61 — Je grösser der Mann ist, desto strafbarer ist er, wenn er die Fehler anderer ausplaudert, die er erkennt. Wenn Gott die Heimlichkeiten der Menschen bekannt machte, so könnte die Welt nicht bestehen. — Ein Gelübde zu tun, ist eine grössere Sünde, als es zu brechen. — Ich habe immer gefunden, die sogenannten schlechten Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennen lernt, und die guten verlieren. — Manche Menschen äussern schon die Gabe, sich dumm zu stellen, ehe sie klug sind. Mädchen haben diese Gabe sehr oft. — Ich habe das schon oft bemerkt: die Leute von Profes sion wissen oft das Beste nicht. — Ich weiss, dass berühmte Schriftsteller, die aber im Grunde seichte Köpfe waren (was sich in Deutschland leicht beisammen findet), bei all ihrem Eigendünkel von den besten Köpfen, die ich befragen konnte, für seichte Köpfe gehalten worden sind. — Ich möchte was darum geben, genau zu wissen, für wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären für das Vaterland getan worden. Wenn Heiraten Frieden stiften können, so sollte man den Grossen die Vielweiberei erlauben. — Man will wissen, dass im ganzen Lande seit fünfhun dert Jahren niemand vor Freude gestorben ist. Georg Christoph Lichtenberg Bücherbesprechungen Jakob Wassermann: Das Gänsemännchen. (S. Fischer, Verlag, Berlin.) I. Zuvor eine kleine Ouvertüre. Nirgends bisher wurde klar genug be tont, welche Kluft zwischen der Prosadichtung unserer Tage und der vor etwa zehn Jahren liegt. Ich sage das umso sicherer und eindeutiger, als ich der letzte bin, der die Ahnen einfach verleugnen wollte. Steht nicht noch über Sternheim Büchners „Lenz“ als heimlich verheissender Bethlehem- Stern ? Kennzeichned bleibt für die radikale Umwälzung in der Hauptsache dieser Tempowechsel ohne Gleichen, dieses Flitzen durch die Hirne, Schein- werfermanöverieren über Sodom und Golgatha, dass uns heute schon eine Zola-Trilogie (rein formell) wie ein vorsintflutlich-schwerfälliges Untier er scheint. Und sind nicht sogar unsere Klassischen von 1900 bereits ein wenig infiziert ? Da ist etwa Wassermann, Jakob . . Blättern wir erst einen Augenblick in seinem „Alexander in Babylon“, von dem eine neubearbeitete Ausgabe erschien. Was kann im November 1915 noch an solch einem Historien-Schmöcker reizen ? Abgesehen von allerlei Stofflich-Aktuellem, das man insgeheim, für sich, voll Schmuggler-Freude unterlegt. „ . . ihre Rauheit war nicht kriegerisch, sondern glich der von Helfershelfern bei einer Schand