71 vereinsteint. Alle Kenntnisse sind relativ. Ab solut ist künstlerische Erkenntnis. Absolute Musik, an anderen Körpern wahrnehmbar, ist: „Whispering“, Foxtrott von John Schön berger (Eric Concerto’s Yankee-Jazz-Band). John Schönberger ist kein Komparativ von Arnold Schönberg, aber umso positivere Kunst. „Jonny“ von Friedrich Holländer, „Peaches in Georgia“, Fox-Trot (Jazz Band The Original Picadilly Four). Der Kom ponist hat nicht einmal einen Namen, aber dafür kann er komponieren. Ein unbe kannter Meister. Q Variete delectat Artisten arbeiten und Künstler denken. Artisten können etwas, Künstler denken etwas. Ein Mann hebt ein paar Eisenge wichte. Viele andere denken, das können wir nicht. Sie fühlen eine Überlegenheit und sind bezwungen. Hingegen wird es hohe Kunst, wenn Fräulein Müller auf der Bühne richtige Tränen weint; trotzdem ihre Bekannten genau wissen, dass sie eigentlich lustig ist. Sowie die Tränen kommen, geht es auf die Kunst über. Das Fräulein kann sich so verstellen, als obste natürlich bist. Plötzlich beweist der Mann dem unterlegenen Publikum, dass seine Gewichte aus Pappe sind. Herzliche Freude. Aber die Wirkung der Unterlegenheit war doch da. Man dachte auch nicht so sehr an die Schwere der Gewichte. Sie sahen nur sehr gross aus. Also sie sahen aus. Also ein optischer Eindruck. Und der Mann bewegte die Gewichte im Rhythmus der Schwere. Also Bewegung. Nur die Träne hat er vergessen. Der Excentric be handelt seinen Partner als Gliederpuppe. Denkende Menschen fürchten für die Ge hirnkraft des Menschen als Gliederpuppe. Er wird vielleicht das Berliner Tageblatt nicht mehr lesen können. Oder die Kultur wird spurlos an ihm vorüber gehen. Im Übrigen ist es sehr komisch. Herzliche Freude. Die Gliederpuppe, die natürliche, löst diese Wirkung nicht aus. Liegt die Komik darin, dass ein Mensch so tut, als ob er eine Gliederpuppe wäre. Aber wenn eine Gliederpuppe so tut, als ob sie Mensch wäre, plötzlich ist es Plastik. Skulptur. Also hohe Kunst. Die Plastik bewegt sich zwar nicht mehr, dafür ist sie sprechend ähnlich. Man kann sich sogar denken, dass sie weint. Die falsche Gliederpuppe, der Mensch nämlich, schlenkert mit den Armen. Herzliche Freude. Niemand kann sich der Wirkung der Komik entziehen. Dabei schlenkern wir doch alle mit den Armen. Also das Schlenkern kann es nicht sein. Vielleicht hat der Mann einmal überlegt, in welchen Zeitabständen er schlenkert, wann, wo und wie oft er sich bewegt. Überlegt muss er wohl haben. Denn am nächsten Abend wiederholt er genau dasselbe. Hingegen ist Fräulein Müller heute garnicht in Stimmung. Sie „spielt nicht“. Oder der Herr von der Presse schreibt, sie hätte viele Niiancen. Oder sie hätte Auffassungen. Sie lebt sich in den Geist ein. Man glaubt ihr bald die Jung frau von Orleans, so natürlich spielt sie sie. Der Herr von der Presse kennt nämlich die Jungfrau persönlich, die von Orleans, er kann es also beurteilen. Dressierte Affen tanzen den Rixdorfer, als ob sie Menschen wären. Menschen sehen hin gegen wie Affen aus, wenn sie etwas anders als Walzer tanzen, sagt die Ästhetik. Im Variete kann jemand tanzen, das heisst, Bewegungen optisch zu einem Organismus gestalten. Diese Art Tanzen, das Kunst ist, wird zur Entschuldigung grotesk ge nannt. Grotesk lässt man sich nämlich gefallen, weil hierdurch die Absicht be kundet wird, nicht einen natürlichen Men schen nachzuahmen. Wie der geht und der steht und der fällt. Der Kunsttanz hingegen wird mit der Seele ausgeführt. Das Gesicht leidet. 0 wie ich leide. Die Dame vergisst indessen zu tanzen, weil sie doch einen Augenblick leiden muss. Macht nichts. Beim Leiden kann man sich be stimmt etwas denken. Musik von Chopin. Indessen gestalten Equilibristen lebende Bilder. Gestalten Bewegung in Bewegung. Variete delectat. Es werden lebende Bilder gestellt. Unsere klassischen Malermeister werden versinnlicht. Meistens durch Damen mit Zinkweis und Goldbronce, persönlich auf den Leib geschmiert. Die Kunst wird vernatürlicht. Das Publikum langweilt sich zu Tode. Nur die Kenner denken an ihren Michelangelo. Er wird ihnen mit Gold bronce näher gebracht. Zum Schluss be wegen sich die Damen dankend, damit die Kavaliere nicht etwa denken, sie seien aus Stein. Auch Goldbronce lässt sich abwa-