Wie lange noch wird RADEK im Kerker der deutschen sozialistischen Republik sitzen? Radek — angeklagt der „Aufreizung zum Klassenkampf“ von regierenden Sozialisten, die sich Schüler von Marx nennen — Schüler von Marx, dessen Lehre der Klassenkampf ist. (Radek im Moabiter Gefängnis — das ist die tägliche Mitteilung an die Entente, daß sie sich alles gegen Deutschland erlauben darf — daß kein Fußtritt die deutsche Regierung dazu bringen wird, sich mit dem Proletariat zu vereinigen — daß diese Regierung nichts anderes wünscht, als von der Entente eine Anstellung als Gefängniswärter zu erhalten.) Wie lange noch wird ein deutscher Rätekongreß nicht wissen, was zu tun ist, wenn Strafkammern wagen, entgegen seinen Beschlüssen, sich an LEDEBOUR zu vergreifen? — zu tun ist, daß jeder Mann des Rats so lange auf sein Pult schlägt, bis der Kongreß sich auf 4 Stunden vertagt und danach, wenn dann Ledebour noch nicht zur Stelle ist, die Stimmkraft findet, dem Proletariat seine Entrechtung unaufhörlich zuzuschreien, bis mit Ledebour alle politischen Gefangenen freigegeben sind. — (Und wenn die Regierung schon den großen Minenwerfer aus der Westentasche ziehen will: Kinder, die mit dem Revolver spielen, bringen sich selbst in Lebensgefahr.) Wie lange noch werden die Unabhängigen sich verpflichtet fühlen, ihr Bedauern auszusprechen, wenn das Verhalten dieser Regierung zu so katastrophalen Folgen führt, wie sie die Unabhängigen selbst prophezeit haben, — wenn z. B. ein Kriegsminister so umkommt, wie es sonst Revolutionären Vorbehalten ist? (Und wie lange noch wird so ein — vielleicht noch lebender — Minister seinen Regierungsposten so grob mit einer Lebensversicherung verwechseln, daß er meint, ohne Risiko den Verwundeten ihre Rente auf den Friedensstand herabsetzen zu dürfen, während die Freikorps auf Überkriegssold bleiben ?) Wie lange noch werden die deutschen Arbeiter die Ordnung ihrer eigenen Lebensangelegenheiten anderen überlassen (und es vielleicht noch für ein Recht halten, wenn sie alle Jahre einmal von zwei unterschiedslos gleichen Übeln das kleinere „wählen“ dürfen.) „Die Idee ist Alles.“ Ein Brief und eine Betrachtung. Aus der bürgerlichen „Frankfurter Zeitung". Ein deutscher Offizier hat mit der Gehilfin des Mannes gesprochen, der in einer von deutschen Soldaten überwachten Straße den General v. Eich horn niederschoß. Der Offizier schreibt dann an seinen Bruder: Mein lieber Bruder! Draußen vor den Toren Kiews tobt seit drei Tagen das Ringen zwischen den Hetmann-Truppen und den auf ständigen Bauern, alias Bolschewiki. — — — Da ich heute Abend Ronde habe, bin ich im poli tischen Gefängnis der deutschen Kommandantur. In einer kleinen Eckzelle ist die Helferin des Eichhorn-Mörders. Ein Blick durch das Sprechloch. Sie liegt gekrümmt auf der Pritsche, anscheinend schlafend. Sie merkt mich und hebt den Kopf, um ihn gleich darauf wieder zu senken. Bücher liegen zerstreut. „Sie lesen Bücher?“ —- „Ja.“ „Was sind das für Bücher?“ — „Lauter russische.“ „Sind Sie eine Russin?“ — „Meine Eltern sind Russen. Nur meine Mutter lebt noch in Moskau, ist alt und sie wartet auf mich. Sie wartet und ich kann sie nicht sehen. Ich fühle den Schmerz in ihr. — „Von welcher Philosophie gingen Sie aus?“ — Sie lächelt mit verklärten Augen: „Kant. Seine Ideen sind es, und es gibt nichts Schöneres, als für Ideen leben.“ „Kant gilt doch so viel bei uns Deutschen, und daß Sie zu solchen Resultaten kamen, Terroristin wurden?“ — „Ja, wenn Sie in Rußland gelebt hätten! Wenn man sieht, wie das Volk geknebelt ist.“ „Ja, glauben Sie, daß man ihm so hilft, wie Sie es anfangen? Da muß man arbeiten, Schulen gründen.