Der Erde Wahnwitz brennt durch Winde, die entwehten.
Er ist ein Urwald, der sich flammennackt beseelt.
Hier stirbt man nicht! Die Tiere schimmern in Kometen!
In Riesenschweifen werden sie hinausgeschweelt.
Sie können kalt in alten Nächten plötzlich tagen,
Denn kein Gewissen hat den Weg zu sich verfehlt.
Die Wanderschaften, die den Menschen warnend tragen,
Erfüllen alle Nordheiten mit Seelenbrunst,
Und Tiere wittern aus den jungen Glanznachtsagen.
Zu eignen Wesenheiten reift die letzte Kunst.
Die Lebensechtheit kann sich nur ekstatisch fassen,
Dort überm Weltbrandwahnwitz dämmert stumme Gunst.
Gedanken fangen an, mit kalter Glut zu hassen.
Der Traum vom Baum verschlingt sich in den blauen Raum.
Es singen Sternenkinder in den Flammengassen
Und nisten schuldlos in der Ruhehuld vom Baum.
MITTEILUNGEN
Theodor Däubler: „Das Sternenkind“, Inselbücherei Nr. 188, Inselverlag 1916.
Däublers Lyrik wird meist falsch oder gar nickt verstanden. Man liest heute Gedichte mit der
Voraussetzung, daß sie nur in sidi beruhen, losgelöste Edelsteine, umfasserender Gestaltung
weder unter-, noch über-, nicht einmal eingeordnet/ daß sie beziehungslos sind: areligiös.
Däublers Gedicht ist nicht Edelstein: ist Urnebel oder Meteor. Alpha oder Omega seines
metaphysischen Werks/ Keim und Frucht des Kosmos. Urnebel: Stimmungen des Alls, aus
denen das Sein ersteht. »Die Fichte«, »Die Droschke«, »Katzen« und analoge Gedichte: Stim-
mungen des Geistes, aus denen die Idee ersteht, verkörpert im Nordlicht, <Georg Müller
Verlag) der ungeheuren Prophezeihung vom Untergange der Materie. Die gegensätzliche Art
von Gedichten »Inder«, »Das Sternenkind«, »Millionen Nachtigallen schlagen« usw.: Meteoren!
Zeugen des Kosmos! Radien der Seele! Boten einer nahenden Lehre. »Der Mensch muß fliegen«,
sagt Däubler, sagt warum, nicht wie. Doch es wird kommen der Tag, da das »Nordlicht« ge-
biert seinen Meister, der Däublers Worte erfüllt, der die Menschen zu fliegen zwingt.
Däublers lyrische Sprache ist wie die unterirdischen und astralen Kurven seines Geistes schwer
zugänglich. Sie ist neu, kühn, futuristisch, expressionistisch, — wenn man darunter nicht modern,
absichtlich, spitzfindig, krampfhaft versteht,- sie ist konservativ, traditionell, klassisch im Gegen-
satz zu reaktionär, ideenlos, weimarisch. Erst dann wird man das »Sternenkind« fassen, wenn man
a 11 e Voreingenommenheit der Sprache, dem » Gedicht« gegenüber ausgeschaltet hat: Associationen,
Bildung, Mißtrauen, eigenen Stil, vor allem aber die demokratische Forderung des »gesunden Men-
schenverstandes« der »Allgemeinverständlichkeit« und der zu diesem Zwecke abgelegten sprach-
lichen Willkür. Dichtung ist Willkür! Niemanden kann man daher berechtigter Willkür nachsagen
als dem Dichter Theodor Däubler. Er verkündet den Willen, fordert die Wahl. Nur Sklaven wissen
vom Zufall. Nur Epigonen können zufällig zwei Worte nebeneinander setzen, nur Mittelmaß
braucht Bewußtheit zur Wahl, weil es in sich wahllos ist. Däublers Alitterationen ordnen die
unterschiedlichsten Begriffe der Idee ein, so wie »Deck- und Schutzfarben« die verschiedensten
Tiere und Pflanzen der Landschaft nachfärben. Er nimmt intuitiv die Wesenheit aller Erschei-
nungen und Vorgänge unter einer feststehenden Perspektive wahr: sie vermitteln ihm Erkenntnis,
sie beweisen ihm seine intuitive Welterklärung. Und mit dem urverhängten Mittel der Sprache
formt er den Geist, den ihm die Sinne offenbaren: Seine Gedichte zeugen nicht von Beobachtung,
sondern von Wertung: Er legt das Wesen und die Beziehungen des Seins bloß. Sich hat er endgültig
überwunden, daher beschäftigt er sich nicht mit den Menschen, sondern beschäftigt sie mit ihrem,
der Tiere, Sterne, Winde, Blumen, des Meeres und des Turmes leuchtendem Kerne, dunklem Wollen.
Nicht liebt er das Leben, er liebt die entschleierte Mystik des Seins,- nicht speist er die Herzen, er
weckt die Seelen. Seine Sprache ist die der schlafenden Kinder, der Nilquellen, der Mondsichtigen—
die der Zungenredner, der singenden Kometen, der Gesteinigten, Verlästerten, zu Gottes Füßen
Gelagerten. Wieland Herzfelde
Die Zentralstelle „ Völkerrecht“. Deutsche Zentrale für dauernden Frieden und Völkerverständigung veranlaßt uns zum
Abdruck folgender erfreulichen Erklärung:
Nachdem der »Deutsche Nationalausschuß« und der »Unabhängige Ausschuß für einen deutschen Frieden« den gegen-
wärtigen Zeitpunkt für geeignet gehalten haben, sich mit Kundgebungen zu Kriegszielen an die Öffentlichkeit zu wen-
den, haben sich deutsche Männer und Frauen, die einen dauernden Frieden auf der Grundlage des Selbstbestimmungs-
rechtes der Völker und einer neu einzuleitenden Verständigungspolitik erstreben, zu einer deutschen Zentrale für dauern-
den Frieden unter dem Namen Zentralstelle »Völkerrecht« zusammengeschlossen.
Der Friede, der diesen Krieg beendigt, soll selbstverständlich nach der Auffassung der Zentralstelle die Freiheit des
deutschen Volkes, die Unabhängigkeit des Deutschen Reiches, die Unversehrtheit des deutschen Bodens, die Wahrung
der deutschen Interessen im Auslande und die Erhaltung der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des deutschen
Volkes sicherstellen/ aber er soll auch jede Gewähr der Dauer in sich tragen. Dazu ist erforderlich, daß er von allen
Beteiligten als eine befriedigende Ordnung ihrer internationalen Beziehungen anerkannt werden kann, daß er also nicht
die Unterlegenen durch gewaltsame Annexionen, durch Beeinträchtigung ihrer Selbstbestimmung oder durch andere
unerträgliche Bedingungen zur Vorbereitung eines Vergeltungskrieges nötigt, daß er zugleich wirksame Einrichtungen
schafft für friedliche Erledigung künftiger internationaler Streitigkeiten auf dem Wege geordneter Vermittlung oder
209
rechtlicher Entscheidung, und daß er damit der alten friedengefährdenden Politik des Wettrüstens ein Ende setzt. Um
einem solchen Frieden volle Wirksamkeit zu geben, muß ein neuer Geist das nationale und internationale politische Leben
erfüllen. Die deutsche Zentrale »Völkerrecht« ist der Überzeugung, daß im deutschen Volke wie bei allen anderen Kultur»
Völkern die Vorbedingungen für diese neue Politik gegeben sind, und daß nur ein solcher Friede der »Deutsche Friede«
im besten Sinne des Wortes sein würde.
Zweigstellen der deutschen Zentralstelle »Völkerrecht« sind in allen Teilen Deutschlands gebildet oder in Bildung
begriffen. Die Zentrale wird, sobald Freiheit für die Erörterung von Kriegs» und Friedenszielen gewährt ist, mit Kund»
gebungen an die Öffentlichkeit treten. Zustimmungserklärungen werden einstweilen erbeten an die
Geschäftsstelle Charlottenburg, Kantstraße 159 Gartenhaus III.
gez.: Professor Dr. Ernst von Aster, München /Barkowski, Bürgermeister a. D., Gumbinnen/Eduard Bernstein,
M. d. R., Schöneberg / Adolf Bley, Fabrikbesitzer, Kirchheimbolanden / F. Bloh, Rektor, Hamburg / Chr. Carstens, Fabrik»
besitzer, Groß=Flottbek/Minna Cauer, Berlin/Hedwig Dohm, Berlin/Dr. August Erdmann, M. d. R., Köln/Rechts»
anwalt Paul Esch, Rittergutsbesitzer, Köln/ Axel von Fielitz, Dresden/Edmund Fischer, M. d. R., Dresden/Professor
Dr. Friedrich Wilhelm Förster, München /Professor Dr. Wilhelm Förster, Geheimer Regierungsrat, Bornim/Hellmut
von Gerlach, Berlin / Silvio Gesell, Groß » Lichterfelde / Julius Hart, Zehlendorf / Justizrat Dr. Heilberg, Breslau /
W. Hopf, Herausgeber der »Hessischen Blätter«, Melsungen / Professor Dr. Max Lehmann, Geheimer Regierungsrat,
Göttingen/Sanitätsrat Dr. Leonhart, Stadtrat, Kiel/Dr. Friedrich Maase, Rechtsanwalt, Düsseldorf/Hermann Maier,
Bankdirektor, Frankfurt a. M. / Justizrat Melos, Leipzig/Dr. Hermann Michel, Leipzig/Ed. de Neufville, Frankfurt
a. M./Hans Paasche, Kapitänleutnant a. D., Waldfrieden/Dr. Rudolf Penzig, Stadtrat, Charlottenburg /Baron Karl
Puttkamer, Landrat a. D., Dresden / Dr. L. Quidde, M. d. L., München / Professor Dr. Heinrich Rößler, Frankfurt a. M. /
Professor Dr. Adolf Schmidt, Geheimer Regierungsrat, Potsdam / Professor Dr. Walter Schücking, Marburg / Fritz
Schulz, Gutsbesitzer, Mallwischken/Friedrich Steudel, Pastor, Bremen/Dr. Oskar Stillich, Dozent an der Humboldt»
Akademie, Berlin /Dr. Helene Stöcker, Nikolassee/Kurt von Tepper»Laski, Rittmeister a. D., Berlin/Dr. Kurt Thesing,
Verlagsbuchhändler, Leipzig/Dr. Heinrich Freiherr Bausch von Traubenberg, Göttingen/Umfrid, Stadtpfarrer, Stuttgart.
Die Zeitschrift »demain« berichtet in der Septembernummer, daß laut einer Kopenhagener Stati»
stik die Zahl der durch den Krieg Verwundeten, Verkrüppelten und Toten aller kriegführenden
Länder bis jetzt zwanzig Millionen beträgt. H. B.
REDAKTIONELLES:
Berichtigung: Im Septemberheft der »Neuen Jugend« war an dieser Stelle berichtet, daß bei den
Autorenabenden der »Neuen Jugend« unter anderen Herr Hans Blüher, Ernst Joel und
Gustav Landauer aus eignen Arbeiten lesen sollen. Dieses »soll« bedeutet nur, daß ich be»
absichtigte, die betreffenden Autoren darum zu ersuchen/ die Absicht ist aber bisher noch nicht
ausgeführt worden. W. H.
