117 seits. Beide Formen sind eben entwickelt aus dem für uns typischen Formwillen der Zeit. Noch liebt die Menschheit, die immer in veralteten Formen denkt, die Form der Zeit nicht, während sich gleichzeitig, aber unbemerkt durch die Allgemeinheit, und nur von wenigen begabten Kunsthistorikern erkannt, der neue Stil her ausbildet. Später wird er einmal allgemein werden, und dann wird man uns alle aus unsern Verstecken herausholen, vielleicht erst dann, wenn die Zukunft schon längst andere Bedürfnisse haben wird, denn das Schicksal der Menschheit im Allgemeinen ist es zu irren, und man soll sie gewähren lassen, denn sie fühlt sich wohl dabei. Heute noch gibt es nicht viele Leute, die gern in jenen schmucklosen, von innen heraus gestalteten Häusern wohnen, man zieht allgemein die alten, überladenen, barocken Häuser vor, weil man auch etwas für die Schönheit tun möchte. Erst eine spätere Zeit wird erkennen können, daß gerade diese schmucklosen Häuser, wenn sie von einem begabten Architekten, etwa Haesler, gebaut sind, nicht nur allen Erfordernissen der Bequemlichkeit und der Gesundheitspflege ent sprechen, nicht nur technisch die besten Lösungen sind, sondern auch optisch die schönsten Formen. Relativ leicht findet die neue Typo graphie allgemeineres Verständnis. Zwar liebt man nicht die ein facheren Formen, aber man heißt sie gut, wenn sie verbunden sind mit einer intensiveren Verdeutlichung des Inhalts, welches der Haupt zweck neuer Typographie ist. Allgemein beginnt man sie mehr und mehr zu schätzen, weil sie leichter orientiert, besser wirbt, Zeit und Geld spart. Und nun zurück zu der heutigen Jugend und dem Menschen überhaupt. Ich bitte Euch Alle, laßt mich in meiner Verborgenheit weiter blühen. Es geht mir dabei ganz gut, und ich strebe nicht nach Ruhm und Ehre, oder nach Eurer Anerkennung. Ich bin zu frieden, wenn ich in meinem Atelier oder an meinem Schreibtisch ungestört und in aller Ruhe, vom Lärm der Straße nicht berührt und ohne Nahrungssorgen, weiter arbeiten kann. Dazu verhilft mir aber meine Tätigkeit als typographischer Gestalter und Berater bei zahl reichen Behörden und Fabriken, wo ich im Jahre mehr als 500 Druck sachen bearbeite. Mir kann Keiner und Ihr könnt mir Alle, zumal da ich auch glücklich verheiratet bin; und ständig wächst die Anerkennung meiner typographischen Tätigkeit. Und allmählich kenne ich mich auf dem außerordentlich komplizierten und viel seitigen Gebiet des Drückens etwas aus. Anders die Kunst, denn erstens kennt sich da keiner aus, denn das Gebiet ist noch bedeutend komplizierter, und zweitens fehlt mir persönlich die Anerkennung. Es bleibt bei schlechten Kritiken, weil sich die Kritiker in ihrem Wesen stets gleich bleiben. Und wenn ein junger Kritiker bei meinem eigenen Vortrag schreibt, ich wäre einfach unmöglich, so ist mir das vollkommen gleichgültig, ebenso gleichgültig, als wenn er schriebe, ich wäre der beste Sprecher der Gegenwart, eine Behauptung, die zwar auch nicht ganz stimmt, mit der er sich persönlich aber bestimmt weniger blamiert hätte. Meine Zeit wird kommen, das weiß ich, und dann werden später dieselben Kritiker schreiben: „Wie dumm waren doch früher die Menschen, als sie Schwitters nicht erkannten, hingegen wie gescheit sind wir, daß wir ihn jetzt erkennen". Ich habe zv/ar nicht die Ab sicht, Leute zu beleidigen, die noch garnicht geboren sind, aber ich weiß es schon jetzt, daß sie, soweit sie Kritiker sind, genau so harmlos sein und genau so wenig erkennen werden, wie ihre augenblicklichen Kollegen, denn das ist allgemein menschlich, und dazu kann keiner etwas; nur sollen sie sich dann nicht auf spielen. Wenn Ihr Menschen der Zukunft aber mir eine besondere Freude machen wollt, so versucht es die wichtigen Künstler Eurer Zeit zu erkennen. Es ist für Euch wichtiger und für mich eine größere Freude, als wenn Ihr mich entdeckt zu einer Zeit, in der man mich schon längst entdeckt hat. Ihr aber, Ihr politischen Menschen von rechts oder links, oder Ihr mittlere Sorte, oder aus welchem blutigen Heerlager des Geistes Ihr kommen mögt, wenn Ihr eines Tages mal die Politik recht satt habt, oder Euch auch nur für einen Abend von Euren Strapazen ausruhen wollt, so kommt zur Kunst, zur reinen unpolitischen Kunst, die ohne Tendenz ist, nicht sozial, nicht national, nicht zeitlich gebunden, nicht modisch. Sie kann Euch erquicken und sie wird es gerne tun. 27. 12. 1930. Subskribieren Sie auf das folgende MERZ-HEFT, 22: Entwicklung, Preis 3 RM, es erscheint Anfang 1932.