“ — „Nützt nichts, so muß man durch die Tat ihm die Augen öffnen.“ „Sie kennen doch Kants Wort: vom Gewissen in uns und dem gestirnten Plimmel über uns.“ — Sie ergänzt: „Und von der Pflicht, dem kategorischen Imperativ.“ „Was sagt Ihr Gewissen?“ — „Es regt sich nicht, aber das Leben in der Idee ist ja das Schönste auf dieser Welt.“ Ihre Augen glänzen und sie lächelt, daß man die schönen Zähne sieht. Unvermittelt sage ich: „Eichhorn war immer doch ein guter Mensch!" — „Er war schrecklich grausam. Wie hat man die Bauern unterdrückt.“ — „Können Sie sich auch noch freuen und nach dem Himmel sehen? Sind Sie unglücklich? — „Nein, ich bin nicht unglücklich. Aber meine alte Mutter in Moskau, sie wartet, sie ist alt.“ „Haben Sie sich Gedanken über den Tod gemacht?“ — „Ja, viele. Aber immer wieder; die Idee ist alles! Wir ehren das Leben, und fürchten nicht den Tod. Sehen Sie, wir eilen nicht weg, wenn wir Bomben werfen. „Können Sie auch noch singen?“ — „Aber ja —“. Ich senke den Kopf. „Lassen Sie sich’s gut ergehen. Auf Wiedersehen!“ Sie antwortet: „Auf Wiedersehen!“ Lieber Bruder! Denke und fühle mit mir. Hier er lebte ich zum ersten Male, wie eine Idee, ob recht oder nicht — Religion und tatvolles Leben eines Menschenkindes ist. Ja, dieses Rußland ist nur einmal auf dieser Welt. W. Hierzu ist zu sagen: Es ist keine revolutionäre Forderung, von dieser Regierung zu verlangen, daß sie Beziehungen zu Rußland aufnehme. Was sollte sie dieser Gesinnung: „Die Idee ist alles“ entgegensetzen, wie sollte sie ihr gegenüber“ treten können? — Vielleicht mit einer verlegenen Geste, daß es in Deutschland gar so schwer sei, einer Idee zu leben und dabei nicht vor „Tatsachen“ zu kapitulieren, hinter welchen die Gegenrevolu tionäre von jeher verschanzt sind — oder mit dem — wenigstens ehrlichen — Bekenntnis, daß diese deutsche Regierung keine Idee hat, für welche zu leben, sich verlohne? Hier ist eine Grenze zwischen Menschen, die gewahrt werden muß: die einen, in denen eine Idee so stark ist, daß sie für die Idee, nur für sie leben können, — die anderen, die eine Idee nur als Maske benutzen, um dahinter um so ungestörter in ihren Geschäften zu sein. Diese Anderen sind es, die zwar alle „Tatsachen - Schwierigkeiten“ über winden, wenn es gilt, einen solchen Krieg seit 1914 und ohne Ende zu ermöglichen, — die aber, wenn endlich eine neue friedliche Welt sich errichten will, sofort beweisen, daß die „Tatsachen“ es leider nicht zulassen. Wahrt diese Grenze, denn es ist zugleich die Grenze zwischen Revolutionären und denen, für welche die Revolution ebenso nur ein Objekt der Ausbeutung ist, wie vorher das Elend, das Ver trauen, die Hoffnungen und die Blutopfer des Pro letariats. In Deutschland aber wird das Proletariat noch jetzt so verachtet, daß „Führer“ ihm eine neue Regierung anzubieten wagen, die wieder nur diese Grenze durch einen neuen Kompromiß ver decken soll. Wenn das deutsche Proletariat amtliche Be ziehungen zu Rußland aufnehmen will, so wird es nicht ablassen, bis eine neue Regierung da ist, aus der alles ausgeschlossen sein wird, was heute dort oben schwankt. Die Man lasse sich nicht täuschen! Das deutsche Volk, das nach des Tages Frohn abends ein Recht auf Kunst besitzt, weise Nachahmungen zurück! Nach den „Belgier-Greueln“ sind die „Ge fahren des Bolschewismus“ das kassenfüllende Stück. Hat auch die Firma gewechselt, die Leitung liegt in altbewährten Händen, und die Titel verbürgen den durchschlagenden Erfolg. Vom einstigen Trickfilm: „Zeichnet Kriegsanleihe!