De r dritte Autorenabend der »Neuen Jugend« findet am 27. X. 1916, abends 830, im Graphischen
Kabinett J. B. Neumann, Kurfürstendamm Z3Z, statt. Es liest: Johannes R. Becher aus eigenen
Dichtungen. Plätze zu 1, 3 und 5 Mark in der Redaktion und an der Abendkasse.
Der vierte Autorenabend der »Neuen Jugend« findet am 7.XI. 1916, abends 8h, in Dresden,
Hotel Bristol, Bismarckplatz Nr.7,statt. Es lesen: Johannes R. Becher, Albert Ehrenstein, George
Grosz, Wieland Herzfelde, Else Lasker»Schüler,- für Theodor Däubler liest Wieland Herzfelde,
Gedichte von Franz Held trägt Helmut Herzfeld vor.
Wegen des Th. Däubler »Sonderheftes erscheint die nächste Fortsetzung des »Maliks« von Else
Lasker»Schüler erst im Novemberheft wieder. Alle literarischen Beiträge dieses Heftes sind von
Theodor Däubler.
Wir empfehlen unsern Lesern die auf der letzten Umschlagseite angezeigte Schrift von Carl Schmitt
über Theodor Däubler.
Im November erscheint »Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917«.
Druckfehlerberichtigung. Heft 8. »Neue Bücher« Zeile z: Lucidarium statt Sucidarum.
Seite 165, Zeile 8 von unten: Dr. Ludwig Haas statt Dr. Ludwig Hans. Seite 165, Zeile 10 von
unten: Volldampf statt Voll Dampf. Heft9 Seite 17z, Strophe z wurde die 5. Zeile zu setzen
vergessen: »Ihr sollt euch den geheimen Winken still erschließen«. Seite 184, Zeile 5:
Bläuliche Wolken, zerflatternde! statt Bläuliche, wolkenzerflatternde! Seite 186, Zeile zi:
meilleure statt meileure.
Verantwortlich für den gesamten Inhalt: Helmut Herzfeld, ßerlin»Charlottenburg. — Verlag: Neue Jugend, Berlin
und Leipzig. — Gedruckt in der Hof»Budi» und »Steindruckerei von Dietscfi 'S) Brückner in Weimar.
^***-*-~- — ———— —
Neue Jugend
I MONATSSCHRIFT
HERAUSGEBER: WIELAND HERZFELDE
HEFT ELF UND ZWÖLF / ERSTES JAHR
DOPPELNUMMER FEBRUAR-MÄRZ 1917
| SULAMITH.
Nimmer wird mein Arm geschlungen sein
Um Sulamith
Das Königskind.
Immer wird mein Traum die Schaukel sein
Für Suleima
Mein Spielgefährt.
Wie fand Herzfefde
Zu Beethovens »Albumblatf«
211
EIGNE GÖTTLICHKEIT
Gott ist kein himmlischer Automat, sondern die eigenste, innerste, geflissentlichste Freiwilligkeit,
eine Selbstanstrengung, damit das Innere nicht von seiner eignen Äußerung — und es ist nichts
als das sich Äußernde —, welche notwendigerweise differenziert ausfällt, beeinträchtigt werde,
sondern sich rein davon äußere. Daher die Möglichkeit der Pathologie Gottes selber, wenn man
aus diesem keinen Automaten, sondern Freiheit macht. Wer dürfte sich gehen lassen als allein
die kultivierteste Selbstsicherheit? Und was könnte sich so pathologisch gehen lassen als gerade
die allmächtige Freiheit? Es ist harmlos, Gott zu sein, aber nicht kindlich, sondern göttlich harmlos.
Allmacht ist keine Fatalität, sondern die Leistung aller Leistungen: Freier Wille, Selbst, Indivi-
duum. Freiheit, eigne Göttlichkeit hat sich daher der grenzenlosen Angst vor sich selber siegreich
zu erwehren, wenn die Welt, die Objektivation des Subjekts, keine Fratze werden soll. Der
innerste Wille, der das Schicksal erschafft, fürchtet sich nur allzu leicht und allzu menschlich vor
dem Schicksal. Auch die Angst vor sich selber soll der Schöpfer objektivieren lernen, damit ein
furchtloses Subjekt sich in der Welt widerspiegle,• die Welt ist nur der Spiegel des Subjekts. All-
macht ist nicht etwa ohne Ohnmacht, sondern sie ist nichts als die Bezwingerin der Ohnmacht. So
ist Unabhängigkeit, Schicksallosigkeit nur die siegreiche Bezwingung des Schicksals: der Schöpfer,
der sein Geschöpf, seine eigne Äußerung, nicht, selber frei von ihr, beherrscht, wird von ihr be-
herrscht, obgleich er tiefinnerlichst seine Überlegenheit innewird. Bis zu welchem Grade der Schöpfer
sich selber Geschöpf scheinen kann, das geht ins Unheimliche, ins Allzumenschliche,- das ist der
menschliche Tatbestand. Allmacht, die Rancune ihres Geschöpfs erleidend, von sich selber bis
zur Unmerklichkeit eingeschüchtert, vermenschlicht, ihrer Göttlichkeit selbstvergessen, braucht
Erinnerung, Gedächtnis, Philosophie, um ihre hilflose Überlegenheit tatkräftig wirksam zu machen
und den Menschen aus sich, aus dem innersten Selbstbewußtsein, zu evakuieren. Und erst der
exakt objektivierte Mensch wäre das gelungenste Geschöpf des Schöpfers. — Cave creaturam!
Wer den Menschen losgeworden ist, ihn objektiviert hat, in seine innerste Individualität zurück-
gefunden hat, der weiß, daß dieses nihil commune positiver als die ganze Welt ist: daß diese sich
erst dann regieren läßt. Wer aber sein eigenes Inneres noch nicht neutralisiert hat, ist noch gar
kein Wer. Unaufhörlich aber empfindet er den kategorischen Imperativ, ein solches Wer aus sich
zu machen. Sein eigenes Subjekt, durch dicke Wände des Allzumenschlichen von sich selber ge-
trennt, ruft mit erstickter Stimme nach Selbsterhörung. Hat man sich nun endlich selber gefunden,
so steht man am Beginn eines Kampfes, der für das Subjekt siegreich enden muß, wenn es sich
selber treu bleibt: eines Kampfes zwischen der echten, der aus der Willkür des Individuums auto-
matisch hervorgehenden Objektivation, und der schiefen, aus dem noch nicht kompakten Subjekte
allzu menschlich erfolgenden. Die Verdrängung der falschen Welt durch die echte, gleich der Ver-
drängung eines Alpdrucks durch die wache Wirklichkeit, wird vielleicht unendlich schwerer scheinen
als sie ist: vielleicht gerade unmittelbar vor dem Siege wird dieser unmöglich scheinen. Aber das
individuale Subjekt ist die Überraschung in eigner Person und muß einmal alle Welt überraschen,
wen es sich von aller Welt nicht abschrecken läßt, sich selber mit sich beständig zu überraschen.
Die sogenannte Todesfurcht ist vielmehr Lebensfurcht: es fehlt das integre, menschlich ganz und
gar unbeeinträchtigte Zutraun zu sich selber, d. h. also zum Leben,- denn eigentlich lebt nur das
Innerste,- der Rest ist Reflex. Das individuale Selbstvertraun aber kann man nur spontan sich
selber geben,- es ist unbeweisbar, weil es das Beweisende ist.
Zwischen Schöpfer und Geschöpf ist keine Relation, sondern alle Relation ist Geschöpf. Das
Nichts von aller Welt, aller Differenz, die Freiheit, der Wille, das Individuum, das ungeteilt
Innerste bedeutet gar nichts als seine eigne automatische Objektivation. Aber ohne willkürliche
individuale Subjektivation ist also die Welt noch gar nicht exakt objektiviert. Freiheit von allem
Müssen ist auch hinwiederum gar nichts anderes als die Freiheit zum Müssen. Subjektive Frei-
heit bedeutet nichts als objektive Notwendigkeit: Wille nichts als Zwang zur Tat. Wille in dem
212
Sinne, daß er nicht nur von nichts, sondern auch sogar zu nichts gezwungen wäre, ist Unsinn.
Der Schöpfer ist zur Kreatur gezwungen oder kein Schöpfer. Der freiwillige Ursprung der Welt
ist gezwungen, die Welt entspringen zu lassen. Die Freiheit vom Gesetz ist nur die Freiheit zum
Gesetz. Subjektive Welt-Identität ist nichts als die Herrin aller objektiven Unterscheidung.
Der große, geniale Mensch genügt nicht mehr. Wenn er den Menschen endgül'ig überwinden
und unter sich lassen will, ist er gezwungen, sich aus seinem Innersten zu rekreieren, die allmäch-
tige Schöpferkraft in der geflissentlich errungenen Ungeteiltheit seines Willens zu entdecken und
festzuhalten. Eigne Individualität, willentlich erstrebt, beherrscht die Welt unwillkürlich. Das
»Genie« ist nur ein Vorspuk der willkürlichen Individualität, des freien Willens, der eigenen
Göttlichkeit, welche sich mit zunehmender Leichtigkeit objektiviert, automatisch vergegenständ-
licht, wenn sie sich selber mit Willen subjektiviert.
Es wäre Torheit, zu wähnen, daß das »stillste Ereignis«, Allmacht als das objektive Nichts in
eigner Person, Willensungeteiltheit, Vollwille, Individualität, Herrin aller einzelnen, geteilten
Interessen, das Allerinnerste weniger bedeuten würde als Heere, Armaden, Techniken, das eitle
Geräusch der äußeren Zivilisation ohne innere Kultur. In Gegenteil, diese innerste Kultivierung
der Weltkommunion im individualen Willen würde die eigentliche Bedeutung jener Zivilisation
erst enthüllen. Das Geschöpf beschämt den Schöpfer solange, bis dieser sich selber nicht mehr ver-
leugnet. Das Selbsterlebnis im Sinne des ungeteilten Vollwillens ist die Vorbedingung zur objek-
tiven Allmacht. Wie die Erde nur der Trabunt der Sonne, so ist der Mensch nur der Trabant
seiner eignen innersten Individualität. Der Kopernikanismus des Menschensystems ist aber keine
Tatsache, sondern Person, Entschluß. Es herrscht immer noch ein falscher Herrscher, der mensch-
liche Einzelegoismus, statt des echten, des entmenscht individualen Egoismus, der die mensch-
lichen Trabanten wie von selber harmonisch um sich kreisen läßt: ehe nicht das innerste, will-
kürlich ungeteilte Interesse alle geteilten geflissentlich in seinen Dienst genommen hat, werden die
geteilten einander widerstreiten, statt automatisch zu konzertieren. Aller objektive Sozialismus
ist nur die Maschine des Individuums, der innersten Sonne, des Gottes im Busen. Ohne diesen
wäre der exakte objektive Sozialismus so sinnlos wie ein mechanisches Klavier, das von der
Willkür nicht etwa nur verfertigt und als Instrument in Dienst genommen, sondern von ihr ver-
lassen worden wäre. Und auch nur die innerste individuale Verfassung begabt sogar den Mecha-
nismus mit durchdringendstem Leben.
