54 Festhalten am Materiellen, am Stofflichen, am Impressionistischen, an der Individualform das Wesentliche des Menschseins zerstört, davon abhält, irre macht. Ihr geht es aber nur um dies Wesentliche — das Allgefühl — es zum Entscheidenden aller Lebensformen und -inhalte zu machen, ist ihr mehr als aller Stoff der Erde, ist ihre Lebensaufgabe. Nur auf diesem Wege sieht sie die Möglichkeit, die Menschheit aus dem Chaos des nun Jahrzehnte an dauernden Zusammenbruches der seelisch-geistigen Welt wieder zu erheben. Unter Aufgabe aller anderen Schwergewichte und Bindungen, ganz Geist, ganz Seele, ganz Hingabe an das Gefühl sein: so allein wird das allzu materialis tische Sein soweit entmaterialisiert, daß der Mensch sich wieder auf Mensch sein zu besinnen ihm gemäß, zu leben vermag. Aus solcher Stimmung wachsen die Werke der Jungen hinüber in das Reich des reinen, abstrakten Geistes, wie die Schöpfungen der Mathematik. Hier ist die Quelle des Kubismus geboren, nachdem zuvor der Futurismus die stoff lichen Formen der alten Schaffenswelt zerschlagen hatte. Hier ist die Quelle des Expressionismus: sein Ziel einzig und allein der absolute Ausdruck des Allerlebens, des Allgefühls, des geistigen Weltschauens auf der Grundlage des innerlich erlebten Übersinnlichen. Zu erfassen ist diese Kunst des Kubismus, des Expressionismus nur mit dem Gefühl. Wie jede echte Kunst, werden auch Expressionismus, Kubismus nur erlebt, sie sind unerlernbar, nicht zu erfahren noch durch Wissen oder Vernunftoperationen zu erkennen. Göttliche Kraft wirkt sich in der Kunst von jeher aus: es gilt, sie schweigend zu verehren. Alle denen, die ahnungslos den Werken der Kunst in der heute von der Ju gend erlebten Absolutheit der Offenbarung gegenüberstehen, sei nur gesagt, daß kein abschätziges Übelwollen die Kraft zu vernichten vermag, die gegen- . wärtig unter der Jugend der Welt immer stärker durchdringt. Das Wesent liche des Menschseins ist erlebt: Wer sich den Sinn dieses Satzes klarmacht, weiß, daß die Quellen der Kunst mehr unter dem Schutt und unter den Trüm mern stoffgebundener Vergangenheit wieder entdeckt worden sind. „Silber gäulen“ gleich springt sie nun ins Leben; ihr junges Sprudeln schwillt zum Strom . . . ' Von der Literatur her werden weitere Kreise noch am ehesten in den Kern und das Wesen derWelt- und Kunstanschauungen der jungen Kunst eindringen. Die Buchreihe, von der hier die Rede ist, ist wie kaum eine zweite geeignet, allen etwas zu geben, die suchen und begehren, von der Kunst für ihren Innen menschen rein menschliche Erlebnisse zu erobern, ethische Kräfte zu er werben, über den Sinn des Lebens klar zu werden. Die Prosawerke offenbaren in zwingendster Weise den Untergrund des Expressionismus, das Allgefühl im Besonderen für weitere Kreise. In Heinrich Manns kostbar gestalteter Novelle „Der Sohn“ schwingt die ewige Vergänglichkeit des Seins. Otto Flak es „Wandlung“, angesiedelt in einer historischen Welt, ist ganz hingedrängt auf das Erlebnis der Erkenntnis des einem Individuum allein .Möglichen, auf die Grenzen, die dem Menschen aufgebaut sind: über sie hinauszudringen, bedeutet Glück, in ihnen sich zurecht zu finden, bedeutet ebensooft Glück. Kurt Martens’ „Emigrant“ erfüllt sein Ich in beseligen der Echtheit. Heinrich Mann, Flake, Martens: sie sind, im Besitze reifsten Könnens, Führer, Vorbilder der jungen Generation, die mit starken Werken folgt: Kurt Mo- recks ganz auf den Dialog gestellte „Hölle“, in der mit der Liebesnot des Weibes scharfe Abrechnung gehalten wird, Max Krells wundervolles Erlebnis