“ bis zur „Komödie der Nationalversammlung“ eine komplette Serie blutigster Schlager. Das Gaunerstück „Ich kenne keine Parteien mehr“ in seiner Neubearbeitung: „Wir kennen nur noch zwei Parteien: das zahlungsfähige Publi kum der kapitalistischen Bourgeoisie und die unbezahlten Statisten der Massen-Abschlach- tungen“. Das gesamte Proletariat in dem riesig spannenden Drama „Eure Armut schän det uns nicht“. Größter Aufwand an Munition. Von nie dagewesener Naturtreue. Auftreten der be rühmten Sozialexcentrics Ebert- Scheide mann. Der Flieger von Tsingtau und der Sieger von Tannenberg haben ihr persön liches Erscheinen zugesagt. — Zum Schluß die Posse: „Wie — einst —im —Mai-Feier!“ Lacherfolg sicher! Kein Deutscher darf fehlen! — Wer nicht Statist sein will, melde sich sofort zu den Freikorps unter den be kannten Bedingungen. amüsieren neuen Werbefilms der Antibolschewisten! Zweierlei Maß. Die Morgenausgabe des „Berliner Tageblatts,, vom 3. April 1919 bringt untereinanderstehend: ®as iSjaupitJcrfaljrsn gegen -ßabinettsrat t». 23el)rs ipinwott» nbgetcfjni. ©as ©trafoerfahren gegen ben ^abinettsrat v. Vehr* Viuuoro unb ©enoffen tuegen Striegsmudjcrs, bas feiitergeit fo großes üluffeljeit erregte, hat jeftt burci) rechtskräftige Vufjer* oerfolgungfetsung (amtlicher Vefdjulbigten feinen 2tbfci)lufj gefunben. Sen ^Beteiligten mar gur Saft gelegt roorben, bafj fie bem Vaterlänbi* fchen Sraucnoerein unb ber Seutfdjcn flllanfabrik ©.nt.b.$., an ber fie geitweife als ©efellfcljafter beteiligt roaren, bei ber 2lusfü£)rung uoit Sanbfacltüefcrungen übermäßige ©eroittne in fehr erheblicher ,§öhe hätten gukommen laffen.*) Vad) langer Vorunterfudjung hotte ber Staatsanwalt beim Sanbgeridjt I bie ©inftellung bes Verfahrens bewirkt. 2lnf Vefcfjwerbe bes Oberftaatsanwalts hatte bann bas Äatnmcrgericht eine ©rgänguitg ber Vorunterfudjnng angeorbnet. Vach ihrem Vbfchluß hat ber Staatsanwalt gegen (amtliche ^Beteiligte bie Dinklage wegen Äriegsmudjers erhoben, wobei er fid) insbefonbere auf ein ©Machten bes Ätonkursuerwalters Sdjmibt ftiitjte. Sie Vedjts* anwälte ©r. SUsberg unb Sr. ©örres hatten ben Vachweis gu führen gefucht, bafe Qegen ihre Klienten meber redjtlich noch ntoralifd) ber geringfte Vorwurf gu erheben fei, unb fie hatten fid) babei auf ©ut* adjten non Vrof. Schär unb (prioaibogent Sr. ©erftner berufen, bie einen bem Sachoerftänbigen ©d)mibt oötlig entgegengefetpen ©tanb* punkt uertraten. Sie Strafkammer h'at barauf bie (Eröffnung bes £jauptucrfaf)rcns ab ge lehnt, uitb bas 3tammergerid)t hat biefen Vefchtufj be(tätigt. ©in 2XlitgIieiS her „(Eichhorn* föarbe“. ©as ©djrour* gericht bes Sanbgeridjts I uerhanbelte geftern gegen ben ©cfjloffer griebrid) «pieitg wegen Sanbfriebensbrudjs unb Vnfrufjrs. Ser Angeklagte, ber nach feiner Eingabe mit ber Vegicruitg ©iert* ©cheibemann ttngufrieben war, hat fid) in ben Sagen oom 6. bis 12. Januar eine oolte 2Bod)e Iflnburd) an ben Fiktionen, bie in gewalttätiger QBeife gegen bie Vegierung unternommen würben, be* teiligt. Unter anberem war er auch Vtitglieb ber (Eichhorn*©arbe. ©r beftritt, bas Vewußtfein gehabt gu haben, etwas Unrechte» unb Ungefetjlidjes gu tun, benit es fei ihm gefagt m*rben, „bie Veoolution macht fid) bie ©efetje felbft“. ©as Urteil lautete auf brei 3af) re ©efänguis unter Vnredjnung oon gwei SJltonaten unb gmei QBochen Unterfuchungshaft. *) Herr v. Beer-Pinnow lief sich unter Hinw«s auf das Eiend der Sandsack -nähendan Kriegerfrauen vom Kriegs- ministerium erhöhte Löhne bewilligen. Davon haben aber die Arbeiterinnen nichts gesehen. D. k. für Breslau und Schlesien 2mal wöchentlich Monatlich 1,50 M. Bestell, an Schumann, Breslau, Rosenstr., „AchtSchwalben“,