In meinem Buch über Nietzsche präzisiere ich Nietzsches Bedeutung als Indifferentismus polarer
Observanz. Hier ist endlich das dionysisch individual verfaßte Subjekt nicht mehr quietistisch ver-
innerlicht, sondern in einer amerikanischsten Verve weltlich nach außen gerichtet. Der Orient ist
es hier, der sich okzidentalisiert,- Afrika, welches den Norden der Kultur inspiriert,- alle effemini-
sierte Kultur verspürt wieder die Männlichkeit: und dionysische Individualität hält das gesamte
Außen zusammen... Da man diesen Schlüssel zum Erlebnis Nietzsche liegen ließ, schloß ich
damit unter dem anonymen Pseudonym Mynona ein Lachkabinett auf: mein Groteskenbuch
»Rosa die schöne Schutzmannsfrau« enthält besonders in den Grotesken »Aerosophie«, »Präsen-
tismus« und »Fasching der Logik« den Indifferentismus polarer Observanz humoristisch formuliert.
Ich wollte dem Menschen auf den Zahn fühlen, den er beim Grinsen zeigt. Der Mensch ist das
gegen sein eignes Innerstes verstopfte Ohr. Er verschläft den Tubaton des Weltgerichts. Die ge-
teilten Interessen treiben ihr Spiel, ohne auf das ungeteilte zu achten/ und dieses verhält sich dazu
quietistisch genug. Das mag ein paar Jahrtausende so hingehen: jetzt aber ist Nietzsche erschienen.
Es dauert nicht mehr lange, bis sich der Nebel lichtet, welcher ihn noch verhüllt und unförmlich
entstellt. Die Erde wird voll und rund von der Sonne ergriffen werden, der Mensch von unsterb-
licher Individualität. Das schauerliche Interregnum des sich selber mißverstehenden göttlichen
Selbstes hört auf. Das Leben selber, das innerste Individuum, beginnt endlich, sich irdisch-mensch-
lich zu äußern. Selbsteigene Göttlichkeit verweltlicht sich, anstatt zu himmeln/ und Mensch und
Erde überantworten ihre illusorische Selbstständigkeit der echten, der individualen.
Dr. 5. Triedfaender
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HIMMELSGONDELN.
Von Lampion/Trauben magisch überblüht
der unsichtbaren Barke Finsterbahnen.
Weiß rauschen auf zum sehnsuchtskühnen Lied
die Ruder, unsichtbar gesträubte Schwanen.
Die Gondolieri auch sind unsichtbar.
Doch ahn ich sie: stahlbiegsam vorgedrängt.
Dem feuchten Mädchenauge droht Gefahr,
das an dem Stoß der stämmigen Hüften hängt.
Von Stern e-Trauben magisch überblüht
der unsichtbaren Himmelsgondel Bahnen.
Und aus den Sternen klingt das Cherublied,
von Gottes Herrlichkeit ein schmachtend Ahnen.
Die Himmelsfergen auch sind unsichtbar,
gleich Tiefraumseufzern gleiten sie dahin,
die Schwingen beugend vor dem Monde klar,
dem Thron der hellgeahnten Königin.
Tranz He Cd (fj"
BERLIN.
<Vor dem Kriege gedichtet.)
Werde ich mit dir verwoben sein,
Reißende Stadt voll knatternder Eile,
Durch die mein Blut in Funken flattert?
Meine Füße haben die keimende Erde verloren.
Sie hasten schrill über federnde Rätsel,
Um meines Herzens Stottern zu verleugnen.
: Endlos bin ich müde und suche mich.
O, meine Glieder verlangen nach tauiger Stille,
Es brennen die Lider nach schlummerndem Schwarz.
Doch du hältst sie gewaltsam offen!
Mit Pfauenaugen schaue ich ins Antlitz dir :
Hilflos und herrschend, der verwunschne Kalif.
Wie fand Herzfefde
2t 5
COLOMBINE.
Auf dunkler Rüsche Trauerteller ruht ihr Puderhaupt.
Vanille-Lächeln. Blicke: braun, entlaubt,
Der Iris Salzseeglanz von Blüten unbestaubt.
Des Körpers Südgestade wollen nicht den Wolkenwahnsinn fassen:
Es ist ihr Viperwesen, Sonnenfinsternis zu hassen!
Betroffen müssen sie von Nebelseufzern sich umhüllen lassen.
So taub und träge hängen Colombinens Beine: im Laub ein letzter Regentropfen
Die Händlein heiß: gefangener Vöglein Herzen, die wie Wunden klopfen,-
Der Hüften mondene Hänge umwuchert von der Schwermut blassem Hopfen.
Die Brüste aber: zum Gebet gelegte Waisenkinderhände,
O, zweier Altarkerzen demutvolle Brände:
In ihrer gläubigen Wölbung tönt die lösende Legende.
Ihm sank das Schiff. Er gab sich nicht den Wellen.
Und spielt das Meer mit ihm: sein Arm spielt nicht!
Den Wasserurwald weiß er Schlangenhaft zu fällen,
Es bannt der Strand sein werbendes Gesicht.
Dem Meer entbunden, droht ihm Siegerschwäche:
Der Wogendrang bezwang, bricht nicht den Eigensinn der Kokosfrucht/
Er dehnt sich unter ihrer Mutterpalme Bucht,
Daß schlafgestärkt dem Hunger er die Nuß erbreche. ~
Verwoben Gischt und Baum
Zu milchigem Traum,
Ward schon der Glieder Last
Insektensummen fast,-
Versöhnte Wolken rasten heimatlich. <—
Da weiß er unerbittlich einen Spiegel neben sich,
Das Urgeäste droht nach ihm mit Fingern,
Er spürt das Takelwerk des Schlafes schlingern,
Springt auf! und schlüssig zum Gericht
Blickt er in sein vergessnes Angesicht —:
Verstoßen muß er sich den Rüdcen wenden:
Sein Schicksal rieselt aus zerschluchzten Händen.
»Ach, unaufhaltsam sinkt mein Leitgestirn,
Jäh lischt des Friedens ferner Rosennrn,
Vom Frost geschwärzt erschlafft mein Pulsgegrün,
Des Schiffes Rachenüstern mich zu Grunde ziehn!«
Tot hängt sein Halbmondlid im Dämmerschein,
Erstorbene Lava regungsloser Pein,-
Das Licht wird Stein,
21Ö
Zu Sand verkrampftes Leid
In melodienlosen Räumen der Vergänglichkeit. —
Da löst im Palmgefieder
Sich osterbraun ein Ei,
Duckt nackt ins Grasbett nieder.
Zu brünstigem Geschrei
Schrickt aus SafFrankulissen
Der trächtigen Krone Gong
Affen und Papagei.
Ihm glätten sich die Lungen,
Seerosen in kühler Früh,
Der Tang seines Blicks, der ihn schnürend umschlungen,
Fließt schmiegsam nieder vom biegsamen Knie,-
Aufhorchenden Augen Eidechsen entschlüpfen,
Errascheln hungrig die schlummernde Frucht,
Befaudien <Z wergdrachen) den Panzer verrucht,
Den zu zerkrachen, sie hilflos umhüpfen.
Doch Lächeln silbern plötzlich ihn durchzittert:
Mit Armeslanzen stößt er nach der Erde,
Zerschmettert, daß er Herr des Kernes werde,
Die Nuß am Spiegel. Sein Gesicht zersplittert.
Wildmilch entquillt den Schalen
Wie bronzebrüstigem Weib.
Im Morgenroterfahlen
Trägt er der Palmen Mähne
Und senkt die reinen Zähne
In klaffend weißen Leib. —
Stets nagt an Colombine der Hall in ihres Busens Schrägen.
Doch tauumsargt muß Tränen sie entsagen.
Den Cederwimpern nur entströmt unhörbar Klagen:
Ich bin nicht er: bin der zerscherbte Spiegel,
Mein Wandel ist das Wrack am Meeresgrund.
Ich bin nicht er: mein Tal verschloß kein Riegel,
Dein Arm war meine Sehnsucht, dein Wille war mein Mund,
Der Lippen opiumrote Rosenblätter
(Geschliffenen Zahnes giftige Tropenzier)
Schien dir das weiche Schiff granitgezäunter Gier
Nach blauumsäumten Honigsonnenland.
Sie aber bluteten auf klaren Meeres Sterngewand,
Da sie zerbrach die weiße Wut urnachtbeladner Wetter.
Du wühltest mir in müden, winderblühten Haaren,
Ob ihre schwarzen Segel nach seidnem Süden schwellten,-
Als meines Herzens Planken an deinem Kiel zerschellten,
Ließest du nackt ins Glasgrab meines Grams mich fahren.
: Zur Muschel ward die Schloßzisterne,
Ein Schieierfisch mein Atem schwebt,
Im Leichnam meiner Finger bebt
Das Strahlgetast der Tiefseesterne.
O, könnte ich die Augen schließen!
Sie wachsen aus kristallnen Wiesen,
Lauern auf harter Wellen Glanz,
Bis ihrer Ruhe sie entsprießen,
Würgender Brandung Haßmonstranz,
Daß, der mein Abendblut du fliehest,
Vor Trümmern deines Körpers knieest.
Doch deine Hand erfaßte Land,
Mein Silberbrand erblaßt im Sand,-
Nur deinen Schlaf vermag er zu erreichen:
Dann kann am Tag versagtes Fragen zagend dich beschleichen
Auf scharfem Horizont als Spiegelmond,
In dem das Gleißen meines Leibes wohnt,
Eisgrüner Stachel, der dich nicht verschont,
Geier des Schweigens, der auf deinen Träumen thront,
Dich scheucht aus ihrem Falterviolett
Und zwingt auf der Erkenntnis Marmorbett.
Starr schwebend über den Verwesungsspuren,
Die mein entseeltes Licht äzt in smaragdne Fluren,
Wo Palmfontängewölbe dich überdachten,
Mußt du in meinesjammers Krallen schmachten,
Atmen die gelben Gase der Vergangenheit,
Solang der Ruhe Falten dich umnachten.
Von meinem Leid dich erst befreit
Der Erde morgenrote Weiblichkeit:
Bananensüßes Licht erblüht in Garben,
Der Vögel hold Geschrei ersprüht aus tönenden Farben,
Lianenarme deinen Leib umfangen,-
Es schuf den Urwald sich des Mannes Lustverlangen. ~
Ich treibe wieder ausgestoßen
In meiner schlaffen Arme Nachen,
Den Wahnsinnswellen kichernd kosen.
Der Wangen nachterwachtes Lachen
Wilkt tags gleich zertretenen Herbstzeitlosen.
Der mir ach nur die Wolken winken,
Womit soll ich mein Blut verweben?
Fremd sind die Sterne, tot ist das Leben,-
Kann nicht zum Beten die Hände erheben,-
Denn ließe den Blick in den Himmel sie sinken,
Colombine müßte in Tränen ertrinken.
