82 So wende dich auch auf den Bruder nicht, Du strenges Antlitz, augenlos! Ich sehe Tropfen, trüb und gross, Entthränen deinen Augen, leer und ohne Licht. Ich fühls: es weint kein Mensch allein. Solang ein Herz noch klagt, kann ich nicht glücklich sein. Und wen du triffst: es ist mein Los. Leo Sternberg Aphorismen — Ich habe den Joung nie ganz lesen können, als es Mode war, ihn zu lesen, und halte ihn noch jetzo für einen grossen Mann, da es Mode ist, ihn zu tadeln. —• Bei all meiner Bequemlichkeit bin ich doch immer in der Kenntnis meiner selbst gewachsen, ohne eben die Kraft zu haben, mich zu bessern. — Ich bin mehrmals wegen begangener Fehler getadelt worden, die meine Tadler nicht Kraft oder Witz genug hatten zu begehen. — Nichts schmerzt mich mehr bei all meinem Tun und Lassen, als dass ich die Welt so anzusehen gezwungen werde wie der gemeine Mann, da ich doch szientifisch weiss, dass er sie falsch ansieht. — Gerade wie in meinem Bibliothek-Zimmer sieht es in meinem Kopfe aus. Ordnungsliebe muss dem Menschen früh eingeprägt werden, sonst ist alles nichts. — Ich habe mich zuweilen recht in mir selbst gefreut, wenn Leute, die Menschenkenner und Weltweise sein wollen, über mich geurteilt haben. Wie sehr sie sich irrten ! Der eine hielt mich für weit besser, und der andere für weit schlimmer als ich war, und das immer aus sehr feinen Gründen, wie er glaubte. — Die grössten Denker, die mir vorgekommen sind, waren gerade unter allen Gelehrten, die ich habe kennen gelernt, die, welche am wenigsten gelesen hatten. — Kluge Leute glauben zu machen, man sei, was man nicht ist, ist in den meisten Fällen schwerer, als wirklich zu werden, was man scheinen will. — Ein Mädchen, das sich ihrem Freund nach Leib und Seele entdeckt, entdeckt die Heimlichkeiten des ganzen weiblichen Ge schlechts. — Es gibt wirklich sehr viele Menschen, die bloss lesen, damit sie nicht denken brauchen.