51 Tanzlehrer und Tanzlehrerinnen fürchteten den Ruin ihres ruinösen Berufes. Sie kennen nur eine einzige Sorge, den Shimmy gesellschaftsfähig zu machen. Das heisst: ihn akademisch zu formulieren. Aus dem selben Grunde nehmen auch die Malprofes soren den Expressionismus in der Akademie auf. Auch hier besteht nur noch die ein zige Schwierigkeit, zwar nicht die Schreib art, aber den Ursprung des Wortes Expres sionismus festzustellen. Aber der Shimmy lässt sich nicht einordnen, weil er selbst künstlerische Ordnung ist. Er ist nicht Dekadenz, er ist Kadenz. Er ist freie Gebundenheit und nicht gebundene Freiheit. Er ist gebildet aus künstlerischem Instinkt und nicht aus verbildetem Intellekt. Seine Musik redet nicht die Sprache der Töne, seine Musik tönt das Schweigen des Redens, das Unaussprechliche. Hier fassen künst lerische Gesetze den Fuss und zwingen ihn zur rhythmischen Gestaltung. Zwar wird behauptet, dass der Shimmy leichter als der Walzer zu erlernen sei. Der Unsinn ist, dass man glaubt, der Wert der Kunst hänge von der Schwierigkeit des Erlernens ab. Kunst kann nicht erlernt werden. Kunst ist sehr einfach. Kunst ist so einfach wie das Leben. Kunst lebt in ihren organischen Gesetzen wie das Leben in seinen. Schwierig keiten entstehen nur dadurch, dass man sie künstlich verursacht. Dass man willkürlich in das Unwillkürliche eingreift. Dass man das Unmittelbare mittelbar macht. Die Kunst greift das Leben. Das Leben begreift die Kunst: denn immer mehr Menschen beginnen, das Hören zu hören, das Sehen zu sehen, das Bewegen zu bewegen. Menschen bewegen sich. Der Shimmy tanzt über verblühte Kulturen Herwarth Waiden Der Mietvertrag Theatralische Synthese F. T. Marinetti Das Schlafzimmer des Herrn Paul Dami. Durch das Halbdunkel sieht man ein weisses Bett. Paul Dami liegt in den letzten Zügen. Der Freund tritt ein und wendet sich zum Dienstmädchen: Paul liegt im Sterben? Ist gar keine Hoffnung? Das Dienstmädchen: Kaum ein Schimmer von Hoffnung. Die Kugel ist mitten durchs Herz gegangen. Der Freund: Unbegreiflich! Sich wegen dieser Frau das Leben zu nehmen. Das Dienstmädchen: Aber nein! Wegen der Wohnung hat er sich umge bracht. Ich werde Ihnen das Rätsel er klären. Sie wissen, dass Herr Dami wahn sinnig in diese Wohnung verliebt ist. Vor einiger Zeit bat er den Wirt, er möge ihm gestatten, ein Fenster zu öffnen, das nach der Strasse hinausgeht. Er wollte von da aus den grossen Festzug sehen. Und dieser Idiot von Wirt hats ihm nicht erlaubt. Zu fällig erfuhr Herr Dami vor drei Tagen, dass der Wirt mit einem neuen Mieter ver handelt. Der Gedanke, dass er diese ange- betete und vergötterte Wohnung verlieren könne, hat ihn vor Schmerz rasend gemacht. Da griff er zum Revolver und schoss sich eine Kugel in die Brust. Paul Dami spricht im Fieber: Feuer! Es brennt! Die Wohnung brennt! Ruft die Feuerwehr! (Er versinkt wieder in tiefen Schlaf.) Der Arzt tritt ein, hinter ihm eine Dame, blond, schwarz gekleidet, sehr elegant. Sie nähert sich dem Bett des Sterbenden. Ihr Gesicht ist dem Publikum zugewendet. Der Freund (zum Arzt): Ist hier gar nicht zu helfen? Der Arzt (ernst und feierlich): Gar nicht. Wenn ein Herr in eine Wohnung tritt, — der Fall ist schwer, aber nicht ohne Hoff nung auf Heilung. Tritt jedoch die Wohnung in den Herrn, dann gibt es keine Hoffnung mehr. ln diesem Augenblick begibt sich die Dame auf die andere Seite des Bettes, wobei sie dem Publikum den Rücken zuwendet. Man sieht auf ihrem Rücken ein Plakat, das die Aufschrift trägt: Zu vermieten [Vorhang Jetzt kommen sie Drama der Gegenstände F. T. Marinetti Ein Salon. Brennender Kronleuchter. Hinten, links, eine offene Tür nach dem Garten. An der linken Seitenwand ein grosser vier