Wtefand Hetzfelde
(Fortsetzung)
DER MALIK
<dem blauen Reiter Franz Marc)
Als der kleine Kaiserliche Bulus, Jussuf Abigail wieder mit Bitten bedrängte, Ihn an
Seine hohe Gastfreundschaft erinnerte, die Ihn zwinge, die Farbe der fremden Soldat
ten bei ihrem Empfang anzulegen, befahl der erregte Malik Seinem Knecht, der auf
den Augenblick gelauert hatte, da ihm das Grau des Abendlandes mißfiel, den
jungen Mir gewaltsam zu entfernen. An diesem Morgen fiel die erste, ernsthafte
Meinungsverschiedenheit zwischen den hohen Brüdern, die sich gegenseitig stür*
misch zu verehren pflegten. Aber Bulus trug nunmehr eine kleine Verachtung in
seinem klaren, braunen Knabenauge offen zur Schau, die den Kaiser reizte. In
einem goldenen Mantel saß Der auf dem Thron zu Theben wie in Seiner letzten
Haut, die Mondsichel und den Stern in Rotfarben auf der Wange gemalt. Die
bunte Stadt Theben hatte sich im Hause Jussuf Abigails um Ihn versammelt,- den
Kaiser beschäftigten gegenwärtig nur Seine Häuptlinge. Stambul Rüben Sein milder
Bruderhäuptling fehlte und Er gedachte seiner so stark, daß Ihm das Szepter ent-
schwand oben auf dem Prunkhügel des Riesengemachs. In derselben Stunde an
der sich plötzlich Jussufs Wesen weich verlor, traf der Fürst Marc von Cana in der
Heimat ein.Der zweite GroßhäuptlingMorderchei'Theodorio bemerkte die seelische
Abwesenheit seines Kaiserlichen Freundes und gab dem säumenden Malik ein
freundschaftliches Zeichen, indem er die zum Throne geneigte Stirne, Sein Mörder*
schei'herz und die Lippen grüßend betastete. Da traten die Ritter in den Maliksaal.
Zwi ben Zwi, der Sohn des Tamm und der Miene, der seinen abendländischen
Gästen vorausgeeilt war, erwartete unerkannt zwischen den feierlichen Menschen
Tibas auf dem Riesenfuß einer überlebensgroßen Figur sitzend mit dem Schiefer
und dem Griffel, die arischen Soldaten. »Beim Anblick des großen Bumrangwerfers«,
schrieb der Geschichtsschreiber, »schneiten die blühendenWangen der Ritter«.
Dem erschütternden Denkmal aus Stern und Blutstein näherte sich in der Rolle
des Rolands von Berlin und als Anführer der Botschaft: Wieland Herzfelde. Sein
Bruder Wetterscheid versuchte betroffen den voreiligen Entschluß seines kecken
Bruders zu vereiteln, indem er den Zipfel seines Mantels ergriff und abriß. Diesen
Vorgang gewahrte Abigail und lächelte. Und Sein Lächeln glich immer einem holden
Beet im finsteren Garten. Nicht wie bei öffentlichen Empfängen sonst üblich,
erwartete der Malik das Zeichen des Schellenstocksrührend klang Sein Anliegen
auf lallender arischer Sprache, die Lage des ernsten Augenblicks verachtend:
Kann Mir einer von Euch sagen, Ihr hießen Ritter, wo Gisefheer Mein Ni Be*
fange weift? In der Mitte des Vorraums tanzte ein Tänzer wie eine Schlange
beweglich nach der eintönigen Musik der Holzinstrumente. »Aber ich,« schrieb
Zwi, »hörte verhärtete Stirnrunzeln einiger Thebetaner knarren.« Und Jussuf
Abigails spielerische Menschen erröteten im Angedenken der Schande, die ihnen
ihr damaliger Prinz Jussuf bereitet hatte, da Sein selig Herz den feindlichen Arier*
fürsten umgaukelte während des Krieges Ernst. Aber den grauuniformierten
Fremdlingen entging die gefährliche Lage, die des Kaisers Ansehn bedrohte, die
warendurchSeineMenschlichkeit aus ihremBann erlöst und beantworteten aus einem
219
Munde die leidenschaftliche Frage Jussüfs nach Seinem Herzgefährten, der immer
als Nibelungein Seinem Gedächtnis maiblühte. Schill, der pfliditgetreue Kürassier,
der seiner Schüchternheit wegen von seinen Kameraden verspottet wurde, trat be*
herzten Schritts aus der Mitte der Soldaten dicht vor den Thron, wiederholte noch
einmal, daß Giselheer der Nibelungenfürst in Flandern stehe und — setzte er
bedeutungsvoll hinzu, sich verzweifelt gegen die Indierstämme behaupte. Aber
Calmus Jezowa, der weise Wildjude um Abigail Jussuf, konnte sich ein Lächeln
nicht ersparen,- Asser und Gadund Memed*Laurencis fürchteten um ihren
Liebeskaiser und schonend um Jussufs Schulter legte Salomein seinen Arm. Nur
Morderche'i der Riese vertraute der Klugheit und dem Hochgefühl seines stolzen
Spielgefährten. Auf dem Fuß des Saales entfiel der Hand des Malikschreibers
der Griffel. Abigail, der den Knaben längst bemerkt und wiedererkannt hatte
von seiner Wallfahrt her zum heiligen Freunde, rief dem jungen Manne aus
Irsahab zu: »Hebe deinen Griffel auf, Sohn des gottesfürchtigen Tamm und der
guten Miene und schreibe nieder, daß der Kaiser Abigail Jussuf Seines Levkojen-*
herzens Liebe, Seines Liebesherzens Levkoje opfere, denn er habe beschlossen, Seine
teuren Brüder nicht zu führen in den abendländischen Krieg.« Viele der Thebetaner
weinten, fielen vor ihrem Jussuf nieder, streichelten Sein Gewand und die, welche
sich näherten Seine Hände und Seine Füße zu liebkosen, hob Er zu Sich empor
und küßte den Schlichtesten auf den Mund, so daß der zu Seinem Ansehn wurde.
Nur des Kürassiers Schills Unzufriedenheit bemerkte der Malik mit vornehmer
Zurückhaltung und billigte dessen Kaisertreue, die den Soldaten zu einer List ver*
führte gegen — Ihn — Abigail. Und Er betonte, daß Er an die Zwangslage
seines Kaiserlichen, arischen Herrn mit ganzem Herzen glaube, wie Ihm
Zebaoth gebiete, dem blutenden Länderhandel fern zu verharren. Abigails weiche
Stimme wuchs dunkel in den Urwald, »aber mir«, berichtete der Schreiber, »ent*
ging kein Wort des Throns.«
Einige von den Rittern baten den Kaiser Sich über den Weltkrieg zu äußern.
Aber der hellseherische Malik ahnte,- wen der Tod von den stürmisch Fragen*
den bald brechen würde, und er vermochte Sich nicht gleich zu sammeln,- betrachtete
schmerzlich den goldlockigen Tristan, richtete zarte Worte an Caspar Hauser,
erkundigte Sich bei Roller ernsthaft nach dem von Ihm so hochgeschätzten Carl
von Moor, den er wahrhaft in Sein Herz geschlossen habe. Und ob Schiller mit
Goethe noch befreundet sei. Der Roller konnte ein Auflachen nicht verkneifen,
ebenso erging es von Hutten, der mit dem Geschichtsschreiber, welcher diesen
Maskenstreich auf dem Gewissen hatte, verständnisvolle Blicke wechselte. Aber
auch sehr viel herzliches Interesse zeigte Jussuf Abigail für Friedemann Bach und
den grünen Heinrich. Grimms Bäuerlein beguckten Sich der betrogene Malik
und Sein Brüderchen wie zwei kleine, neugierige Buben.
„Ihr haßt das von Gott Euch anvertrautß AßendCandnicht CießßvofCgßnug
gßpßßgt, tviß tvärß sonst aus Sßinßr Eicßß ßinß Eormßfgßwordßn. ”
„DasErdßifdßaßßsich vßrscßoßßn undvßrdunhßfß diß Gßßirnß dßrLändßr. *
Der Malik erzählte von dem fürchterlichen Gesicht, das Er einige Tage vor dem
Kriege gehabt habe. Ihm habe geträumt, Er wäre der Kaiser Wilhelm gewesen
und drei Riesenschlangen seien seinem Lager entstiegen, die Gescheckte neigte
220
sich Ihn zu beißen, als Er jäh erwachte und ge-
rettet war. Seinem Halbbruder, dem klugen
Fürsten Marc Rüben von Cana habe er da-
mals Seinen Traum berichtet, worauf der große
Häuptling den Krieg prophezeite. Als Bulus,
des Maliks Bruder, den Namen Rüben Stam**
bul vernahm, klatschte er in die Hände, so
liebte der Knabe ihn. Jussuf ließ gerührt den
kleinen Bulus von Oßman vor den Thron
holen, stellte ihn, der von Beginn der Cere-
monie an, die Züge der Soldatengesichter be-
friedigt beobachtet hatte, den Rittern mit den
Worten vor: »Seht diesen süßen Schelm, Sittis,
er ist mein kleiner BruderBulus der Mi'rmemed,
mit diesem hättet Ihr sicher keineEnttäuschung
. erlebt. Seine steingeschmückte Waffe zeigte er
jedem der Krieger und dem Roland von Berlin,
der sich mit dem jungen Fürsten sofort ver*
ständigte, zog er das Schwert aus der Seite
und prüfte seine Schärfe und Wetterscheid
bettelte er um Patronen an für seine Samm**
lung, aber der friedliebende Bruder Rolands legte Böses abwehrend seine Hand
über des kleinen Emirs Haupt.
Aber auch der Lederstrumpf, der abseits, für sich alleine während der Festlichkeit,
menschenfeindlich in bitteren Gedanken an einer Säule des Malikssaals knurrend
ütf\
gestanden hatte, erhellte sich plötzlich im leuchtenden Anblicks des Kaiserlichen
Knaben. Manchmal schimmerte Seine Haut wie Goldperlmutter. Und Lederstrumpf
äußerte sich später zu Morderchei Theodorio,nie habe er im Leben einen schöneren
Menschen gesehn wie den kleinen Mir. Theodos und Bül aber mieden sich, wenn
auch in höflichen Katzensprüngen, und Abigail, der diese Feindschaft nicht ernst
nehmen wollte, belustigte Sich über die unbegründete Abneigung der Beiden, aus
der sich unerwartet der Schmetterling, die versöhnende, glückliche Begegnung ent**
puppen würde. Im Begriff die letzte Stufe des Thrones herabzusteigen, stolperte
der Malik und noch ehe Oßman, Sein Knecht, Ihm Hilfe leisten konnte, fing Ihn
einer der fremden Ritter in seinen Armen auf, »der Tristan«, und entbrannte vor
Liebe zu Jussuf. Am selben Abend nach dem bewillkommenden Mahle, an dem
des Basileus Herz berauschender süßte, als der Most, den Er pressen ließ für
seine abendländischen Gäste aus den schweren Trauben der Berge, glitt der GraL
prinz wie ein Lichtstrahl an der blauumgürteten Leibwache des Maliks vorbei,
überwältigte Oßman und drang in Jussufs Gemach. Der war gerade damit be^
schäftigt dem Herzog von Leipzig die Eindrücke zu schildern, die Seine unifor-
mierten Gäste auf Ihn hinterlassen hatten. Und in seiner Vertiefung und Sehnsucht
nach Seinem unersetzlichen Ratgeber, dem Vicemalik, gewahrte er den Liebesritter
erst, als der Ihn, den Jussuf, schon mit seinen starken Soldatenhänden gepackt hatte.
