Jahrgang 1915-16 Zürich, den 1. Februar Nummer 5 Herausgegeben von Walter Serner Die Frauen der Revolution Je grösser die Zahl derer ist, die Revolution und Geist irgendwie sich berühren lassen, desto kleiner wird die Möglich keit, eine erfolgreiche Revolution zu erleben. Die Ueberzeugung, Rousseau sei letzten Endes der geistige Urheber der französischen Revolution des Jahres 1789, ist ebenso falsch wie die, in Russ land hätten vor einem Jahrzehnt die Geister revolutioniert, richtig. Hätte nicht der Hunger in Rotten nach Versailles sich geschleppt, Ludwig der Sechzehnte wäre nie guillotiniert, das Bür gertum nie so frei geworden, wie es heute der Arbeiter sein möchte. Und nur weil die russische Revolution von Satten ge macht wurde, konnte sie niedergeworfen werden. Rousseau, der manchem hinterher das Gewissen erleichtert haben mochte, konnte in die selbsttätige Flut einer Wirkung hineingerissen wer den. Ursache war er nicht. Bakunin, der den Köpfen, welche sich erhoben, das Gewissen aufgerüttelt hatte, vermochte nicht, jene mitzureissen, denen der Magen wichtiger ist. So blieb er ohne Wirkung. Mehr noch als dort dem Selbsterhaltungstrieb ein Ethos unterzuschieben, wäre es irrig, hier die Erfolglosigkeit aus bestimmten allzu relativen Umständen erklären zu wollen. Die Tat des Geistes ist niemals die Tat. Nur der Körper revolutioniert. Es ist darum bezeichnend, dass die grosse französische Revolution von Frauen begonnen wurde. Ihnen kroch der Hun ger zuerst in die Brust. Dass der Bürger Maillard sie vor das Ver sailler Schloss führte, wird von der jungen Louison Chabry wett gemacht, die vor dem König um Brot für Paris bat, und die Vermutung, Rousseau könnte damit etwas zu schaffen haben, durch die Tatsache, dass die holde Wortführerin, die vom König zärtlich umarmt wurde, als sie ihm die Hand küssen wollte, das Schloss als Royalistin verliess: „Vive le roi!“ Die Schweizer garde rettete sie vor den rasenden Frauen, die sie bereits nieder geschlagen hatten und mit den eigenen Strumpfbändern erdrosseln