24 kommt. Mit dem Sinken des religiösen Empfindens beginnt die eigentliche Aera des Naturalismus: die Beziehung des Gegen standes zum Himmel fällt zugunsten der optischen zum Maler und Licht und Schatten werden die alleinseligmachenden Gefilde, auf denen Auge und Pinsel so lange einander hetzen, bis sie in der Sackgasse des Impressionismus für immer niedersplittern. Michelangelo, Grünewald, Dürer, Rembrandt: was der Na turalismus hier erreicht, hebt ihn nur darum so hoch über die Reihe seiner anderen Jünger, weil das mit am Werk ist, was bereits ausserhalb des naturalistischen Empfindungskomplexes fällt. Es ist bezeichnend, dass gerade hier trotz aller Popularität jene Bürgerliebe ausbleibt, die Raffaels Madonnen ins Schlaf zimmer hängt; verwunderlich aber, dass es diesen Männern in der Zwangsjacke naturalistischer Traditionen, nicht zu eng wird. Dennoch sind hier schon befreiende Striche, wenngleich sie noch nicht an das streifen, was den naturalistischen Gegenpol erreicht und dessen Ausdrucksmittel, den Stil. Und es ist zweifellos, dass dieses Gehirnniveau es ist, das diesen Meistern die unent wegte Schätzung einer Zeit einträgt, die, die Kunst fast eines Jahrtausend überspringend, zu den Abstraktionen Aegyptens zu rückfindet, deren Grösse, deren Stil. Diese Umkehr, so rapid und ganz sie auch sich vollzieht, meldet sich gleichwohl deutlich an: Cezanne, van Gogh, Gauguin. Dieser wird zum Wieder entdecker der Fläche und Farbe und schafft auf Tahiti Bilder, deren technischer Abkehr von der Natur aber noch nicht ganz die entspricht, die reingeistig ist. Van Goghs Farbenvisionen, deren glühhhsse Intensität ihre Gegenständlichkeit noch zu wenig verformt, zeugen von einem Befreiungsbedürfnis, dessen verzwei felte Kraft des höchsten Staunens wert ist und der Hauptbestand teil des geistigen Inventars der neuen Malerei. Cezanne hat für sie das wenigste getan: er übertrifft zwar die beiden andern an Klarheit und Sicherheit der Farbe, sein Gehirn aber ist unpro blematischer und nicht von jenem wilden Schmerz gerüttelt, der van Gogh verzehrte. Und dieser Schmerz ist es. der in gerader Linie zu den Pyramiden führt und in das Herz der neuen Kunst. Sie ist wie alle wahrhaft grosse Kunst der Drang, von der Qual des Daseins dadurch sich zu befreien, dass sie es, geistig tief erlebend, transformiert; und nicht wie der Naturalismus ver klärt. Dje unausweichliche Liebe zum Gegenstand erleichtert diese Transformation; sie erschwert sie nicht, da es ohne sie keinen Anfang gibt. Diese Transformation setzte als Expressio nismus ein, übernahm sich als Kubismus und überschlug sich als Futurismus. Dennoch wird es an der neuen nicht nur- kubistischen und nur-futuristischen Malerei klar, dass Kubis mus und Futurismus nur weniger überschraubt zu sein brauchten, um zu enthüllen, wie viel die expressionistische Malerei von