Und der Malik, der von jedem noch rein erhaltenen, ursprünglichen Gefühl über**
221
wältigt wurde, sudite nicht allein den unerhörten Vorgang zu vertuschen, »er habe
sogar versucht aus Bewunderung vor diesem ehrlichen Augenblick die Liebe des
heiligen Ritters zu schüren«. Der brach dem Jussuf vor Liebe eine Rippe in der
Brust, wie einen der Äste des Elfenbeinbaums. Noch in der Nacht aber rief man
von den Dächern die Stadt wach, den Unfall der den Malik betroffen habe beim
Handwettkampf mit Memed Laurencis, mit dem Sich der Kaiser so gerne der
Stärke übte. Doch Laurencis saß mit den anderen Häuptlingen friedlich um ihren
Angstabigail, wie sie Ihn zärtlich zu nennen pflegten und sie verhätschelten Ihn.
Ein paar alte Weibchen hatten sich in Theben eingeschmuggelt, schwätzten den
Leuten die Ohren schmutzig, boten den edlen Töchtern Thebens Liebesharz feil
und drängten sich an die abendländischen Ritter. Doch das dreiköpfige, glatte Ge*
zücht wurde ergriffen und gehängt an einen ranzigen Ölbaum auf. Aber Zwi ben
Zwi der Sohn des Tamm und der Miene schrieb vom Malik von Theben, »immer
wieder von neuem sammelte Jussuf die Liebe aus dem Kelch der Herzen,- um
die der abendländischen Ritter gauckelte das Silberseine«. Noch tiefer wie es Sich
Abigail der Kaiser gestehen wollte, schmeichelte Ihm der Antrag der hohen Fraue
von Hohenhof, der Reichsgräfin Gertrude zu Osthaus von Westfalen. Ihre Tochter
Seinem geliebten Bruder zum Weibe zu geben, war Abigails Herzenswunsch.
Immer wieder ließen Sich der Malik und der jugendliche Mir das Bild der lieb*
liehen Prinzessin Helga von dem Liebesboten repräsentieren und hatten lange
schon die holden Grübchen, goldene Bäcklein ihrer Wange entdeckt. Noch zwei
Frauen des Abendlandes sandten dem Malik ihre Liebe und Verehrung/ Frau
Paula Engeline, die sanfte, dichtende Lebensgefährtin des von Jussuf so bewun*
derten Dichterfürsten Richard Dehmels, dessen Dichtungen Er einst mit dem Ka*
lifenstern ausgezeichnet hatte. Paula Engeline beschützte das Flackerlicht von
Horeb — so nannte sie den fernen, ungestümen Malikprinzen •— mit ihrem Flügel.
Ähnlich wie diese hohe Frau empfand Hellene die Herrmannin den goldver*
brämten Kaiser, jeder Gedanke an Ihn trug Seine Lieblingsblume im Haar.
Die Ritter, welche sich wieder um Abigail versammelt hatten, baten Ihn, sie nicht
unverrichteter Dinge ziehen zu lassen. Und sie erzürnten den Kaiser mit dieser
aufs neu aufgeworfenen Frage. Ob sie den Entschluß eines ägyptischen Kaisers
von einer willkürlichen Laune abhängig glaubten oder man Ihn nicht ernst nehme?
Und Abigail, dessen Vorhaben es gewesen war, Sich würdevoll und gleichmäßig
den arischen Kriegern gegenüber zu verhalten, bäumte Sich wie eine Welle, wurde
wildes Wasser, rasender Ozean, und seine erschrockenen Gäste mußten sich ge*
stehen, nie einen wilderen Gemütssturz je erlebt zu haben und sie nannten Ihn
heimlich unter sich den Tagär, wie die thebetanischen Uferleute das reißende
Wassertier nennen, den Wasserjaguar. Thron, Ceremonie und Krone schwammen
auf der Hochflut Seines Blutes. Morderchei' war stolz über solche unbedachten
Augenblicke, sehr stolz aufSeinen Kaiser,- ein Dichter war Theodorio, seine poli*
tischen Erkenntnisse gingen wie seine Verse mondrot in seinem Herzen auf, und
beleuchteten horizontisch die Vorgänge. Calmus aber meinte sein geliebter Prinz
und Kaiser habe Sich wieder undiplomatisch hinreißen lassen, aber das gezieme
Jussuf. Calmus Jezowa vertrat im thebetanischen Zebaothtempel das Amt eines
der hohen Priester,- Jussuf hing an seiner wohltuenden Milde wie im Mittag. Gad
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1
Jonata mit dem der Kaiser gern Zeit versdierzte, vertrat die Ansicht, daß ein
Basileus Sich in jeder Lage des Lebens beherrschen müsse, aber Memed Laurencis
trug triumphierend den verblüfften, bekrittelten Kaiserlichen Spielgefährten in
seinen Armen von dannen über die Pfade der Rosengärten,- ihnen folgte Asser im
neuen Prunkmantel, er hatte sich in die Schwestern eines der Ritter verliebt, die
ihren Bruder nach Theben begleitet hatten, den Jussuf ihrer Träume zu schauen.
llrägypter, Goldmorgenländer war des Maliks treuster Häuptling Salomein.
Er galt für hochmütig und verschlossen. Ober Theben blickte er auf zum Himmel
der Stadt durch seine Farben seinen Jussuf, dessen Bild er trug in dem Stern sei*
ner Stirnmitten. Als ihn einmal Thebetaner nach den arischen Soldaten fragten,
sagte er ihnen zur Antwort, er habe nie einen arischen Soldaten gesehn. —
223
Der Malik hielt sich nach der kleinen Mißstimmung zwischen Ihm und den abend*
ländischen Gästen eine Weile vor ihnen verborgen,- aber Er beauftragte Oßman
den Rittern Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Und der Somali führte die
Krieger in den großen Malikturm. Die kleine Karawane kletterte unzählige Stufen
der Treppen in die Himmelshöhe, als Letzter, Ismael, der greise Oheim Oßmans
mit dem kleinen Mir auf den Schultern,- diesem folgte die vornehme Leibwache
des Maliks. Über Weizenfelder und Zitronenwälder flogen die Augen der An*
gelangten. Des Somalis spitzgeschliffene Zähne lachten. Sitti Ismael, wie der Kaiser
den Oheim des Lieblingsnegers seines hohen Alters wegen ehrerbietig von jeder*
mann genannt wünschte, hatte vom Maltzaner Herzog etwas abendländisch ge*
lernt, erzählte den Soldaten die Vorgeschichte aus jedem Hause der unvergleich*
lieh blauen Stadt. Nicht wenig waren die Arier überrascht, als sie plötzlich auf dem
weiten Spielplatz Jussuf Abigail erblickten im Kriegerschmuck,- alle färben Per*
len sangen um Seinen Leib, Ihn umgaben Thebetaner ebenfalls in Kampftracht.
Der Malik schien keinen der Zuschauer oben auf dem Turm Seiner Stadt zu be*
merken, und Oßman riet schalkhaft den Soldaten sich ja unauffällig zu verhalten.
Der hohe Bumrangkrieger schleuderte Seine hölzerne Mondsichel leicht, fast vir*
tuosenhaft durch die Luft und fing sie wieder auf im großen Kreis, jedesmal mit
hellem Kriegsgeschrei, das von Seinen Getreuen begleitet wurde. Beim Mond*
aufgang begegneten dem wilden Kaiser Seine abendländischen Gäste im lebhaften
Gespräch, erröteten noch vor Entzücken in der Erinnerung des erlebten Schau*
spiels. Der Roller meinte derb zu Hutten gewandt: »Bei Dem wär kein Indier
übrig geblieben.« Abigail vernahm diese Schmeichelei und es hob Seine Eitelkeit.
Schloß sich den uniformierten Gästen bei ihrem Spaziergang an, schüchtern lächelnd,
die stritten sich um den Gang an seiner Seite. Die beiden Brüder Roland und
Wetterscheid und deren Freund Maria von Aachen, Karls Sohn, hatten schon
ganz vergessen, warum sie in Jussufs Stadt gesandt wurden, so überaus glücklich
befanden sie sich hinter den sieben singenden Säulen, darum sie Schill rügte aus
diensteifriger Gewohnheit. Der Roland von Berlin und Heinrich Maria stiegen
beherzt über den Zaun in den Garten, hinter dem das Prunkgemach des Maliks
lag. Der säumte in Gedanken der Morgenfrühe nach, hing wie eine schwermütige
Dolde am Traum der heißen Welt. Roland, der aus seidigen Papieren Monde
und Sternlein zu schneiden Vorstand, reichte zärtlich dem erwachten Kaiser diese
kindlichen Gaben mit lieben Versehen beschrieben undMaria, Karls Sohn, schenkte
dem Jussuf einige Heiligenbildchen, die er gemalt hatte im geschnitzten Rahmen,-
und der Kaiser ließ Sich von ihm diese Ihm fremdeMalerei erklären, bewunderte
seinen Mahagonikopf,- fast blau wirkte auf Ihn die glänzende Dunkelheit seiner
Haare, ebenso blau wie Rolands glückliche Augen waren. Und er sprach diesen
neuen Freunden von Seines Herzens Alleinsein, von Seiner unerlaubten Liebe
zu Gisel dem Arierfürsten. Und Roland mit seinem guten Kindergemüt vergaß
jede Schranke, patschte mit seinen Händen liebkosend über Jussufs Wange und
so trösteten die beiden fremden Soldaten Ihn, den mächtigen, hilflosen Malik. Von
ferne sahen sie die Häuptlinge scherzen mit den Abendländern, Morderche'f und
Lederstrumpf schlenderten herzlich befreundet an die Menschen Thebens vorbei,
hielten sie an und Lederstrumpf erzählte ihnen von W ild W est und seinen Rothäuten,-
224
seine Abenteuer schlichen um aller jungen Thebetaner Köpfe. Ihm dem Kaiser
war Lederstrumpf im Begriff die kleinen bunten Häuser Thebens in miniatur als
Spielzeug aufzubauen und zu bemalen. Aber dennoch mißstimmte Abigail der
Erfolg, den Lederstrumpf sich in Seiner Stadt erwarb,- auch seine Verbrüderung
mit einem Seiner Häuptlinge ärgerte den eifersüchtigen Kaiser und Seine Eitel*
keit litt unter der Vernachlässigung Morderchei's. Abigail beanspruchte Seine
Freunde für Sich. Wenn Er nicht selbst eine Vorliebe für den bitterphantastischen
Wildwestabenteurer empfunden, hätte er Thehen gesch fassen, wie Er mal kurz
und kindlich zu Theodorio vorwurfsvoll Sich äußerte. Einmal begegnete Oßman
dem Kaiser in der Nacht, als er in Begriff war ins Gebäude der fremden Krieger
zu dringen. Der Somali fühlte instinktiv was Jussuf Abigail veranlaßte. Er hatte
Sich in diese neuen Menschen verliebt, und sein Vorhaben war, sie zu verführen
in Theben zu bleiben. Ich warne Dich Jussuf Abigail, so sagt der Neger!
