116 von Raoul Hausmann, wodurch sie ihr stereotypes Lächeln vollkommen verloren hat, das Bordell mit einer Dame mit 3 Beinen, gestaltet von Hannah Hoech und die große Grotte der Liebe. Die Liebes- grotte allein umfaßt ungefähr 1 f 4 , der Unterfläche der Säule; eine breite Freitreppe führt zu ihr hinauf, unterhalb steht die Klosettfrau des Lebens in einem langen, schmalen Gang, in dem sich auch Kamelslosung befindet. Zwei Kinder grüßen uns und treten ins Leben hinein; von einer Mutter mit Kind ist infolge von Beschädigung nur ein Teil geblieben. Glänzende und zerklüftete Gegenstände charaker- isieren die Stimmung. In der Mitte ist das zärtliche Liebespaar: er hat den Kopf verloren, sie beide Arme; zwischen den Beinen hält er eine riesige Platzpatrone. Der verbogene große Kopf des Kindes mit siphylitischen Augen über dem Liebespaar warnt eindringlich vor Übereilungen. Es versöhnt aber wieder das kleine runde Fläschchen mit meinem Urin, in dem sich Immortellen auf gelöst haben. Ich habe hier nur einen geringen Teil des literarischen Inhalts der Säule wiedergegeben. Manche Grotten sind auch schon unter der augenblicklichen Oberfläche längst verschwunden, wie z. B. die Lutherecke. Der literarische Inhalt ist dadaistisch; aber das ist nur selbstverständlich, da er aus dem Jahre 1923 stammt, und da ich seinerzeit Dadaist war. Da nun aber die Säule schon sieben Jahre zu ihrem Aufbau gebraucht hat, hat sich die Form entsprechend meiner geistigen Weiterentwicklung, besonders in den Rippen, immer strenger entwickelt. Der Gesamteindruck erinnert dann etwa an kubistische Gemälde oder an gothische Architektur (kein Bischen!). Ich habe diese KdeE ziemlich ausführlich beschrieben, weil es die erste Veröffentlichung über sie ist, und weil sie infolge ihrer Viel deutigkeit sehr schwer zu verstehen ist. Ich kenne nur 3 Menschen, von denen ich annehme, daß sie mich in meiner Säule restlos verstehen werden: Herwarth Waiden, Doktor S. Giedion und Hanns Arp.*) Die anderen werden mich, fürchte ich, auch selbst mit dieser An weisung nicht ganz verstehen, aber ein restloses Verstehen ist ja auch bei so ganz außergewöhnlichen Dingen nicht erforderlich. Die KdeE ist eben ein typisches Veilchen, das verborgen blüht. Vielleicht wird meine KdeE immer im verborgenen bleiben, aber ich nicht. Ich weiß, daß ich als Faktor in der Kunstentwicklung *) Ich wäre froh, wenn sich noch Andere zu ihr bekennen würden. wichtig bin und in allen Zeiten wichtig bleiben werde. Ich sage das mit aller Ausdrücklichkeit, damit man nicht nachher sagt: „Der arme Mann hat es garnicht gewußt, wie wichtig er war". Nein, dumm bin ich nicht und schüchtern bin ich auch nicht. Ich weiß es ganz genau, daß für mich und alle anderen wichtigen Persönlichkeiten der abstrakten Bewegung die große Zeit einmal kommen wird, in der wir eine ganze Generation beeinflussen werden, nur fürchte ich, das persönlich nicht mehr mitzuerleben, darum sammle ich, lege Dichtung auf Dichtung, Skizze auf Skizze und Bild auf Bild, alles sorgfältig ver packt und signiert, an verschiedene Stellen, um der Feuersgefahr zu begegnen und so versteckt, daß es der Dieb nicht findet. Das ist mein Erbe an die Welt, der ich nicht böse bin, daß sie mich noch nicht verstehen kann. Was ich hier mit kühl überlegendem Verstände Voraussage, ist in Wirklichkeit nichts weiter als eine banale Selbstverständlichkeit, denn was wir in unseren Werken zum Ausdruck bringen, ist weder Idiotie noch ein subjektives Spielen, sondern der Ausdruck unserer Zeit, diktiert durch die Zeit selbst, und die Zeit hat uns freie Künstler, die wir am beweglichsten sind, zuerst beeinflußt. Durch uns und neben uns beeinflußt sie aber auch die gebundenen Ausdrucksformen, wie etwa ganz deutlich die Typographie oder die Architektur. Ich möchte durchaus nicht, daß etwa die Typographie oder die Architektur als Anwendung der abstrakten Kunst aufgefaßt würden, denn das sind sie nicht. Man kann nicht eine freie, zwecklose Ge staltung anwenden auf eine Zweckform. Typographie und Archi tektur sind Parallellerscheinungen mit der abstrakten Kunst. Typographie darf nicht nur aus optischen Gründen gestaltet werden. Hinzu kommt, daß die Typographie immer einen Zweck außer sich hat, sie will wirken oder orientieren. Und der Zweck der Architektur ist, eine Wohnung oder einen anderen zweckbestimmten Raum her zustellen. Ich verkenne nicht die Notwendigkeit, das auch zum optischen Ausdruck zu bringen, was der Architekt konstruiert, aber das erstrebte Ziel ist und bleibt das Bauen von Raum. Nun sind bei aller Verschiedenheit in der Absicht formal doch große Ähnlichkeiten zwischen der neuen Form in der Architektur und Typo graphie einerseits und in der abstrakten Malerei und Plastik anderer-