Das seltene Abenteuer das Roland von Berlin und sein Freund Maria mit dem
Malik erlebt hatten, zu verschweigen, riet ihnen der zartfühlende Wetterscheid.
Aber schon am selben Tage wußten es alle die Kameraden und drängten sich an
Oßman heran, ihnen Gelegenheit zu geben, seinen Malik irgend bei einer unver-
hofften Gelegenheit zu begegnen. Das erfuhr der empfindsame Kaiser und ließ
den Roland ins unterirdische Gewölbe zu den Mumien sperren, daß er von diesen
das Schweigen lerne. Aber Heinrich Maria sein Freund durfte ihm stumme Ge-
sellschaft leisten. Einigemale zur Tageszeit aber ließ der Kaiser den beiden ge*
fangenen Scheintoten ihre Lieblingsspeisen in den Tartaros reichen, wünschte
Ihnen guten Appetit.
Von dem plötzlichen Tode Pitters des Herrn von Efßerfefdauf dem Schlacht*
feld im Frankenlande durchfuhr den Malik ebenso jäh, wie den abendländischen
Soldaten. Der Malik und dieser große Dichter hatten Briefe und Wünsche ge*
wechselt von ihrer ersten Knabenzeit an und waren gute Kameraden geblieben.
Abigail eilte selbst ins Gewölbe der Mumien und teilte die Trauerbotschaft Seinen
lieben Gefangenen mit, und holte sie wieder ans Licht und sprach zu ihnen: am
liebsten würde Er Pitters Leib im Morgenlande einbalsamieren und erhalten lassen
wie die Mumien in Sarkophagen an beiden Seiten der Kaiserstätte.
(Fortsetzung folgt) /*£c Lcisfcr^Scfiifc/*
225
O ICH MÖCHT AUS DER WELT!
Dann weinst du um midi.
Blutbudien schüren
Meine Träume kriegerisdi.
Durdi finster Gestrüpp
Muß ich
Und Gräben und Wasser
Immer schlägt wilde Welle
An mein Herz,
Innerer Feind.
O ich mödit aus der Welt!
Aber auch fern von ihr
Irr ich ein Flackerlidit
Um Gottes Grab.
Efse Las6er*S&üCer
-
JAMES ENSOR / MASQUES DEVANT LA MORT - 1888
DER MÖNCH.
In deinem Blick sdiweben
Alle Himmel zusammen.
Immer hast du die Madonna angesehn,
Darum sind deine Augen überirdisch.
Und mein Herz wird ein Weihbecken,
Besterne dich mit meinem Blut,-
Ich will der Tau deiner Frühe sein,
Deiner Abendsehnsucht pochendes Amen.
Du bist heilig zwischen bösem Tanz
Und schrillen Flöten.
Gottes Nachtigall bist du
In seinem Hirtentraum.
Deine Sünden wurden Musik,
Die bewegt süß meine Züge,-
Deine Tränen tranken schlafende Blumen,
Die wieder Paradies werden sollen.
Ich liebe dich zauberisch wie im Spiegel des Bachs
Oder fern im wolkengerahmten Blau.
Efse Lasker*Scßüier
229
DEM MÖNCH.
Icfi taste überall nach deinem Schein.
Suchst du midi auch?
In meiner Stirne leuchtet
Der erblaßte Stern wieder,
Und sehe dich nur in der Welt,
Dein Lächeln immerfort.
Unsere himmelweißen Herzen
Erglühen im Schlaf.
O wir möchten uns küssen,
Aber es wäre wie Mord.
Ich stehe ganz bunt am Granatbaum
In einem Bilderbuch.
Manchmal schaust du auf mich ~
Dann singen die Junivögel.
Efse Lasker*S(6üfer
RAS PUTIN
Es ist höchste Zeit, gegen Dostojewsky aufzutreten. Gegen den Dostojewsky,
der den Deutschen im Hirn spukt. Die Aufzeigung psychischer Verankerungen
und deren Gegeneinanderspiel in der einzelnen Physis hinkt der Intuition des
Lesers nach, sofern es darauf ankäme, einen solchen zu beunruhigen. Der Deut-
sche wird das Verbindende dieser Menschen nicht als naive gegebene Selbstver-
ständlichkeit erleben, den Rogoschin oder Mitja oder die windige Sentimentalität
Stawrogins, statt sich an Pjotr Stepanowitsch zu giften, stirnrunzelnd—autoritäts^
gläubig. Dostojewsky war kein europäischer Dichter, sonst hätte er sich nicht für
Deutschland mit Fürst Myschkin kompromittiert. Dem glaubt nur Europa, wäh-
rend der Russe ungestört Tee trinkt. Obwohl es sehr wenige Russen gibt — auch
in der Lüneburger Heide. <Ein Landstrich, fast eine Steppe.)
Dafür ist unlängst Rasputin ermordet worden. Nächst dem Zaren, dem Mos-
kauer Kaufmann, dem Landstreicher, dem Polizeimeister, einigen Bauern und
Protopopow ein Russe. Er wäre ein Terrorist geworden, wenn die Rechtgläubigen,
die ihm dienen durften, nicht weich wie Butter gewesen wären.
Auch sonst: In Rußland stottert die Revolution, Rasputin schrie.
Sein Verhängnis war, daß er immer sich selbst fressen mußte. Die Politiker haben
ihn umgebracht, die Arbeiter, die Bürger und die Fürsten. Über Europa zu herr-
schen, war zuviel Menschenadel in ihm. Er besaß zentrale Ironie genug, dies den
gefürsteten Frauen zu überlassen, in deren Similiorgien er flügellahm verzweifelte.
Erbitternd, daß so die Kraft schwand, die Schwarzen Hundert nach Westen zu
forcieren.
Die Europäisierung fraß sich tief genug ein, er vermittelte und glaubte selbst den
Leuten. Selbst wenn es nur diese Leute auch glaubten, triumphierte die Gerecht
tigkeit. Und gerade dafür bewegten sich seine Knochen, derartiges fragwürdiger
zu machen. Somit nähert er sich den Berliner Dostojewsky-Assoziationen, ohne
daß es was aufwiegt, wenn er einen Abgang gefunden hat. Wird etwas besser,
wenn seine Hunde gegen ihn kläffen —
Man sagt, er hätte sich für einen Frieden mit Deutschland eingesetzt. Das hätte
er nicht tun dürfen. Minister stürzen ist schon was anderes. Aber — so gefügige
Leute, gerade ihm, dem man glaubt. Warum nicht eine Straße mit vier Genossen
feststampfen, im Kreise herum, im Takt, an der Wolga Bauholz laden.
Rasputin war ein ganz großer Mann. Auf seinen Photographien trägt er einen
schwarzen Bart, seine Hände sehen aus, als wollte er segnen, daß er vor Wut das
Würgen verlernt hat, so eigensinnig! Er mag oft geweint haben. Ich möchte nicht
231
an seiner Stelle sein. Denn ich kannte ihn. Er war ein Stier, der stündlich ge-
schlachtet wurde. Die Presse schreibt, er hat bis zum Schluß Champagner ge-
trunken. Er hat immer sein eigenes Blut geschmeckt — so verzweifelt war er, so
gehetzt — er sah niemanden hinter sich, immer getrieben, gestoßen, gepreßt, ge-
würgt. Was wollten denn diese Liberalen, diese Metropoliten, diese Fürsten von
ihm. Er hat sich nach Sibirien gesehnt, er hat wollen die Menschen umbringen, so
bereit war er, sich ihren Wünschen zu opfern, ich weiß das. Und darum rufen ihn
alle einen Heiligen, aber keiner hat den Mut gehabt, mit ihm zu sprechen. Ihn
kameradschaftlich niederzuschlagen. Theater, Theater.
Was schert uns schließlich Rasputin?
Ich liebe ihn. Schert sich wer um mich? Darum gerade bin ich wir. Es ist so be-
schwerlich, zu hassen, verschwenderisch, weiß man denn, was noch kommt!
Es wird nicht mehr viel kommen.
Es gibt ja doch keinen, der den Dreck auf sich nimmt, die Welt zu peitschen. Mit
einem Gott sich herumzuzerren, der die Menschen liebt. Das ist doch fürwahr
kein sauberes Geschäft.
Die Hölle wird immer fader. Einer nach dem anderen krepiert. Psychologie ana®
lysiert sich zu motorischer Kraft. Neandertal — du bist mein Freud.
Wir sind alle verloren, wenn nicht!
(Obwohl dieses Zeichen weh tut.)
Es wäre fein, damit zu schließen, daß dem Rasputin keiner geholfen hat. Sicher
hätte er den und sich umgebracht, vergewaltigt.
Denn wir, die Feinnervigen, die Europäisierten, Verstrickten von schärfer und
stechenderen Leuchten der Umwelt haben wenigstens noch etwas gegen ihn ein®
getauscht, ein kläglich flackerndes Wissen von unserem Zusammenbruch — bevor
die Flamme aus dem Wesen der Frau, von uns geschürt, uns frißt.
Joßannes Reineft
232
ANTONIUS UND KLEOPATRA.
Sie Beide erblicken von Türmen der Rast
Ägypten, das einschläft, erschlafft unter Hitze.
Der langsame Fluß wälzt den Schlamm durch die Schlitze
Des Deltas hinab gegen Sais und Bubast.
Der Römer, Gefangner im Panzer, erblaßt.
Sein kindliches Träumen verkündet sich Blitze.
Das Herz triumphiert. Er versinkt im Besitze
Des Leibes, der schmiegsam sein Wesen umfaßt.
Sie richtet das Haupt, sehr bleich im braunen Gelock
Zu ihm, der mit Düften berauscht und berankt,
Und gibt sich, Pupille und Mund, Liebe und Sucht.
Doch er, Imperator, zum Weibe geschwankt,
Erwittert ihr Blicken, gestirnt mit Geflock:
Galeeren durch riesiges Meer auf der Flucht.
Jose’”Maria de Here'dia
Deutsch von Theodor Däuhier
233
VENEZIANISCHE NACHT.
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Sie nähert sich soeben ruhevoll Venedig,
Und dort bereitet man sich laut zu einem Feste,
Um hohe Gäste hold und huldvoll zu empfangen.
Am Himmel seh ich winz'ge Purpurwölkchen prangen/
Es hat der Wind sie wie Lampions gekräuselt und gezapft,
Und eben zucken auch die ersten Sternlein auf:
Da ist's, als wollten sie den Wolken sacht sich nähern,
Um rings das Licht der bunten Lämpchen zu entzünden.
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Nun tritt sie stolz, mit silberheller Mondessichel,
Im Abendlande durch Venedigs Pforten ein.
Wie würdevoll sie unterm Stemenbaldachine,
Der höher als der edle Schmudc der Mondessichel schwebt,
Nun übers Meer, mit wollustfreud'ger, güt'ger Miene,
Sich immer weiter hebt und unser Ruheglüdk belebt!
Es übersprühen ihre Schleierhüllen Prachtsmaragde,
Und ihren untern Saum und die Sandalen Blutrubine:
Vier schöne Königssöhne tragen hoch den Baldachin/
Zwei Bleichgesichter ziehen still in weißem Seidenkleid voran.
Ihr Wamms ist goldbetreßt. Sie tragen einen lila Mantel
Und müssen stets, wenn sie das Abendland beschreiten,
Aus Anstand, einen Schurz um ihre Lenden breiten.
Doch hinter ihrer Königin erscheinen holde Mohren,
Die tragen ihr der Herrschaft herrliche Insignien nach:
Das Zepter gar ist wunderbar, besetzt mit vier Planeten!
Von vorne sind sie völlig nackt, doch überwellt in holder Pracht
Das erste Morgenroth, als Mantel, ihre schwarzen Rüdcen!
So tragen sie den Baldachin, den schönen, sternbesäten,
Und können drum, voll Königssinn, den Westen stolz betreten.
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Die Mondessichel glänzt und glimmt
Als Silberschmuck auf ihrer kühlen Stirn,
Und ihre volle nackte Brust befächelt sacht
Der blasse Sklave Zephir mit dem Wolkenfächer:
Er ist aus Flaum und leichtem Nebelschaum,
Es färben ihn die letzten Abendgluten,
Es kräuselt ihn sein Eigenwind,
Da ihn der Sklave, schwebend, fächelt.
Belustigt das die Königin,
Denn seht, wie jugendlich sie lächelt?
So bunten, grellen Federnputz
Erreicht in schriller Farbenreih
Allein der Schmuck vom Papagei,
Wie eben ihn mit großer Pracht
Der Abend auf dem Flaum entfacht,
Wo selbst das Röteste und Allerblauste
Der Wind geschmackvoll zueinanderkrauste!
Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!
Mit nacktem Busen, bloßem Bauch
Betritt sie sanft die holde Stadt Venedig.
Sie trotzt dem fremden Christenbrauch/
Der starkbehaarte Teil der Scham
Ist jeder Überhülle ledig.
Sie bleibt bei uns, so wie sie kam.
Und um sie her nimmt alles seinen ungezwungnen Lauf,
Doch fällt im großen Dunkel so ein Schamteil wenig auf.
Der Mohrin Nacktheit merkst Du kaum/
Man schmückt und ändert bloß den Schleiersaum,
Den dieses Weib so üppig durch Venedig schleift,
Daß sein Besatz noch weithin die Lagune streift.
Mit Flammengarben aller Art,
Mit Purpurzungen, blut'gen Flecken,
Mit manchem fahlen, halbverblaßten Bart,
Will in Venedig man den Schleierrand bedecken.
Am Lande wird das Flammenband,
Nach alter Art, als langer Flammenrang gewahrt:
Den Zauber aber müssen Meerreflexe erst erwecken!
Frohlocken will die ganze Stadt!
Mit langgezognen Kantilenen,
Mit eigentümlich süßlicher Musik,
Mit Tönen, welche Lüste nur ersehnen,
Mit Trommelstreichen wie im Krieg,
Mit Lustfanfaren nach dem Sieg,
Mag man die Mohrenkönigin empfangen:
Und wenn sie schon berauscht vorbeigegangen,
So heften wir auf ihre Schleppe Purpurspangen.
Ist sie dann fort, kriecht alles Glutgewürm zur Rast,-
Die Flammenschlangen, die der Menschenhand entstammen,
Verbergen sich vor uns in großer Hast:
Und tiefverringelt im Morast,
Muß ihre Brut wie Aale grau verschlammen ,•
Und auch der Schwarm von grünen Feuerfröschen
Wird bald im dunklen Sumpf verlöschen.
1"Beodor DäuBCer
235
GEORGE GROSZ/SANATORIUM
DIE ARTISTEN.
I
Musik,
Yankees Lieder
Licht — viel Lickt, blau, rot, grün,
Bambuswald ohne Kronen,
Vier Mann — Renellos
he!! hopp!! —------los — —!!!
einer schießt nach vorn —
einer —.
ein zweiter —.
ein dritter —.
zurück!!!----abermals
he-!!!!!
obern wächst ein Mensch in Theaterhimmel
bizarr —, unmöglich — und doch da
he!!! — abermals!!
Sprung-------! Sprung —! Sprung--------!
Doppelsalto!!!
n
Hoch, über Köpfen rot-----
in leuchtende Himmel,
segeln die Ploetz^Larellas /---------
vier Mann und eine Dame
vier Mann in grau---------ein Schenkelschlag!!!
vier Mann in grau segeln hoch
an Stangen und Stricken,
fallen, schießen, und taumeln herunter
schießen abermals hoch-------
und zittern, an Bambusstangen entkronten,
hoch, immer höher in leuchtende Himmel,
wo Glühlampen starren und funkeln.
m
La Paquita — orientalischer Schleifentanz Patent Nr. 407 631,
Vorhang!---------------aber jetzt!!
Achtung!! Licht blendet — hell
Nerven tasten, fühlen------dorthin
— wo die Drahtseilpßanze wächst
Zwei Männer in Blau —
he----------sie kommen!--------
graziös-----fazil — leicht-----:
trippelnd!:::
Brüste sind straff unter Trikots---
— die erotischen Schenkel — grauen / —
Die Drahtseilpßanze zittert erregt unter ihnen
— wie Insekten, graue Käfer ~
springen, tanzen /-----
! Einlage!
Schleudermusik, Rags, haltet die Beine fest!!!!
Da, schwarzer Frack über Frauenglieder
links Partnerin in rosa--------
Schlenkerarme, Taumelschritte, Griszlybär — —
hopp!! — Das Drahtseil zittert-----
! oh, Dame im Frack ich werde dir ein
Billett in die Garderobe schicken!
238
IV
Hc!!! hopp!!! rosane Frösche!!
einer schießt durch die Luft,
ein zweiter
ein dritter —
Salto in drei Meter Höhe! Absprung!!!
zwei / — drei / — vier / —
He
einer schießt durch die Luft::
Laternen zittern---------
ein zweiter,
ein dritter,
Trapeze taumefn, wanken,
sind Häkelmuster, sind fliegende Stöcke
eine dünne rosa Spinne turnt am eigenen Faden bühnabwärts-----
Absprung!!......zwei / — drei / — vier!!!!
He!
wie Bambuswald ohne Kronen — traumhaft /
Menschen wachsen empor —
und fallen wieder —
wie die Kokosnüsse, herunter — !
Scheinwerfer!!!
blau, rot, grün,
feenhaft
he!!!! — hopp!!! •
einer schießt durch die Luft
ein zweiter!
ein dritter!
ein vierter! —
Doppelsalto, Turmbau zu Babel von Menschen,
Trommeln rasseln!!!
Donnernd........
stürzt alles zusammen!!!....
oh! Körperchaos: oh!!! Artisten!!
George Grosz
GEORGE GROSZ/ZEICHNUNG
GESANG DER GOLDGRÄBER.
Die Ingenieure treten an,
Und Krahne, Dampf, Gesang,
Und die Fabriken rot,
Und über all des roten Tags
sind ferne Flieger!
Schnellzüge durchqueren die Landschaften,
rasen!
Von San^Francisco nach New^york-----------
Alles!!!
Der internationale Mädchenhandel.
Staatskonflikte. Kriege.
Die Warenhäuser und Bordelle
in Rio-----------
Ihr braunen Sittenmädchen,
Penang — Cochinchina, Algier, Marseille
Seht! Dampfer liegen bereit,
rauchend.
Gold! Gold! Gold!!!
Goldgräber auf,
vor!
Klondyke winkt wieder!!!
Die Messer fest und Spaten —-
Schon treten die Ingenieure an,
Schwarzmagier in amerikanischem Sakkoanzug.
Amerika!!! Zukunft!!!
Ingenieur und Kaufmann!
Dampfschiffe und De-Züge!
Über meinen Augen aber
spannen riesige Brücken
Und der Rauch der hundert Krahne.
George Grosz
AUS DEN GESÄNGEN.
Welten! Gluten!
Ihr taumelnden,torkelnden Häuser!!!
Cake-walkt am Horizont!!
Ihr Negermelodien
Lieblich wie Ellins Blauaugen —
Welten, Ströme, Erdteile!
Australien, du Sonnenland!
Afrika mit deinen dunklen Ur-Ur-Urwäldern,
Amerika mit deiner D-Zug^Kultur,
Welten — ich rufe, schreie!!!
Wacht auf, ihr ehrfurchtbuckelnden Blaßgesichter!!
Ihr Hundesöhne, Materialisten,
Brotfresser, Fleischfresser — Vegetarier!!
Oberlehrer, Metzgergesellen, Mädchenhändler!
— ihr Lumpen!!!
Denkt: meine Seele ist zweitausend Jahre alt!
!!! Triumph!!!
Gott, Vater, Sohn = Aktiengesellschaft.
GEORGE GROSZ/ZEICHNUNG
ALS DER BLAUE REITER WAR GEFALLEN .
Griffen unsere Hände sich wie Ringe/ —
Küßten uns wie Brüder auf den Mund.
Harfen wurden unsere Augen,
Als sie weinten: Himmlisches Konzert.
Nun sind unsere Herzen Waisenengel.
Seine tiefgekränkte Gottheit
Ist erloschen in dem Bilde: Tierschicksale.
Fierscßicksale, das wertvollste Bild von Franz Marc, ungeheures Vermächtnis/ einen heiligen
Kaiser ließ man unßewacßt in einem Schuppen zur Weiterbeförderung stehen.
Else Lasker»Sdtüler
REDAKTIONELLES:
AN DIE ABONNENTEN DER »NEUEN JUGEND«!
Mit diesem Doppelheft ist der 1. Jahrgang der
»NEUEN JUGEND«
beendet. Um Verzögerung der Zustellung zu vermeiden, bitten wir alle, deren Abonnement abge-
laufen ist es sofort zu erneuern. Erfolgt nicßt Bis zum 1. Aprif1917 die Aßßestellung, so fäuft
das Aßonnemettt weiter und der Betrag wird mit dem näcßsten Heft per Nadmaßme erßoßen.
Aßßestellungen nad> dem angegeßenen Termin können nid>tßerücksidtigtiverden. BeiAdressen-
wecßsef Bitten wir um Angaße dessefßen.
Herr Dr. Rukser, Berlin, teilte uns mit, daß er Besitzer des von uns im Oktoberheft der »Neuen
Jugend« reproduzierten Aquarells von Marc Chagall ist. Uns war dies vorher unbekannt.
Der vierte Autorenaßend der .Neuen Jugend", veranstaltet von Wieland Herzfelde, fand
am 7. November 1916 in Dresden, im Saale des Hotel »Bristol«, statt. Es lasen aus eigenen
Werken: Johannes R. Becher, Albert Ehrenstein, George Grosz. Ado von Bernt las Dichtungen
von Theodor Däubler aus dem »Nordlicht«, dem »Sternenkind« und dem Däubler-Sonderheß
der »Neuen Jugend«, Helmut Herzfeld Gedichte seines Bruders Wieland Herzfelde. Zur Ein-
führung sprach Dr. Heinrieß Stadelmann (Dresden) über .Das andere Land".
Die .DresdnerNeuesten Nacßricßten" schrieben über Dr. Stadelmanns Einleitung des Abends:
Er zeigte den Dichter, dem die Welt um sich nur Anreiz zu seinem Erleben wird/ .Messer, das
ißn aufreißt", der souverän mit den Erscheinungen schaltet.
lins maßt es Freude, Herrn Dr. Stadelmann für seine Unterstützung des Aßends und
sein Eintreten für die .Neue Jugend" an dieser Stelle zu danken.
Der fünfte Autor naßend der .Neuen Jugend" fand am 17. November 1916 in Müncßen in
den Prinzensälen des Cafe »Luitpold« statt. Der Kunstsalon Goltz leitete den Abend. Es lasen
aus ihren Dichtungen: Theodor Däubler, Else Lasker-Schüler, Johannes R. Becher, George Grosz.
Ado von Bernt trug Gedichte von Wieland Herzfelde vor.
Der seeßste Autorenaßend der .Neuen Jugend" fand am 7. Dezember in Mannheim in der
»Kunsthalle« statt. Es lasen Theodor Däubler, Else Lasker-Schüler und George Grosz,- für
Wieland Herzfelde las Theodor Däubler.
Wir danken Herrn S. Talk, Mann Beim, ßerzlicßstfür das Zustandekommen dieses Aßends.
245
Der sießente Autorenaßend der .Neuen Jugend* findet Anfang April 1917 in Berlin statt.
Die ERSTE GEORGE GR OS Z* Mappe ist erschienen. Sie ist nur durch den Verlag »Neue
Jugend«, Charlottenburg 4, Mommsenstraße 11, zu beziehen.
Versäumt nießt, dieses außerordentfieße Werß zu erwerßen, ßevor es vergriffen ist/
Werßt für die .Neue Jugend"!!
Wir bitten unsre Freunde um möglichst viel Angaben von Adressen, denen wir Probehefte
der .Neuen Jugend" zusenden dürfen.
Da mit diesem Doppelheft das zweite Halbjahr des 1. Jahrgangs der .Neuen Jugend" abschließt,
bitten wir unsere Halbjahresabonnenten um sofortige Erneuerung ihres Abonnements.
.Die PußCikationen um die Neue Jugend". (Nur zu beziehen durch: Der Malik-Verlag,
Berlin-Halensee, Kurfürstendamm 76.) Unter diesem Titel veranstaltet die Schriftleitung der
»Neuen Jugend« Sonderdrucke. Bisher erschienen:
Nr. 1. George Grosz, Deutscßes Straßenßifd. Vom Verfasser signiert, Nr.i—zo (handnume-
riert) Mk 10.—, Nr. zo —200 (mit Mempel numeriert) M. 5.—.
Nr. 2. George Grosz, Die Gofdgräßer. Zahl und Preise wie Nr. 1.
Nr. 3. Carfo Mense, Madonna. Da Verfasser im Felde, nicht signiert. Nr. 1—zo M. 8.—,
unnumeriert M. 5.—.
Nr. 4. George Grosz, Aßtzeicßnung. Vom Verfasser signiert, Nr. 1 —zo (handnumeriert) M.
zo. —, Nr. 20—Z00 (mit Stempel numeriert) M. 8.—.
Nr. 5. George Grosz, Triedvoffe Rßeinfandscßaft. Zahl und Preise wie Nr. 1.
Weitere Sonderdrucke in Vorbereitung! Alle Abzüge sind auf feinstem
Kaiserlich Japan hergestellt und werden in festen Pappen geliefert.
Zu beziehen durch jede gute Buch- und Kunsthandlung, sonst vom
DER MALIK-VERLAG, BERLIN-HALENSEE, LEIPZIG
GEORG SCHRIMPT-MAPPE.
Der Malik-Verlag, Berlin-Halensee, übernahm vom Verlag Freie Straße, Berlin-Südende, den
Vertrieb der Mappe: Georg Scßrimpf, Acßt Hofzscßnitte. Von dieser Mappe wurden 10 Exem-
plare, numeriert Nr. 1 —10, vom Künstler handabgezogen und signiert, auf Kaiserlich Japan her-
gestellt und sind zum Preise von ä M. 100.— vom Verlag der Neuen Jugend zu beziehen. Hundert
Exemplare, numeriert Nr. it —1.0 (ä M 10.—), wurden gedruckt von E. F. Haag, Melle in Han-
nover. Wir empfehlen diese wertvolle Mappe unseren Lesern aufs wärmste.
NEUE BÜCHER, DIE WIR EMPFEHLEN:
Almanach der Neuen lugend auf das Jahr 1917 1 Verlag »Neue Jugend«, Charlottenburg 4,
Ehrhard Buschbeck: »Georg Trakl« ' Mommsenstr. tt.
Theodor Däubler: »Der neue Standpunkt« 1 erschienen im Hellerauer-Verlag von Jacob
Theodor Däubler: »Lucidarium in Arte Musicae« ' Hegener.
Franz Jung: »Opferung. 1 Verlag Die Aktion, Berlin-Wilmersdorf.
Else Lasker-Schüler: »Die gesammelten Gedichte«, mit selbstgezeichnetem Buchdeckel, erschienen
im Dezember im Verlag Weiße Bücher, Leipzig. Hundert Luxusexemplare in Goldbrokat.
Franz'KafkaT.D^ Urteil. ! Verla* Kurt WoIff- LeipziS' Der iQ"Sstc Tag'
(Die Anführung der neuen Bücher schließt ausführliche Besprechungen nicht aus.)
Im Novemberheft 1916 der »Weißen Blätter« (Zürich) er*
schien von Theodor Däubler ein kunstkritischer Aufsatz
über George Grosz, mit Zeichnungen von George Grosz.
Versäumen Sie nicht, die George Grosz*Mappe zu erwerßen!!
246
INHALTSVERZEICHNIS
des von Wieland Herzfelde geleiteten zweiten Halbjahres des ersten Jahrganges.
GEDICHTE
Johannes R. Becher
An den Frieden................ »23
Klänge aus Utopia ...............<75
Theodor Däuhfer
Sang an Vicenza..................>50
Aus »Hesperien« . . .............»72
Ode an Florenz . . . ...........187
Schwäbische Madonna . ... . . . . . 205
Die Apokalypse............ • • • 206
Der Baum.........................207
Venezianische Nacht..............234
Kasimir Edschmid
Dem Gedächtnis der Tänzerin
Angelique Holopainen . ... 147
Afhert Ehrenstein
Frage............................tzS
George Grosz
Mondnacht...........'...........183
Artisten I, II, III, IV..........237
Gesang der Goldgräber ........ 24z
Aus den Gesängen.................243
Wie [and Herzfe[de
An Diana.........................133
An Niobe....................... 16t
Hymnus an meine
Briefmarkensammlung............180
Daisy...........................18t
Sulamith..........................zu
Colombine.................... • 216
Berlin......................... 215
Eranz He Cd t
Wolf Dietrich, Erzbischof von Salzburg 132
Ewige Wehmut................. • 174
Himmelsgondeln..................214
Josd-Maria de Heredia
Antonius und Kleopatra (Deutsch von
Theodor Däubler) . . . .....233
Richard Huefsenhech
Phantasie.......................129
Efse L asher-Schüf?r
Georg Grosz.................... ‘54
Heinrich Maria Davringhausen .... 182
O, ich möcht aus der Welt ....... 226
Der Mönch........................229
Dem Mönch........................230
Als der blaue Reiter war gefallen . . . 245
Georg Traff t
An den Knaben Elis .......... 160
Waft Whitmann
Widmungen (Deutsch von Gustav
Landauer) . ......................«67
Hans Bfüher
Die Jugendbewegung vor der geistigen
Entscheidung...................
PROSA
Dr. S. Eriedfaender
Eigne Göttlichkeit. .
,24 Ernst Joef
212
Theodor Däuhfer
Chagall.......................... 137
Georges Seurat ...................199
Van Gogh......................... 200
Alpenglühen.......................202
Afhert Ehrenstein
Die alte Geschichte...............169
An einen Burschenschafter...........162
Efse Lasher-Schüfer
Der Malik (die vorhergehenden Kapitel
erschienen in der Wochenschrift »Die
Aktion« und in der Zeitschrift »Der
Brenner«, Innsbruck) . . »30,157,176, 219
Gustav Landauer
Strindberg..........................135
247
Myttona Johannes Reineft
Der Stereograph ..................148 Rasputin........................... 23t
Ich verlange ein Reiterstandbild .... 170
ZEICHNUNGEN
George Grosz Efse LasBer-Schüfer
Deutsches Straßenbild • ‘*7 Zeichnungen zum Malik:
Die Goldgräber • ‘34 Der Roland von Berlin (Wieland Herz-
Akt-Zeichnung • ‘55 felde) ‘77
Friedvolle Rheinlandschaft 201 Jussuß Häuptlinge ‘79
Sanatorium Ich warne Dich, so sagt der Neger . . . 22?
Zeichnung . 239 Bulus I. von Theben 221
Zeichnung • 24‘ Carfo Mense
Zeichnung • 244 Madonna 156
Georges Seurat
Zeichnung zu »La grande chatte« . . 198
REPRODUKTIONEN NACH GEMÄLDEN
Marc CBagaff Vision des verlorenen Sohnes ‘97
Aquarell . 195 Bildnis des Dr. Döhmann . ... • 228
Heinrich Maria DavringBausen James Ensor
Der verlorene Sohn Masques devant la mort 227
KOMPOSITION
Werner Richard Hey mann
Die Mädchen singen (Text von Rainer Maria Rilke). .140*
BESPRECHUNGEN
Wie fand Herzfefde über GeorgTraklf: »Sebastian imTraum« 166
über Johannes R. Becher: »An Europa«, über Theodor Däublers »Hesperi :n« . . 185
»Verbrüderung«................142 über Theodor Däublers »Sternenkind« . 209
MITTEILUNGEN
E. J» GumBef
Notiz...........................165
Wie fand Herzfefde
Bildnis-Ausstellung . ..........165
RedaBtioneffes.............186, 210, 245
Die »Heue Jugend«, Nachwort
Laut Mefdung
d.»B.Z amMittag«<i5.Maii9t5,Nr.ii3> 143
Kunstsafon Gofz
demain. Cabaret Voltaire..........186
Zentrafsteffe » VöfBerrecht« ...... 209
.............................. 146
ENDE DES ERSTEN JAHRGANGS
Verantwortlich für den gesamten Inhalt: Helmut Herzfeld. Berlin-Halensee. — DER MALIK»VERLAG, Berlin»
Halensee und Leipzig. — Gedruckt in der Hof-Buch» und »Steindruckerei von Dietsch *3D Brückner in Weimar-